Prinzenexamen

[625] Auch Prinzen haben die Weisheit vonnöten,

Darum schickt man sie auf die Universitäten,

Damit hierorts ihr Verstand gedeiht.

So geschah es einem vor einiger Zeit.


Aber nach Ablauf von nur zwei Jahren,

Von denen er das meiste auf der Eisenbahn gefahren,

War des Prinzen Hoheit so klug,

Daß man fand, es sei nunmehr genug.


Um jedoch den Schein zu vermeiden,

Als sei es anders bei den Königlichen Hoheiten,

Wie es bei den übrigen Studiosis sei,

Ließ er sich zu einem Examen herbei.


Die Professores, welches dieses sollten wagen,

Kamen herbei mit großem Zittern und Zagen,

Sie scharrten demütig mit dem Fuß

Und entboten dem Prinzen ihren Gruß.


Der Herr Rektor machte den Anfang

Und gab seiner Stimme einen sanften Klang,[625]

Indem er fragte mit ergebenem Ton:

»Hoheit, was ist eine Konstitution?«


Hier antwortete des Prinzen erlauchte

Person, wozu er längere Zeit gebrauchte:

»Konstitution ist, wenn das Volk stets tut,

Was uns höchstselbst zu belieben geruht.«


Über diese Antwort des hohen Kandidaten

Konnten sich die Professores der Freude nicht entraten,

Und es herrschte große Verwundernis

Über den filium principis.


Nun begann ein Professor zu fragen:

»Belieben Hoheit mir geneigtest zu sagen,

Welche Befugnisse man kennt

Als eigentümlich dem Parlament?«


Hier antwortete der Prinz: »Herr Professer,

Je weniger es solche gibt, desto besser,

Weil der Untertan dadurch beirrt

Im Betreffe seines Gehorsames wird.«


Auch dieses Mal konnten nicht unterdrücken

Die Herren Professores ihr helles Entzücken,

Und sie haben sodann unverweilt

Dem Prinzen das Reifezeugnis erteilt.


Hieraus ist es als bewiesen erschienen:

Wenn einer als Doktor will sein Brot verdienen,

Braucht er zehn Semester allhier.

Für einen König reichen schon vier.

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 6, München 1968, S. 625-626.
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