Erstes Kapitel.
Das Wettangeln in Sigmaringen.

Eines Sonnabends, am 5. August 1876, füllte eine große, lärmende Menge das Gasthaus »Zum Treffpunkt der Fischer«. Gesang, Geschrei,[5] Gläserklang, Beifallsbezeugungen und schallende Ausrufe mischten sich zu einem Höllenlärm, der in fast regelmäßigen Zwischenräumen von den »Hochs« unterbrochen wurde, womit die Deutschen nun einmal ihrer Begeisterung Ausdruck zu verleihen gewöhnt sind.

Die Fenster des Gastraumes boten einen Ausblick nach der Donau, am Ende der reizenden kleinen Stadt Sigmaringen, der Hauptstadt der preußischen Enklave Hohenzollern-Sigmaringen, die fast unmittelbar am Ursprung jenes großen mitteleuropäischen Stromes liegt.

Der Einladung der Firma über der Haustür folgend, deren Inschrift in schönen gotischen Buchstaben ausgeführt war, hatten sich hier die Mitglieder des »Donaubundes« versammelt, einer internationalen Vereinigung von Fischern, die den verschiedensten Völkerschaften an den Stromufern angehörten.

Eine festliche Zusammenkunft ist ohne ein Trinkgelage ja kaum denkbar, und so trank man denn auch hier das gute Münchner Gebräu und den feurigen Ungarwein aus vollen Schoppen und vollen Gläsern. Geraucht wurde natürlich auch, und der große Raum war ziemlich verdunkelt von den wohlriechenden Wolken, die unaufhörlich aus den langen Pfeifen aufstiegen. Doch wenn die Gäste einander nicht sehen konnten, so konnten sie sich doch hören, wenigstens wenn sie nicht taub waren.

Ruhig und schweigsam bei der Ausübung ihrer Berufstätigkeit, sind die Angelfischer gerade die lautesten Leute, sobald sie ihre Geräte weggelegt haben. Im Erzählen ihrer Großtaten wetteifern sie mit den Jägern, und das will doch viel sagen!

Augenblicklich war man hier am Ende eines kräftigen Frühstücks, das um die Tische des Gasthauses gegen hundert Teilnehmer versammelt hatte, lauter Ritter der Angelrute, scharfe Wächter des Schwimmers und Fanatiker des Angelhakens. Die Tätigkeit am Vormittage hatte, nach den vielen, zwischen den Desserttellern umherstehenden Flaschen zu urteilen, augenscheinlich ihre Kehlen ausgetrocknet. Jetzt war die Reihe an den zahlreichen Likören, die man als Begleiter einer Tasse Kaffee erfunden hat.

Die Uhr wies auf die dritte Nachmittagsstunde, als sich die mehr und mehr erhitzten Tischgäste erhoben. Freilich schwankten einzelne darunter nicht unbedenklich und hätten die Unterstützung ihrer Nachbarn nicht wohl entbehren können. Die meisten standen aber doch sicher auf den Beinen, als[6] brave und tüchtige Habitués solcher langen Tafelfreuden, die sich bei Gelegenheit des Wettbewerbs des Donaubundes jährlich mehrmals wiederholten.

Diese sehr besuchten und festlich gefeierten Wettkämpfe genossen eines großen Rufes längs des Verlaufs des berühmten gelben Stromes, der ja nicht blau ist, wie er in dem bekannten Straußschen Walzer genannt wird. Teilnehmer an dem Wettbewerbe fanden sich hier aus dem Großherzogtum Baden, aus Württemberg, Bayern, Österreich, aus Ungarn, Serbien, Rumänien und selbst aus den türkischen Vasallenstaaten Bulgarien und aus Bessarabien zusammen.

Die Vereinigung bestand schon seit fünf Jahren und gedieh sichtlich unter der vortrefflichen Leitung ihres Vorsitzenden, des Ungars Miklesko. Ihre immer zunehmenden Mittel erlaubten es, für die Wettbewerbe ansehnliche Preise auszusetzen, und ihr Banner erglänzte von funkelnden Medaillen, den Preisen der Siege über konkurrierende Vereine. Gründlich unterrichtet über die die Stromfischerei betreffende Gesetzgebung, vertrat ihr Direktor die Bundesmitglieder gegenüber dem Staate und einzelnen Personen und verteidigte ihre Rechte mit jener Zähigkeit, man könnte sagen, jener professionellen Starrköpfigkeit, die dem Zweihänder eigen ist, den seine Instinkte als Angelfischer würdig machen, als besondre Klasse der Menschheit betrachtet zu werden.

Der heute beendigte Wettkampf war der zweite des Jahres 1876 gewesen. Früh um fünf hatten die Teilnehmer die Stadt verlassen und sich, etwas stromabwärts von Sigmaringen, an das linke Ufer der Donau begeben. Sie trugen die Uniform des Bundes: eine kurze, die Bewegungen in keiner Weise hemmende Bluse, die Beinkleider in den Schäften der starksöhligen Stiefel und eine weiße Mütze mit breitem Schirm. Natürlich besaßen sie die vollständige Sammlung aller im »Handbuche des gerechten Anglers« aufgezählten Hilfsmittel: Stangen, lange Ruten, kleine Hamen, Schwimmer, Senkblei, Schrot jeden Kalibers für das Garn, Blei, künstliche Fliegen, Schnürchen, Florentiner Roßhaar usw. Die gefangenen Fische – wenn es solche überhaupt gab – waren rechtmäßiges Eigentum des Fischers, von denen sich jeder seinen Platz nach Belieben wählen konnte.

Punkt sechs Uhr waren genau siebenundneunzig Angler, die Schnur in der Hand und bereit, den Haken auszuwerfen, an Ort und Stelle. Ein[7] Trompetensignal verkündete den Beginn des Wettkampfs, und siebenundneunzig Angelschnüre flogen sofort auf das Wasser hinaus.

Für den Wettbewerb waren mehrere Preise ausgeworfen, deren zwei erste, jeder im Betrage von hundert Gulden, den Fischern zufallen sollten, von denen der eine die meisten Fische und der andre den schwersten Fisch gefangen haben würde.

Alles verlief ohne Störung, bis das zweite Trompetensignal, fünf Minuten vor elf, den Wettbewerb schloß. Der Gesamtsang jedes Mitgliedes wurde dann einer Jury unterbreitet, die aus dem Vorsitzenden Miklesko und vier Mitgliedern des Donaubundes bestand. Keiner zweifelte übrigens nicht im mindesten daran, daß diese Auserwählten ihre Entscheidung mit vollster Unparteilichkeit und so treffen würden, daß jeder Widerspruch ausgeschlossen blieb. Immerhin mußte man sich, das Ergebnis ihrer gewissenhaften Prüfung zu erfahren, mit einiger Geduld rüsten, da die Zuteilung der Preise, des einen für das größte Gewicht, des andern für die größte Zahl, bis zur Stunde der Aushändigung geheim bleiben mußte und dieser eine Tafel vorherging, bei der sich alle wie zu einem brüderlichen Liebesmahl vereinten.

Diese Stunde war jetzt gekommen. Die Fischer – ohne die aus Sigmaringen zugeströmten Neugierigen zu rechnen – warteten auf das weitere, bequem vor dem Podium sitzend, worauf der Vorsitzende und die andern Mitglieder der Jury Platz genommen hatten.

Wie es an Sitzgelegenheiten, Bänken, Stühlen und Schemeln nicht fehlte, so waren auch Tische genug vorhanden, und darauf standen Kannen mit Bier, Karaffen mit verschiedenen Likören, nebst einer großen Menge großer und kleiner Gläser.

Alle hatten sich niedergesetzt, die Pfeifen qualmten und der Vorsitzende erhob sich.

»Hört!... Hört!« erschallte es von allen Seiten.

Miklesko leerte als Einleitung ein perlendes Glas Bier, von dem noch Schaumflocken an den Enden seines Schnurrbartes hängen blieben

»Meine werten Kollegen, begann er deutsch, welche Sprache von allen Zugehörigen des Donaubundes trotz deren verschiedner Nationalität verstanden wurde, erwarten Sie von mir keine klassisch angehauchte Rede mit packender Einleitung, breiter Entwicklung und zugespitztem Schlusse. Nein,[8] wir sind hier nicht, um uns an feierlichen Ansprachen zu berauschen, ich werde nur unsre kleinen Angelegenheiten berühren, wie sich's unter guten Kameraden, ich möchte sagen, unter Brüdern, geziemt, wenn diese Bezeichnung für eine so internationale Versammlung zulässig erscheint.«

Diese beiden Sätze, die etwas lang erscheinen werden, wie gewöhnlich die, die beim Beginn einer Verhandlung gedrechselt werden, selbst wenn der betreffende Redner sich vorher gegen jede Weitschweifigkeit verwahrte,[9] wurden mit allgemeinem Beifall aufgenommen, denen sich zahlreiche »Sehr gut!... Sehr gut!« und verschiedene »Hoch!« beimischten.

Miklesko setzte seine Rede damit fort, daß er dem Fischer den höchsten Rang in der menschlichen Gesellschaft zuwies. Er hob von diesem alle Eigenschaften, alle Tugenden hervor, womit die gütige Mutter Natur ihn ausgestattet habe, er wies darauf hin, wie viel Geduld, Scharfsinn, ruhiges Blut und Kenntnisse dazu gehörten, in dieser Kunst des Fischens Erfolge zu erzielen, denn weit mehr als ein Handwerk, wäre es eine Kunst, die er hoch über alle cygenetischen Heldentaten stellte, deren sich die Jäger rühmen.

»Könnte man denn überhaupt, rief er, die Jagd dem Fischfange an die Seite stellen?


Ein Trompetensignal verkündete den Beginn des Wettkampfs. (S. 8.)
Ein Trompetensignal verkündete den Beginn des Wettkampfs. (S. 8.)

– Nein!... Nimmermehr! antwortete die ganze Versammlung.

– Welches Verdienst ist denn dabei, ein Rebhuhn oder einen Hafen zu töten, wenn man das betreffende Wild in guter Schußweite erblickt und wenn ein Hund – haben wir etwa Hunde als Helfer wir? – uns auf dessen Spur geführt hat? Solches Wild sieht einer schon von weitem, zielt darauf mit aller Bequemlichkeit und überschüttet es mit unzähligen Schrotkörnern, von denen doch die meisten vorbeifliegen! – Dem Fische dagegen kann niemand mit dem Blicke folgen, der ist unter dem Wasser verborgen. Welch geschickten Verhaltens, welch zarter Lockung, welches Aufwandes von Scharfsinn und Aufmerksamkeit bedarf es, ihn zu veranlassen anzubeißen, ihn aus dem Wasser zu ziehen, bis er dann luftschnappend an der Angelschnur hängt oder hin und her zappelt, als wenn er dem Siege des Fischers noch selbst seinen Beifall spendete!«

Jetzt erhob sich ein donnernder Applaus. Der Präsident Miklesko kannte offenbar seine Donaubündler. Im Bewußtsein, daß er seinen Genossen nie genug schmeicheln konnte, und ohne Befürchtung, der Übertreibung geziehen zu werden, zögerte er nicht, ihren edeln Beruf über alle andern zu stellen, die eifrigen Anhänger der »Piscicaptologie«, der Wissenschaft des Fischfangs, bis in die Wolken zu erheben und sogar die Erinnerung an die stolze Göttin wachzurufen, die den piscatorischen Spielen des alten Roms bei den halieutischen Zeremonien vorstand.

Ob diese Worte verstanden wurden? Es schien so, wenigens riefen sie ein enthusiastisches Beifallstrappeln hervor.[10]

Nachdem der Vorsitzende Atem geschöpft und einen Schoppen weißschaumigen Bieres geleert hatte, fuhr er folgendermaßen fort:

»Ich habe jetzt uns nur noch zu beglückwünschen wegen des wachsenden Gedeihens unsrer Vereinigung, die jedes Jahr neue Mitglieder heranzieht und deren Ansehen in ganz Mitteleuropa gesichert dasteht. Von ihren Erfolgen brauche ich hier nicht zu sprechen. Sie kennen diese, Sie haben selbst teil daran, und es ist eine große Ehre, an ihren Wettkämpfen teilgenommen zu haben. Die deutsche, die tschechische, die rumänische Presse haben nie mit ihrer für uns so schätzenswerten, doch – ich füge hinzu – wohlverdienten Anerkennung gespart, und wenn ich jetzt mein Glas erhebe, ersuche ich Sie mit einzustimmen auf das Wohlsein der Journalisten, die sich der internationalen Sache des Donaubundes so warm angenommen haben!«

Selbstverständlich entsprachen alle der Aufforderung des Vorsitzenden Miklesko. Die Flaschen entleerten sich in die Gläser und diese wieder in die Kehlen mit derselben Leichtigkeit, wie das Wasser des großen Stromes und seiner Nebenflüsse sich ins Meer ergießt.

Man hätte es hierbei bewenden lassen, wenn die Ansprache des Vorsitzenden mit diesem Toaste geschlossen hätte; dem drängten sich aber noch andre auf, die heute nicht unterdrückt werden konnten.

Der Vorsitzende hatte sich schon, zwischen dem Schriftführer und dem Schatzmeister, die ebenfalls aufgestanden waren, seiner ganzen Länge nach aufgerichtet.

»Ich trinke auf das fernere Blühen und Gedeihen des Donaubundes!« sagte Miklesko, dessen Blicke die ganze Zuhörerschaft streiften.

Alle hatten sich, den Becher am Lippenrande, erhoben. Die einen auf den Bänken, andre auf den Tischen stehend, taten sie dem vereinigten Vorschlag Mikleskos Bescheid.

Als die Gläser geleert waren, erhob sich dieser aufs neue, nachdem er aus den unerschöpflichen Trinkgefäßen, die vor ihm und seinen Beisitzern standen, genippt hatte.

»Auf das Wohlsein der verschiednen Nationalitäten, der Badener und Württemberger, der Bayern und Österreicher, der Ungarn und Serben, der Walachen und Moldauer, der Bulgaren und Bessarabier, die der Donaubund in seinen Reihen zählt!«[11]

Und Bessarabier, Bulgaren, Moldauer und Walachen, Serben und Ungarn, Österreicher und Bayern, Württemberger und Badener antworteten ihm wie ein Mann, indem sie den Inhalt ihrer Gläser verschlangen.

Endlich schloß der Vorsitzende seine Ansprache mit der Ankündigung, daß er auf die Gesundheit aller einzelnen Mitglieder des Bundes trinke. Da es deren aber vierhundertdreiundsiebzig gab, sah er sich leider gezwungen, alle in einem einzigen Toaste zusammenzufassen.

Man antwortete ihm jedoch mit Tausenden und Abertausenden »Hochs!« die sich fortsetzten, bis die Leistungsfähigkeit der Männerstimmen erschöpft war.

So verlief der zweite Teil des Programms, nachdem der erste mit seinen Tafelgenüssen beendigt worden war. Der dritte Teil sollte nun die Verkündigung der Preisträger bringen.

Jeder wartete darauf mit erklärlicher Spannung, denn das Geheimnis der Jury war, wie erwähnt, bewahrt worden. Jetzt kam der Augenblick, wo es endlich bekannt werden sollte.

Der Präsident Miklesko unterzog sich seiner Verpflichtung, die offizielle Liste der Belohnungen in den beiden Kategorien zu verlesen.

Entsprechend den Bundessatzungen wurden die minderwertigen Preise zuerst verkündigt, was der Verlesung der Namen der Gewinner ein zunehmendes Interesse verleihen mußte.

Auf den Aufruf ihres Namens erschienen die Empfänger der geringern Preise vor dem Podium. Der Vorsitzende erteilte ihnen den Ritterschlag, indem er ihnen ein Diplom und je nach dem errungenen Range eine kleinere oder größere Summe einhändigte.

Die in den Netzen enthaltenen Fische waren von der Art, wie sie jeder Fischer in der Donau fangen kann: Stichlinge, Rotaugen, Schollen, Barsche, Schleien, Hechte u. a. Walachen, Ungarn, Badener und Württemberger gehörten zu den Gewinnern der kleinern Preise.

Der zweite Preis, siebenundsiebzig erbeutete Fische, wurde einem Deutschen Namens Weber zuerkannt, dessen Erfolg alle mit lebhaften Beifallskundgebungen begrüßten. Dieser Weber war unter seinen Vereinsgenossen schon lange gut bekannt. Bei den frühern Wettkämpfen hatte er schon oft zu den Höchstbelohnten gehört, und man erwartete, daß er auch heuer noch den ersten Preis für die größte Anzahl Fische davontragen würde.[12]

Doch nein; in seinem Garn fanden sich nur siebenundsiebzig Fische, siebenundsiebzig wohlgezählt und nochmals gezählt, während ein – wenn auch nicht geschickterer, so doch glücklicherer – Mitbewerber neunundneunzig in seinem Netze hatte.

Jetzt wurde der Name dieses Meisteranglers aufgerufen. Es war der Ungar Ilia Brusch.

Die etwas verwunderte Versammlung spendete keinen Beifall, als sie den Namen des den Mitgliedern des Donaubundes noch unbekannten Ungars hörte, der dem Vereine erst ganz kürzlich beigetreten war.

Da der Preisträger nicht geglaubt hatte, sich zeigen zu müssen, um einen Preis von hundert Gulden zu empfangen, nahm der Vorsitzende ohne Zögern die Liste der Gewinner der Gewichtspreise vor. Die Preisträger waren Rumänen, Slawen und Österreicher. Als der Name dessen aufgerufen wurde, dem der zweite Preis zugefallen war, ertönte ein Beifall, als wenn es der des Deutschen Weber gewesen wäre. Herr Ivetozar, einer der Beisitzer, triumphierte mit einer dreiundeinhalbpfündigen Karausche, die einem minder gewandten und weniger kaltblütigen Angler gewiß entgangen wäre. Ivetozar war eines der bekanntesten tätigsten und dem Bunde ergebensten Mitglieder, und er war es auch, der sich in der letzten Zeit die größte Zahl Belohnungen erworben hatte. Eben deshalb wurde ihm jetzt auch der einstimmigste Beifall zuteil.

Nun stand nur noch die Erklärung des ersten Preises dieser Abteilung aus, und alle Herzen klopften lauter in Erwartung des Namens des Preisträgers.

Wie groß war aber das Erstaunen, ja noch mehr als Erstaunen, die allgemeine Verblüffung, als der Vorsitzende Miklesko mit kaum unterdrücktem Erzittern der Stimme anhub:

»Erster Gewichts-Preisträger für einen Hecht von siebzehn Pfund der Ungar Ilia Brusch!«

In der Versammlung herrschte lautlose Stille. Die schon zum Klatschen bereiten Hände rührten sich nicht, wer den Sieger hatte beglückwünschen wollen, blieb mäuschenstill. Das lebhafte Gefühl von Neugier hatte alle gelähmt.

Würde Ilia Brusch nun endlich erscheinen? Würde er jetzt hervortreten, vom Präsidenten Miklesko die Ehrendiplome und die begleitenden zweihundert Gulden in Empfang zu nehmen?[13]

Plötzlich lief ein Murmeln durch die Gesellschaft.

Einer der Anwesenden, der sich bisher abseits gehalten hatte, ging auf das Podium zu.

Es war das der Ungar Ilia Brusch.

Nach seinem sorgfältig rasierten und mit dichtem, schwarzem Haar umrahmten Gesicht zu urteilen, hatte Ilia Brusch das dreißigste Jahr noch nicht überschritten. Von etwas übermittlerm Wuchs, breitschultrig und mit tüchtig entwickelten Gliedern, mußte er sich einer nicht gewöhnlichen Kraft erfreuen. Es überraschte tatsächlich, daß ein junger Mann von diesem Gusse sich der friedlichen Zerstreuung des Angelns und das so gründlich gewidmet hatte, daß er diese schwierige Kunst wirklich beherrschte, wovon ja sein Erfolg bei dem Wettbewerb einen unanfechtbaren Beweis geliefert hatte.

Eine weitere auffallende Eigentümlichkeit Ilia Bruschs bestand darin, daß er offenbar an irgendwelcher Sehstörung zu leiden schien. Große dunkle Brillengläser verbargen seine Augen, deren Farbe zu er kennen ganz unmöglich gewesen wäre. Das Sehvermögen ist aber einer der wichtigsten Sinne für den, der den oft kaum wahrnehmbaren Bewegungen des Schwimmers folgen muß, und scharfe Augen braucht, wer über die vielfachen Listen des Fisches siegen will.

Doch ob man nun darüber erstaunte oder nicht, hier mußte man sich den Tatsachen fügen. Die Unparteilichkeit der Jury konnte nicht angezweifelt werden: Ilia Brusch war der Sieger im Wettkampfe und das unter Bedingungen, die, soweit sich die Bündler erinnern konnten, vorher von niemand erfüllt worden waren. Die Versammlung taute auch allgemach auf und schallende Beifallsrufe begrüßten den zweifachen Sieger in dem Augenblicke, wo er seine Diplome nebst den Geldpreisen aus den Händen des Präsidenten Miklesko empfing.

Als das erledigt war, hatte aber Ilia Brusch, statt sich vom Podium zu entfernen, noch ein kurzes Zwiegespräch mit dem Vorsitzenden und wandte sich dann an die ihn beobachtende Versammlung, die er durch eine Handbewegung um Ruhe ersuchte. Sofort wurde es auch wieder ganz still.

»Meine Herren und liebe Kollegen, begann Ilia Brusch, ich bitte Sie um die Erlaubnis, einige Worte an Sie richten zu dürfen, nachdem der Herr Vorsitzende mir das gestattet hat.«[14]

Man hätte jetzt in dem eben noch so geräuschvollen Saale eine Mücke dahinfliegen hören können. Worauf mochte diese im Programm nicht vorgesehene Ansprache hinauslaufen?

»Mich drängt es zuerst, fuhr Ilia Brusch fort, Ihnen zu danken für Ihre Teilnahme und Ihren Beifall^ ich bitte Sie aber zu glauben, daß ich mich über den doppelten Erfolg, der mir zuteil wurde, nicht stolzer fühle, als dieser es verdient. Ich weiß recht gut, daß dieser Erfolg, wenn er dem Würdigsten beschert werden sollte, irgendeinem ältern Mitgliede des Donaubundes hätte zufallen müssen, des Vereins, der so reich ist an tüchtigen Fischern, und daß ich den heutigen Sieg weit weniger meinem Verdienste, als einem glücklichen Zufall verdanke.«

Die Bescheidenheit dieses ersten Auftretens wurde von den Zuhörern lebhaft gewürdigt, und aus ihren Reihen hörte man sogar einige halblaute »Sehr gut!«

»Diesem günstigen Zufall muß ich noch gerecht werden und habe deshalb einen Plan entworfen, von dem ich glaube, daß er diese Vereinigung angesehener Angelfischer interessieren dürfte.

Gegenwärtig, verehrte Kollegen, sind die Rekords in der Mode. Warum sollten wir nicht den Champions andrer, dem unsern gegenüber doch niedriger stehender Sports nachahmen und nicht den Versuch machen, einen Rekord im Fischfang zu schaffen?«

Aus dem Zuhörerkreise wurden einzelne halberstickte Ausrufe laut. Man hörte einige »Ah, ah!«, einige »Sieh da!... Sieh da!« und »Warum denn nicht!«, da jeder Genosse dem empfangenen Eindruck seinem Temperamente nach Ausdruck verlieh.

»Als mir dieser Gedanke zum erstenmal kam, fuhr der Redner inzwischen fort, habe ich ihn sofort festgehalten und auch sofort erkannt, in welcher Weise er verwirklicht werden sollte. Mein Verhältnis als Zugehöriger des Donaubundes setzt übrigens der Aufgabe gewisse Grenzen. Als Donaubündler konnte ich zur glücklichen Durchführung meines Planes nur die Donau ins Auge fassen.

Ich habe mir also vorgenommen, unsern berühmten Strom von seiner Quelle bis zum Schwarzen Meer hinunterzufahren und auf der dreitausend Kilometer langen Strecke ausschließlich vom Ertrage meines Fischfangs zu leben.[15]

Der Zufall, der mich heute begünstigt hat, würde, wenn es möglich wäre, mein Verlangen, diese Reise auszuführen, nur noch steigern, einer Reise, die sicherlich nicht des Interesses entbehrt, und deshalb teile ich Ihnen heute schon mit, daß meine Abfahrt auf den 10. August, also auf nächsten Donnerstag, festgesetzt ist, an welchem Tage Sie mich unmittelbar am Ursprung der Donau treffen würden.«

Es ist weit leichter, die Begeisterung, die diese unerwartete Mitteilung erweckte, sich vorzustellen, als sie zu beschreiben. Fünf Minuten lang wütete ein richtiger Sturm von »Hochs!« und maßlosen Beifallsrufen.

Ein solcher Zwischenfall konnte aber nicht in dieser Weise auslaufen. Herr Miklesko sah das ein und handelte, wie immer, als ein richtiger Präsident. Noch einmal erhob er sich, vielleicht etwas mit Beschwerde, zwischen seinen beiden Vorstandskollegen.

»Aufs Wohl unsres Kollegen Ilia Brusch!« rief er, ein Champagnerglas schwingend, mit bewegter Stimme.

»Auf unsern Kollegen Ilia Brusch!« antwortete die Versammlung mit Donnergetöse, dem unmittelbar ein tiefes Schweigen folgte, da es, infolge eines bedauernswerten Versehens der Natur, menschlichen Wesen nicht möglich ist, gleichzeitig zu rufen und zu trinken.

Das Stillschweigen dauerte jedoch nicht lange. Der funkelnde Wein hatte den erschlafften Kehlen bald neue Kraft verliehen, noch unzählige Gesundheiten auszubringen bis zu dem Augenblicke, wo unter allgemeinem Jubel der berühmte, an demselben Tage, dem 5. August 1876, veranstaltete Angelwettkampf des Donaubundes in der reizenden kleinen Stadt Sigmaringen geschlossen wurde.

Quelle:
Jules Verne: Der Pilot von der Donau. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XCIV, Wien, Pest, Leipzig 1909, S. 5-16.
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