Der Jüngling und das Leben

[165] Ich Jüngling will mich machen auf

Und gehn durch die bunte Welt dahin,

Es bringt der mannichfaltge Lauf

Mir wundersame Bilder in 'n Sinn.

Wohin? Wohin?

Die Freiheit ist mein erster Gewinn.


Wohlauf! die Stadt liegt hinter mir,

Vor mir liegt Wald und Bach,

Ich wandle fort in dem Lust-Revier,

Kein' Sorge wandelt mir nach; –

Doch ach! doch ach!

Was wird im innersten Busen mir wach?
[166]

Was willst du Wald? du Blume von mir?

Bin ich dir schon bekannt?

Vertraulich thut ihr und freundlich hier,

Ihr seid mir fremdes Land,

So abgewandt,

Ihr seid mir nie als Freunde genannt.


Und doch sind wir Freund', und doch deine Freund',

Erinnre dich nur recht tief in der Brust,

Wie wir uralte Bekannte seind,

Der Nahmen unser dir wohl bewußt,

Süß-Lust, Süß-Lust,

Du hast uns endlich folgen gewußt.


Heraus dein Sehnen dich trieb an's Frey,

Sonst saßest verschlossen in dir,

Du dachtest wohl nicht, wie herrlich der May,

Wir lockten, du wandelst nun hier,

Und für und für

Sind Brüder und Freunde so du wie wir.
[167]

So hab' ich die Freiheit nur darum gesucht,

Um euer armer Knecht zu seyn,

Viel lieber begeb' ich mich gleich auf die Flucht

Und kehr' in das alte Hausdunkel hinein,

So Blum' wie Hain,

Sie herrschen schon mächtig die Seele mein.


Was wollt ihr gaukelnde Farben süß,

Was sprichst du lockender Vogelgesang?

Die Farben und Lieder sie zaubern gewiß,

Schon fühl' ich das Herz im Busen so bang,

Wie lang, wie lang,

Ertrag' ich in mir den entzückenden Klang.


Kommt Geister aus eurem Hinterhalt

Und zeigt mir ein redlich Gesicht,

Entsteiget den Bergen, verlasset den Wald,

Und wagt euch hervor an Tageslicht!

Wo nicht, wo nicht,

Ich wieder zurück in das Hausdunkel flücht'!
[168]

Nicht kannst du wollen den Freunden entfliehn,

Wie magst du in's Dunkel zurück?

Wir können uns nicht aus den Blumen ziehn,

Und zeigen dem irdischen Blick,

Dein Glück, dein Glück

Enthüllet dir bald ein frohes Geschick.


Wir alle, wir alle ein einziger Geist,

Keine Macht uns trennen und sondern kann,

Unser mannichfach Bild nach einem nur weißt,

Du findest es wohl und kennst mich alsdann,

Hinan, hinan,

Es wandle ein jeder die eigene Bahn. –


Was sieht das Auge dort für Schein?

Der Blumen schönste du gewiß,

Sollt'st du der Geist der Blumen seyn,

Und zeigst dich mir so süß?

So süß! lieb-süß?

Ich dir gern meine Freiheit ließ.
[169]

Ein Mägdlein bin ich dir und treu,

Die Liebe lockte dich unbekannt,

Das wissest, der Liebe schönste Blum' ich sey,

Drum habe meinen Nahmen genannt,

Ich bin gesandt,

Daß aller Schönheit werdest verwandt.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 2, Heidelberg 1967, S. 165-170.
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