Erste Szene


[716] Wilde Gegend am Fuße eines Felsenberges,

welcher nach links hin steil aufsteigt. – Nacht, Sturm und Wetter. Blitz und heftiger Donner, welcher letztere dann schweigt, wärend Blitze noch längere Zeit die Wolken durchkreuzen. – Der Wanderer tritt auf. Er schreitet entschlossen auf ein gruftähnliches Höhlentor in einem Felsen des Vordergrundes zu und nimmt dort, auf seinen Speer gestützt, eine[716] Stellung ein, während er das Folgende dem Eingang der Höhle zu ruft


Wache, Wala!

Wala! Erwach! –

Aus langem Schlaf

weck ich dich Schlummernde auf.

Ich rufe dich auf:

herauf, herauf!

Aus nebliger Gruft,

aus nächtigem Grunde herauf!

Erda! Erda!

Ewiges Weib!

Aus heimischer Tiefe

tauche zur Höh!

Dein Wecklied sing ich,

daß du erwachest;

aus sinnendem Schlafe

weck ich dich auf!

Allwissende!

Urweltweise!

Erda! Erda!

Ewiges Weib!

Wache, erwache,

du Wala! Erwache!


Die Höhlengruft erdämmert. Bläulicher Lichtschein: von ihm beleuchtet steigt Erda sehr allmählich aus der Tiefe auf. Sie erscheint wie von Reif bedeckt; Haar und Gewand werfen einen glitzernden Schimmer von sich.


ERDA.

Stark ruft das Lied;

kräftig reizt der Zauber.

Ich bin erwacht

aus wissendem Schlaf:

wer scheucht den Schlummer mir?

WANDRER.

Der Weckrufer bin ich,

und Weisen üb ich,

daß weithin wache,

was fester Schlaf verschließt.

Die Welt durchzog ich,

wanderte viel,

Kunde zu werben,

urweisen Rat zu gewinnen.[717]

Kundiger gibt es

keine als dich;

bekannt ist dir,

was die Tiefe birgt,

was Berg und Tal,

Luft und Wasser durchwebt:

wo Wesen sind,

wehet dein Atem;

wo Hirne sinnen,

haftet dein Sinn:

Alles, sagt man,

sei dir bekannt.

Daß ich nun Kunde gewänne,

weck ich dich aus dem Schlaf!

ERDA.

Mein Schlaf ist Träumen,

mein Träumen Sinnen,

mein Sinnen Walten des Wissens.

Doch, wenn ich schlafe,

wachen Nornen:

sie weben das Seil

und spinnen fromm, was ich weiß:

was frägst du nicht die Nornen?

WANDRER.

Im Zwange der Welt

weben die Nornen,

sie können Nichts wenden noch wandeln.

Doch deiner Weisheit

dankt ich den Rat wohl,

wie zu hemmen ein rollendes Rad?

ERDA.

Männertaten

umdämmern mir den Mut;

mich Wissende selbst

bezwang ein Waltender einst.

Ein Wunschmädchen

gebar ich Wotan:

der Helden Wal

hieß für sich er sie küren.

Kühn ist sie,

und weise auch:

was weckst du mich,

und frägst um Kunde

nicht Erdas und Wotans Kind?

WANDRER.

Die Walküre meinst du,

Brünnhild', die Maid?[718]

Sie trotzte dem Stürmebezwinger,

wo er am stärksten selbst sich bezwang:

was den Lenker der Schlacht

zu tun verlangte,

doch dem er wehrte

– zuwider sich selbst –,

allzuvertraut

wagte die Trotzige

das für sich zu vollbringen, –

Brünnhild' in brennender Schlacht.

Streitvater

strafte die Maid:

in ihr Auge drückte er Schlaf;

auf dem Felsen schläft sie fest:

erwachen wird

die Weihliche nur,

um einen Mann zu minnen als Weib. –

Frommten mir Fragen an sie? –

ERDA.

Wirr wird mir,

seit ich erwacht:

wild und kraus

kreist die Welt! –

Die Walküre,

der Wala Kind,

büßt in Banden des Schlafs,

als die wissende Mutter schlief?

Der den Trotz lehrte,

straft den Trotz?

Der die Tat entzündet,

zürnt um die Tat?

Der die Rechte wahrt,

der die Eide hütet,

wehret dem Recht,

herrscht durch Meineid? –

Laß mich wieder hinab! –

Schlaf verschließe mein Wissen!

WANDRER.

Dich Mutter laß ich nicht ziehn,

da des Zaubers mächtig ich bin. –

Urwissend

stachest du einst

der Sorge Stachel

in Wotans wagendes Herz:

mit Furcht vor schmachvoll[719]

feindlichem Ende

füllt ihn dein Wissen,

daß Bangen band seinen Mut.

Bist du der Welt

weisestes Weib,

sage mir nun:

wie besiegt die Sorge der Gott?

ERDA.

Du bist nicht,

was du dich nennst!

Was kamst du, störrischer Wilder,

zu stören der Wala Schlaf?

WANDRER.

Du bist nicht,

was du dich wähnst!

Urmütter-Weisheit

geht zu Ende:

dein Wissen verweht

vor meinem Willen. –

Weißt du, was Wotan will?


Langes Schweigen.


Dir Urweisen

ruf ich's ins Ohr,

daß sorglos ewig du nun schläfst!

Um der Götter Ende

grämt mich die Angst nicht,

seit mein Wunsch es will.

Was in des Zwiespalts wildem Schmerze

verzweifelnd einst ich beschloß,

froh und freudig

führe frei ich nun aus.

Weiht ich in wütendem Ekel

des Niblungen Neid schon die Welt;

dem herrlichsten Wälsung

weis ich mein Erbe nun an.

Der von mir erkoren,

doch nie mich gekannt,

ein kühnester Knabe,

bar meines Rates,

errang den Niblungenring.

Liebesfroh,

ledig des Neides

erlahmt an dem Edlen

Alberichs Fluch:

denn fremd bleibt ihm die Furcht.[720]

Die du mir gebarst,

Brünnhild'

weckt sich hold der Held:

wachend wirkt

dein wissendes Kind

erlösende Weltentat.

Drum schlafe nun du,

schließe dein Auge,

träumend erschau' mein Ende!

Was Jene auch wirken,

dem ewig Jungen

weicht in Wonne der Gott.

Hinab denn, Erda!

Urmütterfurcht!

Ursorge!

Hinab! Hinab,

zu ew'gem Schlaf!


Nachdem Erda bereits die Augen geschlossen hat und allmählich tiefer versunken ist, verschwindet sie

jetzt gänzlich; auch die Höhle ist jetzt wiederum durchaus verfinstert. Monddämmerung erhellt die Bühne; der Sturm hat ganz aufgehört.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 716-721.
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