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[175] Hier vernimmt mein Ohr die Töne

Voller und gewaltiger

Von euch, ihr Hochgeweihten,

Die mir drüben nur als Echo klangen

Matt und schwach, fast ohne Farbe.

Schon der frühe Morgen

Findet mich bei Dantes Reimen

Und Ariostos Zauberspielen,

Jetzt versteh ich dich, Petrarka,

Und die zartgeflochtne Rede

Des kühnen Boccacio.

Tasso, Tassani,

Bojardo, und Lorenz der Medicäer,

Lascen, und alle die frohen Zeitgenossen

Warten schon auf meine Muße.[176]

Und drum find' ich kaum die Stunde,

Was die Landsleute dachten

Zu prüfen und mir anzueignen.

Komm' ich doch zu euch zurück,

Gönnt mir diese Feierstunden,

Nie kann ich euch vergessen.


Oft schon hat man belacht,

Daß der Engelsmann reisend

Allen seinen lästigen Trost mit sich führt,

Und zum Aetna hinauf

Den Theekessel schleppt,

Um am Krater

Wie an Londons Kamin

Den chinesischen Trank zu schlürfen.

Lächle doch keiner,

Denn schlimmer als diese

Treiben's die Deutschen.

Wandeln doch oft mit mir[177]

Hochgebildete, feine,

Fast gelehrte Edelleute,

Die nur weniges der Italischen Sprache

Lesend entwenden,

Doch alle Meisterwerke

Tragisch und komisch

Unsers Kotzebue, Lafontaine,

In großen Kisten mit sich führen,

Und schwer und theuer

Die heimathlichen Gefühle zahlen.


Jüngst fragte mich einer

Neugierig forschend,

Ob ich vielleicht ganz unbedingt

(Was ihm unbillig schien)

Göthe's Fragment vom Faust

Der Dichtung Schinks

Den Vorzug gäbe.

Er schüttelte ungläubig[178]

Das denkende Haupt,

Als ich ihm betheuert,

Daß mir die zweite unbekannt,

Und ich auch ohne Trieb mich fühle

Sie zu genießen.

Ja wohl heiß' ich ihm unpatriotisch,

Einseitig in die Erfindungen

Der Wälschen vergafft.

Mit gutmüthigem Eifer

Wird mir von Enthusiasten

Oft aufgedrängt,

Dem ich schon jenseit der Alpen

Gern entfloh.

Quelle:
Ludwig Tieck: Gedichte. Teil 3, Heidelberg 1967, S. 175-179.
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