Siebentes Kapitel
Über Biedermänner

[167] Mein Freund nannte sich vorher einen deutschen Biedermann, und ich bin willens, hier etwas über diese Gattung von Leuten zu sagen.

Man hört den Ausdruck jetzt so häufig, und in Büchern wie im gemeinen Leben von so vielen Leuten gebraucht, daß man glauben sollte, wir wären in die alten ehrlichen Zeiten unsrer Voreltern zurückversetzt. Man stößt auch auf nichts so häufig, als auf diese angeblichen Biedermänner, und sosehr ich mich vor ihnen in acht nehme, haben sie mich doch schon oft mit ihrer Biederkeit verfolgt.

Daß zu diesen biedern Leuten mein Freund nicht gehöre, werden meine Leser von selber einsehn; er ist wirklich das, was die andern nur scheinen wollen, und er weiß es bis jetzt noch nicht, daß mir dieser Ausdruck etwas zuwider ist, daher nennt er sich so.

Jene Biedermänner sind gewöhnlich Leute, denen es zu unbequem ist, höflich zu sein, und die sich aus Faulheit in einen gewissen groben Ton werfen, den sie gar zu gern für den echten deutschen ausgeben möchten. Sie gehn darauf aus, gleich mit jedermann vertraut zu werden, damit sie nur nicht nötig haben, Umstände mit ihm zu machen, oder jene Delikatessen des Umgangs zu beobachten, die für sie eine wahre Arbeit sind. So gern sie unhöflich werden, so ertragen sie doch keine Unhöflichkeit von andern, sie wollen nur unter den übrigen Menschen eine Art von Gleichheit herstellen, damit sie sie auf ihre Art beherrschen können.

Ich kannte einmal einen dieser Gattung, der, nachdem ich ihn zum ersten Male gesehn hatte, ohne Umstände alle meine Geheimnisse von mir verlangte. Er sagte mir auch sogleich, wieviel Schulden er habe, was er am liebsten esse, was er gelesen habe, in welches Frauenzimmer er auf seine Art verliebt sei. Solche Menschen suchen so etwas gegeneinander auszutauschen, so wie die Wilden einen Ring zerbrechen, um sich daran wiederzukennen: aus Zufälligkeiten formieren sie sich den Charakter ihrer Freunde, und behandeln sie dann auf die plumpste Weise. Wen sie durch einen Zufall einmal berauscht gesehn haben, mit dem sprechen sie nachher nichts, als von dem Unterschied der Weine, und welchen man erst, und welchen man später trinken müsse,[167] um den wahren kunstmäßigen Rausch zu bekommen. Sie breiten dabei in der ganzen Welt aus, daß dieser, ihr Freund, vom Aufgang der Sonne bis in die tiefe Nacht betrunken sei, er sei sonst ein braver biederer Kerl, nur habe er diese ganz besondere Eigenheit. Durch diese Men schen kann der Unschuldigste den schlechtesten Ruf bekommen. – Als ich nun jenem Biedermanne, von dem ich oben sprach, sagte, daß ich gar keine Geheimnisse habe, ward er böse auf mich, und schalt mich einen verschlossenen, hinterlistigen Menschen, der in den boshaften Künsten der sogenannten feinen Welt erfahren sei, der nicht zu den echten Deutschen gehöre, denn ohne Geheimnisse könne man so wenig, wie ohne Luft, leben. Er trotzte dabei gewaltig auf seine große Ehrlichkeit, und meinte, ich müßte ihm alles, ja selbst mein Leben, anvertrauen. Da ich aber die Notwendigkeit davon durchaus nicht einsehn wollte, ließ er endlich von mir ab, und schwur, ich sei nicht eines tüchtigen Handdrucks wert.

Einen andern traf ich einmal, der mich erinnerte, daß wir in einem Wirtshause miteinander gegessen und sogar über die französischen Angelegenheiten dieselbe Meinung gehabt hätten. Ohne alle weiteren Umstände zog er daraus die Folgerung, daß ich ihm jetzt auf eine unbestimmte Zeit eine Summe Geldes leihen müßte. Diesen loszuwerden, ward mir noch um vieles schwerer.

Die kleinsten Leiden, die man von diesen Menschen erduldet, sind, daß sie einen auf der Promenade vertraulich unterm Arm nehmen, auf und ab gehn, und dabei so laut und so dumm sprechen, als sie es nur immer möglich machen können. Daß sie ihren angeblichen teuersten Freund besuchen, und vor dem Mittagsessen nicht wieder fortgehn, wenn sie gleich gewahr werden, daß er beschäftigt ist; daß sie Bücher wegnehmen, ohne es anzuzeigen, und sie nachher vergessen; daß sie so viel Gutes von ihrem Freunde in der Stadt und so großsprecherisch erzählen daß jedermann das Schlechte nur um so leichter glaubt.

Auf den Universitäten geben diese Gattung von Leuten zuweilen den Ton an: sie spielen dort die wiederhergestellten altdeutschen Ritter, die Verfechter der Freiheit, die Eingeweihten in geheime der Menschheit wohltätige Orden: zur Ehre ihrer Freunde und zum Besten des Vaterlandes trinken sie Bier und rauchen Tabak, schlagen sich, und lernen es mit jedem Tage mehr Biedermänner zu sein.

Von den wahren, echten Biedermännern brauche ich kein Wort zu sagen, sie bedürfen keines Kommentars, und zu diesen gehört Sintmal.[168]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 167-169.
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