Der Sommer und der Wein

[100] In diesen schwülen Sommertagen

Fliegt Amor nur in kühler Nacht,

Und schlummert, wann die Sonne wacht:

Die Muse träumt nur matte Klagen.

Ich hänge mit verdrossner Hand

Die träge Leyer an die Wand.


Doch, Freund! in schwülen Sommertagen,

(Zischt mir Lyäus in das Ohr:)

Hebt sich der Weinstock stolz empor,

Den Frost und Regen niederschlagen:

Und nur der höhern Sonne Glut

Kocht seiner Trauben göttlich Blut.


So mag in schwülen Sommertagen

Der Weichling, Amor, schüchtern fliehn,

Und Scherz und Muse sich entziehn:[100]

Der Wein wird sie zurücke jagen.

Es reife nur der frohe Wein:

Was kann mir unerträglich seyn?

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 100-101.
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Sämtliche poetische Werke. Hrsg. von A. Sauer