Die Glückseligkeit

[111] Der Wahrheit ernste Stimm' erschallt in meinem Busen:

Hört eure Lehrerinn! sie selbst hat mich ernannt

Und auf den Flügeln süsser Musen

An euch, ihr Sterblichen! gesandt.


Es flammt ein Welten-Heer in angewiesnen Gränzen:

Es ist im lichten Raum, wo in bestimmter Bahn

Die ungezählten Sonnen glänzen,

Der Ordnung alles unterthan.
[111]

Zur Ordnung ward, was ist, eh etwas war, erlesen:

Sie fordert sanften West und stürmisch Ungestüm:

Ihr Band verknüpfet alle Wesen,

Vom Staube bis zu Cherubim.


Der ganzen Schöpfung Wohl ist unser erst Gesetze:

Ich werde glücklich seyn, wenn ich durch keine That

Dieß allgemeine Wohl verletze,

Für welches ich die Welt betrat:


Wenn wider meine Pflicht mein Herz sich nicht empöret,

Und niedrer Eigennutz, der die Begierden stimmt

Und ihre Harmonie zerstöret,

Nicht unter meinen Trieben glimmt.


Die Quelle falscher Lust, die Aristipp gefunden,

Haucht ekle Bitterkeit selbst unter Bluhmen aus.

Den Weichling drücken leere Stunden:

Die Ruhe flieht sein marmorn Haus.


Denn reine Freude quillt allein aus reinem Herzen:

Sein Zeugniß, daß wir thun, was unsre Pflicht gebeut,

Entwaffnet Ungeduld und Schmerzen,

In Tagen voller Dunkelheit.


Quält mich sein Urtheil nicht mit nagendem Verdrusse,

So sey mein Eigenthum der schlauen Bosheit Raub;

So trete mich mit stolzem Fusse

Das ungestüme Glück in Staub.


Ich winsle nicht um Trost, nicht weibisch um Erbarmen:

Die Ruhe folget mir zum armen Strohdach hin,

Wo ich in reiner Wollust Armen

Durch Unschuld reich und glücklich bin.
[112]

Fehlt innre Ruhe nicht; was fehlet meinem Leben,

Als was entbehrlich ist und unentbehrlich scheint?

Sollt ich bey iedem Unfall beben,

Und weinen, wann die Thorheit weint?


Mit weiser Huld vertheilt das Schicksal Weh und Freuden,

Das bald auf Rosen uns durchs Leben wandern heißt,

Bald aber durch bedornte Leiden

Des Lasters Armen uns entreißt.


Ein Blick in vorig Leid wird künftig uns entzücken,

Wenn unsrem Auge sich der Ordnung Plan entdeckt,

Der nun vor unsern kühnen Blicken

In heilig Dunkel sich versteckt.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 111-113.
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