Erster Anblick von Rom

[150] Lange schon starrte mein Blick

Hinaus in Flur und Hügel,

Und immer nicht erschien der Wunsch,

Der sehnsüchtigen Seele.

Stille Träumerei umhüllte den Geist,

Da wendet sich plötzlich der Weg,

Und rechts erscheint der hohe Petrus-Dom,

Des Vatikans Pallast,

Und fern umher gestreut wie Hütten,

Die weltberühmte Stadt.


So ist der weite Weg nun überwunden,

Und endlich, endlich ist das erwünschte Ziel erschienen?[151]

Und wie ich mich sammle,

Mich und die Größe des Momentes zu fühlen,

Zerrinnt in Schmerz

Das kaum gehaschte Bild,

Und alle die alten edlen Erinnrungen

Entfliehn vor der drückenden, engen Gegenwart.

Wie klein ist der Mensch,

Wie arm im Schein des Reichthums!


Schon treten die Gebäude näher,

Schon heimathlicher wird Berg und Flur,

Von alten Gemälden

Erwacht in frischern Farben das Angedenken;

Hier schon die Brücke,

Die Straße der Vorstadt,

Und rascheren Trabes

Nähern wir uns dem Pappelthor.

Wir treten ein,

Vor mir der Platz und Obelisk,[152]

Die drei Straßen mit offnen Armen,

Ein nüchternes Licht

Erhellt unerfreulich

Tempel und Pallast.

Ich kann mich nur trösten.

Nun schnell in den Armen

Geliebter Freunde

Der Klage Laut ertönen zu lassen.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 3, Heidelberg 1967, S. 150-153.
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