Wettgesang

[16] Rudolf.


Wer hat den lieben Frühling aufgeschlagen

Gleichwie ein Zelt

In blüh'nder Welt?

Wer konnte Wolkenmacht verjagen?

Das Thal voll Sonne,

Der Wald mit Wonne

Und Lied durchklungen: –

Der Lieb' ist nur so schönes Werk gelungen.


Franz.


Der Lieb' ist nur so schönes Werk gelungen,

Daß Winter kalt

Entflohen bald,

Die holde Macht hat ihn bezwungen:[17]

Die Blumen süße,

Der Quell, die Flüsse,

Befreit von Banden

Sind aus des Winters hartem Schlaf erstanden.


Rudolf.


Sind aus des Winters hartem Schlaf erstanden

Der Wechselsang,

Der Echoklang,

Daß sie im heitern Raum sich fanden.

Die Nachtigallen-

Gesänge schallen,

Die Lindendüfte

Umspielen liebekosend Frühlingslüfte.


Franz.


Umspielen liebekosend Frühlingslüfte

Gras, Blumen, Baum,

Wie Liebestraum

Hängt Rosenbluth um Felsenklüfte.[18]

Um Grotten schwanken

Die Geisblattranken,

Des Himmels Ferne

Erhellen tausend goldne kleine Sterne.


Rudolf.


Erhellen tausend goldne kleine Sterne

Die Nacht so hold,

Der Brunnen Gold

Gießt strahlend sich zur Erde gerne:

Mit Liebesblicken

Uns zu beglücken

Schaut hoch hernieder

Die Liebe, giebt uns unsre Grüße wieder.


Franz.


Die Liebe giebt uns unsre Grüße wieder,

Drum Blumenwelt

Uns zugesellt,

Gesandt von ihr des Waldes Lieder:[19]

Sie schickt die Rose

Daß sie uns kose,

Wie uns zu danken

Streckt sie die Zweig, webt Geisblatt-Epheuranken.


Rudolf.


Streckt sie die Zweig, webt Geisblatt-Epheuranken?

Ja, Lilienpracht

Glänzt auch mit Macht,

Ihr Glanz belebt den Liebeskranken,

Und leise drücken

Wir Kuß, Entzücken

Auf Lilien-Wange,

Daß hold die Liebe Dank von uns empfange.


Franz.


Daß hold die Liebe Dank von uns empfange

Wird Mädchenmund

In trauter Stund

Geküßt bei Nachtigallgesange:[20]

Die Liebe höret

Was jeder schwöret,

Sie wacht den Eiden,

Sie straft den Frevelnden mit bittern Leiden.


Rudolf.


Sie straft den Frevelnden mit bittern Leiden,

Wenn er erglüht

Das Mädchen flieht,

Und selbst die Häßlichen ihn meiden;

In Händen welken

Ihm Ros' und Nelken,

Die Himmelslichter

Erblassen ihm, er singt als schlechter Dichter.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 1, Heidelberg 1967, S. 16-21.
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