Zweiter Auftritt

[9] Faust tritt ein.


LIESCHEN nimmt ihm Hut und Mantel ab.

Bist müde, mein Verehrter! Komm, gib her!

FAUST.

Ach, wie war heut die Mühe wieder schwer!

Wie schmeckte mir ein gutes Gläschen Wein!

LIESCHEN.

Mein guter Heinz, du weißt, es darf nicht sein!

Hier steht die Milch, komm her, ich schenk dir ein.

FAUST.

Ach ja,


Er nimmt und trinkt mit Widerwillen.
[9]

und Hunger setzt's, nach solcher Last!

Was gibt's zu essen, sag, was hast?

LIESCHEN.

Du weißt es ja, Heuschreckentag ist heut,

Doch morgen gibt es liebliches Gebäck

Von wildem Honig.

FAUST.

Widriges Geschleck!

O schmale Kost, o harte Prüfungszeit!

So lebt kein Proletarier,

Kein Züchtling, Vegetarier!

LIESCHEN.

Beherrsche dich, denk immer an den Zweck!

FAUST.

Ich bitte, darf ich denn mit Fug mich nicht beschweren?

Den Jungen soll ich Faust, den zweiten Teil, erklären!

Ja, das macht Hunger, das macht Durst!

Wie lechzt man da nach Bier, nach Wein, nach Wurst!

Dabei darf ich den Stecken zwar besitzen,

Doch ihn bei schwerer Strafe nicht benützen,

Soll, was sie auch für Bubenstreiche treiben,

Für ausgesuchten Schabernack,

Geduldig wie ein sanfter Engel bleiben!

O das verfluchte Schlingelpack!

LIESCHEN.

Heinrich!

FAUST.

Verzeih, daß mir das starke Wort entflohn,

Ein Rückfall war's in alten Erdenton!

O wolle du nur fort und fort,

Als Hüterin, als Seelenhort,

Wenn mich des Zornes rauhe Geister zwacken,

Mich reinigen von diesen Erdenschlacken,

Hier an des Himmels Ranft

Weiblich gelind und sanft

Zu höheren Gefilden

Mich bilden![10]

LIESCHEN.

O nein, mein Guter, du auch bildest mich,

Ich dich durch des Gefühles zarte Bande,

Du mich mehr mit dem männlichen Verstande;

O Wechselbildung schön und förderlich!

O Wonne, zu des höchsten Himmels Hallen

Einander bildend so emporzuwallen!

FAUST.

Ja, das ist schön und wäre schöner noch,

Wär' die Diät um etwas besser doch!

Dich, Holde, tadl ich nicht

Ums magere Gericht,

Du folgst ja nur, ich weiß es lange schon,

Dem Wortlaut höherer Instruktion.

Des Leibs Entbehrung,

Der Geistabklärung

Zweckvolle Mehrung,

Sie soll den alten Erdenbengel

Filtrieren bis zum reinen Engel;

Und doch ist's hart, doch ist es halt zu viel,

Zu steiler Weg zu dem erhabnen Ziel,

Wenn man vom Schulstaub kommt so hungrig, so verschwitzt,

Mit tiefem Atemzug zu Tisch dann endlich sitzt

Und findet da das traur'ge Einerlei,

Kartoffel, Lattich, fade Pflanzenkost

Und nur am Sonntag dünnen Apfelmost.

O Lieschen, du mit deinem Weibermagen,

Du ahnest nicht, was solche Kur will sagen!

Warum dies Leben, wie Johann der Täufer?

Ich war ja doch kein Fresser und kein Säufer!

LIESCHEN.

Noch andre Formen treibt die Üppigkeit,

Gedenke reuig der arkadischen Zeit!

Warum bist du zur Prüfung da?

Gedenk, o Faust, der Helena![11]

FAUST.

Ach, geh mir weg, es sei dir nicht verhehlt:

Symbolisch war ich nur mit ihr vermählt,

Man tat nur so, es war der pure Schaum,

Phantasmagorisch schattenhafter Traum!

LIESCHEN.

Den Blocksberg, Faust, vergiß nicht ganz!

Da führte dich der arge Reisebruder

Zu Tanz mit wem? Pfui, Faust, zu welchem Tanz!

FAUST.

Das waren dennoch allerliebste Luder!

LIESCHEN.

Heinrich, mir graut vor dir!

FAUST.

Ach Gott, verzeih!

Verzeih, daß ich so tief zurückefiel!

Des Ärgers, Hungers, Durstes Tyrannei

Reizt zynisch mich zum alten groben Stil!

Vergiß das rohe, unanständ'ge Wort

Und bilde mich nur immer weiter fort!

LIESCHEN.

Der Stil nur wär' es? Ist's nicht der Gedanke?

FAUST.

Es waren freilich gar so reizend schlanke.

LIESCHEN nach einem Blick in den Spiegel.

Faust, Faust, sei jetzt doch mehr für das Gesetzte,

Nur das Solide sei dir das Geschätzte!

Die starken Reden laß dem Valentin,

Dem Mann des Volkes gehn sie eher hin.

FAUST.

O er, gefällt durch meinen Degenstoß,

O wie beneid ich ihm sein jetzig Los!

Nicht Macbeth konnt' in seiner Seele Leiden

So schmerzlich den Gemordeten beneiden!

Mir vor der Nase steht sein wohnlich Haus,

Und wirbelt da des Herdes Rauch heraus,

Hör ich vom Anstich den vertrauten Klang,

Vergnügter Gäste Schwatzlärm und Gesang,[12]

Und denk ich, wie's dem Guten ist zu gonnen,

Wenn abendlich am Himmel sinkt die Sonnen,

Daß er in sich geht und denkt,

Wo man einen guten schenkt,

Da ist mir – ach, wie kann es anders sein! –,

Als zög' mich Zaubermacht hinein!

Wohl sag ich mir im Namen der Moral

Den Grund und Zweck von dieses Darbens Qual,

Doch ist es jedem eingeboren,

Daß sein Gefühl hinan und vorwärts strebt,

Wenn vor dem Geist in Stille reif gegoren

Mit holdem Dampf ein Sauerkräutchen schwebt,

Wenn zart geräuchert neben Schweines Rüssel

Ein Wurstpaar dampfet in der wackern Schüssel,

Hienebst – verzeih! Ich muß ein wenig schmatzen –

Bayrische Knödel oder Schwabenspatzen,

Dazu ein Tröpfchen edles, firnes Naß

Vom Keller aus dem Lagerbiergelaß. –


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 9-13.
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