Paasche

[346] Wieder einer.

Das ist nun im Reich

Gewohnheit schon. Es gilt ihnen gleich.

So geht das alle, alle Tage.

Hierzuland löst die soziale Frage

ein Leutnant, zehn Mann. Pazifist ist der Hund?

Schießt ihm nicht erst die Knochen wund!

Die Kugel ins Herz!

Und die Dienststellen logen:

Er hat sich seiner Verhaftung entzogen.

Leitartikel. Dementi. Geschrei.

Und in vierzehn Tagen ist alles vorbei.

Wieder einer. Ein müder Mann,[346]

der müde über die Deutschen sann.

Den preußischen Geist – er kannte ihn

aus dem Heer und aus den Kolonien,

aus der großen Zeit – er mochte nicht mehr.

Er haßte dieses höllische Heer.

Er liebte die Menschen. Er haßte Sergeanten

(das taten alle, die beide kannten).

Saß still auf dem Land und angelte Fische.

Las ein paar harmlose Zeitungswische . . .


Spitzelmeldung. Da rücken heran

zwei Offiziere und sechzig Mann.

(Tapfer sind sie immer gewesen,

das kann man schon bei Herrn Schäfer lesen.)

Das Opfer im Badeanzug . . . Schuß. In den Dreck.

Wieder son Bolschewiste weg –!

Verbeugung. Kommandos, hart und knapp.

Dann rückt die Heldengarde ab.

Ein toter Mann. Ein Stiller. Ein Reiner.

Wieder einer. Wieder einer.


Und nun –?

Die Regierung wird was tun?

Die Regierung ist gegen Empörung immun.

Schlafen. Zucken die Achseln. Glauben

verlogenen Berichten der Pickelhauben.

Und du liest am nächsten Tag in der Zeitung:

Unschuldig der Mörder – unschuldig die Leitung.

Hausen genau wie damals in Flandern.

Menschen? Tiere sind die andern.

Spielen noch immer herrliche Zeiten

der militärischen Notwendigkeiten,

Und nun –? Die Regierung läßt sie machen . . .


Flamm auf, du Volk! Feg sie hinweg.

Da sitzt der Bolschewistenschreck!

Da sitzt Aufruhr. Da die Gefahr.

Alles noch so, wie es früher war . . .

Morgen tun sies grad so wieder . . .


Und Jesus steigt vom Himmel hernieder.

Breitet segnend die leuchtenden Hände,

tritt vor den Soldatenlümmel hin

und sagt: »Du, es ist Zeitenwende.«


  • [347] · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 03.06.1920, Nr. 23, S. 659.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 346-348.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon