Wilhelm Waiblinger

Die Briten in Rom

Novelle

Wir wollten heut' ein wenig scherzen

Mit einer großen Nation;

Drum ohne Falsch in unserm Herzen,

Und ohne Arg und Hohn,

Sei uns vergönnt, herauszuwählen,

Was launig ist, und nicht was schlecht!

Und meint auch Mancher, daß wir fehlen,

So gibt er doch uns Recht,

Wenn wir ein andermal das Land so vieler Weisen,

So vieler Helden, großen Geister preisen!

Was tat mit Sokrates der kom'sche Dichter?

Daß wir so viel sind, fällt uns zwar nicht ein,

Doch unter uns modernem Volksgelichter

Dünkt auch ein Sokrates uns rar zu sein.
[409]


»Sie bleiben lange aus!« sagte eines Abends Lord M..., der Vater einer englischen Familie, die erst seit kurzer Zeit in Rom angekommen war. Er saß eben in seiner kostspieligen Mietwohnung auf dem Spanischen Platze, mit der Frau Gemahlin und dem Onkel Kapitän zusammen, welche sich Beide mehr als gewöhnlich in üblem Humore befanden, und wartete auf seine beiden ältesten Kinder, einen Sohn von etwa vierundzwanzig Jahren und auf den Augapfel der Mutter, eine Tochter von achtzehn Lenzen, welche nach den merkwürdigen Monumenten des alten Roms ausgeritten und noch nicht zurückgekehrt waren. Der Lord konnte für einen wohlbeleibten, hübschen, kräftigen Mann gelten, ob er schon mehr als funfzig zählte; Lady M... hingegen, seine Gemahlin, ließ in der Tat mehr Jahre vermuten, als sie hatte, und war eine lange, magere Figur, ja man konnte in dem englischen Munde, so klein er auch sein mochte, hinsichtlich der Zähne beträchtliche Verheerungen der Zeit gewahren, wiewohl sie öfters erzählte, daß ihr der Zahnarzt alle herausgerissen. Die sonderbarste Person aber war gewiß der Onkel Kapitän, ein Mann von so außerordentlicher Länge, daß man den Kopf kaum bemerkte, indem dieser so ziemlich zum übrigen Körper das Verhältnis des Knopfs zum Kirchturm hatte. Bei einer so ausgezeichneten Länge fällt die Magerkeit nur desto schreiender auf, und das kleine Hütchen, das er trug, gab der ganzen Gestalt eine so lächerliche Vollendung, daß er gewiß in jeder andern Stadt als Rom, wo man der langen Briten so viele sieht, zum Gespräch für Kinder und Kindeskinder werden würde.

Die Lady konnte die Ankunft ihres geliebten Töchterchens kaum erwarten, und sagte: »Ach das engelgute Kind! Wie es seinen Aufenthalt hier zu seiner Ausbildung, zur Erweiterung der unzähligen Kenntnisse benutzt, die es schon in so zartem Alter gesammelt! Wie spricht Rebecca schon das Italienische! Wahrlich so geläufig, als Henry, der doch ein Jahr länger in Rom ist! Und wie versteht sie zu zeichnen! Nein, das Bildchen, das sie vom Colosseum gemacht, ist unübertrefflich! – Nun wird auch in Kurzem der Bräutigam ankommen –«[411]

»Mylady«, fiel der Vater ein; »was sagen Sie denn aber von unserm Henry, ich meine vielmehr, von seiner schönen Italienerin?«

Wer hat nicht schon bemerkt, wie die Spinnen ihre langen Beine einziehen, wenn man sie in ihrem Wesen stört? Eben so erging es der grämlichen Mama, als sie von der schönen Italienerin sprechen hörte. »Was ist denn auch Schönes an ihr?« sagte sie endlich. »Mylord, ich muß Ihnen gestehen, daß ich diesem Verhältnis gänzlich entgegen bin, daß ich recht eigentlich erschrak, als ich, in Rom anlangend, unsern Henry in die Netze einer so wilden, ungebildeten italienischen Person verstrickt sah.«

»Aber was haben Sie denn dagegen, Mylady?« fragte der Vater. »Das Mädchen ist so übel nicht, und Henry ist über alle Vorstellung verliebt –«

»Aber was hat sie denn für Ansprüche zu machen?« fiel die Lady hämisch ein. »Ist sie reich? Ja doch, reich mit etlichen tausend Piastern! Und lebt dennoch wie eine Prinzessin! Hat sie Kenntnisse, Bildung, oder auch nur Anstand, Bescheidenheit, Grazie, und das Alles, was man von einem Frauenzimmer ohne Vermögen erwarten könnte? Vergleichen Sie diese Römerin mit unserem lieben Kinde, welch' ein Unterschied! Nein, Mylord, Henry soll eine Britin heiraten.«

»Was sagen denn Sie dazu, Herr Schwager?« versetzte der Vater phlegmatisch.

»Jugendliche Tollheit«, antwortete der Kapitän, »Schwärmerei, Phantasterei! Er weiß nicht, was er will! Vorurteil, Blindheit, Nachbeten, Mangel an Urteil! Was ist denn so Seltenes an diesen Italienerinnen? Ich habe in Ost- und Westindien schönere Mädchen gesehen. Und diese Unwissenheit unter dem gesunkenen Volke! Alle sind im Grund verdorben, sind Kreaturen zum Erbarmen, ohne Erziehung, ohne Bildung.«

»Du hast Recht, lieber Bruder«, versetzte die Mama, »du hast einen ungewöhnlichen Blick in den Menschen, die natürliche Folge deiner vielen Reisen! Du bist kaum einige Wochen hier, und kennst sie Alle schon vollkommen! Das sagt auch Rebecca! Sie war schon zweimal in Gesellschaft dieser sogenannten schönen Römerin, und fand sich höchst ennuyiert; sie kennt dieses Volk schon trefflich, und seit dem Vorfall mit dem italienischen Kammermädchen will sie auch gar keinen welschen Umgang mehr. Henry ist blind, unverzeihlich blind.«[412]

»Lassen wir den Jungen«, versetzte der Vater, »er ist nun einmal so. Er hat sich mir erklärt, und liebt diese Camilla mit Leidenschaft, er glaubt durch sie glücklich zu werden, sie selbst ist ihm geneigt; was können wir ihm entgegensetzen?«

»Daß sie katholisch ist«, antwortete der Onkel, der unterdessen unbeweglich auf einem Sofa gesessen, ohne auch nur den Rücken anzulehnen.

»Sie haben Recht, Herr Kapitän. Es soll sich kein katholisches Blut in unsere Familie mischen. Aber wissen Sie, was wir tun? Wir machen zur Bedingung, daß sie zum Glauben der Vernunft und des Verstandes übertrete, dann lassen wir sie in Gottesnamen machen, was sie wollen!«

»So eine Römerin meine Schwiegertochter!« rief die Mama entrüstet aus. »Bin ich darum nach Rom gekommen?« Sie wollte fortfahren, über unsern bis jetzt noch unbekannten Liebeshelden zu schelten, als ein Geräusch auf der Treppe die Ankommenden verkündigte. Aber welch ein Tumult! Man hörte heftig reden, ja sogar schreien.

»Was zum Henker«, rief der Onkel, sich in all' seiner Länge aufrichtend, »poltert die Treppe herauf? Dieses verfluchte Rom, wo man nicht einmal einen Augenblick, nicht einmal in seinen vier Wänden Ruhe vor dem heillosen Schurkenvolk hat!«

Die Mutter, an ihre Rebecca denkend, hatte längst die Türe aufgerissen, und war den Kommenden entgegengeeilt. Aber wie erschrak sie, als das Engelskind bleich, oder vielmehr noch bleicher als gewöhnlich, am Arm des Bruders heraufschwankte und der tiefsten Ohnmacht nahe zu sein schien, welche sich jemals in Rom ereignete! Dem geliebten Paare folgten zum Entsetzen der armen Lady drei Männer nach, welche ein so furchtbares Ansehen hatten, als es nur ein wütender Campagnenbauer für die Phantasie einer großbritannischen Mutter haben mag. »Was ist das? um Gotteswillen, Henry, was ist dem armen Kinde? Was wollen diese schrecklichen Menschen?« rief die Lady, ohne eine Antwort abzuwarten, auf die Tochter zueilend und das holdselige Geschöpf, das sich nicht mehr auf den Beinen zu erhalten vermochte, mit den Armen auffangend und es auf einen Sessel niederlassend.

Der Lord erwachte einigermaßen aus seinem Gleichmut; der Onkel stand bewegungslos und steif in der Mitte des Zimmers,[413] und schaute mit der Lorgnette nach der leidenschaftlichen Trauerszene und den hereinstürmenden Bauern.

»Reitet man so durch die Stadt, Herr Engländer?« schrie einer, ein derber, bärtiger, halb nackter Mann, mit spitzem Hute. »Habt Ihr keine Augen im Kopfe? Mein Weib zu Boden geritten? Daß Euch der Blitz treffe! mein Weib? Und all' ihre Ware zum Teufel? Und Ihr wolltet nur so davon galoppieren! Herr, das soll Euch übel bekommen!«

»Was sagt der Flegel hier?« fragte der Onkel, sich auf dem Absatz herumdrehend, und ihn durch's Augenglas beschauend. »Was gibt's?« rief der Vater. »Was ist dir, teures, süßes Töchterchen?« die Mutter.

»Ihr sollt ja Geld haben«, stöhnte der keuchende Sohn, sich aus Verzweiflung den Hemdkragen bis über die Ohren emporziehend, »Ihr sollt haben, was Ihr wollt. Es ist nur aus Versehen geschehen, es tut mir leid, ich will Euch bezahlen, seid nur still; wie viel wollt Ihr denn?«

»Meint Ihr«, antwortete der Campagnenbauer, »daß man das Alles nur so bezahlen könne? Mein Weib ist ruiniert, vielleicht auf immer ruiniert!«

»Nun, was verlangt Ihr denn? Geschehen ist geschehen!« rief Henry.

»Aber was ist denn geschehen?« fiel der Vater ein. »Was soll man wieder bezahlen?« schrie der Onkel. »Bezahlen, und nichts als bezahlen in diesem Lande der Spitzbuben.«

»Hier ist schon nichts mehr zu ändern«, antwortete Henry, »wir müssen. Laßt mich! Seid Ihr zufrieden, wenn ich Euch fünf Louisd'ore gebe?«

»Fünf Louisd'ore«, schrie der Italiener, »für ein zerbrochenes Bein, für ein zeitlebens ruiniertes Weib, für einen Korb voll Ware, für eine halbjährige Kur, für eine Hölle von Schmerzen, für einen unglücklichen Mann, für drei unversorgte Kinder?«

»Aber zehn, wenn ich Euch zehn gebe, habt Ihr dann genug?«

»Zehn Louisd'ore?« rief der Onkel; »sind Sie des Teufels, Henry, zehn Louisd'ore solch' einem Bettlervolk, und wofür denn?«

»Sie hören's ja – für ein ruiniertes Weib – wir können nicht anders mehr. Sie sollen Alles wissen, machen wir nur, daß die Banditengesichter wegkommen!«[414]

»Aber so viel Geld! An die vierzig Piaster! Bei Gott! so viel zum Fenster hinauswerfen für dies Lumpengesindel – Und was gibt es denn?«

Henry hörte nicht mehr, die Bauern verführten einen tumultuarischen Lärmen, und fluchten das gesamte Heiligenregister durch; der Vater hörte und sah dem Allen zu, die Mutter rief: »O daß wir jetzt von dem Spiritus hätten, von dem Spiritus, Bruder! Mein Kind ist des Todes.«

»Was für ein Spiritus?« fragte der Onkel auf demselben Platze verweilend –

»Den uns der Charlatan letzthin –«

»Schämen Sie sich nicht, Frau Schwester?« fiel der Kapitän ein, »einen Spiritus von einem Charlatan?« Dabei drehte er sich um, und setzte mit Pathos hinzu: »Als ob es in Italien einen Arzt gäbe!«

Schon war Henry fortgeeilt und wieder herbeigekommen. »Nehmt«, sagte er, »nehmt; hier ist Geld für Euer Weib! Laßt mich in Frieden, und geht!«

Der Italiener sah seine Hand voll Dukaten, und zählte sie ruhig mit verächtlicher Miene durch. »Zwanzig Zecchinen!« sagte er, »das ist ein Bagatell, und für die verdorbene Ware gebt Ihr mir nichts?«

»Das ist ja ein unersättliches Volk«, stieß Henry aus, griff in die Tasche, und gab ihm noch ein paar Scudi.

»Zwei Scudi«, sagte der Campagnenbauer, sie in der Hand herumdrehend, und sodann gemächlich und höchst mißvergnügt einstreichend, »das ist schlecht bezahlt, aber einstweilen! Wir seh'n uns wieder, Herr Engländer!« Damit ging er mit den beiden Andern fort, ohne den Hut zu lüften.

»Und so verschwenden Sie unser Geld, Herr Neffe?« jammerte der Kapitän. »Wo haben Sie diese Lebensart gelernt? Ist das die Frucht Ihres römischen Aufenthalts? Haben Sie das dem unsinnigen, schlechten Volke abgelernt?«

»Stille, stille, Herr Oheim«, versetzte Henry. »Hören Sie zuvor – Doch seht, die Schwester scheint wieder zu sich zu kommen. Das war ein erschrecklicher Vorfall.«

In der Tat erwachte die Miß auch nach und nach in den Armen der zärtlichen Mutter, und schlug ihre schönen, feinen, naiven blauen Augen auf, indem sie aufseufzte: »O Mutter, ich glaubte des Todes zu sein – die rohen pöbelhaften Leute –«[415]

Jetzt fing der Sohn an zu erzählen: »Wir hatten einen großen Ritt gemacht, über St. Giovanni nach dem Monte Celio, dem Campo Vaccino, und wollten am Vestatempel vorüber nach der Pyramide des Cestius, lauter Dinge, welche Rebecca noch nicht gesehen. Kaum hatten wir uns um die Ecke am Hause des Pilatus gewandt –«

»Welch' ein grober Irrtum!« fiel der Kapitän ein; »das Haus des Pilatus, meint das dumme Volk, und ist doch der Palast des Cola von Rienzo. – Lauter Irrtümer, lauter Prahlerei mit seinen Altertümern!«

»Nun sei's, wie es wolle, wir galoppten am Tempel der Fortuna Virilis vorüber –«

»Soll von Servius Tullius sein«, sagte der Onkel, »und ist schon nach Vasi, Fea und Nibby ein ganz anderes Ding –«

»Gegen den Vestatempel; wir rennen mit verhängtem Zügel, um vor Abend noch ein tüchtig Stück wegzusehen, als eine junge hübsche Bäuerin mit einem Korb auf dem Kopfe über den Weg läuft und zu einem Manne will, der auf der andern Seite ein Paar Esel forttreibt. Was geschieht? – ich vermag das Pferd nicht mehr anzuhalten, das tolle Weib läuft ihm just unter die Füße, und stürzt zu Boden. Ich erschrecke, der Eselstreiber fängt an so arg zu schreien, als das arme Weib; ich halte an, der Italiener fällt mir in die Zügel, und droht. Rebecca ist in tödlicher Bestürzung, es eilt eine Menge Volks herbei, man trägt oder führt die unglückliche Heulende weg, was weiß ich in meinem Schrecken. Der Eselstreiber tut wie rasend; einige Kapuziner kommen, ich verspreche Alles, verspreche Geld und Hülfe, nur verlang' ich, daß sie mich frei lassen. Aber umsonst, sie wollen mich mit Gewalt vom Pferde reißen. Rebecca ist dem Umsinken nahe, ich willige ein und lasse mich – ich will meine Lebenszeit an den Spektakel denken – durch die ganze Stadt bis auf den Spanischen Platz, bis in dieses Zimmer führen, wo Ihr selbst Augenzeuge des weitern Vorgangs war't.«

»Nichtswürdige Nation!« brummte der Onkel, indem er sich einige wenige graue Haare von der Stirne strich, »Prellereien, nichts als Prellereien; es ist auf nichts abgesehen, als den Fremden zu betrügen; von Morgens bis Abends Ein Lied: Bezahlen, bezahlen! keine Treue und Ehrlichkeit.«

»Folge des Katholizismus«, sagte der Lord. »Aber das arme[416] Weib schmerzt mich doch, und es ist billig, daß wir für sie sorgen.«

»Willst du dich auskleiden, lieb' Töchterchen?« flüsterte die Lady; »du fühl'st dich doch wieder besser?«

»Ja, liebe Mutter«, antwortete die zarte Rebecca, erhob sich langsam, und wandelte mit dieser hinaus.

Kaum waren sie fort, als zwei Herren hereintraten. Sir Thomas L..., ein Irländer, und ein wunderbarer Mensch, den man Ironius nannte. Jener hatte eine feiste, derbe Figur, breite Schultern, ein dickes Bäuchlein und joviale kleine, wiewohl eben nicht geistreiche Augen in einem glutroten Gesicht, ja die Nase ließ von ihrer Kupferfarbe und den vielerlei Tinten darin auf eine vertraute Gemeinschaft mit dem einzigen heidnischen Gott schließen, den auch gute Christen verehren, mit Bacchus. Der Andere schien ein ausgemachter Schalk zu sein, und wir werden ihn bald näher kennen lernen.

Der Lord empfing die Bekannten freundlich, der Onkel hingegen mit Kälte, selbst mit Stolz. Das Gespräch lenkte sich natürlich gleich auf den unglücklichen Vorfall am Vestatempel, und man äußerte teilnehmendes Bedauern. Nach einiger Zeit erschien auch Mutter und Tochter, und drei Kinderchen, Söhne und Töchter des Lords. Ein blondes Mädchen, von raffiniertem Gesichtchen und blauen Augen, etwa zwölfjährig, brachte ein kleines Ölgemälde hervor, das es heute zu Stande gebracht, und man bewunderte es allgemein. Ein Knabe von sieben und ein Mädchen von vier Jahren begrüßten den Herrn Ironius lebhaft, und die kleine Kreatur fragte ihn: »Sprechen Sie auch Französisch?«

Ironius antwortete mit Ja, und siehe, das Mädchen wußte schon französisch, englisch und ein Bißchen italienisch zu reden. Die Mutter ergriff die Gelegenheit, dieses ausgezeichnete Talent zu rühmen, und Herr Ironius sagte: »In der Tat, das ist die beste Art, jenen Ernst hervorzubringen, den die Welt in der britischen Nation bewundert, um das Kind schon im zartesten Alter zum reifen und gesetzten Menschen zu bilden, so daß man behaupten könnte, es sei gar nie Kind im eigentlichen Sinne gewesen! Dadurch zeichnet sich der Engländer rühmlich vor dem Italiener aus, welcher sein Lebenlang eine Art von Kind bleibt!«

Die Lady nickte Beifall, und die Wendung, die Ironius dem Gespräche gegeben, wurde festgehalten.

»Italiener!« sprach der Kapitän voll Verachtung, »Italiener![417] Das lautet soviel als Hanswurst! Was ist das für ein Schlaraffenland! Ohne vernünftige Gesetze, ohne Polizei, ohne Erziehung, in den Händen des Klerus, ohne Fleiß und Arbeitsamkeit, und für den Fremden ohne alle Bequemlichkeit! Ein feiges, niederträchtiges Volk, Gaudiebe zu Wirten, Spitzbuben zu Vetturinen, Kammerdienern, Lohnbedienten, Lastträgern! Unwissende Menschen, die sich Gelehrte nennen! Und hier in Rom gar? Despotismus, Pfaffenherrschaft! Nicht einmal ein bequemes, reinliches Haus, ein geputzter Spiegel, ein sauberes Fenster, eine unbeschmutzte Treppe! Nicht einmal eine ordentliche Uhr, eine erträgliche Tafel.«

»Wie sie nur kochen!« versetzte die Lady. »Welche Unfläterei, welcher Schmutz, welche garstige Tiere allenthalben! Und der Beefsteak! Ich muß lachen, wie bereiten sie den so unwissend zu!«

»Nicht wahr, das glauben Sie nicht?« sagte Ironius zu dem Irländer hin.

»Gott bewahre!« antwortete dieser, und präsentierte Jenem eine Prise. Unterdessen wurde der Tee gebracht, und man schlürfte ihn langsam und stehend ein.

»Wir gehen in Kurzem nach Neapel«, sprach der Lord zum Irländer. »Sie waren schon dort?«

»O ja, Mylord.«

»Eine schöne Stadt?«

»O welche schöne Stadt, schön, ganz schön, ausgezeichnet schön!«

»Genua gefällt Ihnen aber gewiß auch?« fragte Ironius.

»O ja, Genua ist eine schöne Stadt, schön, ganz schön, ausgezeichnet schön.«

»Welche Paläste in der Strada Balbi!«

»Ha welche Paläste, ganz schön, ausgezeichnet schön!«

Der Kapitän blickte verächtlich auf ihn herab, und Ironius fuhr fort: »Sie haben jetzt Zeit, um Alles mit Bequemlichkeit zu sehen! Wenn Sie nur noch acht Tage hier bleiben, so reicht das bei weitem hin, wie Sie schon in Ihrem römischen Wegweiser von Vasi und Nibby finden.«

»Acht Tage, meinen Sie?« fragte der Lord. »Das ist viel! Ich bin nicht hieher gekommen, um zu reisen, sondern um auszuruhen. Fahrt Ihr acht Tage herum, ich bleibe zu Hause.«

»Aber die Peterskirche werden Sie doch betrachten, Mylord, den Vatikan –«[418]

»Nun ja, vielleicht; ich habe Eile, nach Neapel zu kommen, und warte hier nur den Bräutigam meiner Tochter ab.«

Henry benahm sich bei diesem Gespräche äußerst zerstreut und mischte kein Wort ein, denn er dachte nur an seine schöne Camilla; der Irländer bejahte Alles, was Ironius vorbrachte, die Mutter beschäftigte sich mit den Kindern, die Tochter las in einem Buche, und der Onkel stand wie eine Hopfenstange an der Wand.

Endlich, als die Gäste aufbrechen wollten, wurden sie gebeten, morgen Abend bei'm Tee zu erscheinen, indem Gesellschaft gegeben und, wie die Lady hinzusetzte, die schöne Camilla Mognaschi sich zum Klavier hören lassen werde. Man verabschiedete sich, und der Irländer ging mit Ironius.

Bei'm Heraustreten auf den Spanischen Platz fragte der Irländer: »Aber wenn Sie meine Frage nicht ungütig aufnehmen, von welcher Nation sind Sie denn, mein verehrtester Freund?«

»Lassen Sie das bei Seite!« antwortete Ironius. »Unser einer ist überall zu Hause! Genug, daß ich der entschiedenste Freund der Engländer und Irländer bin, und Ihnen dienstfertig zu sein suche, wo ich nur vermag. Der Zufall hat mich mit Ihnen, einem echt römisch-katholischen Glaubensfreund, bekannt gemacht. Sie disponieren über meine Zeit, und ich mache mir eine Freude daraus, Ihnen einige der ersten Merkwürdigkeiten Roms zu zeigen.«

Der Irländer dankte voll Freundlichkeit und Ehrerbietung, und man trennte sich für heute. »Es ist nicht anders möglich«, sagte er zu sich selbst, »dieser Herr Ironius ist ein verkappter Jesuit: man muß ihn verehren, er ist beleuchtet.«

Damit trippelte das irländische Dickbäuchlein über den Monte Cavallo nach seinem Hause, wie er sagte, um sich mit Lesen zu unterhalten. »Will doch seh'n«, zwitscherte er aber vor sich hin, »ob sie heut' Abend wieder kommt!« Nun empfing ihn die Hauspadronin, und leuchtete ihm in's Zimmer.

»Ich habe schwarze Wäsche«, fing er an, »und will sie nun heraussuchen: Ihr könnt mir in einer Viertelstunde das Mädchen, Rosa, glaub' ich, heißt sie, Ihr könnt sie gleich herüberschicken, wenn Ihr so gut sein wollt, versteht Ihr?« Die Padronin bejahte und ging.

Jetzt richtete der alte Herr mit manchem schweren Atemzug die Wäsche zusammen, dann ging er an einen Schrank und holte eine Bouteille Ischierwein hervor, indem er vor sich hinsprach: »Soll ich Ischier trinken, oder lieber dies letzte Fiasco von dem köstlichen[419] Est Est, oder dies Fläschchen Syrakusaner, oder den Kalabreser hier, oder das Restchen vom Zyprer? Nein, wir lassen's bei'm Ischier!«

So sollte denn das Studium begonnen werden, und schon lag das Buch der Weisheit, Vasi's römischer Wegweiser, auf dem Tisch, als es klopfte! »Favorisca!« schrie der Irländer, und ging nach der Türe.

Wer kam herein? Eine blutjunge hübsche Römerin in trasteverinischer Tracht, oder wie man's nennt, eine Minente, eine allerliebste Plebejerin, im kurzen naiven Samtjäckchen, mit vollem Busen, und reichem Kamm in den schwarzen Haaren.

Die jovialen bacchischen Äuglein unsers frommen römisch-katholischen Irländers blinzelten kaum noch aus dem Glutofen des Gesichts heraus, und er fragte: »Wollt Ihr mir die Wäsche besorgen, schönes Kind?«

»Recht gerne«, antwortete die Minente.

»Könnt Ihr auch neue Hemden machen?«

»O ja, Herr, so viel Ihr wollt!«

»Ihr müßt mir ein halb Dutzend machen. Ihr seid ja so hübsch, ganz hübsch, außerordentlich hübsch!«

Das Mädchen nahm die Wäsche, und der Irländer sagte: »Ein Gläschen von diesem Wein würde Euch gewiß schmecken; meint Ihr nicht?«

»Ich dank' Euch, Herr, Ihr seid gar zu gütig«, antwortete das naive Kind und wollte gehen; aber der Irländer füllte schnell einen Kelch und bracht' ihn der Minente zu; sie sträubte sich, aber vergebens, sie trank und der alte Herr rief schmunzelnd aus: »Ist er nicht gut? Ach, er ist gut, ganz gut, vorzüglich gut!«

Als sie zu Ende war, dankte sie und ging. Der Irländer leuchtete ihr und benahm sich gar freundlich und herablassend; sodann setzt' er sich auf das Sofa, nahm sein Buch, schlürfte seinen Ischier und schlief ein.

Unsere hübsche Plebejerin war kaum außen, als sie auf eine niedere Loge ging, welche auf einen Gemüse-und Pomeranzengarten hinaussah. Sie zischte, sie flüsterte und bekam Antwort von unten. »Wo bist du denn gewesen, Rosette?« rief es leise.

»Ach, der Herr Engländer hat mich aufgehalten, der im Hause wohnt!«

»Der Engländer, was hat der mit dir zu schaffen? mich lässest[420] du warten und –«

»Sei nicht böse, Nino! 's ist ein alter Herr und ein rechter Hansnarr; wollte mir schön tun und gab mir honigsüßen Wein.«

»Und du nahmst's an?«

»Ei, warum nicht? Wenn dir Einer in der Longara hundert Scudi gibt, nimmst du's nicht?«

»Rosetta, ich hab' dir Etwas gebracht! Hab' sechsundzwanzig Paul alle piastrelle gewonnen, draußen vor'm Tor Portese.«

»Spielratze! und wenn du verlierst?«

»Tut nichts! diesmal hab' ich gewonnen und dir ein wunderhübsches Halsband gekauft.«

»Oh, was du sagst –«

»Und wenn ich im Lotto gewinne, so ist Alles dein.«

»Ach, lieber Nino, daß du nicht herauf kannst!«

»Morgen komm' ich mit der Mandoline, eine Stunde nach Mitternacht.«

»Ich wart' am Fenster, aber es ist Mondschein, sie sehen dich.«

»Was hat's zu sagen? Gute Nacht!«

»Aber das Halsband?«

»Morgen um vierzehn Uhr, an den vier Fontänen! verstehst du? Gute Nacht!«

»Addio, Herz! Ich komme; Addio!«

So unterredete man sich geheim in der stillen Nacht gegen die vertraulichen Gärten hinaus, die am Abhang des Monte Cavallo grünen, während unser alter Herr längst neben der leeren Flasche auf dem Sofa schnarchte.


Der andere Morgen brach an und die Familie des Lord M... versammelte sich zum Frühstück. Nur die schöne Rebecca verweilte noch bei ihrem Tagebuche, das sie sorgfältig, seit der Abreise von London, für den Geliebten führte, den sie nun in Rom erwartete. Es möchte unsere Leser und uns selbst nicht wenig interessieren, aus diesem psychologischen Toilettenbüchelchen etwas zu erfahren, aber es wurde bloß für den Geliebten geschrieben, nur die Mutter durfte zuweilen ein treffliches Räsonnement oder überhaupt eine starke Stelle daraus vernehmen. Genug, sie hatte auf einer Barke den Hafen von Genua durchreist, hatte den Markusturm[421] in Venedig erstiegen, und – in Gottesnamen, sagen wir's denn, ein Verschen an den Bräutigam droben geschrieben; sie hatte in Verona das Grab von Romeo und Julie besucht und versicherte, daselbst geweint zu haben; sie sah die Sonne in Isola Bella aufgehen, und bewahrte eine Feder von einer Perlhenne aus Isola Madre auf; in Pisa betrachtete sie Lord Byron's Palast, in Florenz Dante's Sitz vor dem Dome und hundert andere denkwürdige Plätze.

Diesmal, so viel haben wir ihr über die Schulter hinweg abgelauscht, hatte sie das Unglück am Vestatempel mit größtmöglichster Sentimentalität aufgefaßt und dargestellt, und dabei eine Menge Verse aus Young, Shakespeare, Southey, Moore und Lord Byron zitiert. Endlich erschien sie bei'm Frühstück, wenn auch im losen Negligé, doch immerhin so schlank, als eine Tiberbinse. Henry wetteiferte mit dem Onkel, einen gewaltigen Teller voll Butterschnitten aufzuspeisen, die dem Anschein nach für einen Tag hingereicht hätten, und dabei einige Tassen Tee zu trinken, und man hatte bereits einen Laib vom feinsten französischen Brot, das nur auf dem Spanischen Platze gebacken wird, zu Ende gebracht, als sie abermals auf's Heftigste beunruhigt werden sollten.

Wer hätte sich's auch vorgestellt! Der unverschämte Campagnenbauer, dessen hübsches Weib gestern unter Henry's Pferd gekommen, stand abermals vor der Türe und zwar in Begleitung einiger sauber gekleideten Männer, welche der unvergleichliche Scharfblick des gereisten Kapitäns sogleich für eben so viel Blut- oder Geld-Igel ansah. Henry erschrak und Rebecca fiel sogar die Teetasse aus der Hand, und ungeschickterweise gerade auf das feine Negligéröckchen, so daß sie einen Schrei des Entsetzens ausstieß und wenig gefehlt hätte, daß sie nicht in Konvulsionen gekommen wäre.

Die Lady sprang nach einem Tuche, um das jammernde Kind abzutrocknen, und der Bauer trug unterdessen auf's Einfachste vor, daß seine Frau ein Bein gebrochen, daß sie in St. Spirito liege, daß er sie nicht daselbst lassen könne, daß er sie nach Grotta Ferrata hinüber transportieren lassen und, wie gegenwärtige Herren, Chirurgen und Ärzte, bezeugen, so viel an ihre langwierige, schreckliche Kur spenden müsse, daß er sich, das Schmerzengeld abgerechnet, nicht mit dem Bagatell von gestern begnügen könne. Der Onkel geriet dermaßen in Wut, daß er ausspuckte und zum Unglück seinen weithervorstehenden Hemdstrich traf. Henry[422] rüstete sich zu standhafter Opposition, der Lord meinte jetzt auch, daß es Spitzbuben seien, aber die Chirurgen und Doktoren fingen an, in einem Schwall der gelehrtesten Termini zu beweisen, was an dem Beine gebrochen und wiederherzustellen sei, behaupteten, daß es eine Kur von acht Monaten werde und drohten einstimmig mit dem Campagnenmann, die Sache vor Gericht zu bringen, wenn sich die Herren Engländer nicht entschlössen, für die Kur noch andere fünfundzwanzig Zecchinen und funfzig spanische Piaster als Schmerzengeld zu bezahlen.

Der Onkel Kapitän richtete sich auf die Zehen empor vor Grimm und biß sich in den hohen Hemdkragen, indem er die äußersten Verwünschungen in englischer Sprache über das Lumpenpack von Italienern ausstieß; Henry sah den Lord an und schwieg, nicht wissend, was er beginnen solle.

»Nichts mehr, nichts mehr!« schrie der Kapitän, »keinen Bajocc mehr, packt Euch fort! Wollt Ihr uns ausziehn? Wollt Ihr bei hellem Tag den Banditen spielen?«

»Herr Engländer«, versetzte ein Doktor, vortretend, »wir sind nicht gekommen, Grobheiten von Ihnen anzuhören; wollen Sie bezahlen oder nicht?«

»Keinen Bajocc mehr, sag' ich.«

»Kommt, meine Herren«, sprach der Doktor ganz ruhig, »wir gehen augenblicklich vor's Governo und dann sollen diese Herren Engländer zusehen, was es kostet, wenn man in Rom ein Weib zu Boden reitet.«

Damit gingen sie murrend fort. Henry in Verzweiflung sah den Vater an, dieser nickte, die Lady stotterte: »Laßt Euch mit diesen Schurken in keinen Prozeß ein!« und der Sohn schrie zur Türe hinaus und rief sie zurück.

Wozu schildern wir diese Trauerszene, die dem Onkel Kapitän ein halb Dutzend Runzeln mehr in's Gesicht zog, die Desperation, mit der Henry zwischen Bezahlen und Nichtbezahlen, zwischen der Furcht vor einem Prozeß und dem Unwillen über eine Überforderung schwebte; genug, die Geldschatulle wurde abermals geöffnet, die verzweifelte Summe bezahlt und der Schein von den Ärzten unterschrieben.

»Das ist mir genug, um ganz Rom zu verfluchen«, rief der Kapitän; »nein, ich will auch keine Stunde mehr hier sein, ich gehe heut' noch nach Neapel. Zwanzig Zecchinen und zwei Piaster,[423] fünfundzwanzig Zecchinen und funfzig Piaster! nein, das ist unerhört, das ist das größte Banditenstück auf der Welt!«

Henry war nicht geizig, und diese Geschichte wurde ihm bloß so übermäßig ärgerlich, weil er gewiß sein konnte, daß der Onkel sie ihm zeitlebens vorwerfen werde. Er hatte ganz andern Kummer, andere Gedanken im Kopf, und begab sich voll Unruhe und Zerstreuung auf sein Zimmer.

Kaum befand er sich daselbst, als ihn die Schwester in seiner Einsamkeit störte. »O!« rief er aus, »Rebecca, ich duld' es nicht länger so! Diese Camilla macht mich verzweifeln.«

»Und warum denn?« fragte die Schwester.

»Ich meine, ich könne nicht leben ohne sie, ich bete sie an, ihr Bild schwebt mir Tag und Nacht vor den Sinnen, ihr großes Römerauge, ihr feurig Angesicht, ihre herrliche Gestalt, ihre zauberische Stimme, ihr Gesang, und –«

»Das macht dich verzweifeln? Mich dünkt, ein Frauenzimmer von solchem Werte sollte nur beglücken können.«

»Freilich, ach freilich sollte man das meinen! Aber ich bemerke mit Schaudern, es ist eine tiefe Kluft zwischen uns! Sie sagt, sie sei mir gut, aber diese Zärtlichkeit, die ich gegen sie fühle, wird nicht erwidert; statt daß ich sie in Tränen einer schwärmerischen Liebe, in Empfindung, in Wehmut, in Melancholie sehe, plagt sie mich mit einer ausgelassenen Lustigkeit, beantwortet meine Liebesskrupel mit Scherzen, erlaubt sich gar, ihrer zu spotten, sagt mir Dinge, die ich unmöglich ohne Beeinträchtigung meines Selbstgefühls für Wahrheiten anerkennen kann, und ist so reizbar, so empfindlich, so streitsüchtig, daß ich's schon mit einer Verteidigung bei ihr verderbe, ja, und daß ich's dir gestehe, liebe Schwester, was mich am meisten beunruhigt, sie spricht von Heiraten –«

»Ist es möglich?« rief Rebecca, »sie selbst, ohne Schamröte –«

»O an Schamröte ist nicht zu denken, sie sagt es lachend, und erlaubt mir keinen – keinen Kuß, wie sie sich ausdrückt, vor der Trauung!«

Die Miß lächelte, und ein halb vornehmer, halb sentimentaler Spott verbreitete sich von den blauen Augen bis zu dem kleinen Munde, der gerade für die zwitschernde Sprache, für »yes« und »very well« ge macht war.

»O du bist glücklich«, fuhr Henry fort, »deine Liebe wird auf eben die ideale, geistige, zärtliche Weise von deinem Bräutigam[424] erwidert – mit keinem Worte beleidigt er dein Zartgefühl, ihr versteht euch so schön, als Yorick und Eliza, während diese Römerin auch nicht einen Begriff von jenen süßen Schwämereien der Seelenliebe hat, gleich als ob sie ohne alle Erziehung, als ob sie ein gemeines Alltagsgeschöpf wäre, während sie mich mit tausend Verstößen gegen meine Delikatesse, meine Liebe martert. Es ist unbegreiflich, Rebecca, wie ein so schönes, so junges, so talentvolles, geistreiches Mädchen so entsetzlich unsentimental, so unpoetisch sein kann.«

Diese gerechten Klagen unsers jungen, empfindsamen Briten über die Kälte seiner Angebeteten dauerten noch eine Zeitlang fort, bis er sich endlich anschickte, auszugehen. Nicht sobald war er auf den Spanischen Platz gekommen, als er einen reichen, ihm wohlbekannten Landsmann, Sir William A..., ein kleines, unbedeutendes Figürchen, antraf.

Sie gingen eine Zeitlang auf dem Spanischen, oder vielmehr Britannischen Platz auf und ab, und unterhielten sich über die köstliche Vögelsammlung, welche Sir William mit ungeheuern Kosten in Italien zusammengebracht, und Henry lud ihn zuletzt zur heutigen Abendgesellschaft. William entschuldigte sich, und sagte: »Auf Ehre, mein Freund, es ist mir diesen Abend nicht möglich, ich hab' ein Rendez-vous.«

»Sie sind glücklich, Sir William«, versetzte Henry. »Ich für meinen Teil muß bekennen, daß ich Mühe habe, mich mit einer Römerin zu verwickeln.«

»Mühe?« antwortete Jener. »Hier in Rom Mühe? Und für Sie, einen jungen, reichen Fremden? Ist's Ihnen Ernst? Und sind schon ein Jahr hier? Nein, fürwahr, haben Sie denn je eine Stadt in der Welt gesehen, wo die Liebeshändel so sehr Mode sind?«

»Ich wiederhole, daß ich das Gegenteil finde, daß die Römerinnen kalt und lieblos gegen den Fremden sind, und daß es überhaupt nicht wahr ist, wenn man behauptet, die Italienerinnen seien die ersten Liebesheldinnen.«

»Ei so will ich Ihnen doch gleich das Gegenteil beweisen! Ich bin kaum eine Woche in Rom, so mach' ich die Bekanntschaft einer jungen, bildschönen Frau, einer wahren Grazie, einer anbetungswürdigen Blondine, die Sie für ein achtzehnjähriges Mädchen halten würden!«

»Sie machen mich begierig, Sir William!«[425]

»Mit Einem Wort, es vergeht seither kein Tag, daß ich ihre Gesellschaft nicht genieße, ja ich bin so viel als ihr unumschränkter Ehemann.«

»Und sie ist eine Frau, sagen Sie, eine Witwe?«

»Gott bewahre! Haben Sie denn noch gar keine Kenntnis vom hiesigen Ton? Sie hat einen Mann, und dieser Mann selbst drückt ein Auge zu und öffnet den Beutel. Dieser Mann hat mir die Grazie völlig abgetreten. Die liebenswürdige Scaccietta will mir übermäßig wohl, opfert mir Alles auf, ich bin ihr einziger Gebieter, und sie reiste mit mir auf zwei Monate nach Neapel.«

»Ist es möglich?«

»Es ist gewiß! Ich führe sie in Gesellschaft, gehe mit ihr auf's Land, nach Tivoli, Frascati, Albano; ich schwärmte mit ihr den ganzen Carneval durch, zu Fuß und zu Wagen, mit und ohne Maske, in Theatern, Festini, auf dem Corso; ich hab' ihr himmlisches Bildnis, ich habe mich für sie malen, in Alabaster schneiden, selbst meine Büste für sie machen lassen, und sie liebt mich so treu; so beständig, daß sie mir nach England folgt, wenn ich abreise.«

»Aber der Mann –«

»Ei der Mann wird bezahlt! Dem Italiener ist Alles feil. Sie treffen nirgends mehr Hörner, als hier, und man trägt sie in Rom eigentlich zur Schau. Mit den Mädchen ist nichts zu beginnen, diese sind spröde wie Eis, aber haben sie erst die Trauung, so sind sie des Teufels.«

»Das wäre schlimm!« versetzte Henry betrübt. »Aber sind Sie denn gewiß, daß Sie der einzig Begünstigte sind!«

»So gewiß als die Sonne am Himmel steht!«

Henry wollte weiter sprechen, als sein Begleiter plötzlich wie vom Donner gerührt, stehen blieb und eine Schar Gallinacci oder welscher Hühner anschaute, welche vorübergetrieben wurden. »Was zum Henker ist das?« rief er aus.

»Nun, haben Sie noch nie einen Gallinaccio gesehen?«

»O verflucht«, rief William, sich vor die Stirne schlagend, »was hab' ich getan?«

Henry begriff ihn nicht, und zweifelte wirklich an seinem Verstand, als er den Hühnerhändler herbeirief, und fragte, was ein Stück koste. Der Mann forderte einige Paoli, und William brach in einen Strom von Verwünschungen über das vermaledeite italienische Volk aus.[426]

»Hören Sie«, sagte er endlich, »was mir widerfahren. Sie kennen meine Liebe zu den Vögeln, und wissen, wie ich die verschiedensten Arten zu sammeln suche. Nun kommt ein zerlumpter Lazzarone in Neapel zu mir her, und zeigt mir einen höchst seltenen, kleinen afrikanischen Vogel. Ich bin außer mir vor Freude, und erhalte ihn, wiewohl für einen unmäßigen Preis. Des andern Tages kehrt der Lazzarone zurück, und bringt mir einen großen, wundersam gebildeten Vogel, wie ich noch keinen gesehen, indem er ihn ebenfalls für eine afrikanische Gattung ausgibt. Das Tier scheint mir äußerst dumm zu sein, und ich weigere mich, es zu kaufen. Der Lazzarone schreit und sagt: ›Ei jenes Vögelchen singt und lärmt, und dieser große Vogel denkt im Stillen.‹ Neapolitanische Fratze, denk' ich, aber ich kauf' ihn doch um vier Louisd'ore, und bewahr' ihn als eine Seltenheit auf. Jetzt in diesem Augenblick seh' ich eine ganze Schar solcher Bestien vorübertreiben, und der Hühnerhändler verlangt einige Paoli für's Stück!«

Henry lachte über den geprellten Landsmann, und tröstete ihn mit der Erzählung seines kostspieligen Unglücks am Vestatempel. Als sie von einander gingen, sagte Henry: »Nun, also heute Abend?«

»Warum nicht? aber reinen Mund!«

»Versteht sich; aber Sir William, hüten Sie sich, daß Sie keinen Gallinaccio mehr für etwas anders halten, als man's auf der Straße trifft!«

Sie schieden, Henry nicht ohne Neid über das Liebesglück seines Freundes, und Sir William voll Wut über die empfindliche Enttäuschung und die Bosheit des abgefeimten Neapolitaners.


Der Abend kam, es waren einige Stunden vor Mitternacht, als ein Wagen nach dem andern vor dem Hause des Lord M... anrasselte, und sich nach und nach der halbe Spanische Platz mit Karossen anfüllte. Der Vater selbst mit dem Sohne empfing die Gäste, meist vornehme Briten und Britinnen, unter denen wir bald unsern trefflichen Irländer an der Seite des Herrn Ironius erkennen, und sofort wurde man der Lady vorgestellt, welche an der Seite ihres jungfräulichen Augapfels saß, und diesmal durch eine ungeheure Masse falscher Locken und den allerbarocksten abenteuerlichsten Putz ihrem Gesicht etwas besonders Ledernes[427] gegeben hatte, so daß Ironius zu dem Irländer hinflüsterte: »Ich weiß nicht, Sir Thomas, warum, aber es ist gewiß, so oft ich das zähe, widrige, fade Gesicht dieser Lady sehe, so denk' ich immer unwillkürlich an das, was die Italiener baccalà, und die Deutschen Stockfisch nennen.« Der Irländer geriet in Verlegenheit, und half sich durch eine dumme Gebärde.

Die Damen, welche erschienen, hatten auch nur Einen Gesichtscharakter; ob sie hübsch oder häßlich waren, so trugen sie doch den Nationalstempel unverkennbar auf den Mund gedrückt, weswegen Ironius oft sagte: »Die Engländer haben alle Einen Mund, Mann und Weib; daran sind sie sogleich zu erkennen! Er scheint von der Natur für die Sprache organisiert zu sein, und kontrastiert schreiend gegen den Mund des Italieners, der für den Klang der reinsten Vokale geschaffen ist! Auch die hölzerne Form des Kopfes, die oft harte und vordrückende, ziegenartige Stirne, unter der ein Auge voll geistreichem modernem Wesen, oft raffiniert, oft naiv, oft hämisch liegt, sind charakteristische Zeichen für den Insulaner.«

Jetzt aber trat eine Gesellschaft Italiener herein, und unter ihnen Camilla Mognaschi. Ihr Vater, ein robuster, schwarzbärtiger, großäugiger Römer, führte sie, und einige Paini oder Corsostutzer folgten, junge Herrchen voll Eleganz, blaß und schwächlich; eine schwarze Locke gegen 's Auge hingekräuselt, gab ihnen ein gar schmächtiges Aussehn, und ihre bewegliche Figur überhaupt bildete einen interessanten Gegensatz zu den englischen oder ägyptischen Osirisstatuen, von denen der Saal erfüllt war.

Unser Henry suchte sich so artig zu bücken, als er nur vermochte, und brachte Camillen zu seiner Mutter und Schwester, welche ihr eine höchst gnädige Verbeugung machten und sie baten, sich niederzulassen. Die Römerin, nach einigen höflichen Redensarten, worauf Jene bloß mit »yes« antworteten, nahm neben Miß Rebecca Platz, und Henry stellte sich in nicht unbedeutender Verlegenheit neben sie, nicht wissend, was er sprechen, wie er den Cavaliere servente, oder gar den amante spielen solle.

»Bemerken Sie auch einen Unterschied«, flüsterte Ironius zu seinem Irländer, »zwischen jenen Beiden an Jahren ziemlich gleichen Damen? Miß Rebecca ist schön, ihre Farbe ist schneeweiß, und ihr Gesicht wahrhaft elfenbeinern, so fein und modern poliert, als nur möglich ist; zwischen dem Mäulchen und den studierten[428] blauen Augen sitzt ein kleines, geistreiches, schnippisches Näschen, ihr Haar ist rötlich und steht ihr gut, ihr Anzug einfach, und geeignet, den schlanken, langen Bienenwuchs ihres Leibes zu zeigen; wie Alles geistig an ihr ist, so fehlt auch Busen und Hüfte, Nacken und Alles; ja man könnte sie mit Einer Hand bequem umspannen. Sehen Sie dagegen die Römerin neben ihr! Wollte nicht die Natur eben das Gegenteil von Jener zu Stande bringen, oder besser gesagt, scheint Jene nicht die Arbeit einer trefflichen Kunst-Fabrik, einer neuen Erfindung, ein Sujet für ein Modejournal zu sein, und diese das reine Geschöpf der Natur? Sehen Sie das Oval dieses Kopfes, diese kräftig und keck gezeichneten Züge, diese ausdrucksvollen, plastischen Formen, dieses warme, gesättigte Kolorit, dies üppige glänzende Haar, dies unwiderstehliche, schwarze Auge! Welch' eine gedrängte, kräftige Fülle! Welch' eine entzückende Wellenlinie über die Schultern zu der Wölbung des Nackens hinunter, welch' ein Busen, welch' eine ausgebildete, üppige Gestalt! Sehen Sie, dort bei der Britin wollte die Kunst die Natur erreichen, polierte, schnitzelte, modellierte, aber umsonst! Sieht sie nicht gegen die Römerin aus wie eine britannische Sandfläche gegen einen vollblühenden frascatanischen Lorbeerhain? Die Fabrik suchte die Natur sogar noch zu überbieten, daher das Geistreiche, Sentimentale, Gelehrte, Steife, Schnippische in jenem Gesicht, während hier nichts als die einfachsten Leidenschaften eines feurigen, gesunden Temperaments hervortreten. Jene Britin, welche selbst nur, wie die Dampfmaschine, das Werk einer genialen Erfindung zu sein scheint, ist darum auch nur für die erfundene künstliche, nicht für die natürliche Liebe geeignet, während diese schlicht und einfach ihrem Instinkt folgt, und mit Leib und Seele zu dem hinreißt, wozu ein Weib geboren ist. Das ist ein Busen, um ein frisches, kräftiges Kind zu nähren, das ist ein Mund zum Kusse, das ist ein Nacken zum Umschlingen! Erlauben Sie mir ein anderes Bild, so ist Miß Rebecca eine Modellfigur zum Studium der Anatomie, oder lieber eine bloße Drahtpuppe zum Studium der Draperie, und die Italienerin ist eine vollkommene Antike, oder lieber eine glühend lebendige Venus.«

Das war freilich kein Gespräch für den Irländer, und Ironius sagte im Ernst das Alles auch nur für den Leser.

Unterdessen hatte sich eine Schar Engländer um den Onkel gesammelt,[429] über die er alle gleich einem Obeliskus emporragte. Man beklagte sich, wie gewöhnlich, über das Ungemach einer Reise durch Italien, und Einer erzählte, daß er sich lange in Tivoli aufgehalten. Weil ihm nun der Tempel der Sibylle, der so malerisch auf dem Felsen am Abgrund der niederdonnernden Fluten steht, besonders gefallen, so hab' er getrachtet, ihn in seine Gewalt zu bringen, ihn zu kaufen, abtragen und nach England schiffen zu lassen. Mit einer horrenden Summe hab' er endlich den Tempel überkommen, allein denke man sich die italienische Spitzbüberei, der tiburtinische Senat erklärte, daß er allerdings sein sei, aber daß er auf dem Platze stehen bleiben müsse, wo er seit alten Römerzeiten gestanden.

Ironius mischte sich ebenfalls unter sie, und Einer sprach: »Man muß nur verstehen, in Italien zu reisen, dann ist's leicht, und man kommt billig durch. Ich zahle jedesmal nur die Hälfte dessen, was gefordert wird, und dieser Rat eines erfahrnen Freundes hat mir schon viel genützt. So will ich unlängst von der Peterskirche nach Hause fahren, und der Kutscher verlangt unverschämter Weise zwei Zecchinen!«

Ein allgemeines Murren entstand, man verwunderte sich über die Maßen, und der Erzählende fuhr fort: »Aber bekannt mit der Art, wie man solche Schelmen behandeln muß, biet' ich die Hälfte, und komme so um zwei Piaster nach Hause. Es will Orts-Kenntnis, es will Erfahrung und Gewandtheit, dann ist man außer Sorgen.«

»Nun gut«, dachte Ironius, »du hast noch tüchtig als Engländer bezahlt, du bist der Mann, um einen Italiener zu behandeln! Trotz dem, daß du die Hälfte bezahltest, hast du doch noch zehnmal mehr geben müssen, als der Brauch unter andern Christen ist!«

Inzwischen standen die römischen Stutzer beisammen, im Gespräch mit einigen Franzosen. Da hörte man denn: »Wie gefällt Ihnen die neue Rossinische Oper? Ah die ›Mathilde Shabran‹ ist eine Musik von solcher Herrlichkeit, von solcher hinreißenden Schönheit, daß ich sie dem ›Moses‹, der ›Semiramis‹, dem ›Barbier von Sevilla‹ gleichstelle! Und welche Partieen für die Prima Donna, den Engel, unsere unsterbliche, göttliche Boccabadati! Ah, welche Gänge, welche Triller, wahrlich zum Verschmachten süß und herrlich! Wie einzig ist das bekannte so sehr applaudierte – –« Dabei[430] wurde eine Melodie ganz leise angegeben. »Bei'm Himmel, Rossini ist der erste Compositeur der Welt!« Ein Anderer brachte den unsterblichen Sgricci auf. »Haben Sie ihn gehört? Er hat in Arezzo eine Akademie gegeben, und eine Tragödie improvisiert. Sie glückte unsäglich, das Florentinerblatt ist voll von ihm, und Italien nennt ihn sein erhabenstes Dichtergenie! Welche Begeisterung, welch' ein Schwung! welche Darstellung der Leidenschaften, welche unschätzbare Reden und Sentenzen! Er hält den klassischen Stil von Alfieri fest!« Ein Dritter: »Haben Sie Rosa Taddei schon gehört? Sie hat im Carneval mehrere Akademien gegeben, und zu Harfenbegleitung improvisiert, zwar keine Tragödien, aber doch Ottaven und Anakreontika, zum Teil auf sehr schwierige Themen. Ich gab auf: ›Wer war tugendhafter, Regulus oder Cato?‹ und sie führte das Thema, das durch's Los getroffen wurde, wirklich vortrefflich zu Gunsten des Erstern aus.« Ein Vierter: »Die letzte Musikunterhaltung in der Philharmonica war göttlich! Rossini's ›Zelmira‹ konnte nicht besser von Dilettanten aufgeführt werden! Welche Stimme hat doch die Prima Donna! und der erste Baß!« Dann sprach man weiter vom Caffè Ruspoli, vom Corsofahren, von den bald zu erwartenden Feuerwerken und Nachtbeleuchtungen im Mausoleum des Augustus; von den Dichtern Monti, Parini, Ugo Foscolo, Pindemonte, Passeroni, Manzoni, Niccolini und von den Schauspielern im »Valle«.

Die Briten, unter denen Ironius stand, unterhielten sich jetzt über den Carneval. »Wie gefällt er Ihnen?« fragte einer den Irländer. »Ich hab' ihn noch nicht gesehen«, antwortete er, »aber er wird schön sein, sehr schön, außerordentlich schön!« Einer erzählte, daß er jeden Tag wenigstens drei, vier Scudi für Confetti ausgegeben, und Ironius ergriff das Wort und sagte: »Der römische Carneval wäre ein armseliges Vergnügen ohne die Fremden, und besonders ohne Ihre vortreffliche Nation. Die Römer sind arm, und werfen höchstens einige Paule für Confetti hinaus, der Engländer schüttet Körbe über die Menge her, läßt hageln und stürmen, sitzt wie ein Gott in seiner Karosse, die eine Hand in einer Wanne voll Zucker, und die andere mit der Lorgnette am Auge! Ja sie sind eigentlich die Herren des Carnevals! Ihre Damen sind die Ersten! Sie sind's, die einen Scudo für Blumensträuße ausgeben und ihren Landsmänninnen zuwerfen! Sie verstehen dieses Fest so gut, betragen sich so carnevalsmäßig, sind so geistreich,[431] so witzig, ohne den Ernst und die Würde ihrer Nation zu verlieren, daß man sie auch trotz der Maske kennt, daß es gleichsam unmöglich für sie ist, sich zu verstecken. So erinnere ich mich z.B. diesen Herrn im Festino gesehen zu haben; er ging als Türke kostumiert, und wiewohl er über und über in den kostspieligsten Putz gehüllt war, wiewohl ihn hundert italienische Arlecchine, Bajacci, Pulcinelle, Doktoren und Grafen anredeten, ohne daß er auch nur Eine Antwort gab, wette ich doch, daß er es gewesen.«

Aber suchen wir die Hauptpersonen auf, unsern guten Henry und seine Römerin. Sie saßen neben einander, und der verliebte Brite konnte sich nicht satt an dem glutatmenden Geschöpf sehen, mit dem er doch eben nicht recht sprechen konnte. »Sie sind wieder sehr melancholisch«, sagte Camilla, »Sir Henry! In der Tat, man sollte glauben, Sie wären so alt und ehrwürdig, als das Colosseum!«

»Wer auch nur immer heitern Humors sein kann!« entgegnete der Engländer. »Camilla –«

»Ei die Jugend! Ich für meine Person, warum sollt' ich's nicht sagen, habe wenig trübe Stunden, und wenn mich Dies oder Jenes auch ein wenig in Wut bringt, so kühl' ich mir das Mütchen, und singe mich aus, und bin wieder wie zuvor.«

»Camilla – hören Sie –«

»Öfters kommt Herr Luigi, der so einzig Klavier spielt, und wir machen einige Sonaten zusammen, oder er begleitet mich auch wohl zum Gesang.«

»Camilla, Sie hören nicht –«

»Und welch' ein himmlisch Vergnügen, einen Gesang aus Tasso oder Ariost zu rezitieren –«

»Aber, Camilla, aber, liebe Camilla, Sie bringen mich zur Verzweiflung. Versprechen Sie mir Eines, nur Eines –«

»Und was soll ich Ihnen denn versprechen? Wissen Sie, was ich Ihnen versprechen will? Ich schwöre Ihnen, Nichts von alle dem auszusagen, was die vielen Herrn hier englisch reden.«

»Die Schwermut drückt mich nieder –«

»Reiten Sie spazieren!«

»Ich bin so allein!«

»Suchen Sie Gesellschaft!«

»Ich ennuyiere mich!«

»So gehen Sie auf's Land!«[432]

»Dann bin ich Ihnen fern, schöne Camilla!«

»Was liegt daran? Wenn Sie sich doch immer mit Grillen plagen!«

»Sie sind so kalt, so unzärtlich, so fühllos –«

»Im Gegenteil, Sir Henry, der Vater schilt mich täglich, daß ich zu sensibel sei, und nennt mich einen unerträglichen Hitzkopf!«

»Ein liebend Herz könnte mich selig machen.«

»So heiraten Sie!«

»Aber wen?«

»Ein Frauenzimmer!«

»Camilla, Sie sind grausam! Und wenn ich nicht überzeugt bin, daß ich geliebt werde; wie dann?«

»So heiraten Sie ohne Liebe!«

»Und das sagen Sie mir?«

»Nun, so heiraten Sie gar nicht –«

»Camilla, ist's Ihr Ernst?«

»Signor Enrico, Sie machen mich lachen, indem Sie mich zwingen, zu sagen, so heiraten Sie eine Andere! Es gibt so viele schöne, geistreiche junge Mädchen in der Welt, so viele hübsche liebenswürdige Männer –«

Das Letztere hörte Miß Rebecca und sah die Mutter kopfschüttelnd an. In diesem Augenblick kam der Lord und bat Camillen, an's Klavier zu treten. Sie erhob sich, Henry folgte, und Rebecca konnte sich Luft machen! »Guter Himmel«, sagte sie, »welche Lebensart! welche feine Weltsitte! Spricht von – nein, Mutter, es ist zu schrecklich! – spricht von Heiraten, ohne nur ein Bißchen rot zu werden! O wie ist Henry doch so blind! Es ist ja eine Qual, neben ihr zu sitzen! Jeden Augenblick ein Wort, worüber man sich für sie zu schämen hat.«

Henry war der Verzweiflung nahe, und wer dächte auch warum? Er wollte, daß sich Camilla durchaus nicht hören lasse, es war ihm im Innersten zuwider, es schien ihm unweiblich, unwürdig zu sein, oder lieber, er hatte nun einmal die Grille!

Aber wie es verhindern? Wie mit Camilla nur sprechen? Schon hatte sich Einer der Römer an's Klavier gesetzt, und blätterte in den Noten; Henry trat außer sich zu Camillen hin, und sagte so leise, als nur möglich, aber mit dem Ausdruck eines Verzweifelten: »Camilla, ich beschwöre Sie, wenn Ihnen meine Liebe etwas gilt, singen Sie nicht, singen Sie nicht! Stellen Sie sich unwohl!«[433]

Die Römerin sah ihn an, wie man Einen betrachtet, den man für verrückt halten möchte. Sie griff in aller Ruhe nach dem Notenblatte, und setzte sich in Bereitschaft, zu singen. Alles hatte sich jetzt um sie her versammelt, und sah die schöne Gestalt, den edeln Kopf an, dessen großen Charakterzügen, dessen lebensfrohem, mutigem Geiste die Nachtbeleuchtung einen höchst reizenden Ausdruck gab. Henry konnte nicht weiter in sie dringen, er mußte es zulassen; er stampfte im Grimm auf den Boden, er verfluchte diesen Augenblick, und war entrüstet über Camillen.

Aber die präludierenden Töne klangen, und sie hub an mit einem Affekt, mit einer Empfindung, mit einer Wahrheit und Kraft zu singen, daß ihr ganzes Wesen verändert wurde, daß ihr großes Strahlenauge bald in Zärtlichkeit verschmachten, bald in Flammen einer Begeisterten ausbrechen wollte, daß ihr Busen wild aufatmete und jede Bewegung nur Leidenschaft zu verraten schien.

Es saß neben der Lady M... eine ältliche Britin, bei deren Gesicht man gar nichts denken konnte, war sie dumm oder geistreich, gut oder bös, stolz oder demütig, roh oder gebildet, das konnte man nicht in der ganz und gar ausdruckslosen Physiognomie lesen; worüber man allein Gewißheit hatte, das war ihre Häßlichkeit und ihr rotes Haar. Zu dieser sprach die Lady: »Diese Italienerin wäre schön? Welch' ein grobes, derbes Gesicht! welche große, breite Nase! welche stiere, freche Augen!«

»Sie haben Recht, Mylady«, erwiderte die Rotbehaarte, »Alles nach grobem Schnitt, Gesicht, Haar, Figur und Kleidung. Sehen Sie Ihre liebenswürdige Rebecca an, scheint sie nicht fast ein übersinnliches Wesen gegen Jene zu sein? Und die Römerin wäre gut gewachsen? Aber stille, man hört uns!«

»Welch' ein plumper Wuchs!« fuhr die Lady fort. »Rebecca ist eine Lilie dagegen. Welch' ein dicker Oberleib! Wie ist sie weit um die Hüften! Welches struppige, unfeine Haar!«

»Und ihre Gebärden, Mylady, wie affektiert, wie ausgelassen!«

»Und ihre Kleidung; recht wie eine Türkin! Ein rotes Barett in den Haaren!«

»Wie sie mit ihrem Nacken prahlt, der doch gar nichts Zartes und Schönes hat! Und dieser Gesang!«

»Affektiert, affektiert! – aber stille!«

Der Eindruck bei den übrigen Gästen war höchst verschieden. So gewiß ist es, daß man nicht vernünftig tut, nach Anderer Urteil[434] zu fragen, indem uns nur höchst selten die Sache selbst, meist nur die Eigentümlichkeit der Person daraus klar wird, welche urteilt. Der Onkel flüsterte, sich von seiner Höhe zu einem Landsmann neben ihm herabbückend: »Italienische Schnörkel, Übertreibung, Karikatur!« Die römischen Stutzer stießen ein schmachtendes »Bene!« und »Bravo!« nach dem andern aus, und meinten, daß Boccabadati im »Valle« nicht mit mehr Empfindung singe, und der Irländer sagte, indem er eine Prise in seine große Kupfernase schob: »Schön, ganz schön, außerordentlich schön!« Henry stand auf glühenden Kohlen, und verging fast vor Wut.

Camilla endete, und ein gewaltiger Applaus erfolgte von großbritannischen und römischen Händen. Der Lord sagte ihr höchst schmeichelhafte Dinge, wie er ihr denn überhaupt wohlwollte und sie gern als seine Schwiegertochter gesehen hätte, wenn die grämliche Lady, welche ihn stark unter dem Pantoffel hielt, ihr nicht so abgeneigt gewesen wäre.

Henry wollte der Sängerin etwas sagen, der Unmut wollt' ihm den Busen sprengen, aber er fand sie so umgeben von Italienern, Franzosen und Engländern, welche ihr huldigten, daß nicht daran zu denken war, so daß nur seine Eifersucht noch erregt wurde.

Man schlürfte Tee, man teilte sich wieder in kleinere Kreise, und in der Gruppe, die sich um die Lady und ihr Engelskind versammelte, beschloß man, morgen die Peterskuppel zu ersteigen.

Henry sah Camillen in ununterbrochenem Gespräche mit ihren Römern, und war umsonst bemüht, ein heimliches Wort an sie zu richten, und weil er lieber gar nichts sagen wollte, als etwas Alltägliches, so schwieg er, stellte sich neben sie, glaubte angeredet zu werden, aber umsonst; die Römerin plauderte und lachte, scherzte und ließ sich huldigen, und verließ den Saal mit einer vornehmen Verbeugung gegen Henry.

»Ich hätt' es nicht länger ausgehalten«, sagte sie im Wagen zu ihrem Vater; »noch sausen mir die Ohren von dem ewigen eintönigen Zwitschern, und dem entsetzlichen ›what, what, what!‹«

Schleichen wir uns nun auch mit unser'm Irländer und Ironius aus dieser Gesellschaft, in der wir uns ohne das Bild der jungen Mognaschi sicher gelangweilt hätten, und gehen wir mit Jenem um Mitternacht nach Hause, wo ihn die hübsche Plebejerin mit einem Licht erwartete.

Dem alten Herrn schien es aber gar nicht von Natur gegeben zu[435] sein, mit Mädchen umgehen zu können; er wußte nicht, was er sprechen sollte, besonders da er im Italienischen noch keine große Fortschritte gemacht hatte. Er wußte nichts anders zu tun, als mit den kleinen Äuglein zu blinzeln, und zu sagen: »Ihr seid doch gar hübsch, recht hübsch, außerordentlich hübsch!«

Die Minente machte sich nicht wenig lustig über ihn und ließ ihn sodann allein. Sir Thomas holte ein Fläschchen Est Est aus dem Schranke, setzte sich auf das Sofa, und sagte zu sich selbst: »Morgen will ich weiter gehen, morgen will ich's probieren, ich will seh'n, daß ich sie morgen ein wenig um's Kinn streicheln kann.«

Schon wankte sein Haupt in Schlaftrunkenheit, als er einen Mandolinenklang auf der Straße hörte. Er öffnete das Fenster und schaute hinaus. Es war ein junger Bursche in trasteverinischer Tracht, der ein Liedchen abklimperte; aber zugleich bemerkte er, daß Rosa zum Fenster hinaussah.

»Wäre das vielleicht ihr Liebhaber?« dachte der Irländer. Indem schlug Rosa das Fenster zu, und in Kurzem hört' er an seine Türe klopfen. Es war die Plebejerin. »Ist das Euer Liebster«, rief der Irländer schmunzelnd, »der Mandolinspieler drunten?«

»Ei behüte Gott!« antwortete sie, »das ist ein junger Mensch, der den Fremden in Rom zuweilen ein Ständchen bringt! Es ist so Sitte hier, und die Herren Engländer geben ihm immer einen Scudo.«

»Einen Scudo?« rief Sir Thomas; »und mir das Ständchen?«

»Ei, gewiß! fragt ihn nur selbst. Er ist der beste Spieler in Rom.«

»Nun, weil Ihr so wollt, so soll er einen haben; aber nur Euch zu Liebe, versteht Ihr? Bringt ihm die Piaster und sagt, daß ich nicht musikalisch sei und daß ich ihn nicht mehr hören wolle.«

Die Minente nahm den Scudo und lief davon. Thomas war aber doch neugierig, schaute zum Fenster hinaus und bemerkte, daß die Beiden etwas lange zusammen sprachen.

Er schöpfte Verdacht, und nicht mit Unrecht. »Was zum Teufel«, rief er hinab, »flüstert Ihr Euch in's Ohr?«

»O lieber Herr Engländer«, antwortete das Mädchen, »er sagt, daß Ihr ihm zu wenig gegeben und daß er immer funfzehn Paul bekommen. Ihr werdet doch nicht schmutzig sein –«

Thomas griff abermals nach dem Beutel, nahm einen andern[436] halben Scudo, wickelte ihn ein und warf ihn hinab. »Aber jetzt ist's richtig«, rief er, »gute Nacht!« und schlug das Fenster zu.

Der Mandolinspieler aber nahm vom Liebchen lachend Abschied, sah zu Thomas' Fenster hinauf, drückte sich den Finger an's Auge und rief: »Gute Nacht, Engländer! du mußt mit meinem Mädchen nicht scherzen wollen!«


Früh morgens finden wir unsere reizende Mognaschi allein auf der Straße, die nach der Kirche Trinità di Monti führt. »Zur Messe; nun doch«, so sagte sie zu Hause, und man sieht es gerne, wenn die Kinder fromm sind. Aber wer traut einer sechszehnjährigen Römerin?

Genug, sie trat in die schöne Kirche, deren weiße Türmchen auf dem sonnigen Hügel des Pincio über die ganze Stadt wegschauen, und kniete in der Dämmerung des Hauses nieder. Aber sie schielte doch ein wenig auf die Seite; vielleicht weil sie Volterra's berühmtes Fresko oder irgend eine andere Malerei suchte? Doch nein! sie sieht einen Jüngling von schönem Wuchs und echt italienischem Kopf, schwarzen Augen und schwarzen Haaren, der in einer Seitenkapelle steht und nur auf sie zu warten scheint.

Er verwendet keinen Blick von ihr, so lange die Messe währt. Camilla erhebt sich jetzt und tritt aus der Kirche, der schöne Jüngling folgt ihr und erreicht sie auf der Treppe, von der herab ganz Rom zu übersehen ist; sie hebt einen Finger in die Höhe, indem sie ihn anblickt. Er versteht; ein Uhr. Sie hält die flache Hand an die Schläfe; ein Uhr in der Nacht oder eine Stunde nach Sonnenuntergang. Sie geht die Spanische Treppe hinunter und das Rendez-vous ist gegeben. Glück zu, Sir Henry!

Begeben wir uns jetzt denn in's Haus des Lord M..., wo man gegen Mittag große Vorbereitungen macht, um die Peterskuppel heute noch zu ersteigen. Die ganze Familie des Lords, bis auf die kleinen Kinderchen, sollten hinauf geschafft werden, ja, er selbst mußte der Lady gehorchen und die merkwürdige Tour zu unternehmen versprechen. Ironius ging voraus, um, wie er sagte, die Custodi und Ciceroni zu rufen, damit Alles schnell vor sich gehe. Der Onkel Kapitän sagte zwar: »Dieser St. Peter, was ist er? schlechte, effektlose Architektur, die Stümperei ganzer Jahrhunderte;[437] die Pyramiden Ägyptens gewähren andere Höhen und Größen!« Aber weder diese Geringschätzung, noch die steifen Knie konnten ihn retten, auch er mußte zusagen. Der Irländer tat's, um dem Schutzheiligen Roms einen Devotionsbeweis zu geben, und die rotbehaarte Britin von gestern, so wie einige Andere, worunter sich eine mit himmelblauen Äuglein, scharlachroter Nase und blauer Brille befand, gingen hinauf, damit sie ungelogen sagen könnten, sie seien oben gewesen. Freilich wäre jene Lüge vielleicht keine so große Sünde gewesen, als eine solche Luftreise, denn es ist ja doch gar zu arg für unsereinen! Höre man nur, was ihnen einfiel.

Alles hatte sich im Hause des Lords versammelt, wohl an die zwanzig Personen. Da kam der Lady in den Sinn, ob es nicht etwa ein ganz erhabener, origineller Gedanke, ein wahrhaft überschwänglicher Genuß wäre, wenn man in dem Knopf der Peterskuppel, der bekanntlich sechszehn Menschen faßt, einen Tee tränke. Diese Idee fand ungemessenen Beifall in der Versammlung, besonders bei den Damen, vorzüglich bei unserer Miß Rebecca. »Das muß ein Vergnügen sein!« rief's hier; »daran hat gewiß noch keine Menschenseele gedacht!« ertönt' es dort; Henry schrie: »Vergessen Sie nicht, über ganz Rom, in den Lüften, in einem Knopf, an einem Plätzchen, das man Tagereisen weit sieht, das nach den ägyptischen Pyramiden das Höchste ist, was Menschenhände gebaut, wo von allen Nationen des Erdballs nur wenige Glückliche hinkommen, einen Tee zu schlürfen!« Und Sir Thomas fand den Gedanken hübsch, sehr hübsch, außerordentlich hübsch.

Man nahm also das Teegeräte zusammen, setzte sich zu Wagen und rollte die Via Condotti hinab. Natürlich stak im Sacke jedes Engländers Fea's oder Vasi's, oder Nibby's römischer Wegweiser, und Miß Rebecca, die rotnasigte, so wie die rothaarige Landsmännin hatten ebenfalls ein Buch in der Hand und studierten unterwegs. Der Lord wollte bei der großen Hitze einschlafen; der Onkel schmähte über die engen Gassen und der Irländer nahm den Hut vor jedem Madonnenbilde, jedem Kreuze ab und schielte nach jeder Tafel, wo ein trefflicher Orvieto- oder Granadinowein angezeigt war.

So erreichte man den Petersplatz und stieg an der Treppe aus. »Dieser Peter!« brummte der Kapitän vor sich hin, und dennoch war die ganze britannische Gesellschaft zusamt den Karossen, und[438] trotz der oft gerühmten Länge des mißlaunigen Onkels, nur ein schwarzer Punkt auf dem ungeheuern Raum des Platzes, vor den Säulen dieses Tempels der Christenheit! Als sie in das Innere der Kirche eintraten, wurden sie von Herrn Ironius mit der Nachricht empfangen, daß Alles für ihre Reise bereit sei, und man machte sich unverzüglich auf den Weg, nachdem Sir Thomas voll Demut dem Bilde des heiligen Petrus den Fuß geküßt.

An der Türe wurden sie sogleich von dem Pförtner angesprochen, welcher – Ironius konnte sich kaum ernsthaft erhalten – einen Scudo verlangte. Der Onkel war entrüstet; man gab jedoch bloß die Hälfte, oder zehnmal so viel, als Andere geben. Sofort stand der erste Custode vor ihnen. Ironius blieb hinter Allen zurück. So ging's denn allmählich empor. Henry führte Mutter und Schwester, ein Anderer den Lord, Ironius den armen Sir Thomas, der jeden Augenblick stille stand, um sich den Schweiß von der Rubinstirne abzutrocknen. Ironius fand aber kein Ende, den St. Peter zu loben, und der Irländer keuchte: »Schön, ja, sehr schön – außer – ordentlich – schön!«

Endlich, nach vielen Stoßseufzern des Lords, des Onkels und des frommen Thomas, und unter manchem geheimen Gebet der Lady gelangte man auf die Plattform, wo sich unter den kleinen Kuppeln und Häusern umher, auf dem Platze die furchtbare große Kuppel des Michel Angelo erhebt. Wenig hätte gefehlt, daß auch der Kapitän diese erschreckliche Höhe bewundert hätte, wenn er an die grenzenlose Mühseligkeit der weitern Luftreise dachte; aber er überwand, trotz alles Widerstrebens der steifen Kniee. Der Lord und Thomas, seine materiellen Gegensätze, schwammen im Schweiß, die Lady keuchte, sich auf die Schulter Henry's lehnend, von der roten Nase der Blauäugigen träuft' es ebenfalls und Ironius sorgte für Sessel und Sonnenschirme. Als man nach und nach wieder zu Atem gekommen war, setzte freilich der erste hervortretende Custode die Gesellschaft abermals außer Atem, indem er zwei Scudi für's Heraufführen verlangte. Dem System getreu, gab man ihm abermals nach langem Streitreden nur die Hälfte, und der Kapitän, an den unglücklicherweise das Zahlen kam, zog sogar von dem Scudo noch einige Baiocchi ab. Hierauf erklärte Ironius die architektonischen Merkwürdigkeiten dieses erhabenen Orts und bemerkte, daß man hier unter diesen Kuppeln, Häusern und Riesenstatuen, gleichsam in einer Stadt sei. Die Gesellschaft[439] las in den Büchern nach, ohne das Geringste anzusehen, ohne nur auf den tiefen Platz hinabzublicken, und man machte sich abermals auf den Weg, nachdem man für jeden Sessel einen Paul gezahlt. Nun erschien ein zweiter Custode und führte weiter. Der Lord protestierte mitzugehen, und bat, man solle ihn doch unten lassen, aber ein grimmiger Blick, einige »what, what, what!« (wie Camilla sagte,) und die gefährlichsten, hölzernsten Runzeln im Gesicht der Lady, brachten ihn bald auf andere Gedanken. Zwei junge Briten hatten übrigens an ihm zu schleppen. Dürften wir uns die kräftige Sprache Ariost's erlauben, so sagten wir: Ströme von irischem, britannischem, schottischem, weiblichem, männlichem Schweiß, flossen gleich Waldströmen die Treppen St. Peters hinab, und die haushohen Fontänen auf dem Platze schienen ihre prasselnden Wasser nur von ihm zu beziehen; aber es könnte übertrieben aussehen und wir sprechen nur von den Seufzern des armen Lords, der dem Irländer oft zurief: »How do you do, Sir Thomas?« worauf dieser schnaufend und sich abtrocknend antwortete: »Very well, thank God!«

So erreichte man die erste Galerie, wo der Custode Abschied nahm, einen Scudo forderte, die Hälfte erhielt, und ein Dritter die Türe aufschloß, welche auf den Kreis in der Kuppel hinausführt und den Blick über das riesenhafte Gewölbe und die Tiefe der Kirche erlaubt. Man schritt auf der Galerie umher, man lief einmal herum, und Keiner wurde auf den Onkel Kapitän aufmerksam, der ihnen hier zum besten Maßstab der Größe hätte dienen können. Denn wiewohl er seines Gleichen unter zwei- und vierfüßigen Geschöpfen nicht hatte, wir meinen, rücksichtlich der Länge, so sah er doch nur wie ein ganz kleiner Zahnstocher aus, wenn er jenseits der Kuppelwölbung, also in einer Entfernung von hundert und dreißig Fuß stand, und die Evangelisten und Apostel, deren gewaltige Mosaikbilder in dieser schwindelerregenden Höhe schweben, hätten ihn in den Mund schieben können, wenigstens in den Fastenzeiten, wo ein katholischer Apostel doch magro speisen müßte. Diesen trefflichen Maßstab hätten sie um so mehr benutzen sollen, als man nur durch Vergleichung der Verhältnisse die Größe dieses Gebäudes herausbringen kann, das eben so klein scheint, weil Alles groß darin, ja unter den Buchstaben der Inschrift an der Kuppel das I so groß ist, als der Onkel Kapitän zusamt dem Hütchen. Aber es stand nichts vom Onkel in Vasi's[440] Wegweiser, und so bemerkten sie's auch nicht; nur Ironius lachte darüber in die Faust, besonders da sie an der Türe abermals einen halben Scudo entrichten mußten.

Jetzt weiter empor; ein vierter Custode führte zur zweiten und letzten Galerie, forderte seine Bezahlung, und trat sie an einen Fünften ab, welcher die Türe aufschloß. Wen ergriffe nicht ein heiliger Schauder, wenn er hier gegen vierhundert Fuß in die duftige Tiefe dieser Kirche wie in eine Welt hinunterschaut, wenn er von den glänzenden, heitern Kreisen dieser Kuppel, die als ein Pantheon von hundert und vierzig Schuh Durchmesser in den Lüften schwebt, zu dem Baldachin des Hauptaltares hinabblickt, dessen Kreuz die Höhe des größten römischen Palastes, des Farnesianischen, hat, und dessen Säulen doch nur so groß wie der Onkel Kapitän scheinen; wenn man die Menschen in der Tiefe betrachtet, welche so klein sind, daß sie die Rotnasigte und Rothaarigte, ja sogar das Engelskind Miß Rebecca nicht ohne Brille sehen konnte; wo aller Unterschied zwischen der Körpermasse des Irländers und der Magerkeit des Onkels aufgehört hätte, und die menschlichen Wesen in der Tat so unbedeutend erschienen, als dieser stolze Beobachter der Welt sie nur ansehen konnte. Aber von all' diesen Vergleichungen stand ebenfalls nichts in den Büchern, und so ging man denn fort, zahlte dem fünften Custode, nahm den sechsten, während Ironius vor Lachen zerplatzen wollte und dem Onkel, der über die Geldverschwendung in diesem Gebäude schimpfte, die Bemerkung machte, daß das Geld dahin gesteckt worden sei, welches man den Fremden abgenommen habe. Aber Jener wurde nach und nach untröstlich, wenn er die Summe überrechnete, die man schon gespendet, die man noch spenden müsse, wenn er an den Lohn für die Männer dachte, welche die Kinder, welche das Teegeräte herauftrugen, wenn ihm das Knie versagte, wenn er in den engen und niedern Gängen mit dem Kopf an die Decke stieß!

Endlich, »thank God!« riefen Alle, endlich kam man zum Kranze auf der Kuppel, von wo aus man im Freien den ganzen Umfang des gigantischen Baues, seine Kuppelchen, sein Dach, seine Statuen, und den weiten Platz und die ungeheuern Halbkreise des Säulenganges, wo man das nachbarliche Labyrinth des Vatikanes, dieses Wunderbaues von mehr als zwanzig Höfen und dreizehnhundert Zimmern und Sälen, wo man ganz Rom, die[441] Campagna, die Berge der Sabiner, Äquer, Volsker und Latiner, und einen sonnenbeglänzten Streifen vom Meere zugleich überblickt.

Diese in der Welt so einzige Aussicht hätte man nicht genießen können, weil sie nicht im römischen Wegweiser beschrieben ist, wenn Ironius nicht den Cicerone gespielt hätte. Er nannte die besonders hervorragenden Hügel, Paläste, Ruinen, Säulen und Obelisken, sogar die Dörfer und Städte im Gebirge der Albaner und Sabiner, und einige fleißige Reisende schrieben's auf, versteht sich, ohne etwas anzusehen. Sessel für die Damen hatte man nachgeschleppt. Der sechste Custode mußte jetzt bezahlt werden, und der siebente kam.

Schon zog ein Gewitter vom Monte Cavo herüber, aber man achtete wenig darauf, die Hälfte der Gesellschaft hatte auszuruhen, die andere war in Gedanken mit dem Tee beschäftigt. Nur unser sentimentales Geschwisterpaar stand in schwärmerischen Gedanken am Geländer, und sah hinab auf das große, schon von Wolken beschattete Rom; die Miß dachte an den fernen, so bald, so sehnsüchtig erwarteten Geliebten, und Henry blickte gegen die weißen Türme von Trinità di Monti hinüber, in deren Nähe seine spröde, grausame, launige, wilde Angebetete wohnte, und stellte sich die Glückseligkeit vor, die ihm blühe, wenn er den Starrsinn des mutwilligen Kindes besiegt, wenn er es zu seinem Weibe gemacht habe und mit ihm nach England zurückgehen könne! Ein heftiger Gewitterwind blies um ihn, so daß man recht eigentlich sagen konnte, er sprach in den Wind!

Da schrie die Lady auf: »Um Gotteswillen, was – was –« Alles lief hinzu, in der Besorgnis, daß Jemand hinabgestürzt wäre. Aber man erfuhr bald, daß zwar alles Teegeräte, Zucker und Gewürz da sei, aber leider die Teebüchse fehle. Das war ein Donnerschlag für die Gesellschaft, und man sah einander betroffen an.

Einige rieten, dem Gedanken zu entsagen, besonders da sich die Berge schon umhüllten, und das Gewitter allmählich über die Campagna heranzog. Aber die Lady beharrte darauf, die Miß unterstützte, und es wurde der arme Henry kommandiert, Tee anzuschaffen. Wie das anzufangen? Römischen wollte man nicht trinken, einen Bedienten konnte man nicht nach Hause schicken, weil die Teebüchse in einer Kommode unter vielen Kostbarkeiten lag, und so mußte der gute Sohn denn sich aufmachen, sich die Treppen[442] hinab zu Tod ärgern, abermals ein halb Dutzend Custodi bezahlen, sich in den Wagen setzen, und den Weg von drei Miglien nach dem Spanischen Platz hinrollen.

Als die Kuppel vor seinen Augen über die Façade hervorstieg, sah er zum Kranz hinauf, bemerkte aber Niemand oben; es war zu hoch, zu fern; die Briten schienen samt dem Teegeräte gen Himmel gefahren zu sein. Wir lassen ihn mißmutig, wie er war, forteilen, und fliegen auf die Peterskuppel hinauf, ohne daß es uns auch mehr, als einige Federzüge kostet, und zwar nicht mit Flügeln, sondern mit Gänsekielen. Das hat auch der ärmste Poet vor dem reichsten reisenden Lord voraus.

Wir treffen unsere Gesellschaft in nicht geringer Furcht vor dem Donnerwetter, das sich schon mit drohenden Schlägen vernehmbar machte. Obenerwähnter Dichter des »Orlando« würde vielleicht in ihm nichts als die aufgestiegenen britischen Dünste und Flüssigkeiten entdecken, aber wir begnügen uns, zu erzählen, daß es kam, ja daß es unserer Gesellschaft teuer zu stehen kam.

Während unsere Engländer so in ihrer Vögelsprache in den Lüften zwitscherten, nahm die schöne Miß ein rotsamtnes Büchelchen heraus, ein Schreibzeug, und schickte sich an, im Angesicht des heranziehenden Gewitters, im Angesicht von ganz Rom zu schreiben. Nun was das wäre, darauf wären wir doch neugierig. Empfindungen des erhabenen Orts, oder etwas an den Liebsten, oder gar ein Gedanke? Dichter sind kurios, wollen sie ja wissen, was in Himmel und Hölle vorgeht, schildern sie ja Dinge, die in tiefster Stille der Nacht geschehen, warum sollte man denn so etwas Unschuldiges, Artiges, Originelles nicht wissen dürfen, wie's die spirituöse Britin in's Tagebuch schreibt? Genug, wir wissen schon, wie wir's machen, nur Geduld bis auf den Abend!

Sie war tief in sich versenkt, als Einer in der Gesellschaft einen Schreckensruf ausstieß, der Alles abermals in Angst versetzte. Denke man sich, Ironius wollte sterben vor Lachen, denn dem Onkel Kapitän hatte der Wind das Hütchen vom Kopf genommen, und wehte den federleichten Filz trotz allem Geschrei des Onkels weit hinab und hinüber, und sehe man, wie doch das Geschick so abenteuerlich und romantisch gegen die Engländer ist, es scheint fast unglaublich, aber das Kuppelkreuz der Gregorianischen Kapelle fing ihn auf.

Der Onkel war untröstlich, er fluchte alle Blitze, die im Himmel[443] leuchteten, auf diese vermaledeite Peterstour herab. Aber umsonst. Das Hütlein stak auf der Kreuzspitze, und Ironius sagte: »Beruhigen Sie sich, liebster Herr! Dem Wind, was des Windes ist! Ihr Hut befindet sich auf der ersten Kirche der Christenheit, und bedenken Sie, daß alle Messen, die in der Kapelle unter ihm gelesen, alle Gebete, die in die Kuppel hinaufgerichtet werden, gleichsam nur ihm gelten, der wie das fac totum zu betrachten ist.«

Aber jetzt konnte man's außen gar nicht mehr aushalten, denn der wütende Wind wehte in den Kleidern der Damen allzu unsittlich, als daß man's ertragen konnte, schon wölkte sich's in grauen Wallungen über die Quirinalischen Paläste her, und in Kurzem umhüllte sich Rom von der goldnen Basilike des Constantin bis über's melancholische Mausoleum des Adrian, bis zu den Säulenkolonnaden St. Peters. Alles drängte sich in's Innere zurück; die Miß schrieb, bis ihr die Tropfen auf's Papier fielen, und jetzt dachte man erst daran, daß man keine Regenschirme, nicht einmal bedeckte Wägen habe. An Henry, an den Tee dachten die Undankbaren nicht mehr.

Zwei Stunden mußten sie warten, in Güssen strömte der Regen herab. Es war schon spät, und der Custode sagte, daß man ihm wenigstens das Zehnfache zahlen müsse, wenn die Herrschaften bei diesem Hundewetter, wie er sich ausdrückte, oben bleiben wollten. Der Onkel Kapitän stieß auf diesem heiligen Gebäude mehr Flüche aus, als Menschenhände daran gearbeitet hatten. Regen, Wind, der verlorene auf der Gregorianischen Kuppel sitzende Hut, die aufgedeckte Glatze, und das gespendete Geld, das reichte zu, um diesen Nachmittag zu dem unseligsten seines Lebens zu machen.

Endlich erschien der heißersehnte Henry mit dem Tee, und Mutter und Schwester umarmten ihn vor Freude. Auf's Schnellste wurde ausgepackt, man verlangte nun Wasser, da schüttelte der Custode den Kopf, und sagte, daß das nicht erlaubt sei, und daß es ihm den Dienst kosten würde. Man stürmte englisch und italienisch auf ihn ein, aber umsonst; man gab ihm einen Scudo, er weigerte sich, man bot einen zweiten, und er versprach endlich, Wasser kommen zu lassen, wenn man den Buben bezahle, der es von der Plattform heraufbringe.

Eine andere halbe Stunde verging, bis er kam. Auch dem Buben[444] mußten fünf Paule gespendet werden. Die Teemaschine wurde hervorgebracht, man füllte sie mit Wasser, man zündete den Alkohol an, warf das Gewürz hinein, man nahm die Schalen aus einem Korbe hervor, und hatte schon zwei mit Zucker gefüllt, als die Miß, welche den Korb in der Hand hielt, von einem so derben Windstoß gefaßt wurde, daß sie vor Schrecken Alles zu Boden fallen ließ. Stelle man sich die Bestürzung der Gesellschaft vor; Alles glaubte, daß keine Schale mehr gerettet worden, aber Ironius rief aus: »Sehen Sie, meine Verehrten, der Jammer ist noch nicht so groß! Noch sind zwei übrig, und diese reichen hin, wenn eine Hebe serviert!«

Die Miß dankte in der Verwirrung nicht für das Kompliment, das Wasser fing an zu sieden, man warf den Tee hinein, und man jubelte dem nahen Genuß entgegen.

Jetzt aber sollt' es die enge fürchterliche Hühnertreppe in den Knopf hinaufgehen. Henry und einige beherzte Briten stiegen empor, das war die letzte, aber freilich die beschwerlichste Reise! Die Miß, im Begriff emporzuklettern, schrie auf, und sprang zurück. Oben aus dem Knopf heraus rief der Bruder und wollt' ihr den Arm reichen! Aber sie wollte vor Scham vergehen, und schlechterdings nicht vorwärts. Wie konnte das arme, schon vom Wind so unartig zerzauste Wesen auch die senkrechte Leiter emporklimmen, während die Männer nachkletterten?

Man ließ die Männer voran emporsteigen. »Sechszehn Personen haben Platz«, rief die Lady, »nach Nibby und Vasi; wie viel sind schon oben?« – »Sechs«, war die Antwort. Also ging's an den Irländer. Dieser, seinen Wanst anblickend, glaubte in die Hölle steigen zu müssen. Er bat, er flehte, er beschwor, aber umsonst; die dicke, römisch-katholische Maschine mußte sich an der Leiter emporwinden. Er rief nach Ironius, dieser schrie: »Voran!« Sir Thomas stöhnte, rief die Heiligen an, und blieb in der Mitte der Leiter in Todesangst angeklammert stehen. Alles ermunterte, Alles trieb ihn vorwärts, da unternahm er's. Doch er blieb vor Entsetzen wie erstarrt, als er das enge Loch erblickte, wodurch er in den Knopf emporkriechen sollte. »Nein, es ist unmöglich«, rief er, »ich kann nicht durchkommen; helft mir, um Gotteswillen, helft mir hinab.« Henry ergriff ihn bei'm Arme, und zog, Thomas keuchte, er schlüpfte mit dem Kopf hinein, und siehe, er stak mit dem Leibe halb innen, halb außen, auf der Kirche St. Petri, fünfthalbhundert[445] Fuß über der Tiber, und glaubte weder vorwärts, noch rückwärts zu können.

Es erscholl ein wildes Gelächter, unten und oben, aber unser dicker Herr fing an ganz jämmerlich zu schreien, so daß die Sache bald ernster wurde. Freilich konnte man's weder denen, die im Knopfe saßen, und Kopf, Arme und den halben irischen Rumpf sahen, noch denen verargen, die an der Leiter unten standen, und die Füße betrachteten, wenn sie glaubten, in ihrem Leben noch nichts Komischeres erfahren zu haben. Aber die Bitten, Beschwörungen, endlich die Stoßgebete des frommen Christen zeigten nur zu deutlich, in welcher verzweifelten Lage er sich befand, und so machte man sich denn mit Eifer an's Werk, der Fleischmasse vorwärts oder rückwärts zu helfen. Man zog, man schob, man drückte, aber umsonst. Ironius glaubte, daß eine plötzliche, hastige Bewegung Alles tun könne, und kneipte den alten Herrn darum so derb in die Posteriora, daß er schrie. Aber er blieb unbeweglich stecken.

Man beriet sich, denn der Arme fühlte sich immer übler in diesem Engpaß. »Einen Beichtvater, bringt mir einen Beichtvater, ich bin des Todes!« erscholl's in die Kupferhöhle hinein. »O Maria sanctissima – Atem – Atem!«

Ironius sagte unten: »Es ist wirklich ein bedenklicher Fall! Wenn er wenigstens nur einen Arm herausbrächte. Sir Thomas, versuchen Sie's doch, den rechten Arm heraus!« rief er hinauf.

»O Maria sanctissima, es ist ja unmöglich, ich kann mich ja nicht bewegen –«

»So bleibt uns nichts übrig«, begann Ironius, »als einen Chirurgen zu holen.«

»Ach Maria, heilige Maria, Mutter Gottes, lieber einen Beichtvater, ich ersticke –«

Die Damen jammerten, der Lord sah seinen eigenen Wanst an, und seufzte: »Der arme Sir Thomas – ich kann mir's vorstellen, wie's ihm ist!«

Indem wurde Sir Thomas mit äußerster Gewalt von oben ergriffen, er tat einen Schrei, und lag atemlos im Knopfe.

»Gott sei gedankt!« ertönte es von allen Seiten; »aber wie bringt man ihn wieder heraus?«

Der Lord war freilich um keinen Preis der Erde mehr zu dem entsetzlichen Klettern zu bewegen. Ironius stieg hinauf.

»Also acht!« rief die Lady.[446]

»Nein«, antwortete Ironius, »Vasi hat nicht auf so beleibte Herren, wie Sir Thomas gerechnet, wenn er sagte, daß hier sechszehn Platz haben; in der Tat, wir sind zu neun oder zehn.« Nun traf die Reihe also die verschämten Damen, und die ganze Rundung des Knopfes war voll, Alle saßen oben, bis auf den Lord und die Kinderchen.

Da wurde denn – »Großartigster und sonderbarster Moment meines Lebens!« rief die Lady aus – da wurde denn der Tee emporgereicht, und die Schöpferin dieses köstlichen Augenblicks pries man allgemein. Man reichte die Tassen herum, es wechselte von Einem zum Andern, die Miß nahm das vertrackte Büchelchen heraus, das uns so neugierig macht.

»Gott!« brach Henry aus, »über allen Türmen und Kuppeln, Obelisken und Säulen, über allen Bergen und Hügeln des dritthalbtausendjährigen Roms, und sie« – dachte er hinzu – »und sie sieht in dieser Minute nicht mit namenloser Empfindung nach dem Punkte, worin ihr Anbeter, ihr Geliebter verborgen ist!«

»Das heißt«, sagte Ironius, »Nektar und Ambrosia recht eigentlich im Himmel genießen! Und sind wir nicht gleich Göttern? Sir Thomas gäbe einen Jupiter ab, Mylady eine Juno, Miß Rebecca eine Minerva, der Herr Kapitän einen Mars, und so fort. Ist es nicht ein Vergnügen hier zu sein, Sir Thomas?«

»O sehr schön«, rief er, »ganz schön, ausnehmend schön.« Aber innerlich schauderte er noch vor der Qual des höllischen Zustands in dem Loch, dabei hatte er die höchste Angst vor dem niederplatzenden Regen, er glaubte, der Wind könnte, wie dem Herrn Onkel den Hut, so auch der Kuppel ihren Knopf wegführen, und zudem war in diesem vollgedrängten Raume, wo unsere Gesellschaft, gleich den Negern im Schiffe, zusammengepackt lag, eine so unausstehliche Hitze, daß der Irländer endlich ausrief: »Ich kann nicht mehr! ich kann nicht mehr!«

Man kann nicht behaupten, daß er in Ohnmacht fiel, denn fallen konnte er nicht, aber er rutschte doch in Ohnmacht, das heißt, mit dem Rücken an der Kupferwölbung des Knopfs hinab! Unsere Britinnen schrieen Hülfe, man geriet in Verzweiflung! Wie sollte man den armen dickwanstigen Thomas durch's Knopfloch, und wie die Treppe hinabbringen?

»Hinaus! hinaus!« rief Ironius, »Alles hinaus, er muß wieder zu sich selbst kommen!«[447]

»Gott sei gelobt«, fiel die Lady ein, »ich habe Rebecca's Tropfen bei mir!« Sie ließ sie zurück, sie stieg hinab, die Andern folgten, und unser Ironius verweilte bei seinem Freunde, indem er ihn aufknöpfte, mit dem über die Leiter heraufgereichten Wasser bestrich, und den Spiritus vor seine rote Weinnase hielt!

Man lamentierte unten, aber Henry meinte, es sei doch nichts Gefährliches, und Mancher würd' ihn darum beneiden, im Knopf der St. Peterskirche zu Rom ohnmächtig zu werden. Wenn er nur erst wieder heraus wäre!

Unterdessen war die Dämmerung gekommen, und der Custode drängte. Noch hörte der Regen nicht auf, von ganz Rom sah man nichts als die Säulen-Kreise des Portikus.

Endlich rief Ironius herab: »Er ist bei sich! es geht besser.« Der Onkel fluchte, und kam auf den Gedanken, daß es eine Narrheit sei, in diesem Knopf zu Funfzehn einen Tee zu trinken; er zählte an den Fingern, er rechnete, stampfte vor Wut auf den Boden, und antwortete auf alle Fragen: »Morgen geh' ich nach Neapel.«

Jetzt wurde der unglückliche Sir Thomas herabspediert. Es ging wider Vermuten gut, weil er mit dem Arme sogleich in's Loch kam, und die Masse überhaupt etwas zusammengesunken zu sein schien. Er langte glücklich, wiewohl schweratmend unten an. Der Tag war zu Ende, und die Glocken Roms läuteten in hundertstimmiger Melodie Ave Maria.

Schnell nahm man das Geräte zusammen und trat die Rückreise an. Es währte wohl eine Viertelstunde, es kostete mehr als einen Piaster, bis die mißvergnügte Karawane hinabkam. »Endlich der letzte Taugenichts, der letzte Bandit«, rief der Onkel, als man sie durch die Türe in die Peterskirche hineinließ. Aber er hatte sich geirrt. Das Tor St. Peters war geschlossen.

Man starrte sich an, ob es gleich Nacht war. In diesem Augenblick konnte man wirklich glauben, daß sich das finstere Gewölbe über den gigantischen Pilastern, daß sich der furchtbare Kreis der Kuppel, worin die tiefste Nacht hauste, über eine Welt ausbreite; der heitere Eindruck, den der wunderbare Bau bei Tag auf das Gemüt macht, so daß es einem in diesen glänzenden, goldenen Weiten, in diesen gemilderten Nähen und zauberischen Fernen recht im Innern wohl wird, und der Zweck der Künstler, welche die Riesenbasilike auftürmten, wenn er uns die Größe durch Harmonie der Verhältnisse wegtäuschen wollte, völlig in Erfüllung geht, dieser[448] Eindruck hätte sich jetzt in ein wirkliches Grausen verwandeln können. Aber unsere Briten hatten nur Sinn für ihre neue Verlegenheit – die Damen jammerten, der Onkel tobte, man dachte schon daran, hier übernachten zu müssen, als Ironius noch einen Pförtner durch Poltern und Rufen herbeizog, und die Karawane gegen ein bedeutendes Trinkgeld hinausgelassen wurde.

Jetzt aber, wie nach Hause kommen? Die Kutscher hatten sich in den Portikus geflüchtet; die Wagen hatten keine Decke. Man fand keinen Ausweg, als nach einigen Karossen für die Damen zu schicken. Das gab freilich wieder einen Aufschub von einer Stunde, weil hier um diese Zeit und bei solchem Wetter kein Wagen zu treffen ist; das veranlaßte freilich wieder bedeutende Kosten, die Kutscher forderten unverschämt, und wollten davon fahren, als man ihnen nicht drei Piaster für den Mann geben wollte. Aber man hatte der Unglücksfälle nun zu viele erlebt, das Warten machte Alle ungeduldig, man willigte ein, man fuhr fort, und gelangte endlich, die Herren tüchtig durchnäßt, der Onkel Kapitän, wie bekannt, ohne Hut, nach Hause.


Ein Uhr in der Nacht! Unsere britische Gesellschaft ist noch nicht auf dem Spanischen Platz angekommen, im Gegenteil wartet sie noch im Säulengang St. Peters, während Camilla schon am Fenster liegt. Der Vater ist in die Akademie der Arkadier gegangen, von der er selbst Mitglied und Schäfer ist, und darum will sich auch das Töchterchen eine Schäferstunde bereiten.

Warum entschuldigen? Genug, der Geliebte zeigt sich, sie winkt, er tritt in's Haus. So etwas ist keck für eine unverheiratete Römerin; aber was wagt nicht die Liebe? Sie empfängt ihn, zieht ihn leise in ihr Gemach. Der Jüngling sieht sie kopfschüttelnd an, und fragt: »Was macht dich endlich mir so geneigt, liebe Camilla? So unzähligemal hab' ich dich beschworen, nur um ein Viertelstündchen gebeten, und immer vergebens. Und jetzt?«

»Höre, Florindo«, versetzte die Römerin, ihn bei der Hand ergreifend und auf einen Sessel nötigend, indem sie sich ihm zur Seite setzt.

»Und was soll ich hören?« sprach der junge Mann. »Endlich die Gewißheit dessen, was ich seit Monaten fürchte? Du wirst ihm[449] deine Hand geben; ist's das, Camilla?«

»Höre mich an, liebes Herz«, antwortete sie, den Arm auf seine Schulter legend, »du weißt, wie ich dich liebe, dieser Augenblick gibt dir einen Beweis davon. Ich konnt' es nie wagen, jetzt hab' ich's getan. Wir können uns eine Viertelstunde ungestört sprechen.«

»Und der Engländer?«

»Der gute Junge, ich muß ihn bedauern. Und dennoch, Florindo –«

»Und dennoch, du wirst traurig!«

»Und dennoch muß ich ihn heiraten!«

»Der gute Junge«, fiel Florindo mit empfindlichem Spott ein, »du mußt ihn bedauern, und heiratest ihn? Welch' ein Mitleid, Camilla!«

»O lieber, lieber Freund, wie kann ich's abwenden? Ich lieb' ihn nicht, ich liebe nur dich. Aber der Vater – er hält's für mein größtes Glück, daß ich diesen Engländer heirate; der Reichtum hat ihn verblendet. Ich habe Alles, glaube mir, Alles angewendet, um ihn zum Mitleid zu bewegen. Ich habe geweint und gefleht, gezankt und gewütet, ich habe ihn versichert, daß er mich opfere, aber er ist unerbittlich, er droht mir mit dem Kloster, wenn ich mich widersetze. Und sage mir aufrichtig, liebes Herz«, setzte sie schmeichelnd, ihm die Wange streichelnd hinzu, »kannst du mich denn je heiraten? Hast du die Hoffnung, daß mein Vater einstimme? Du bist für deine Kunst nach Rom gekommen. Sie rühmen dein Talent, deine Fertigkeit, aber wenn es dir auch gelingt, im Lauf einiger Jahre dich so emporzuarbeiten, daß du ein Weib, daß du eine Familie ernähren kannst, glaubst du, daß mein Vater dir seine Tochter gäbe, nachdem sie die Hand eines reichen Engländers ausschlug? Nie, Florindo, nie! Ich muß mich opfern, dem Geiz des Vaters opfern, und Gott ist mein Zeuge, wie mir's schwer wird! Diese Lady, diese Rebecca, diese stolze verhaßte Familie, diese Britinnen sind mir in der Seele zuwider, und ich weiß, daß sie der Heirat entgegen, daß nur unsere Väter einig sind. Aber ist das nicht mehr als genug? Lieber Florindo –«

Sie hielt inne, ihr Gesicht verbergend, nach einer Weile fuhr sie fort: »So laß mich denn, mir ist nun einmal kein Glück bestimmt! Laß mich Henry heiraten! Du zürnst, du wütest, liebes Herz? Aber kann ich denn anders? Gib mir deine Hand! Sieh mich nicht mit diesen glutvoll drohenden Augen an! Ich bleibe die Deine! Gott vergebe mir's, ich bleib' es! Hörst du, Florindo, verstehst du? auch[450] wenn ich das Weib des Engländers bin, bleibst du meine einzige Liebe! Dann will ich all' deine Liebe belohnen, will dir nichts mehr versagen; ich verlasse Rom nicht, wir können uns täglich sehen! Begeh' ich eine Schuld, so haben's die zu verantworten, die mich nötigten dazu! Ich bin noch zu jung, um das Opfer des Geizes zu werden, und du bist so lieb, bist so schön, und bist mir so unsäglich teuer – nein, ich lasse dich nie, Florindo –«

Der junge Milaneser sah sie bitter an, und sprach: »Das ist römische Treue?«

Camilla ließ seine Hand, und blickte ihn fest an. »Wie sagst du, Florindo, was soll ich hören?«

»So hast du mich getäuscht?« rief der Geliebte. »O daß ich einer Römerin je vertraute!«

Bei diesen Worten sprang Camilla empor. Die Wut einer Furie flammte dem sechszehnjährigen Mädchen aus den Augen, ihr Angesicht glühte, sie runzelte die Stirn, und die Leidenschaft schien, einem Feuerquell vergleichbar, aus dem wildatmenden Busen in Kopf und Lippe zu steigen. »Und das sagst du mir?« rief sie mit funkelnden Augen, »Undankbarer, Wahnsinniger, mir, die ich dir mit so unendlichem Vertrauen, mit so brennender Liebe entgegenkam? mir, die ich dir mein Herz so offen, so ahnungslos ausschüttete, die ich Ruf, Ehre, Frieden, die Liebe meines Vaters auf's Spiel setze, um dich in meine Arme zu führen? Und du bist nur gekommen, um mich zu verhöhnen? Ach daß ich das nicht denken konnte! Du meiner spotten, anstatt mich zu beweinen, zu trösten, zu erheitern, mir zu danken? Welchen Anspruch kannst du auf mich machen, als den, welchen dir mein leichtgläubiges Herz gestattete? Was kannst du verlangen? Du könntest bereuen, einer Römerin vertraut zu haben? O Raserei, die mich verzehrt! Laß mich! komm mir nie mehr vor's Angesicht! Hoffe nie mehr ein Wort der Liebe! Hoffe nie mehr, mich betören, mich beschwatzen, mich versöhnen zu können! Sieh, dieses Herz hier schlug für dich, in dieser Brust loderte nur Liebe und Leidenschaft für dich, und dieses Herz hast du unverzeihlich beleidigt!«

Damit warf sie sich auf ein Sofa. Der Milaneser flog auf sie zu. »Vergib mir, teure, liebe Camilla, vergib mir! der Schmerz der Entsagung, der Schrecken des Verlustes, das Gefühl meiner Hoffnungslosigkeit hat mir jenes Wort aus der Lippe gepreßt! Ich habe nichts gedacht, nichts gewollt damit!«[451]

»Hinweg von mir«, rief die Rasende, »hinweg! Wir sehen uns nie wieder! Meine Geduld ist erschöpft, meine Täuschung zerronnen. Und wenn ich gefehlt, wenn ich gesündigt, daß ich deinen Bitten Gehör gab, daß ich deiner achtete, daß ich so blind sein konnte, dich an diesen Platz zu rufen, wer gibt dir das Recht, mich dafür zu strafen? Meine Schwäche, meine Liebe, meine Güte? Hoffe von jener, hoffe von dieser nichts mehr! Verlaß mich auf der Stelle, ich will dich nie wieder sehen, deine Worte bleiben ewig meinem Herz eingegraben!«

Florindo, in dem Gefühle, zu weit gegangen zu sein, wandte alle Beredsamkeit an, die ihm zu Gebote stand; er suchte ihre Hand zu ergreifen, sie stieß ihn von sich; er warf sich zu ihren Füßen, sie flog an's Fenster; er blieb zurück, selbst halb in Wut, halb in Reue über seine Worte.

Sie saß in einer Ecke, den Kopf auf die Hand gestützt, von ihm abgewandt, mit hochklopfender Brust. Keines sprach eine Silbe. Camilla schüttelte nur zuweilen den Kopf hin und her, mit dem Ausdruck zurückgepreßter Leidenschaft und verhaltenen Grimmes.

Zuletzt sagte sie vor sich hin: »Der gute Henry! ja, ich hab' ihm Unrecht getan! Es war eine Sünde, ihn diesem artigen, bescheidenen Herrn hier opfern zu wollen! Ich will's auch gewiß nicht tun! O, daß ich einer Römerin vertrauen konnte! Welch ein stolzes Wörtchen von jenem Mailänder! Wie allerliebst! wie fein und zärtlich! Er bildet sich vielleicht Etwas darauf ein, daß ich ihn hübsch nannte! Weil mir's so gefiel, weil mir's eben so in den Mund kam! Nichts anders! Nichts anders! Er möchte, daß ich ihn etwa so lustig weg in seiner Malerstube heirate! Er glaubt, daß man keine Pflicht gegen Vater und Verwandte habe. – O Wut!«

Dabei stampfte das wilde Kind auf den Boden, sah den Geliebten an und rief ziemlich unzärtlich: »Was tut Ihr denn noch hier? Was sucht Ihr hier, Signor Florindo? Warum geht Ihr denn nicht Eure Wege? Wer hält Euch zurück? Ihr wißt, daß Ihr nicht hier wohnt, daß bald Jemand zurückkehren wird, der Euch nicht hier treffen dürfte! Geht doch nur, geht und sucht Euch ein anderes Mädchen auf, das sich Alles von Euch gefallen läßt!«

Da raffte sich Florindo auf und eilte auf sie zu; er ergriff ihre Hand mit Gewalt; zehnmal riß sie sich los, und zehnmal faßt' er sie wieder. »Camilla«, rief er mit aller Süßigkeit seines Mundes, »Camilla, du heißest mich gehen?«[452]

»Laßt mich, laßt mich, Ihr habt gehört, was ich sagte!«

»Und du bist mir nicht mehr gut, es ist dein Ernst?«

»O schön, ob es mein Ernst ist! Als ob ich scherzte, als ob man seine Worte vergessen, als ob man sich nur so verachten lassen könnte!«

Der Milaneser versuchte jetzt in strömender Rede, in der Sprache der feurigsten Leidenschaft, die starrsinnige Schöne zu besänftigen; er schilderte seine Reue, seine Verzweiflung, er bat, er flehte, er beschwor, er warf sich ihr zu Füßen, und sie erwiderte nichts, als: »Verlaßt mich!«

Da ließ Florindo, dem das Blut zu wallen anhub, ihre Hand los und stieß Worte der Wut und des Zornes aus.

»Ach, seht doch«, rief jetzt die Boshafte, die sich in ihrer Rache nicht sättigen konnte, »seht doch, wie köstlich! Er gerät noch in Zorn! er hat Recht! Wer hat ihm Unrecht getan? Ja der Zorn steht ihm gut, wie kleidet er artig diesem Gesicht!«

»Camilla«, schrie Florindo, »du bringst mich zum Äußersten! du bist eine grausame, rachsüchtige Seele –« Er wollte weiter sprechen, da stockte sein Mund, vielleicht, weil ihn der Blick auf das reizende Kind verwirrte, weil ihr unwiderstehliches Bild sein Herz in neuen Flammen aufschürte!

»Lebe wohl, Camilla«, sagte er leise, sich zu ihr hinabsenkend. »Du siehst mich nicht mehr an? Du hast beschlossen, mich zu verderben? O liebes Herz, sieh mir nur einmal noch in's Auge!«

Sie schwieg. »Camilla, lebe wohl!« seufzte der Geliebte und wollte gehen. Schon war er an der Türe; noch einmal wandte er und kehrte sich um. Sie richtete den Kopf auf und sah ihn an, und wilde, heiße Feuchtigkeit brannte und strahlte in ihren schwarzen Augen.

»Camilla, so –« flüsterte Florindo, »so ließest du mich scheiden?« Er schwieg. Sie blickten sich lange stumm an, und es quoll voller aus dem Auge, ob's die Tränen wohl erdrücken wollte.

Da raste sie auf; da flog sie mit offenen Armen auf ihn zu; da umschlang sie ihn mit wütender Kraft und preßte ihn an sich, und faßte ihn, wie eine Rasende bei beiden Schläfen, und bedeckte ihn mit bacchantischen Küssen.

»Du hast mir vergeben?« rief Florindo, in der Umarmung dieser feurigen Römerin taumelnd.

»Alles vergeben, mein Florindo, Alles, du Licht meiner Augen!«[453] stöhnte das wilde Kind an seinen Lippen. »Ich bin die Deine!«

Aber Florindo mußte jetzt fort; der Vater kam aus der Schäferakademie und da war denn des Bleibens nicht mehr. Man trennte sich mit dem Versprechen, sich morgen zu schreiben und den Genuß der Versöhnung brieflich fortzusetzen.

So sind die Italienerinnen, und so im Grunde die Weiber überhaupt. Doch nein, die Engländerinnen nicht! Dies wird sich zeigen, wenn wir nun erfahren, was Miß Rebecca in das Stammbüchlein auf der Peterskuppel geschrieben.

Von einem Liebesgeheimnis zum andern! Also nur gewagt. Die Familie sitzt zu Tische. Stehlen wir uns in's Gemach der Miß, in jener Kommode muß es sein; der Schlüssel steckt; wir öffnen leise; was finden wir? Spitzenkragen, Häubchen, Halstücher, Yorick's sentimentale Reisen, das berühmte Ölbild vom Colosseum, ein Riechfläschchen und das heißersehnte Büchelchen!

Armes, betrogenes Kind, wüßtest du, mit welcher Wißgier wir uns über deine zarten Geheimnisse hermachen, wie wir sie verschlingen, wie wir bereit sind, etwas daraus abzuschreiben, und – in Berlin drucken zu lassen! Aber geschwind! was ist hier? »Gedanken auf dem Dom in Florenz«. – Weiter! »Gedanken bei'm Anblick St. Peters«. Weiter! Nichts als Gedan ken! und hier gar »Nachtgedanken«? Das wäre doch interessant, die Nachtgedanken eines so allerliebsten Kindes zu wissen! Aber weiter! Hier gar »Empfindungen«! »Empfindungen auf der Peterskuppel«!

Gefunden! Und nun laßt uns sehen!

»O Yorick! welchen erhab'nern Ort fände meine Seele, an dich zu denken, als die Kuppel St. Peters? Ich schaue über Rom hin; das Höchste des Erdballs, alle Größe der Vorwelt, alle Trümmer ihrer Weltherrschaft liegen mir zu Füßen! Ja, ich bin selbst dem Himmel näher, als der Statthalter Christi, dessen Paläste dort unter mir sich erheben! Kein Standpunkt, bis in's Gebirg' hinüber, der sich mit dem meinigen messen könnte! Welche Gefühle beginnen in mir sich zu regen! Ein Gewitter zieht von Alba Longa herüber. Das Capitol verschwindet unter mir! So klein ist die Vorzeit, von der Höhe der Mitwelt aus betrachtet! Aber was ist alle diese Herrlichkeit gegen die Schönheit einer Seele, gegen die Harmonie eines geistigen Zusammenlebens? Ich wende das Blatt um und bestreue es anstatt mit Sand – mit der Asche eines alten Römers, vielleicht eines Triumphators! – Noch weilst du ferne, wenige Tage und der[454] schöne Zauber ist verschwunden, der die Liebe verklärt, so lange die Körper getrennt sind! Lieber Yorick, wir sollten uns eher aus der Ferne trauen lassen, wir sollten unsere Seelen vermählen, uns nie körperlich sehen, uns ewig im Geiste verehren! Was denkst du dazu? Schon ist der Tag des Festes nahe, da wir gezwungen sind, uns mit leiblichen Augen anzuschauen! Könnte jene Stunde die letzte sein? O die Gegenwart, der tägliche Umgang ist etwas Gemeines, Unerträgliches! Uns mit der Seele vermählen, Yorick, das ist ein Gedanke, dieses Platzes würdig, auf dem ich zu dir rede! Laß uns, wenn wir –«

Doch still, ein Geräusch; zu mit dem Büchlein, und hinein in die Kommode, wir haben genug, mehr als genug, und gucken in unserm Leben keiner Rebecca mehr in's Tagebuch!

Lieber verweilen wir noch einige Momente bei Sir Thomas, welcher diesen Abend besonders freundlich von der hübschen Plebejerin empfangen worden. Da er jedoch in seinem Englisch-Italienisch von der Tour auf die Peterskuppel zu erzählen anhub, wollte der anmutige Schalk kein Ende im Lachen finden. Dafür rächte sich der schlaue Thomas auch auf eine pfiffige Weise, indem er sich in Bereitschaft setzte, den Entschluß auszuführen, den er gestern Nacht vor dem Einschlafen auf dem Sofa gefaßt hatte, nämlich, zu versuchen, ob es ihm nicht gelänge, dem Kinde ein wenig die Wange zu streicheln.

Indem kam ihm aber das Niesen so heftig, daß er an die Kommode gehen und ein Schnupftuch holen mußte. Rosa sah' hinein, und warf einen lüsternen Blick auf die feinen seidenen Tücher des Irländers. »Oh«, rief sie, »wenn ich doch solch' ein Paar Schnupftücher hätte! Gerade solche wollt' ich mir schon lange kaufen, und habe sie nirgends gefunden. Würden Sie denn nicht ein Paar verkaufen, Signor Thomas?«

»Liebes Kind«, antwortete er lächelnd und blinzelnd, »ich treibe keinen Handel mit meinen Tüchern!«

»Ei nun, Signor Thomas«, sagte Rosa nun schmeichelnd und ihn bei'm Arm ergreifend, »so schenkt mir's doch!«

»Man kann dir auch nicht widerstehen«, antwortete der Irländer. »Hier hast du zwei!«

»Aber, Sir Thomas, Ihr habt ja noch so viele, wenn Ihr mir –« Dabei schlug sie ihn zutraulich auf die Schulter.

»Du Schelm! nun denn, hier ist ein anderes Paar, aber jetzt –«[455]

»Ach guter, lieber Herr Thomas, nun fehlen mir gerade noch zwei zu einem halben Dutzend! Wollt Ihr nicht? Ihr seid so ein artiger, liebenswürdiger Herr –«

»Tausend! du bist ja nicht zu ersättigen, Mädchen! Hier ein Halbdutzend; bist du zufrieden?«

»O freilich, Sir Thomas, ich dank' Euch gar schön, Ihr habt ein Engelsherz!«

»Meinst du?« schmunzelte er, in diesem Moment die Hände gegen sie ausreckend, und die sanften Wangen glücklich erreichend.

»Aber nun muß ich fort!« rief Rosa; »ich dank' Euch, bester, süßester Herr Thomas! Gute Nacht.« Damit flog sie davon, und der Abendwein wurde sofort mit Behagen eingeschlürft, indem der alte Herr in der Tat etwas liebes- und siegestrunken war, und in dieser köstlichen Ruhe nicht mehr an den Schweiß der Peterstour, an die Leiterpartie, an die Ohnmacht im Knopfe dachte.


Der Lord M... empfing täglich eine Visite des Herrn Mognaschi, des Vaters unserer schönen Camilla, und Beide waren eins, ihre Kinder zu vermählen. Wie wir aber schon wissen, so konnten die Lady und die Miß die Italienerin schlechterdings nicht ertragen, und die letzte große Abendgesellschaft hatte diesen Widerwillen auf's Höchste gesteigert, sei es, daß sie neidisch waren, oder daß sich Camilla wenig um sie bekümmerte, oder daß sie wirklich Gründe hatten, zu glauben, sie sei einer so engen Einverleibung in ihre Familie unwürdig. Genug, während die Väter beschlossen, daß die Sache vor der Abreise des Lords, welche auf den Tag nach dem St. Peter- und Paulsfest unwiderruflich festgesetzt war, in Richtigkeit gebracht werden solle, während der Vater Henry's, den wir bereits als einen höchst gutmütigen, nicht leicht affizierbaren Mann kennen, die Hoffnung hatte, an jenem Tage Sohn und Tochter mit einer Ehehälfte versorgt zu sehen, indem Miß Rebecca's Bräutigam alle Tage erwartet wurde, während Henry den Kopf voll phantastischer und barocker Liebesphantasien hatte, und Camillen nur zürnte, daß sie seine schwärmerische Liebe durch ihre Kaltblütigkeit, durch ihre Heiratsgespräche so tief in's Alltägliche und Wirkliche herabziehe, beschlossen unsere beiden Britinnen, diese Verbindung des edeln Henry mit einer so unausstehlichen[456] Person auf alle mögliche Weise zu hintertreiben.

Noch glühte Henry vor Unmut über den öffentlichen Gesang in der Teegesellschaft, und er äußerte sich den Morgen nach der Petersreise, wo er Camillen die Aufwartung machte, sehr beleidigt darüber. »So könnt' es Ihnen«, sagte er, »am Ende noch einfallen, auf dem Theater zu singen!«

»Und was hätten Sie dagegen?« fiel Camilla schnell ein.

Aber ihr Vater strafte sie mit harten Worten, indem er sie eine Närrin nannte, welche mit ihrem eigensinnigen Trotzkopf gegen ihr Glück anrenne, und sie ermahnte, dem Bräutigam in allen Stücken zu folgen.

Camilla hatte Mühe, sich zurückzuhalten. Der Vater ließ sie allein, und sie fragte: »Sie waren gestern also auf der St. Peterskuppel?«

Henry erzählte die Abenteuer und Unglücksfälle dieser Luftreise, und Camilla glaubte vor Lachen ersticken zu müssen. »Einen Tee auf der Peterskuppel trinken!« rief sie unaufhörlich, und als Henry der ungemeinen Kosten erwähnte, welche ihm diese Tour verbittert, so sprang die Italienerin vom Sitz auf, und drehte sich mit schallendem Gelächter im Kreise herum. »Wahrlich«, rief sie, »das heißt auf gut Englisch bezahlen!«

Wie erstaunte Henry, als er hörte, daß man gewöhnlich diese ganze Reise mit einigen Paoli mache, daß nur ein einziger Custode zu bezahlen sei, während unserer britischen Karawane weiß der Himmel wie viele erschienen!

Nur die Rücksicht für Camilla hielt ihn ab, auf die ganze Nation zu schimpfen, und da er doch nur ausgelacht wurde, so hielt er's für besser, von etwas Anderm zu reden.

Er erzählte, daß Rebecca's Bräutigam alle Tage erwartet werde, und daß die Schwester so glücklich in dieser spirituösen Liebe sei, welche auf eben so sentimentale Weise erwidert werde. »Meine Schwester«, sagte er, »schreibt ein Tagebuch für ihren Geliebten, sie hat keinen Gedanken, den sie nicht sogleich für ihn dem Papier anvertraute, und Sie, schöne Camilla, haben mir noch nicht ein einzigmal geschrieben!«

»Ich versprech' Ihnen, es zu tun«, versetzte Camilla grausamer Weise, »wenn Sie mir recht ferne bleiben.«

»Wie so, Camilla?« fragte der Engländer bestürzt.

»Ei nun, wie kann ich Ihnen denn schreiben, wenn ich Sie alle[457] Tage sehe? Was sollt' ich Ihnen denn sagen?« Henry seufzte.

»Aber, Camilla, wann hören Sie denn endlich auf, mich zu martern? Erklären Sie sich mir doch! In einem Brief erklären Sie sich! O ein Brief von Ihnen wäre mir Seligkeit; ein italienischer Brief –«

»So will ich mich ja erklären, und jetzt –«

»O nicht jetzt, nicht jetzt, in einem Briefe, in der Sprache der Leidenschaft, der Poesie –«

»O guter Himmel, wie sind Sie kurios, Signor Enrico! Ich will Sie heiraten! Hier haben Sie meine Erklärung!«

»Gott, es ist nicht möglich«, rief Henry, »ich bin der unglücklichste Mensch auf Erden!«

»Ei wie schön!« fiel Camilla ein, »ei wie schön! – Sie sind der unglücklichste Mensch, weil ich Sie heirate? So will ich Sie zum glücklichsten machen, und Sie nicht heiraten!«

Damit kehrte sie ihm den Rücken und ergriff ein Notenheft, indem sie darin blätterte, als ob sie allein wäre.

Der Engländer wußte nichts mehr zu sprechen, und Camilla sagte vor sich hin: »Das ist eine wunderzarte Arie! O wie allerliebst! Die muß ich doch einmal im Palast Giustiniani singen. In einer Woche kommt die Philharmonica zusammen.«

»Camilla, Sie plagen mich zum Entsetzen!«

»Die wird gewiß gefallen, allgemein gefallen! Signor Enrico, wenn Sie ein Billet wollen, der Vater wird Ihnen eines verschaffen!«

Henry ergriff ihre Hand in Verzweiflung, aber sie fuhr fort: »Ohnedies hab' ich schon lange nicht mehr in Giustiniani gesungen, und sie haben mich so oft darum gebeten.«

Indem trat der Vater herein. Camilla legte das Notenblatt auf den Tisch, kehrte sich gegen Henry um, und fragte, die Hände in den Schoß legend: »Was begehren Sie, Signor Enrico?«

Der arme Brite war in peinlicher Verlegenheit; beinahe wär' er aus seiner idealen Höhe herab in die Sprache des Volks gefallen und hätte zu sich gesagt: »Die hat den Teufel im Leibe!« Verwirrt stand er auf, und sagte: »Signora ist heute bei übler Laune!«

»Nicht doch«, rief Camilla, ebenfalls mit Lachen aufspringend, »Sie sind es vielmehr, und es kommt noch von Ihrem gestrigen Unglück her! Geschwind sagen Sie, hab' ich unterdessen, während der Vater fort war, nicht Alles aufgeboten, um Sie zu erheitern, um Sie vergnügt zu stimmen?«

»Nun ja, ja doch«, stammelte Henry.[458]

»Sehen Sie, Vater, er muß es selbst gestehen! Er hat einen bösen Humor!« Der Engländer stockte, er nahm den Hut, er empfahl sich, und Camilla rief mit einer tiefen Verneigung: »Ich habe die Ehre – Signor Enrico – empfehlen Sie mich doch der Frau Mutter und der liebenswürdigen Schwester!«

Henry schied und mußte auf der Treppe ausrufen: »O wie wird das noch enden!«

Sir Thomas hatte einen viel vergnügtern Morgen, und er hatte auch Grund dazu, da er gestern Abend ja so glücklich in der Liebe gewesen. Nachdem er ein gutes Frühstück von etlichen Eiern, einem Beefsteak und einer Flasche Orvieto zu sich genommen, und die Messe gehört hatte, machte er mit seinem so hoch geschätzten Freund Ironius einen Spaziergang in das alte Rom, an's Colosseum, auf's Campo Vaccino. Jener erklärte ihm die vielen Überbleibsel des Altertums, worin der Irländer eben nicht gar bewandert schien, und erzählte ihm, daß das Colosseum ein uraltes Gebäude sei, worin einst zu Heidenzeiten, vor und nach Christi Geburt, die Märtyrer und Heiligen, wie heut' zu Tage die Schweine, par force gejagt worden. »Aber stellen Sie sich vor«, setzte er hinzu, »dieser entsetzliche heidnische Koloß hat sich nun, so groß er ist, zum rechten Glauben bekehrt und ist katholisch geworden. Lassen Sie uns hineintreten!«

Damit führte er Sir Thomas in's Innere und man küßte das Kruzifix mit äußerster Andacht. »Ist das nicht eine unermeßlich große Ruine der Vorwelt?« fragte er.

»Ach, groß«, war die Antwort, »ganz groß, außerordentlich groß!«

Bei'm Heraustreten besah man die neuen Ausgrabungen unter dem Venustempel, zur Auffindung der alten Via Sacra, die entdeckten Gräber, die vielen Gebeine, und als sich Thomas sehr darüber verwunderte, bemerkte Ironius: »Ach Sie werden sich noch mehr verwundern, wenn Sie mich anhören! Wissen Sie, daß man sie wirklich gefunden hat?«

»Was denn gefunden, was denn?«

»Ei, was man schon seit Jahrhunderten gesucht, worüber sich schon Millionen Gelehrte, besonders englische, den Kopf zerbrochen, was man vergebens aus lateinischen und griechischen, heidnischen und christlichen Klassikern herauszubringen strebte –«

»Und das wäre?« fragte Sir Thomas voll Neugier.[459]

»Das sind Cicero's Gebeine –«

»Der Tausend, das wäre!«

»Sein ganzes Skelett, den ganzen Cicero de natura deorum!«

»De natura deorum? – Der Teufel! aber wie hat man ihn denn erkannt?«

»Das ist eben das Wunderbarste! Er ist es unverkennbar, und die Kenner der Anatomie haben noch die Beschaffenheit seiner Nase untersucht! Sie wissen, daß die ganze Christenheit Bedauern hatte, weil die Seele des trefflichen Mannes in die Hölle sollte!«

»Very well, very well!«

»Nun hat sich ein Franziskaner entschlossen, durch eine übermenschliche Buße diese Seele zu retten. Er geißelte sich zwanzig Jahre lang, dreimal des Tages –«

»Entsetzlich!«

»Und endlich hatte der Herr Erbarmen mit seinem Verehrer, er nahm die Seele des Heiden aus dem Fegfeuer; sie erschien dem Franziskaner und zeigte ihm den Ort, wo ihr Leib begraben liege. Man grub, man fand das Skelett, und in der darauf folgenden Nacht richtete er sich durch das anhaltende Gebet des Kapuziners auf, indem er sprach: ›Quousque tandem‹ – doch das Latein ist Ihnen vielleicht nicht mehr geläufig – ›wie weit wird endlich noch sich Eure Liebe erstrecken!‹ Er redete noch Vieles; er wurde getauft, in einer christlichen Kirche begraben, und man liest nun so viel Totenmessen für ihn, als Sekunden seit seinem Abscheiden vergangen.«

Darüber verwunderte sich Sir Thomas über die Maßen, und schätzte sich glücklich, in einer Zeit geboren zu sein, wo ein solches unerhörtes Wunder geschehen. Man sprach noch lange davon, bis er an einem Triumphbogen anhielt und fragte, was denn das S.P.Q.R. zu bedeuten hätte? »Das ist eine Satyre«, antwortete Ironius, »auf die Römerinnen und will heißen: Sono puttane queste Romane!«

Die vielen Tempel und antiken Palast-Ruinen um den Palatin her, weckten Erinnerungen in Menge aus dem Altertum, zwar nicht in Sir Thomas, doch in Ironius, der seinem aufmerksamen Begleiter die seltsamsten Dinge erzählte, und ihn überall bemerken ließ, wie das Christentum an Ausbreitung gewinne, und die Heidentempel umher alle katholisch geworden seien.

Zuletzt fragte Thomas: »Ich wäre doch neugierig, zu wissen, ob[460] denn zu alten Römerzeiten auch so viel Engländer nach Rom gekommen?«

»Nein«, antwortete Ironius, »damals war's umgekehrt, damals kamen die Römer nach England.«

Unter solchen interessanten Gesprächen erinnerte man sich, daß der Mittag herangekommen, und man ging in's bewohnte Rom, aß auf dem Spanischen Platz und verfügte sich zu Lord M..., mit dessen Familie man in den Vatikan zu gehen beschlossen hatte.

Es kostete Mühe, den Lord zur Teilnahme zu bewegen. Nur die Versicherung des Herrn Ironius, daß dies die Hauptmerkwürdigkeit Roms sei, und die Beipflichtung Henry's, welcher schon zweimal seit seinem einjährigen Aufenthalt im Museum gewesen, so wie die begeisterte Wißbegier Rebecca's, vermochte ihn dazu. Man griff nach Sonnenschirm, dem Wegweiser, der Brille, und der Onkel Kapitän erhob sich vor Erstaunen auf den Zehen, als er hörte, daß man diesmal unentgeltlich durchkommen werde.

So ging es denn also wieder dem St. Peter zu, und man erinnerte sich mit verschiedenen Empfindungen an die Abenteuer, die man bei seinem Ersteigen erlebte. Besonders der Irländer sah mit heimlichem Grauen zu dem kleinen Punkt hinauf, worin er ohnmächtig geworden und dachte mit Seelenangst an den schrecklichen Zustand, in dem er zwischen Himmel und Erde, mit seinem Wanst im Knopfloch steckte.

Ironius führte, wie gewöhnlich. Als man an der Säulenhalle ausstieg, welche gegen die Treppe des Bernini führt, schlug Miß Rebecca den Nibby auf und rief voll Verwunderung: »Ach liebe Mutter, sehen sie doch, das ist ja erschrecklich!«

»Nun was denn?« fragte diese besorgt.

»Ei«, antwortete das englische Kind, »wir haben ja fürchterlich viel im Vatikan zu sehen! wie kann man denn da auf einmal fertig werden?«

Ironius versetzte, daß man sich ja nirgends verweilen, sondern nur im Fluge vorüberlaufen müsse.

Zuerst kaufte man denn einige Exemplare des Verzeichnisses aller vatikanischen Kunstwerke, und Rebecca verlangte, daß man zu oberst bei der Gemäldegalerie anfangen solle, weil sie im Verzeichnis das Letzte sei. Man folgte, man stieg empor, man trat in die Säle.

Jetzt schnell mit Nibby und Vasi heraus, die Brille ruhte schon[461] längst auf den Nasen der Damen, selbst auf Rebecca's Näschen, und diese, als die Gelehrteste, sollte die Namen der Maler aus dem Buche nennen. Also hurtig: »Raffael, Perugino, Fiesole, Tizian, Garofalo.« Man hatte sie gehört, also auch gesehen und ging weiter. »Hier«, rief Rebecca, »das Meisterwerk des großen Raffael, die ›Verklärung‹ –« die Nummern an den Gemälden fehlten, und man wußte nicht, welches von den drei hier befindlichen Tableaus das rechte sei. Man fragte einen Kopisten. »Dies dort«, antwortete er. »Dies dort«, erscholl's unter den Engländern, und nun weiter. »Domenichino, Tizian!« Damit hatte man auch den zweiten Saal gesehen. Im dritten zwitschert' es bereits; ein Dutzend Briten und Britinnen mit ihren Büchern lief herum, und Alles war voll von »what, what, what!« wie Camilla gesagt hätte. In einer Viertelstunde hatte man alle fünf Säle durchwandert, und Ironius konnte nicht anders, er mußte sagen: »Auf diese Weise kommen wir zum Zweck und werden bald fertig sein.«

Man ging also zurück, und als man in den ersten Saal gekommen war, fiel ihnen auf, daß ein junger Mensch in schwarzem, kurzen Rock, mit Schnurrbart und langem blonden Haar, ein ganz kleines Gemäldchen kopierte. Die wißbegierige Miß ersah aus dem Katalog, daß es vom unschätzbaren Fra Giovanni da Fiesole war; aber sie konnte nicht begreifen, daß es der sonderbar gekleidete Mensch so fleißig kopierte, indem es ihr bedünken wollte, daß es doch gar nicht hübsch, sondern recht steif und närrisch sei. Sie bat also Ironius, ihn zu fragen, und dieser tat es.

Der Maler wandte sich um und sah die Umstehenden mit derselben Miene an, wie etwa ein frommer Eremit in der Wüste, den man fragte, warum er die Madonna und das Kruzifix anbete?

»Darf ich fragen«, hub Henry an, »von welcher Nation Sie sind?«

Der Maler antwortete: »Ich bin ein Deutscher.«

Ironius sprach: »Sie tun wohl recht gut daran, von den vielen Kunstschätzen in diesen Sälen sich eben dieses Bildchen des frommen Klosterbruders zum Studium auszuwählen. Auch ich verehr' ihn mit kindlicher Liebe und halte das kleine Ding hier, so unscheinbar es ist, für eines der schönsten Bilder von allen.«

»Ach«, rief der Deutsche, »nicht bloß das, sondern geradezu für das allerschönste!«

»Aber Raffaels ›Verklärung‹ –«[462]

»Was ist sie gegen diesen Fiesole – sehen Sie – doch Sie erlauben, daß ich deutsch rede, denn im Italienischen weiß ich mich noch nicht recht auszudrücken, und diese Sprache ermangelt auch der Redensarten, welche allein hinreichend sind, das Überschwängliche anzudeuten, welches wir Deutsche in der alten Schule, und besonders in Fiesole finden. Dies ist der wahre Seelenmaler, der Maler der Andacht, der Religion. Wie er lebte, so malte er, aus allen seinen Köpfen und Kompositionen erkennt man sein englisches Herz. Die Kunst ist die Dienerin der Religion, beide haben nur Einen Gegenstand, das Göttliche, das Unsichtbare, und dieses soll auch der Maler allein darstellen. Das Höchste soll er in uns wecken, ein unsägliches Ahnen und Fühlen, wir sollen uns in seinem Bilde gleichsam der Gottheit angenähert fühlen, seine Figuren müssen darum voll namenloser Demut und Frömmigkeit, voll unaussprechlicher Hingebung aus der Seele heraus gemalt werden. Glauben Sie, das kann man nur ahnen, nicht sagen. Aber der Künstler strebt in heiliger Glut diesem übersinnlichen Ziel entgegen; ich meine, der wahre Künstler!«

»Aber Raffaels ›Verklärung‹ –«

»Hat vielen Wert, und ist doch im Grunde ein künstlerisches Nichts; denn sie ist ohne Religion. Welch' ein moderner, üppiger, lasziver Stil! welche Koketterie! welche sinnliche Formen! Sehen Sie den Herrn an, mit welcher unwürdigen Grazie schwebt er gen Himmel! Nein, da kehr' ich mein Auge wieder voll stiller Sehnsucht Fiesole zu; diese Köpfe sind christlich.«

»Ja es ist wahr! aber sagen Sie mir doch, erkennen Sie nicht an, daß die Kunst zu jener Zeit –«

»O stille, lieber Herr! versündigen Sie sich nicht. Damals war die Kunst in ihrem goldenen Zeitalter –«

»Aber etwas steif sind doch –«

»Steif? Gott, welche himmlische, gemütliche Steifheit! Welche Einfalt! so waren die Menschen im Zustande der Unschuld, vor dem Sündenfalle; so bückten sie sich vor Gott! Das Knie ist dem Menschen nur zum Fußfall vor dem Heiligen gegeben. Diese Steifheit fiesolanischer Frommer ist die Körperform, in die wir uns nach dem Tode verwandeln! Raffael hat in seinen ersten Arbeiten noch ihre himmlische Zartheit, ihre rührende Gemütlichkeit gefühlt und dargestellt, aber leider ist sein letztes Werk, die ›Verklärung‹, ein trauriger Beweis vom Verfall seiner Kunst, und der[463] Kunst überhaupt, die er durch seine unreligiösen, weltlichen, sinnlichen Bilder zu Grunde richtete. So war der Mensch, als ihn die Schlange verführt hatte!«

»Aber die ›Madonna von Foligno‹ –«

»Guter Himmel, welch' ein Frevel, diese eine Madonna zu nennen! – Eine öffentliche Person vielmehr! – O betrachten Sie Giotto's, Masaccio's, Fiesole's Madonnen! Das ist der Charakter der Reinheit, der ewigen Jungfräulichkeit! Dieser Fiesole ist so unbeschreiblich zart und gemütlich, daß Sie z.B. die Teufel in seiner Hölle gerade zu Heiligenköpfen brauchen könnten.«

Indem wandte sich Ironius zu Sir Thomas und sagte: »Wenn Sie ein Gemälde wünschen, Verehrter, so will ich Ihnen anraten, diesen Herrn um eine Komposition oder wenigstens um eine Kopie von Fiesole zu bitten. Es ist nur Schade, lieber Herr«, setzte er, sich zu dem Deutschen wendend, hinzu, »daß wir einer Zeit angehören, wo Leben, Kunst und Religion als so verschiedene Dinge erscheinen. Darin stehen wir den Griechen ein wenig nach.«

»O Sie irren sich«, rief der Anbeter Fiesole's, »wir dürfen uns mit ihnen messen. Kennen Sie das Klosterleben, kennen Sie die Mönche? O darin liegt noch unendlich mehr Schönheit –«

Unsere Engländer hatten keine Geduld mehr, und rannten fort, Ironius nach. Sofort ging's im Fluge durch die Logen, und in den Stanzen Raffaels stimmte man überein, daß man nichts sehe, daß diese Säle obskure Löcher seien.

Der Lord klagte bereits über Müdigkeit, als man in's Museum trat. Der liebe Sohn nahm ihn bei'm Arme und führte ihn langsam den Korridor hinab, indem er sich über die Heirat mit ihm unterhielt, und ihn ersuchte, Partei gegen die Mutter zu nehmen. »Ich bin auf ewig unglücklich, teuerster Vater«, sagte er, »wenn Camilla nicht mein wird. Sein Sie standhaft und bewahren Sie mir Ihren Beistand gegen die Mutter. Eh' wir nach Neapel abreisen, müssen wir Gewißheit haben. Die Vermählung feiern wir aber in Abwesenheit der Mutter, um ihr keinen Anstoß zu geben. O Vater, ich beschwöre Sie, bleiben Sie fest; ich will die Mutter heut' noch um ihre Einwilligung befragen.«

In solchen Unterhaltungen ging man den Korridor entlang zwischen den Werken alter Skulptur, ohne nur eines zu betrachten. Eben hatte sich Miß Rebecca an die Seite der Mutter begeben und ihr mit Schamröte in's Ohr gesagt: »O Mutter, es ist gar zu unartig,[464] zu unanständig, sie sind ja Alle nackt!« als Ironius auf einen Silen wies, und behauptete, daß das eine der vollkommensten Statuen sei. Der Miß flog Purpur durch das elfenbeinere Gesichtchen, die Lady hingegen sah ihren Herrn Gemahl an, als wollte sie sagen: »Du siehst also einem Silen ähnlich!«

Die Gesellschaft trat nun in's Belvedere. Henry lief mit dem Vater, sich ununterbrochen über die Angelegenheiten mit ihm besprechend, die ihm so nahe am Herzen lagen, und die Miß nahm das Verzeichnis wieder zur Hand; man kam in ein Kabinett. »Laokoon!« rief Rebecca. Aber welche wundersame Irrung! Die Nummern der Statuen waren verwechselt worden, die des Laokoon war auf den Apollo gekommen, und so standen denn unsere kunstliebenden Briten in der Tat vor dem belvederischen Gotte, in der Meinung, daß er der Laokoon sei.

Ironius konnte freilich ein boshaftes Lachen kaum verbergen. Man lief weiter, kam zum Laokoon und hielt ihn für Apollo nach der Nummer des Katalogs. Unterdessen hatte der Lord einen Sitz gefunden. Henry ging zurück, und suchte die Andern. Da kam er in's Kabinett des Laokoon.

Er betrachtete diese so oft, so allgemein und in so hohem Grade gepriesene Skulptur eine Zeit lang, und sprach zu sich selbst: »Das ist griechische Arbeit! Von diesem Bildhauerwerke spricht man in aller Welt, und Bücher sind voll darüber. Das ist das non plus ultra von plastischer Kunst! Wie wär' es, wenn ich – o das dünkt mir ein köstlicher origineller Gedanke! – wenn ich meinen und Camilla's Namen ihm auf den Schenkel oder den Unterleib einkritzelte! Ah einzig, so würden wir unsterblich, so blieben unsere Namen ewig – dieser Marmor würd' uns gleichsam ein Denkmal unserer Liebe!

Gesagt, getan!« rief er aus, griff nach einem Taschenmesserchen, sah sich um, ob Niemand komme, und wollte eben das H seines Namens auf's Knie des Laokoon eingraben, als einer der Custoden mit einem Mordlärmen auf ihn zustürzte, ihn bei'm Arm faßte und der Wache rief.

Henry wußte nicht, wie ihm geschah. Es währte kaum Momente, als zwei Schweizertrabanten hereinstürzten und ihm befahlen, ihnen zu folgen. Der gute Brite, der noch halb mit dem Gedanken beschäftigt war, sich unsterblich zu machen, starrte die Wache sprachlos an, während der Custode die wildesten Flüche ausstieß.[465] Es half kein Widersetzen, Henry wurde vorn am Rock gepackt, als er nicht folgen wollte; der Lärm zog die Fremden von allen Seiten herbei, und Alles rief voll Erstaunen: »Den Namen in den Laokoon einkritzeln! Das ist ja unglaublich!«

Jetzt wurden auch unsere Briten herbeigelockt. Welch' ein panischer Schrecken, als sie den Sohn mitten unter Soldaten und Custoden, unter dem Gespötte einer Menge von Fremden sahen. Der Onkel Kapitän verlangte, daß man ihn sogleich losgebe, stellte den Hut auf den Boden und machte sich bereit, mit dem Custode zu boxen, aber die Trabanten kümmerten sich nicht um ihn, sondern schleppten das unglückliche Opfer englischer Kuriosität den Korridor hinab und hinaus aus dem Museum.

Unsere bekümmerte Familie folgte nach. Mutter und Tochter jammerten. Henry wurde in die Wachstube geführt. Man gab sogleich dem Maggiordomo Nachricht, und Ironius sagte jetzt zum Lord und zum Onkel: »Liebe Herren! jetzt nur kein Geld gespart, sonst geht's zu schlimmen Häusern. Überlassen Sie Alles mir!«

»Um Gotteswillen!« rief die Mutter.

»Geld? Geld?« schrie der Onkel Kapitän; »wem denn Geld?«

»Allen, Allen, lieber Herr, dem Maggiordomo, dem Monsignor Segretario, dem Custode, dem Türhüter – Allen, sonst bleibt unser Henry sitzen, bis er grau wird.«

Der Lord griff nach dem Beutel.

»Aber wie viel denn?« fragte der Onkel.

»Lassen Sie mich gewähren«, antwortete Ironius; »Gott weiß wie viel! Nun ist's Zeit, daß wir uns umtun.«

Ironius suchte den Monsignor Segretario auf und drückte ihm augenblicklich fünf spanische Doppien in die Hand, indem er ihn bat, die Sache vor dem Maggiordomo zu verbergen. Der Violettstrumpf schmunzelte das schöne Gold an, und versprach Alles.

Es wurde nun auch noch der Custode, die Wache, kurz Alles bestochen, was hinderlich sein konnte, und unser armer Henry wurde nach zweistündiger Gefangenschaft, vermittelst einer beträchtlichen Summe, wieder frei.


Kaum war man zu Hause angekommen, und hatte sich von dem Schrecken einigermaßen erholt, in den Henry's verwegener Originalgedanke[466] und die barschen Schweizertrabanten die ganze Familie versetzt hatten, als man sich entschloß, heut' Abend ein Theater zu besuchen, und zwar, wie die Lady wollte, das eigentliche römische Nationaltheater. Ironius erbot sich sogleich, sie in dasselbe zu führen, und man fuhr abermals ab, die Miß nicht ohne ein Buch, um sich darin mit Lesen zu vergnügen. Der Onkel, der Lord und Henry blieben zurück, und Ironius und Sir Thomas begleiteten die Damen.

Aber was tat der Schalk Ironius! Unglückliche Britinnen, er führte euch in's Nationaltheater, auf den Platz Navona, zu den Burattini, in's Theater der Stinker, Schwarzbäuche, Obsthändler, Stiefelputzer, Eckfaulenzer und Kuppler! Man erstaunte schon über den geringen Eintrittspreis von zwei Bajocchi, aber wie sahen sich die beiden Damen an, als sie in das schwarze, schmutzige Mörderloch eintraten! Noch nie hatte die Miß auf ihren großen Reisen einen so scheußlichen Roßstall gesehen, der Boden war gepflastert, und so überfüllt von Unrat, als der Platz Navona. Eine einzige Laterne hing oben an der Galerie. Und welch' ein Publikum! »Gott«, rief Rebecca, »es regnet, und wir sind ohne Regendach?« Aber Ironius machte sie auf die Täuschung aufmerksam, indem er sie überzeugte, daß dies gewöhnliche Geräusch nichts anders als das Knistern und Rauschen der Kastanien sei, welche das gesamte Publikum fraß. Auch nicht Ein Mund war ohne Arbeit zu sehen; die Obstverkäufer schrieen wie auf dem Markte, man warf sich mit Kastanienschalen, man sang und pfiff, man lachte und balgte sich, und was für die zarten, englischen Nerven am empfindlichsten sein mußte, man stank über alle Beschreibung. Lauter schwarze, halbnackte, bärtige Kerle; wilde, mutwillige Gassenbuben mit spitzen Hüten; wohlbeleibte Minenti, ohne Wams, mit bloßer Brust; hübsche tolle Mädchen und Weiber, Alle Kastanien kauend, das bildete insgesamt ein Publikum, wie unsere Britinnen noch keines gesehen.

»Um des Himmelswillen«, rief die Lady, »wohin haben Sie uns geführt, Herr Ironius? – Das ist ja entsetzlich, das riecht ja, wie in einem Affenstalle.«

»Das ist das römische Volkstheater«, antwortete dieser, »wohin Sie zu gehen verlangten. – Auch die Schuhputzer, Limonienhändler, Eselstreiber und Lastträger haben ihr Vergnügen, haben ihre Boccabadati, und Sie werden, wenn nur erst der Vorhang aufgeht,[467] die romantischen Ritterstücke und Marionetten bewundern –«

»Marionetten?« schrie die Lady, »Marionetten?«

»Und den Pulcinella noch dazu«, antwortete Ironius; »hören Sie, wie diese nackten Kerle fressen und schreien, wie sie sich lustig machen um ihren Bajocc!«

Indem flog eine Kastanienschale gerade der Lady in's Gesicht, so daß sie vor Schrecken aufschrie: »Um Gotteswillen, wo sind wir! was ist das für ein Volk, für ein Theater!«

»O Mutter«, rief die Miß, ein Riechfläschchen hervorziehend, »das riecht ja wie in der Hölle – hier ist die Pest zu Hause! Lassen Sie uns fliehen – mir wird übel.«

Der Irländer brachte die Schnupftabaksdose nicht von der Nase, und die Schwarzbäuche griffen ungescheut nach ihr, ein Dutzend rauher, schmutziger Finger verlangte eine Prise.

Jetzt begann das Musikchor, welches aus vier zerlumpten Taugenichtsen bestand, und nun sang und pfiff zumal das ganze Theaterpersonale zusammen, so daß es unsern Engländerinnen in den Ohren sauste.

Der Irländer schwitzte, daß ihm das Wasser auf der Stirne stand – und er seufzte gegen Ironius hin: »Ich – ich ersticke –«

»Aber«, antwortete dieser, »das ist doch ein hübsches Theaterchen –«

»O hübsch«, stöhnte Sir Thomas, »ganz hübsch, außerordentlich hübsch!« Er konnte nicht weiter; da rief die Lady: »Lassen Sie uns hinaus, ich bin des Todes – o Rebecca, deinen Spiritus!«

Wirklich sank sie auch zurück auf eine kotige Bank, denn der fürchterliche Qualm dieses Theaterpöbels hatte pestilenzialisch auf ihre Nerven gewirkt.

Es entstand ein wildes Geräusch um sie her, man stieg auf die Bänke, man drängte sich ihr nahe, der Vorhang ging auf, Niemand sah auf die Bühne, Alles betrachtete nur die ohnmächtige Dame.

Sir Thomas jammerte, und Ironius eilte hinaus; die Miß hob ihr das Fläschchen an die Nase, Jener stürzte mit Wasser herein, das Volk schrie den Marionetten zu: »Stille, stille! man ist ohnmächtig geworden!« Andere trommelten mit den Füßen, wieder Andere klatschten und pfiffen, kurz es war ein entsetzliches Getümmel; die Marionetten mußten abtreten, und es währte eine halbe Viertelstunde, bis die arme Lady zu sich kam und in den Wagen gebracht werden konnte. Sir Thomas dachte an seine Not[468] in dem Knopf der Peterskirche, und Rebecca sagte, daß sie nun einen Begriff vom echten Höllengestank habe. Von diesem Abend an hatte Ironius freilich die Gunst der Lady und Miß verloren, denn die beiden Damen fanden den folgenden Morgen ihre Kleider noch so übelriechend, daß sie dieselben nicht mehr tragen konnten, sondern verschenken wollten. Der Onkel Kapitän lachte, und meinte, daß das ein Theater gerade für das italienische Volk sei, und der Lord schätzte sich glücklich, daß er unterdessen zu Hause die »Times« gelesen.

Sir Thomas trippelte nach Hause, zufrieden, daß er ungefährdet davon gekommen, und fand Rosa diesen Abend gar freundlich. Am andern Morgen saß er eben bei'm Frühstück, welches aus vier Eiern, einem Beefsteak, einer guten Portion Schinken und einem Fiasco Orvietowein bestand, ein Dejeuner, mit dem er schon zwei Stündchen bis zum Mittagsmahl warten konnte, als die hübsche Minente schon an die Türe klopfte.

Das artige, gute Kind! Es bracht' ihm die schönsten Rosen von der Welt, und eine stak ihm selbst am Busen, so recht voll und wild und wollüstig aufgeblüht, wie dieser. Sir Thomas schluckte vor Freude ein unmäßig großes Stück Beefsteak hinunter, und rief, sich heftig räuspernd: »Ach schön, ganz schön, das ist außerordentlich schön!«

Jetzt tat er freundlich mit dem Mädchen, das ihm eine Weile den Kopf voll schwatzte, und endlich sagt' es, indem es die Haare schlichtete, und ihren langen, üppigen Wuchs zeigte: »Ach ja, wenn ich ihn nur hätte!«

»Was seufzest du denn, liebe Rosette?« fragte der liebetrunkene Irländer.

»Ja daß wir auch so arm sind! In drei Monaten kommt der Oktober, und da muß man doch an den Monte Testaccio hinausfahren, und Donnerstags und Sonntags den Saltarello tanzen! Und meine Freundinnen haben alle so einen Kamm!«

»Was für einen Kamm denn?«

»Ei nun, wie wir Minenti ihn tragen; er ist aber teuer, und ich kann mir nicht so viel Geld verdienen, Niemand nimmt sich meiner an, und ich habe keinen Liebsten, der mir einen Haarschmuck kaufe.«

Jetzt merkte Sir Thomas, der in solchen Dingen nicht ohne Sagazität war, ziemlich deutlich, worauf dies Gespräch hinaus[469] wollte; er sah deshalb die Rosen an, und sagte: »Ach welche schöne Blumen, außerordentlich schön! aber die schönste Rose bist doch du!«

Da sprang die Römerin auf den alten Herrn zu, fuhr ihm mit der Hand über die Kupferwangen, so daß ihm's durch die Nerven rieselte, und rief: »O lieber Herr Thomas, wollen Sie mir den Kamm kaufen?«

»Ich?« antwortete dieser verlegen, »ich? wie kommst du denn auf mich?«

»Ach Sie sind ja so gut, so reich, so fromm, und ein so trefflicher Christ, Sie kaufen mir ihn gewiß, und zwar heute noch, denn morgen könnt' er ja schon weg sein!«

»Du bist ein närrisches Ding«, versetzte Sir Thomas, sich die Haare mit den Fingern lüpfend. »Aber was willst du mir denn dafür geben?« setzte er endlich mit blinzelnden Äuglein hinzu, indem er über seine pfiffige Frage lächelte.

»Alles, was ich kann, lieber, guter Herr Thomas!« und nun fing sie an, mit jener unwiderstehlichen Beredsamkeit einer Italienerin einen solchen Schwall von Bitten und Vorstellungen über den armen Irländer herstürmen zu lassen, daß er endlich sagte: »Nun, was kostet er denn?«

»Nur zehn Piaster.«

»Zehn Piaster?« fiel er erschrocken ein. »Bist du des Teufels, Mädchen? Das ist ja doch gar zu viel!«

»Aber Sie sind ja so lieb!« begann die Italienerin wieder schmeichelnd und liebkosend. Sir Thomas schüttelte bedenklich den Kopf; aber wie konnt' er widerstehen? Er gab die zehn Scudi her, und nun hub das Mädchen an zu lachen und zu tanzen, sie küßt' ihm die Hand, und als er sie fassen wollte, um ihr den Mund zu küssen, flog sie davon, indem sie rief: »O wie seid Ihr ein himmlischer, unvergleichlicher Herr!«

Auch Henry hatte diesen Morgen ein zärtliches Abenteuer. Er ging, seine Camilla zu besuchen. Die verhängnisvolle Geschichte im Belvedere des Vatikan verschwieg er weislich, aber er versicherte die Braut, daß er heute mit der Mutter sprechen, daß am Fest St. Peter und Paul ihr Verlöbnis statt finden werde, und daß auch seine Schwester an jenem Tage ihren Bräutigam erwarte.

»Welch' einen sehr hübschen Shawl, Signor Enrico«, begann Camilla, »haben Sie mir gestern geschickt! Den soll ich wohl am[470] Brauttage anlegen? Ich bin Ihnen sehr dankbar, Signor Enrico.«

»Aber warum denn, liebe, teure Camilla, diesen fremden Titel? warum denn nie ein Wort der Liebe –«

»Siehe da, schon wieder eine Wunderlichkeit! Soll ich Sie denn jetzt schon Herr Gemahl nennen, ehe Sie es wirklich sind, ehe nur die Frau Mama einstimmt? Und wird sie's denn auch? Sie muß sich doch gar tief herunterlassen, und die Miß Rebecca, nein, sie wird nie einwilligen, eine solche Schwägerin zu haben!«

»Camilla, lassen Sie mich die Grillen meiner Mutter nicht entgelten, Sie wissen, wie ich denke, wie ich fühle; meine Mutter findet nicht in der Person, nur in der Nation –«

»Ah Sie sind ein nachsichtiger Herr! die Nation nur setzt sie an mir aus! Also weil ich nicht englisch rede?«

»Sie hat nun einmal dies Vorurteil, nur das Englische gut zu finden, aber es stünde bei Ihnen, sie umzustimmen –«

»Wenn ich etwa dies ›what, what, what‹ lernte? O wir armen Römerinnen! Aber warum lernen diese Damen denn unsere Sprache?«

»Sie ist leicht, ist im Spielen zu lernen –«

»Leicht, Signor Enrico? und doch haben Sie noch nicht einmal ein A aussprechen gelernt –«

»Camilla, wenn Sie nicht zu stolz wären, wenn Sie Ihr Selbstgefühl nicht zu lebhaft an Ihre Vorzüge erinnerte; ein wenig Rücksicht gegen die Lady, gegen die Miß könnte Alles ausgleichen –«

Er wollte fortfahren, als es klopfte. Camilla öffnete, und erschrak ein wenig. Es stand ein Limonienhändler vor der Türe, ein junger, schwarzlockiger, bildschöner Bursche, der in zwei großen Körben seine goldenen Südfrüchte anbot.

Camilla's Angesicht färbte sich, ihr Feuerauge strahlte wilder, sie näherte sich mit einem heißglühenden Gesicht dem Burschen, und fragte nach dem Preise. Der Mensch forderte für's Stück einen Paul, und Camilla brach in ein schallendes Gelächter aus!

Sie schwang sich im Kreise, als wenn sie außer sich wäre, und der Limonienjunge wandte sich nun an Henry, indem er ihm seine Ware anbot. Dieser, entschlossen, beide Körbe zu nehmen, fragte ebenfalls nach dem Preise, und erhielt zur Antwort: »Zwei Paul.«

Camilla schlug die Hände zusammen. »Und warum diesem Herrn das Doppelte?« rief sie.[471]

»Ei«, antwortete dieser in einem reinen Italienisch, »er ist ein Engländer, und Ihr, schöne Dame, seid eine Römerin!«

»Hören Sie's«, rief Camilla mit brennenden Augen, »wie er galant ist! Zahlen Sie schnell. – Wie gefällt Ihnen dieser Junge?«

Henry schaute ihn an, und sagte: »Er scheint so unverschämt zu sein, als Alle seinesgleichen.«

»Was?« schrie der Italiener, beide Körbe niederlassend, »was meint Ihr? Unverschämt? Das mir?«

Damit stellte er sich, wie wütend, in schlagfertiger Bewegung vor den erschrockenen Henry hin, und ein »sanguinaccio di Dio«, ein »accidenti« und »corpo del diavolo« wurde nach dem andern abgeflucht. Camilla flammte vor Gelächter, und Henry, der sich schämte, fragte kleinmütig: »Und was verlangt Ihr für die beiden Körbe?«

»Neun Piaster«, rief der Limonienhändler. Henry griff in den Beutel, und gab sie.

»Gott sei uns gnädig, das heißt bezahlt!« rief die Mognaschi, das Angesicht mit dem Sacktuch bedeckend, und sich die überquellenden Augen trocknend.

Der Italiener steckte das Geld ein, und ging. Aber Camilla flog ihm mit den Zitronenkörben nach, und ließ den Engländer allein. »Himmel«, flüsterte sie außen, »was bist du für ein Schelm, wie bist du lieb in dieser Tracht, mein Herz, meine Seele!« und damit schlang sie in aller Schnelligkeit die schönen Arme um ihn, und der Limonienhändler lag an ihrem Busen, und wurde mit Inbrunst abgeküßt.

Florindo lachte; aber die Geliebte bedeckt' ihm den Mund mit ihren Lippen, und sagte: »Komm wieder so! Lebe wohl, mein Alles, lebe wohl!«

Armer betrogener Brite! du stehst unterdessen am Fenster und nagst an deinen Fingern, und ahnest nicht, wie teuer dir diese Limonien zu stehen kommen! Du geizest nach einem Blick aus dem Sternenauge dieser Mognaschi, und ein Zitronenhändler schlürft die höchste Wollust von ihren Lippen! Dein höchstes Trachten ist, diese spröde Diana dereinst zu besiegen, und du ahnest nicht, welch Schicksal sie dir bereitet! O welche Zukunft, welche unvermeidliche Gefahren für dich! Welch' ein Unglück, wenn du's durchsetzest, diese Römerin in's Brautgemach zu führen! Ja, das ist das Land, wo die Zitronen blühn, aber nur nicht für den Engländer![472]

»Nein«, rief Camilla hereintretend, »Sie haben zu viel gegeben! Ich glaube fast, der Schelm wird Sie verlachen! Aber so ist's, die Engländer verderben unser Volk! Wissen Sie das Geschichtchen von dem florentinischen Hunde?«

»Nein«, antwortete Henry unmutig.

»Denken Sie, einer Ihrer Landsleute kaufte einmal in Florenz einen Hund um einen übermäßig großen Preis, und reiste nach Rom. Nun glaubte der dumme Toskaner, daß man in Rom noch mehr solcher Engländer finde, kaufte einen großen Rudel Bestien zusammen, und zog damit hieher. Von Morgens bis Abends lief er durch die Straßen, trieb die Hunde zusammengebunden vor sich her, und schrie wie besessen: ›Chani! chani! chani!‹1 Aber es fanden sich keine Käufer und er mußte die Tiere spottwohlfeil hergeben, und diese florentinische Hunderace, sagen sie, hat sich noch bis heute in Rom fortgepflanzt.«

Henry fand sich durch diese Erzählung nicht sehr geschmeichelt und ging mißmutig fort.

Nun hatte er noch einen Besuch bei einem berühmten englischen Maler zu machen, von dem man sich in ganz Rom, besonders in den Schenken der deutschen Künstler, die seltsamsten Dinge erzählte.

Schon in's vierzehnte Jahr malte dieser Mann an einem ungeheuern Bilde, und wurde dafür von einem Lord pensioniert. »Du Glücklicher, Überglücklicher«, sagte mancher Nachkomme Teut's, »wie hast du so gut zu leben! Wie ärmlich versorgt uns das Vaterland! Wie müssen wir uns plagen, wie müssen wir borgen und schwitzen, bis eine kleine Pension von hundert Talern durch die Porta del Popolo hereinkömmt! Was ist unser Vergnügen? Kaum gelingt es uns, die wenigen Baiocchi für den Custode aufzubringen, wenn wir Raffael und Tizian, Domenichino und Carracci, Caravaggio und Guercino, ach und gar unsern allverehrten Fiesole betrachten wollen! Unser Vergnügen besteht in den schwermütigen Spaziergängen durch die Ruinen der sieben Hügel, in einer Pfeife Tabak und in einer frugalen Mahlzeit! Während du bei ›Franz‹ oder in dem trefflichen ›Hermelin‹ speisest, sitzen wir in der finstern Höhle der ›Chiavica‹, die jeder honette Römer flieht, und sind froh, daß man uns dort nur ein paar Monate borgt! Unser[473] Ausflug geht nach Albano und Frascati, wo wir um fünf Paul des Tages leben können, während du nach Neapel fliegst, den Vesuv besteigst und die Paradiese von Sorrent, Capri und Ischia durchschwärmst! Uns achtet der Römer wenig oder nicht; ›Tedesco‹, sagt er, und zuckt mitleidig die Schultern, und setzt vielleicht ein verächtliches ›poveretto!‹ hinzu. Wer armselig gekleidet geht, den nennt man hier zu Lande einen Deutschen, und man bezeichnet uns nur mit dem vertrackten ›Frosch‹, und ›Trink' es Wein!‹ Du bist Inglese! und schon bei'm Klange dieses Namens, fliegen Camerieri, Facchinen, Lohnbediente, Ciceroni und Ruffiane herbei.«

Der englische Maler konnte wirklich auch von Glück sagen. Seine Pension hätte für ein Dutzend Deutsche hingereicht, und er malte, wie gesagt, schon im vierzehnten Jahre an dem Bilde, wodurch er sein Genie beurkunden sollte. Da er ein Pferd darin anzubringen hatte, so wollt' er's auch mit profunder anatomischer Gelehrsamkeit tun. Was tat er? Er kaufte sich ein schönes, stattliches Tier, erstach es und hängt' es in seiner Werkstatt auf! So arbeitete er Tagelang nach dem Modell. Allein es war eben Augusthitze, und so verbreitete sich denn bald ein so pestilenzialischer Gestank durch's ganze Haus und in der Nachbarschaft umher, daß man ihm obrigkeitlich befahl, das Aas fortzuschaffen.

Henry bewunderte das Bild, das wohl an die funfzig lebensgroße Figuren zählte, und Gott den Vater, samt allen Engeln und Erzengeln, Joseph, Maria und das Christkind, auch den Riesen Goliath in den letzten Zügen, als Sinnbild des Untergangs aller Feinde des Davidischen Geschlechtes, darstellte.

Er erinnerte sich dabei an die baldige Abreise und erschrak, als er daran dachte, daß er noch nichts an Gemälden, Kupferstichen, Altertümern, Gemmen, Kameen und dergleichen Merkwürdigkeiten eingekauft. Er nahm's sich für morgen vor und schied. Als er auf die Straße trat, redete ihn ein wohlgekleideter junger Mann an, und fragte ihn, ob er kein weibliches Modell nötig habe? »Jung, schön, blond, schlank«, sagte der Ruffian; »sie wird Ihnen gefallen! Sie ist mein Weib.«

Henry sah ihn starr an und befand sich in Verlegenheit. Er errötete und sah sich mit ängstlicher Freude endlich einmal einem rechten Rendez-vous nahe. Er vermochte nicht zu widerstehen, und fragte stotternd, wo sich denn die Schöne befinde?

Der Ruffian antwortete: »Zu Hause, lieber Herr! Wollen Sie[474] so gütig sein und mich begleiten?«

Unser armer Henry befand sich, wie Herkules, am Scheidewege. »Aber nein«, sprach er zu sich selbst, »noch hab' ich ja die schöne Verführerin nicht gesehen! Erst dann, wenn die Hülle sinkt, dann ist's Zeit, die Hand der Tugend zu ergreifen und die Augen von dem Reiz der Sünde wegzuwenden. Und was ist denn daran? Warum rühmen wir uns, das Ideal aller weiblichen Schönheit, die Medizeische Venus, warum die Göttin der Wollust von Tizians Pinsel gesehen zu haben? Und die lebendige, warme Natur sollten wir fliehen?«

Unser Henry sophistisierte sich jeden moralischen Skrupel weg, und zu der natürlichen Lüsternheit, die wir bei jungen, unerfahrenen Menschen finden, gesellte sich noch die Hoffnung, hier endlich einmal ein ganz originelles Abenteuer zu bestehen.

Kurz, er folgte, um sich auch durch den Augenschein zu überzeugen, daß jener William, der ihm so viel von der Verdorbenheit römischer Ehen erzählte, vollkommen Recht habe. Der ehrbare Ehemann führte ihn auf den Monte Pincio, und dem guten, unschuldigen Jungen fing das Herz an ungestümer zu wallen.

Man trat in ein enges Gäßchen, in ein dunkeles Haus; Henry schwankt' es vor dem Auge, wunderbare Bilder umgaukelten ihn.

Man klopft' an eine Tür, man rief, man öffnete, und Henry sah ein zartes, bleiches, anmutiges Geschöpf vor sich, dem die blonden Haare aufgelöst über den Nacken hingen, in dessen matten Augen die Folgen der Ausschweifungen nur allzu sichtbar waren.

Henry befand sich in äußerster Verlegenheit. Aber wie erstaunte er, als er – nun wer hätte sich auch das eingebildet? – die Büste seines Freundes William, des bekannten Engländers vom Gallinaccio, des Eroberers einer römischen Tugend, des einzigen Besitzers ihrer Reize, auf einem Tische stehn sah!

»Also das ist seine Getreue, das ist seine Angebetete! Ja«, dachte er, »hier ist die Eroberung leicht; du hast zum zweitenmal einen Gallinaccio gekauft, als einen raren Vogel, und so laufen sie doch in Rom auf der Straße herum.« Damit lief er davon.


Henry wollte den Abend mit der Mutter über die Mognaschische Angelegenheit sprechen und er bemühte sich deswegen, sie zuvor[475] willfährig zu stimmen. Er fuhr mit ihr auf die Promenade des Monte Pincio, wo des Winters die großbritannische Reisewelt zusammenkommt. Dort sah man Master A. und Master Z., man nickte sich stolz zu, manches bretterne Gesicht zwang sich zu einem Lächeln, manche Lorgnette glänzte vor dem Auge einer blond- oder rothaarigen Dame, und hie und da begegnete auch eine wespenschlanke Reiterin, in blauem, fliegendem Gewand und grünem Schleier, mit einem Köpfchen und Hütchen, wie eine Holzpuppe; denn das ist die eigentliche Promenade der Engländer, auch des Sommers, so lange sie noch in der Stadt sind. Es kam auch vor, daß ein Wagen hielt und sich zwei bis drei dürre, lange Schönen daraus emporrichteten, um mit einem vorüberziehenden Reiter einige Worte zu sprechen, während dieser alsdann anhielt, und das Roß nur ein wenig am Schwanze kitzelte, damit es steige und der Herr besser paradieren könne.

Aber als man nach Hause kam und er nun unumwunden herausrückte, als er sagte, daß sein Lebensglück an die holde Camilla gebunden sei, daß er nächste Woche nicht nach Neapel reisen könne, ohne zuvor feierlich mit der Geliebten verlobt zu sein, so erklärte die Lady, daß sie nie ihre Einwilligung in eine Heirat dieser Art geben werde. Henry bat, beschwor, stellte vor, bestürmte, drohte, aber vergebens; die Lady setzte allen seinen Bitten und Beschwörungen die einfache, stolze Antwort entgegen: »Ich will keine Italienerin in meiner Familie sehen!«

Was wollte nun unser armer Henry beginnen? Er hatte des Lords Erlaubnis; aber genügte diese, wenn die grämliche Mutter das Gegenteil wollte? Er kannte sie nur allzu gut und wußte, daß der Lord zu Allem yes sage, was sie befehle. Doch wollte er ihn zuvor noch einmal angehen und dann zu verzweifelten Mitteln greifen, wenn die andern nichts halfen.

Den andern Morgen ging er früh aus. Der Onkel Kapitän stand eben am Fenster, als er nach einigen Stunden wieder zurückkam, und sah mit Befremdung, daß ein hochbepackter Esel zugleich mit ihm vor der Haustüre anlange.

Henry kam herauf und erzählte, daß er einige Kupferstiche eingekauft. »Kupferstiche?« schrie der Onkel, »was bei allen Himmeln haben Sie wieder getan! Und was für Ware denn? Gott sei uns gnädig, wir bringen keinen Baiocco mehr aus diesem vermaledeiten Pfaffennest hinaus!«[476]

»Liebster Onkel«, versetzte Henry, »das tun ja alle Reisende, nicht bloß wir Engländer! Wenn wir nach Hause kommen, wer wird uns denn glauben, daß wir in Italien gewesen, wenn wir nichts aufzuweisen haben? Ich bin ein Verehrer der Kunst, und bin hieher gekommen, um sie zu studieren, warum hätt' ich mir also nicht die Hauptwerke wenigstens im Kupferstich kaufen sollen, besonders da ich sie nicht alle im Original gesehen?«

Indem erschien der Facchin, welcher die Last der eingekauften Merkwürdigkeiten heraufbrachte und seine Bezahlung verlangte. Er machte eine enorme Forderung für seine Mühe und erhielt die Hälfte, nachdem er sich lange mit den beiden zähen Briten herumgestritten.

Was hatte der feine, sachverständige Sinn unseres neuen Yorick auch eingekauft? Ein halb Hundert Veduten aus Rom – Pinelli's Kostume und Volksszenen illuminiert – die Stanzen und Logen Raffaels, die Trasfigurazione, den Girolamo des Domenichino, die Madonna von Foligno, die vornehmsten Antiken, die Werke Canova's, Thorwaldsens und des Malers Camuccini, und endlich eine Menge gewaltiger Männer und alter Weiber zwischen architektonischer Zierrat. »Was zum Teufel ist denn das?« fragte sich Henry. – »›Die Propheten und Sibyllen von Michel Angelo‹; nein, wahrlich, diese hab' ich nicht gesehen, und wo sind sie denn?« Er schlug in einem Buche nach, und fand: in der Sistinischen Kapelle. »Ich war doch drin«, rief er, »aber diese Propheten sind mir entgangen, und ich habe, glaub' ich, nur das Jüngste Gericht gesehen! Sehen Sie, lieber Onkel, wie nützlich solche Kupferstiche sind!«

Sofort zeigte er verschiedene, für Antiken ausgegebene Gemmen, alte Mosaik, eine Schachtel voll Medaillen aus den Kaiserzeiten und eine Menge antiquarischer Seltenheiten.

»Aber was hat denn das Alles gekostet?« rief der Kapitän voll Schrecken.

»Ich habe das Geld darauf verwandt, das mir der Vater gab, um ein Pferd zu kaufen.«

Der Onkel sah ihn an, als ob er nicht bei Sinnen wäre. »Henry, das haben Sie getan?«

Jetzt kam die Familie herbei. Der Kapitän jammerte und fluchte und deutete auf die Kunst- und Antiquitätensammlung, die Lady und die Miß machten sich drüber her, blätterten, wickelten auf und[477] nahmen Henry's Partie. Der Lord blieb gleichgültig, und Ironius, welcher ebenfalls zugegen war, versicherte, daß Henry sehr wohlfeil eingekauft, daß die Gemmen, Münzen und Mosaiken alle echt seien, und daß Henry eben soviel Urteil, als Geschmack und Sachkenntnis in der Auswahl dieser Kostbarkeiten an den Tag gelegt habe.

Man achtete nicht auf des Onkels Wut, ob er gleich sagte, daß er dieses Schlaraffenleben nicht ansehn könne, und daß er lieber allein nach England zurückkehren werde. Noch war man mit der Betrachtung der Kunstwaren beschäftigt, als zum freudigen Schrecken unsers beklommenen Henry und zum äußersten Mißvergnügen seiner Frau Mama, die schöne Mognaschi mit ihrem Vater hereintrat.

Henry ging ihr entgegen und bückte sich, um ihr die Hand zu küssen. Die Lady erhob sich mit steifem Anstande, und ihre ledernen Gesichtszüge gewannen einen Ausdruck, als ob sie den schärfsten spanischen Pfeffer in der Quaresima verschluckt hätte. Derselbe Ausdruck gab sich auch in dem Engelsgesichtchen der Miß zu erkennen, doch nur so, als ob's die Wirkung von einem herben Rettich, oder von Senf, oder Doppelkümmel, oder Wurmpulver wäre.

Camilla lächelte und verneigte sich tief, indem sie die beiden Engländerinnen sichtbar verhöhnte. Sie trug einen rosenfarbenen Schleier, der mit einem reichen schimmernden Kamm in den Rabenhaaren hing und zur Seite auf eine Schulter niederwallte, und ein Gürtel voll glänzender Farben, aber freilich weit genug, um Beide, die Lady und die Miß zu umspannen, schlang sich unter dem üppigen Busen hin. In ihrem Angesicht brannte eine so warme, sinnliche Farbe, daß die beiden Gegnerinnen nur mit weißer Kreide gezeichnet zu sein schienen.

Sie ließ sich der Miß gegenüber nieder, während der Lord den Vater bei der Hand nahm und ihn in ein anderes Zimmer führte. Henry setzte sich ihr zur Seite, und man hub an, von gleichgültigen Dingen, von dem St. Peters- und Paulsfest, von der Kuppelbeleuchtung St. Peters, von der Girandola zu sprechen. Die Lady, welche bedeutend schwach im Italienischen war, sprach zuweilen, ohne Rücksicht auf die Römerin, englisch.

Camilla sagte endlich: »Und Sie erwarten nächsten Sonntag Ihren Bräutigam, Miß Rebecca?«[478]

Die Britin errötete und sah die Lady mit empfindlicher Miene an. Die Mutter drückte sich ihre Brille stärker auf die Nase und versetzte: »Es ist in unserm Vaterlande nicht Sitte, mit einer Dame, wie Miß Rebecca, von solchen Dingen zu reden. Aber, andere Länder, andere Sitten!«

»Ja, das merk' ich«, antwortete Camilla mit flammendem Auge, »und die englischen scheinen gar sehr verschieden von den unsrigen zu sein!«

»Allerdings«, zwitscherte die Lady, »es ist erstaunlich, wie sie verschieden sind; ja, vergeben Sie, Signora Mognaschi, wenn man das Volk der niedern Klassen betrachtet, so möchte man meinen, daß es gar keine Sitten habe.«

Henry saß wie auf glühenden Kohlen und fiel hastig ein: »Die Mutter meint die Domestiken, die Camerieri –«

»Warum auch nur die Engländer nach Rom kommen!« versetzte Camilla, spöttisch lächelnd.

»Das wundervolle Land«, fiel Henry verlegen ein, »die klassischen Erinnerungen, die schöne Natur, die reizenden Mädchen –«

»Reizende Mädchen«, rief Camilla, »nun das könnte die Männer etwa anlocken, aber die Damen? Sagen Sie mir, was führt denn diese her? Etwa die schöngestalteten Männer?«

Rebecca stand auf und trat an's Fenster, indem sie ein Buch ergriff. Die Mutter aber biß die Zähne vor Ingrimm zusammen und sagte: »Ei, weder die Männer, noch die Weiber suchen wir in Italien!«

»Das wäre!« versetzte die Mognaschi. »Ist es wahr, Signor Enrico?«

Der arme Sohn befand sich in tödlicher Verlegenheit, er sah die Mutter so aufgebracht, daß er fürchten mußte, es werde zu einem öffentlichen Bruch kommen, und von Camilla konnte er überzeugt sein, daß sie kein empfindliches Wort der Mama vergeben werde, wohl aber hitziges Blut genug habe, um es doppelt und dreifach zurückzuzahlen. Wie sollte er es verhüten, wie sich gegen die Lady, wie gegen die Geliebte benehmen?

Diese Verlegenheit stieg mit jedem Augenblick, und das jetzt eingetretene Schweigen schien ihm nur Vorbote eines um so heftigern Sturms zu sein. Er stammelte: »Signora Camilla, noch wenige Tage und wir reisen nach Neapel ab. Meine Eltern verlangen, daß ich ihnen folge.«[479]

»Tun Sie's doch ja«, antwortete sie, »den Eltern muß man auch wider Willen folgen, das ist die Pflicht von uns Kindern, und Sie wissen, daß ich in einem gewissen Verhältnis diese Kindespflicht auch gegen meinen Vater beobachte!«

»O Camilla«, rief Henry in aufflammender Leidenschaft, »Sie wissen nicht, was uns droht! – Bleiben Sie, Mutter, zürnen Sie nicht – lassen Sie sich erweichen – sehen Sie – werfen Sie einen Blick auf sie, wie sie schön, wie sie unwiderstehlich ist –«

»Sind Sie von Sinnen, Enrico?« rief die Römerin, sich aufrichtend und Mutter und Sohn mit großen Augen betrachtend.

Enrico faßte die Hand der Lady, welcher die Wut im ganzen Gesicht, und besonders in der Nase brannte. »Versprechen Sie mir's, liebe, teure Mutter – willigen Sie ein, Sie gründen das Glück meines Lebens – vergessen Sie diese Vorurteile, diesen Stolz –«

»Wo bin ich?« fiel Camilla ein, »doch nicht etwa in einem – Narrenhause?«

»Im Hause der Lady M... sind Sie, meine Dame«, schrie die Mutter gluterhitzt.

»Um Gotteswillen, Mutter, haben Sie Erbarmen, haben Sie Nachsicht, um meiner Liebe willen; Camilla, besänftigen Sie sich –«

»So etwas mir?« sagte diese, die Lady mit ihrem Strahlenauge durchbohrend, »so etwas von meiner künftigen Schwiegermutter?«

»Schwiegermutter?« rief Jene; »o Sie irren sich, mein schönes Kind, so weit ist's noch nicht – eher keine Mutter sein, als Schwiegermutter einer Italienerin.«

Camilla stand wie erstarrt vor der Britin, an deren Hals das zärtliche Töchterchen hing, um sie zu beruhigen. – In diesem Moment kam der Lord mit Mognaschi herein; Henry stürzte auf ihn zu, und rief: »O Vater, jetzt brauchen Sie Ihr Recht, Ihre Gewalt, jetzt zeigen Sie, wie Sie mich lieben, wie Sie mein Glück wollen! Die Mutter ist außer sich –«

Camilla hatte dem Allen zugehört, und preßte einen Sturm von wütenden Empfindungen in der Brust zurück, die nun in dem flammenden Auge brannten. Endlich trat sie auf die Engländerin zu, und sagte mit dem Ausdruck einer unsäglichen Verachtung: »Lady, es sind hier Männer zugegen, und wir würden uns lächerlich machen, wenn wir Weiber zusammen haderten. Unterdessen haben Sie mich von der Trefflichkeit Ihrer stolzen, englischen Sitten überzeugt, indem Sie mich in Ihrem Hause auf's Empfindlichste[480] beleidigten! Ich hoffe, daß Sie so viel Italienisch wissen, um mich zu verstehen. – Frauen können sich nicht an einander rächen; wenn die Eine beleidigt, wie Sie, so kann es die Andere nur mit innigem Mitleid erwidern, indem sie mehr der Torheit und Eitelkeit, als dem Verstand und bösen Willen die Schuld gibt. In solcher Gesinnung habe ich Ihre Worte aufgenommen, und ich hoffe, Ihnen jetzt eine Probe von römischen Sitten gegeben zu haben.«

Damit ergriff sie den Vater bei'm Arm, welcher wie aus dem Himmel gefallen da stand, indem er mit dem Lord unterdessen ganz entgegengesetzte Dinge besprochen. »Laß uns fort, lieber Vater«, sagte die Tochter mit gewaltsam bezähmter Wut. »Ich wünsche Signor Enrico eine Frau, wie Mylady!«

Mognaschi starrte den Lord an, er sah Henry auf einem Sitze die Hände ringen, dennoch folgte er blindlings der heftigen Tochter, und verließ unsere britische Familie.

Im Nachhausegehen erzählte Camilla dem Vater den Vorfall, und dieser fand sich nicht wenig beleidigt. Er schrieb sogleich dem Lord ein Billet, worin er Genugtuung verlangte.

Kaum waren sie angekommen, als Camilla den Shawl herausnahm, den ihr Henry verehrte, und ihn auf den Boden warf; alles andere, was sie von ihm hatte, folgte diesem nach. »Sehen Sie nun, Vater, was es für Leute sind, diese Engländer?« sagte sie; »das ist die Folge davon, daß Sie sich ihnen so rücksichtslos hingaben; ich muß es nun büßen, mein ist die Schande und der Verdruß. – O ich will den Augenblick nie vergessen, da diese häßliche Mumie mir so etwas in's Gesicht sagte. Vater, Sie haben Ihr Kind sehr empfindlich verletzt.«

Dieser lief auf sein Zimmer, in der Absicht, den Lord auf Pistolen zu fordern. Indem erscholl eine bekannte Stimme draußen; Camilla riß die Türe auf, und der junge Limonienhändler stand vor ihr. Noch hing ihr der Schleier in den Haaren, noch war sie nicht umgekleidet, noch war sie glutrot vom erlittenen Schimpf.

Aber wie sie den Geliebten sah, stürzte sie ihm mit einem Freudenruf an den Hals, und küßt' ihn mit rasender Inbrunst! »Nun ist's vorüber mit den Engländern«, rief sie, »nun bin ich ganz die Deine, nun soll mich auch kein Brite mehr haben, und wenn sie dem Vater das Colosseum mit Diamanten ausfüllen – geh's, wie's wolle, nun leb' ich nur dir, nur du mußt mein werden, und wenn ich mit dir davonlaufen sollte!«[481]

Florindo erstaunte, setzte seine Zitronenkörbe zur Erde, und fragte. Die Geliebte erzählte so schnell, so wild, als es ihr die Leidenschaft und der flüchtige Moment gebot.

Der Lombarde erheiterte sein schönes Angesicht, und sein Auge flammte. Camilla konnte nicht satt werden, ihn zu herzen, sie spielte mit seinen schwarzen, üppigen Locken, und überdeckt' ihn mit Küssen.

Da griff er in den Busen, und nahm ein Bild heraus. »Gefällt dir dieser Limonienhändler?« fragte er, die Geliebte ansehend.

»O du bist's«, rief Camilla leise, »du bist's! Gott! welch' ein liebes Gemälde, und du hast's selbst gemacht? Und du gibst mir dein Bild? Dafür, mein Herz, sollst du auch mich selbst haben.«

Sie war noch überselig vor Freude, als der Vater innen rief. Die Liebenden erschraken, Camilla hatte das Miniaturbild pfeilschnell im Busen verborgen, Mognaschi öffnete die Türe; Florindo griff nach den Limonienkörben, und das listige Mädchen rief: »Ein Dutzend will ich Euch abnehmen, zählt her, aber daß sie auch schön sind!«

»Es sind neapolitanische«, antwortete der Limonienhändler, bückte sich, und nahm ein Dutzend heraus.

In diesem Moment läutete es an der Türe. Man öffnete, und der arme Henry stand da. Als ihn Camilla erblickte, wandte sie ihm schnell den Rücken, und verschwand durch eine Türe.

Henry ging auf den Vater zu, und wollte einige Worte herausstammeln, aber dieser zuckte mit den Schultern und versetzte: »Sie wissen, was vorgefallen. Vor Engländern, die Ihrer Familie gleichen, schließt man in Rom die Türe.«

Damit ließ ihn Mognaschi stehn, und ging. Henry befand sich allein mit dem Zitronenhändler, aber in solcher Betäubung, daß er ihn nicht eher bemerkte, bis er vor ihn hintrat, ihm in's Gesicht sah, und fragte: »Kaufen Sie keine Limonien, mein Herr?«

Henry durchbohrte ihn mit einem Blick der Verzweiflung, und stürmte fort. Der Italiener ging ihm langsam nach, und hört' ihn die Treppe hinab ein »God damn« nach dem andern rufen.

Schon waren sie auf der Straße, und der Engländer wollte eben mit großbritannischen Schritten um eine Ecke biegen, als er plötzlich stehen blieb, sich umkehrte, und auf den Limonienhändler zurannte.

»Kommt, kommt«, rief er, »ich will Euch etwas sagen, es soll nicht Euer Schade sein!« Damit trieb er ihn an, ihm in die andere[482] Straße zu folgen. »Wollt Ihr mir einen Gefallen tun, in einer recht wichtigen Sache, wenn ich Euch gut belohne?«

»Warum nicht?« antwortete dieser, »unser einer dient den Herren Engländern gerne, und Ihr habt mir ja schon einmal meine Zitronen abgekauft.«

»Wollt Ihr mir einen Brief an das Frauenzimmer überliefern, das Ihr eben saht, an die junge Mognaschi? Wollt Ihr? könnt Ihr?«

Der Italiener kratzte sich in den Haaren, lächelte, und sagte: »Ich will's versuchen, aber was gebt Ihr mir?«

»Was Ihr wollt, sollt Ihr haben, und wenn Ihr mir eine Antwort bringt, will ich Euch in Gold einfassen. Versteht Ihr? Kommt heut' Abend um Ave Maria auf die Spanische Treppe, und ich geb' Euch den Brief. Aber daß es der Vater nicht erfährt! Daß du mich nicht verrätst! Siehe dich vor!«

»Sorgt nicht, lieber Herr Engländer, ich bin in Liebeshändeln gewandt«, versetzte Florindo, und man trennte sich, nachdem dieser versprochen, zur bestimmten Zeit einzutreffen.


Henry eilte nach Hause, schloß sich ein, und schrieb folgende Worte:


»Meine angebetete Camilla!

In höchster Eile, durch die Hand eines unwürdigen Limonienhändlers diese Zeilen meiner Verzweiflung! Das Schicksal hat beschlossen, meinen Jammer auf's Äußerste zu treiben; aber ich bin auf Alles gefaßt, ich bin bereit, der ganzen Welt Trotz zu bieten. So groß ist meine Liebe zu Ihnen, Perle der Weiblichkeit, schönste der Römerinnen! Meine Mutter ist blind, und dennoch sollte man meinen, auch einem Blinden strahle Ihre Schönheit in's Auge! Auf Ihrer Lippe wohnen alle Engelsmelodien des Miserere; in Ihrem Angesicht lächeln alle Blumen physischer Vollkommenheit, in Ihrer Seele alle Blüten des Geistes! O meine Eliza, es ist gewiß, Ihr Yorick kann nicht leben ohne Sie! Ich bin der Storch, der das himmelhohe Nest seines Glückes auf das Heiligtum Ihres jungfräulichen Tempels gebaut, und es ist Sünde, ihn hinweg zu treiben! Ich kann so wenig ohne Sie sein, meine Eliza, als die Welt ohne Licht, als der Mensch ohne Luft, als der Hering ohne Wasser![483] In den Kohlen Ihres Auges brennt das Element, welches die Dampfmaschine meines Lebens in Bewegung setzt! Ich fühle alle Qualen verschmähter Liebe, ich fühle sie so tief, als der unsterbliche Byron! O erbarmen Sie sich mein, Eliza! Hätt' ich's damals geahnet, als ich von der Kuppel St. Peters über Rom hinschaute, ich hätte mich hinabgestürzt, und die Donner hätten mir ein Grablied gesungen! Retten Sie mich, Engel der Erde! Geben Sie mir insgeheim Ihre Hand, willigen Sie ein, daß uns ein Priester verschwiegen verbinde, daß uns ein unauflösliches Band umschlinge! Am Montag muß ich Rom verlassen! Erscheinen Sie mir, ich beschwöre Sie, Sonntag Nachts am Monte Testaccio, an dem Totenacker, an der Pyramide des Cestius. Dort, vertieft in Youngs ›Nachtgedanken‹, wart' ich Ihrer. Mein Leben hängt von Ihrem Eintreffen ab! Ich bringe einen Priester mit. Über den wenigen Gräbern meiner Landsleute, in schaurig-nächtlicher Stille werde der Bund geschlossen, und die Pyramide der Vorwelt sei der Zeuge unsrer Vermählung. Vertrauen Sie dem Limonienhändler, er ist gemein, aber ehrlich. Ich sehe unter der Marter des Wahnsinns Ihrer Antwort entgegen. Erscheinen Sie an der Pyramide

Ihrem verzweifelten

Henry M...«


Diesen Brief, den unser verliebter Brite mit Hülfe eines englisch-italienischen Wörterbuchs geschrieben, brachte er um Ave Maria auf die Spanische Treppe, wo er den Unterhändler wirklich traf. Um ihn für seine Sache ganz zu gewinnen, gab er ihm gleich einige Piaster, und der Italiener versprach ihm Antwort bis morgen um die Mittagsstunde.

Mit welcher quälenden Unruhe sah Henry diesem verhängnisvollen Moment entgegen! »Wird sie mir antworten? und was wird sie antworten?« Das waren Fragen seines geängsteten Herzens. Aber er vertraute auf die verzweifelnden Worte, mit denen er die Epistel angefüllt, und es schien ihm unmöglich, daß Camilla's Herz so hart, so grausam sein könne, um ihn erbarmungslos in Verzweiflung zu stürzen. Hatte sie ihm einmal das »Ja« gegeben, so hoffte er sich leicht einen Geistlichen zu verschaffen, der sie traue, und wenn einmal die kirchliche Einsegnung geschehen, so glaubte er, die Mutter werde notgedrungen wohl einwilligen, und im entgegengesetzten Fall konnte ihn ja der Besitz der Angebeteten[484] für alle andern Verluste trösten.

Zuweilen sagte er auch zu sich selbst: »Wie viel hätt' ich in frühern Jahren dafür gegeben, wenn das Schicksal mich in ein so originelles Abenteuer verwickelt hätte! Nun, da es sich ereignet, da ich in der berühmtesten Stadt der Welt, da ich unter den Trümmern der römischen Weltherrschaft mit der reizendsten Dame verwickelt bin, welche Italien nur hervorbringen kann, da sich Alles vereint, meine Liebe mit dem Stempel des Ungewöhnlichen, des Interessanten zu bezeichnen, da kein Augenblick mehr verstreicht, ohne daß mir etwas Romantisches widerführe, da ich die Aussicht habe, eine Verbindung, die sonst so prosaisch und langweilig ist, unter den seltsamsten Verhältnissen und äußersten Gefahren bei Nacht während dem Donner der Girandola an der Totenpyramide des Cestius, an den Gräbern von Shelley und anderer stravaganten englischen Geister zu schließen; jetzt, da sich gar ein Zitronenhändler auf geheimnisvolle Art in die Verwicklung einschleicht und meine Liebesgeschichte zu einem Roman verzaubert, wie Walter Scott, Cooper und Washington Irving keinen geschrieben und Lord Byron keinen erlebt hat, jetzt sollte ich unzufrieden sein, und nicht vielmehr dem Verhängnis danken, daß es meine Person für wichtig genug hält, um sie mit seinen barocksten Launen zu quälen?«

Unter solchen Gedanken kam denn der Mittag heran. Henry eilte an die Scala di Spagna, und der Briefträger überreichte ihm zu seinem höchsten Entzücken einen Brief, den ersten, den er von Camilla nach so langer Zeit vergeblicher Bestürmungen herauspreßte.

Hastig brach er ihn auf, und las folgende Zeilen:


»Lieber Henry!

Zum erstenmal nenn' ich Dich so, weil ich nun das ganze Maß Deiner überschwänglichen Liebe erkannt habe. Vergib mir, wenn ich Deine hohen Worte nicht mit eben dem Schwung erwidern kann, der Dich vor andern Menschenkindern auszeichnet; Du hast es mit einem einfachen, weiblichen Wesen, mit einer Italienerin zu tun, welcher alle jene Vorzüge englischer Erziehung, englischer Bildung fehlen. Ja, ich will Dir willfahren, Du verdienst es, und es wäre grausam, Dir entgelten zu lassen, was Deine Familie verbrach. Du hast viel mit dem Limonienhändler gewagt, aber Du hast Dich an den Rechten gewandt, Dein Brief kam sicher in meine[485] Hände. Jene Erscheinung soll Dir widerfahren, Du sollst Deine Braut, Dein Geliebtestes Sonntag Nacht sehen! Aber nicht am Monte Testaccio; in der Longara wirst Du sie treffen. Verlasse Dich darauf, um drei Uhr nach Ave Maria in der Longara! Lebe wohl bis dahin!

Ewig Deine

Eliza.«


Dieses Briefchen wurde hundertmal durchlesen. »Also es wäre entschieden!« rief Henry freudetrunken. »Endlich das schönste Abenteuer auf der Welt! Eine geheime Vermählung! O darum wird mich Rebecca beneiden!« Nur mißfiel unserm jungen Empfindler der Ort, an dem ihm die Schöne das Rendez-vous geben wollte. Er hatte die Hoffnung gehabt, daß es an der Pyramide des Cestius, daß es an den einsamen Gräbern der Protestanten vor sich gehen werde, und das wäre doch unendlich schön und romanhaft gewesen. Von der Longara wußte er so viel als nichts, und er fragte daher den Briefträger, was es denn für eine Bewandtnis damit habe.

Der Limonienhändler versetzte: »Das ist der allergeeignetste Ort für eine solche Zusammenkunft. Ich will Euch schon dahin bringen; er liegt in Trastevere!«

»Aber zum Teufel«, fiel Henry ein, »wer hat Euch denn zum Mitwisser des Geheimnisses gemacht?«

»Die Mognaschi selbst«, war die Antwort. »Glaubt mir, ohne mich könnt Ihr's gar nicht durchsetzen, und so hat mir das Mädchen Alles anvertraut. Ich kenne einen Prediger, der Euch gern um ein paar Doppien einsegnet, und diesen bring' ich Euch selbst in der Nacht zu. Vertraut nur auf mich. Aber wohin wollt Ihr denn? Nun, wenn Ihr das Liebchen nur einmal habt, so wird sich's schon finden!«

Henry drückte dem Italiener eine Börse voll spanischer Piaster in die Hand, und sagte im Übermaß der Freude: »Ich will Euch königlich belohnen, wenn wir getraut sind! Ihr sollt von Sonntag an so glücklich sein, als Ihr nur wünschen könnt!«

Jetzt wurde verabredet, daß Henry sich um zwei Uhr in der Nacht auf dem Spanischen Platze einfinden solle, wo ihn dann der Limonienhändler in einem verschlossenen Wagen nach Trastevere bringen werde. Dort werde man das Liebchen erwarten, dort[486] werde die Trauung geschehen, und dann könne der Engländer tun, was er für ratsam halte. »Wenn wir nur einmal das Mädchen haben«, setzte der Italiener hinzu, »so sind wir guter Dinge. Und die Brautnacht, wo wollt Ihr denn –«

Henry rief: »O guter Gott, das ist ein Gedanke, wert, daß man nur auf die Welt kommt, um ihn zu denken!«

»Nun«, fiel der Limonienhändler ein, »wer kann Euch jetzt noch verwehren, ihn zu denken? Der Genuß ist die Hauptsache, und bei Gottes Blut, diese Dame ist so jung und schön, daß sie den Heiligen Vater mit samt der Kardinalschaft toll machen könnte. Aber ich muß fort, gehabt Euch wohl! Auf Wiedersehn am Sonntag! Und dann in die Longara!«

Man trennte sich, und Henry rannte, wie wenn er närrisch wäre, die Treppe hinauf, und die Passeggiata hinan. Das ging wie geflogen, der Kopf brannte ihm, das Blut wallte, das Herz klopfte. In dieser emphatischen Stimmung hatte er kein Auge mehr, um zu sehen, was auf dem Boden lag, und so kam es denn, daß er, unter den Platanen hinstürmend, über einen halbnackten Kerl stolperte, welcher in der Mittagshitze auf der Erde schlief. Er stürzte zu Boden und der faule Schwarzbauch brach in ein wieherndes Gelächter aus.

Henry stand auf und fluchte. Aber mit nicht geringem Schreck sah er, daß er sich bei dem schweren Fall ein bedeutendes Loch in die Beinkleider gerissen. Das war genug, um ihn zu erinnern, daß er sich noch auf der Erde befand. Aber wie nach Hause kommen? Eben noch hing ihm der Himmel voll Rosen- und Myrtenkränze, oder volkstümlich zu sprechen, voll Baßgeigen, eben hatte er geglaubt, zu fliegen und über Raum und Zeit erhaben zu sein, als er schon im nächsten Augenblick über einen römischen Faulenzer herstolpern und sich die wahre Prosa des Lebens, die Beinkleider, zerreißen mußte!

»Große, unsterbliche Roma«, rief er, über die unübersehbare Stadt wegblickend und dann von der Kuppel St. Peters und den Lusthainen des Janiculus zurück auf das offene Knie schauend, »welcher deiner Cäsaren und Imperatoren, deiner Scipionen, Camillen und Catonen hat in gleichem Unstern auf dem Monte Pincio gestanden? God damn, was beginn' ich? Ich kann nicht von der Stelle! O Geliebte meines Herzens, wenn du wüßtest, wie dein Liebster zu Fall kam, wenn du mich in dieser wahrhaft jämmerlichen[487] Lage, in dieser recht eigentlich physischen Erniedrigung gesehen hättest!«

Der arme Henry dachte hin und her, und es wollte ihm schlechterdings kein Mittel einfallen, sich aus der Verlegenheit zu helfen. »Wenn es wenigstens doch Winter wäre, ich könnte mir einen Mantel – doch nein, eine Karosse – aber woher soll ich sie nehmen?«

Man sagt, daß die Liebe zuweilen etwas dumm und unbesonnen mache, und das finden wir auch an unserm Yorick bestätigt, denn er beschloß nach langem Überlegen, den ganzen Nachmittag auf derselben Stelle zu bleiben, und den schadhaften Fleck mit dem Hut zu bedecken.

Er schlich zu einer Bank, setzte sich, und verhüllte mit seinem Filz den unglückseligen Riß. Aber langweilen wir uns nicht länger mit ihm, lassen wir ihn sitzen, bis es Nacht wird, und kümmern wir uns nicht weiter um die Gefühle und Gedanken dieses modernen englischen Prometheus.

Zu Hause wußte man nicht, wo er war. Die Lady und die Miß wurden von Lord L... eingeladen, mit seiner Familie auszufahren, und der Herr Gemahl ritt mit dem Onkel Kapitän aus. Man war übereingekommen, daß man sich um zwei und zwanzig Uhr zu Hause finden wolle, um auf die Promenade zu fahren. Die Damen trafen pünktlich ein, und warteten mit Ungeduld der Reiter, aber sie erschienen nicht. Daß Henry nicht erschien, war ihnen eben so unbegreiflich. Blinde Sterbliche! wie unzählige Dinge ereignen sich doch, aus denen man die leidigsten moralischen Schlüsse für eure usurpierte Halbgötterschaft ziehen kann! Welche erschütternde Beispiele liefert uns die Geschichte, und wer hat in seinem eignen Leben nicht schon erfahren, mit welch' stockblindem Kopfe wir gegen die Mauer des Schicksals anrennen! Wer wird leugnen, daß die Lady eine Frau ist, wie sich nicht leicht eine andere für spirituöser und weiser halten kann, und dennoch ahnete sie in diesem Augenblick des Wartens nicht von ferne, daß ihr erstgeborener Sohn auf dem Monte Pincio schon vier oder fünf Stunden im Angesicht von ganz Rom sitze und Verstecken spiele, noch weniger aber hätte sie sich träumen lassen, was dem Herrn Gemahl unterdessen widerfahren war.

Es mochte wenig mehr zu Ave Maria fehlen, und unser gebannter Henry auf dem Berge sah schon der Dämmerung und seiner[488] nahen Erlösung entgegen, als der Onkel Kapitän vor's Haus sprengte, sich mit den großbritannischen Beinen vom Pferde schwang, und hinaufeilte.

»Hol' der Henker dieses Rom!« schrie er, in's Zimmer einstürzend, wo sich die Lady's befanden; »ich bin in Amerika und in Asien gereist, und habe nicht so viel Unheil erduldet, als in diesem einzigen Pfaffennest!«

»Wo ist mein Mann? wo ist der Vater?« riefen ihm die Damen erschrocken entgegen.

»Danket Gott, der in dieser katholischen Stadt keinen vernünftigen Protestanten mehr zu beschützen scheint, daß er überhaupt noch ist! Aber nur schnell! es ist nicht Zeit, zu plaudern! Einen Wagen und frische Kleider –«

»Aber um Gotteswillen, Bruder«, schrie die Lady, »was ist denn geschehen? du machst mir Todesangst.«

»Kleider her, Kleider und einen Wagen – er ist in die Tiber gefallen.«

»Hilf Himmel«, rief die Lady, »wo ist er? er – ist, er lebt noch –«

»Nun ja, es ging gut; aber schnell, es will Eile.« – Damit eilte der Onkel in des Lords Zimmer, die Mutter nach, man nahm in aller Eile Kleider heraus, man ließ einen Wagen anspannen. Unterdessen stieß der Onkel nur abgebrochene Worte und Flüche über das unglückselige Rom aus; die Miß bestürmte ihn, zu erzählen, aber man brachte Nichts aus ihm heraus, als daß der Papa bei Ponte Molle in den Tiber gefallen, daß er nahe daran gewesen, zu ertrinken, und daß er, der Onkel, morgen nach Neapel gehen werde.

Lady und Miß setzten sich mit ihm in den Wagen, und fuhren in höchster Eile durch die Porta del Popolo nach Ponte Molle.

»Aber wo ist er denn?« fragte die Lady.

»In der Osterie am Tiber außen.«

»Und wie ging's denn? Sprich doch, Bruder; du bist ja zum Verzweifeln stumm.«

»Nun, wie's ging? In's Wasser ging's. Wir ritten von Acqua Acetosa am Tiber hin, auf den verfluchten steilen Hügeln, dicht am Wasser hin, als das Pferd des Lords scheu ward, sich bäumte, und zusamt dem Reiter in den Tiber stürzte.«

»Heiliger Gott!« riefen die Damen.

»Was wollt' ich machen, ich konnte nicht schwimmen – aber ein Maler, der am Ufer sitzt, wirft seine Kleider ab und springt in's[489] Wasser; der Lord schreit, die Körpermasse hält ihn oben – der junge Mann er reicht ihn – Gott verdamm mich, er war keck – und faßt ihn, und heraus mit ihm aus dem Tiber.«

»Ein Engel, ein Engel!« erscholl's aus dem Engelsmunde Rebecca's.

»Halbtot liegt er am Ufer und speit Wasser, und schnappt nach Atem. Eine halbe Stunde geht's so fort, bis er zu sich selbst kommt; wir laden ihn auf's Pferd, – das seinige ist ertrunken, – und transportieren ihn bis an die Brücke, und dann hinüber nach der Osterie.«

Unter solchen unzusammenhängenden Erzählungen langte man an Ponte Molle an; man flog aus dem Wagen, man eilte in das Campagnenhaus, und fand den Lord auf dem Bette. Frau und Tochter stürzten auf ihn zu und riefen: »Sie sind gerettet, Vater, Sie sind gerettet, dem Himmel ewigen Dank!«

Jetzt erst bemerkten sie einen jungen Mann im Zimmer, und der Lord rief: »Der dort ist's, der hat mich herausgezogen, dem verdank' ich mein Leben.«

»Leider ist's ein Italiener«, brummte der Kapitän zur Lady hin.

»Kommen Sie, junger Mann«, hub der Lord wieder an, »sehen Sie, Sie haben Dieser den Gemahl, Jener den Vater gerettet!«

Eine Italienerin wäre hierbei gewiß dem edelmütigen Mann an den Hals geflogen, zumal da er sehr hübsch war, und hätt' ihm in Strömen von Worten und Tränen gedankt; unsere Britinnen aber, welche ihren Stand, ihre Nation nie vergaßen, verneigten sich vor ihm, wie man's etwa bei einer Teevisite macht, um ein Kompliment zu erwidern.

Der Lord hingegen, der nur zu sehr fühlte, was er dem Italiener verdankte, umarmte ihn unzähligemal, nannte ihn auf Englisch seinen Sohn, seinen Wohltäter, seinen Freund, und zeigte ein gutes, erkenntliches Herz.

Er wechselte die Kleider, und als er sich wieder auf den Beinen sah, nahm er den Italiener bei'm Arm, führte ihn in ein Nebenzimmer, und fragte: »Seid Ihr arm?«

Jener antwortete: »Nun ja, ich bin ein Maler!«

»Maler sind arm, Ihr habt Recht! Aber ich mach' Euch reich, so wahr ich Lord M... bin! Ihr seid von heut' an mein Sohn! Wollt Ihr mit mir?«

»Lieber Herr, das ist nicht möglich, ich muß in Rom bleiben!«[490]

»Gut, so bleibt Ihr in Rom, wie Ihr wollt! Ich will für Euch sorgen. – Wartet – richtig – aber Eines versprecht mir, Ihr sagt dem Herrn draußen und auch den Frauen nichts davon.«

»Ich verstehe Sie nicht, Mylord.«

»Das werdet Ihr sogleich! Ich geb' Euch jährlich achthundert Scudi; wenn Ihr heiratet – doch seid Ihr noch ledig?«

»Allerdings, Mylord.«

»Nun, wenn Ihr heiratet, ein gutes Heiratsgeschenk, und in meinem Testament sollt Ihr bedacht sein.«

»Herr, das ist zu viel – Ihr seid unendlich gütig.«

»Ihr habt Euer Leben an mich gewagt, und Ihr sollt Euch überzeugen, daß ein Engländer dankbar und großmütig ist. – Aber versteht Ihr, meiner Frau und dem langen Herrn nichts davon gesagt!«

Indem rief der Lord den Wirt, ließ sich Schreibzeug geben, setzte sich, sudelte einige Linien hin und gab sie dem Italiener. »Das reicht hin«, fügte er hinzu, »und nun laßt uns nach Hause. Ihr speist heut' bei mir!«

Der Jüngling dankte mit Herzlichkeit, entschuldigte sich, daß er des Lords Anerbieten nicht annehmen könne, und versprach, ihn morgen zu besuchen.

Weil der Wagen schon besetzt war, konnte er nicht mit den Briten nach Hause fahren. Die Damen und der Kapitän verneigten sich stolz vor ihm und stiegen ein. Der Lord flüsterte: »Morgen, versteht Ihr?«

Der Italiener nickte, der Wagen rollte fort, und unser unbekannter Erretter sah nun das Papierchen an; aber er verstand nichts davon, denn es war englisch geschrieben, als lebenslängliche Pension von achthundert spanischen Piastern, und das konnte hinreichen. Also hurtig nach Rom zurück! Das war eine Goldfischerei ohne Gleichen. Gebenedeit sei der Tiber und die Briten, die d'rin ertrinken wollen!


Für Henry hatte längst die Stunde der Erlösung geschlagen, und er befand sich schon zu Hause, als die Familie von Ponte Molle anlangte. So gerechte Ansprüche er auf die Teilnahme der Übrigen machen konnte, so wurde ihm doch wenig Aufmerksamkeit geschenkt,[491] indem man nur mit dem Unglück des Vaters beschäftigt war, und besonders der Onkel darüber nachsann, wie man sich mit dem Italiener abfinden könne. Seine Meinung ging endlich darauf hinaus, daß man die Porträts der Familie von ihm malen lassen und ihm etwa die Reise nach Neapel bezahlen solle, damit er sie daselbst ausführe. Der Lord meinte aber, daß sich das schon finden werde, und die Lady sagte: »Der arme Mensch! er hat nichts als sein bißchen Leben, und setzt auch das daran, um einem Andern das seinige zu retten! Es ist wirklich eine schöne Tat, und wir müssen sie ihm gut bezahlen, eh' wir abreisen.«

Henry hatte wenig Anteil an dem tragischen Vorfall bei Ponte Molle genommen, denn in seinem Gehirn verknüpften sich die wunderbarsten Ideen, geheime Heirat, Flucht, Limonienhändler, die Longara, wie künftiges Glück und noch unzählige andere Dinge, sogar Youngs »Nachtgedanken«. Der Sonnabend kam heran, am Sonntag sollte das Abenteuer überstanden werden, und er überlegte jetzt reiflich, wohin er mit Camilla fliehen solle.

Er entschloß sich, noch in derselben Nacht nach Tivoli abzureisen und einen Brief zu hinterlassen, der den Eltern anzeige, was geschehen, und ihnen die Wahl frei lasse, ob sie seine vollzogene Vermählung genehmigen, oder ihn nie mehr sehen wollten. Er setzte sich sogleich an den Schreibtisch und fertigte folgendes Billet aus:


»Liebe Eltern!

In dieser Stunde bin ich der glücklichste Mensch auf Erden geworden, Camilla ist mein, auf ewig, unzertrennlich mein. Der Priester hat uns verbunden. Vergebt mir, daß ich so kühn war, den höchsten meiner irdischen Wünsche so eigenmächtig zu erfüllen; ich konnte nicht anders; wenn Ihr je geliebt, so wißt Ihr, wie allmächtig die Leidenschaft ist! In dem Augenblick, da Ihr diese Zeilen leset, ist mir nichts mehr zu wünschen übrig geblieben, als daß Ihr einwilligt in eine Verbindung, welche Ihr nicht mehr auflösen könnt. Schon ist mir Camilla an's Herz gesunken, und ich habe das äußerste Maß von Seligkeit genossen, das mir der Himmel bestimmt hat. Gebt unserer Liebe den Segen, wir sind in Tivoli, an den donnernden Kaskaden des Teverone! Sendet uns das Wort der Liebe und wir eilen in Eure Arme!

Henry M...«
[492]

Dieses Billet, er konnte nicht warten, er mußt' es Sonnabend schon schreiben und am Abend des Festes, wenn die Eltern von der Girandola zurückkamen, sollte es ihnen zu Gesicht kommen. Es stiegen wohl zuweilen Zweifel in ihm auf, wenn er sich der frühern Sprödigkeit Camilla's erinnerte, wenn er die Größe des Opfers betrachtete, welches sie ihm zu bringen versprochen, aber seine Eigenliebe spiegelte ihm tausend Gründe vor, die sie zu diesem waglichen Schritt bewegen konnten; er hatte ihr geschrieben, daß sein ganzes Lebensglück von ihrem Eintreffen abhange, und vor Allem war es seine Einbildungskraft, die mit einem Schwarm romantischer Bilder und Hirngespinste jeden Skrupel unterdrückte, den der kältere Verstand in den Weg legen wollte. So vertraute er den Worten ihres Briefes, und erwartete sie zuverlässig an dem bestimmten Ort, rüstete Geld und Reisebedarf, packte seine Effekten zusammen, und bestellte einen Wagen nach Tivoli.

Am Sonnabend früh erschien der edelmütige junge Italiener und ließ sich dem Lord melden. Dieser empfing ihn mit einer väterlichen Umarmung und nötigte ihn zu sich auf das Sofa. »Hier, Henry«, versetzte er, »ist mein Wohltäter, und wie – du sagst ihm kein Wort des Dankes?«

Henry sah den Italiener starr an, und ging endlich auf ihn zu, ihm mit Zeichen der Überraschung die Hand reichend und für seine menschenfreundliche Tat dankend. Die Miß trat herein, verbeugte sich, wie ein Schilfrohr, das der Wind etwas bewegt, und lief sodann davon. Die Kinderchen kamen ebenfalls; keines kümmerte sich um den Fremden, nur das Kleinste trat auf ihn zu und fragte ihn schnippisch: »Sprechen Sie englisch, oder italienisch, oder französisch, oder deutsch, oder lateinisch, oder griechisch? Haben Sie die Villa Pamphili schon gesehen, und die Villa Borghese, und die Passeggiata?«

Die Lady sprach unterdessen mit dem Onkel in dem Nebenzimmer, und meinte, daß man dem guten Menschen doch Etwas geben müsse. »Was meinst du, Bruder«, fragte sie, »wie wär's, wenn wir ihm eine silberne Uhr kauften, oder ein Dutzend Schnupftücher, oder eine schöne Weste?« Der Kapitän beharrte aber darauf, daß es besser sei, sich von ihm malen zu lassen, und daß man ihn deshalb nach Neapel mitnehmen und freihalten könne.

Unterdessen, denn die Unterhaltung ging schlecht, weil der Lord nicht gar zu gut italienisch sprach und überhaupt so einsilbig[493] war, wie ein Seehund, hatte dieser den Italiener schon in sein Zimmer gezogen und ihm einen Wechsel von vierhundert Zecchinen in die Hand gedrückt. Als man wieder herauskam, er schien das edle Geschwisterpaar, die Lady und der Kapitän, und flüsterten dem Lord Etwas in's Ohr.

Dieser wandte sich sofort an den Italiener und fragte ihn, ob er mit ihnen morgen nach Neapel gehen und sie daselbst porträtieren wolle?

Allein Jener schützte unübersteigliche Hindernisse vor, versprach aber, später nachzukommen, um die liebenswürdigste Familie, die er jemals kennen gelernt, abzukonterfeien. Bald darauf verabschiedete er sich, wurde von dem Lord begleitet und noch einmal ermahnt, vor den genannten Personen Alles geheim zu halten.

Stündlich erwartete man den Bräutigam Rebecca's. Der Onkel meinte, daß ihm in diesem Lande der Taugenichtse leicht Etwas widerfahren sein könne, und man erschöpfte sich in Vermutungen, bis endlich die Miß ihrer Mutter vertraute, er werde erst morgen früh erscheinen.

»Und wie, warum denn?« fragte die Lady neugierig.

»Verzeihen Sie, liebe Mutter, ich bin daran Schuld«, begann das Töchterchen. »Ich will Ihnen Alles bekennen, aber Sie sollen's auch geheim halten, sollen gegen Niemand ein Wort verlauten lassen. Versprechen Sie mir das, Mütterchen?«

»Nun ja doch, liebes Kind; ich verstehe dich nicht!«

»Es hängt viel von Dingen ab, welche dem gewöhnlichen Menschen gleichgültig sind, als zum Beispiel: eine Begrüßung, ein Abschied! Dergleichen wichtige Augenblicke unseres Lebens sollten mit der zartesten Vorsicht behandelt werden; man sollte Alles entfernen, was in der Außenwelt stören könnte, nur das Sinnige, das Bedeutungsvolle sollte uns umgeben, und Alles um uns gleichsam ein Wiederhall von dem geistigen Akte sein, welcher in uns gefeiert wird.«

»Aber was soll denn das, mein Kind –?«

»So hören Sie doch nur! Wie beleidigend für mein Gefühl wäre es, wenn ich den Geliebten aus dem Reisewagen steigen sähe, wenn ich ihn in der Umgebung von Mägden und Bedienten, in einem gemeinen Zimmer begrüßen müßte! Darum, liebe Mutter, hab' ich ihm geschrieben, daß er nicht früher, als diesen Abend in Rom eintreffen solle, und daß ich ihn morgen am Fest von St. Peter[494] und Paul, in derselben Stunde, da der Beherrscher der katholischen Christenheit von St. Peter aus den Segen erteilt, auf der Trajanssäule erwarte!«

»Das ist ein Gedanke«, rief die Lady, »der nur in deinem wundersamen, sinnreichen Gehirnchen entstehen konnte! Nun, so komm' er denn erst morgen, denn am Montag reisen wir unfehlbar nach Neapel ab. Ich danke nur dem Himmel, daß die verhaßte Italienerin aus dem Hause geschafft worden! Welch ein Übermut in dieser römischen Kokette! welche Frechheit in dieser ungesitteten Komödiantin! Mir das in's Gesicht zu sagen, so eine bettelarme Person, die Staat macht, wie eine Sultanin, und einen Engländer heiraten möchte, um Geld zu haben! Nein, das ist eine unverzeihliche Verirrung unseres Henry! Was würde dein Bräutigam sagen, wenn er morgen seine Schwägerin sähe? Möge sie ihres Gleichen heiraten, von meinem Gelde soll sie auch nicht einen Schilling haben.«

»Es ist doch eine Schande«, erwiderte die Miß, »sich so von einem Fremden beschenken zu lassen! Und dann erst noch die Unverschämtheit, Alles zurückzuschicken, und sagen zu lassen, daß ich die Kleider tragen solle!«

»Italienisches Volk!« versetzte die Lady. »O ich hätte es nie geglaubt, als ich nach Italien ging, daß ich mit Italienern in Berührung kommen werde! Lieber wär' ich in London geblieben. So ist mir's auch unangenehm mit dem Menschen, dem wir so sehr verpflichtet sind, zumal da der Vater so närrisch mit ihm tut. Wir wollen ihn bezahlen und dann mag er seiner Wege gehen; er soll belohnt werden, allerdings, und man soll wissen, daß Engländer Nichts umsonst annehmen, aber dann soll er uns auch ungestört lassen.«

Dies und Anderes redeten unsere britischen Humanistinnen zusammen. Aber wir haben unsern guten Irländer ganz aus den Augen verloren.

Warum sollte in dem ehrbaren alten Herrn, der einem Backofen so ähnlich ist, und dem die Feuerflamme durch hundert Rubinen hervorschlägt, warum sollt' in ihm nicht auch die Flamme der Liebe auflodern? Es ist wahr, daß dies die Priester verbieten, und sie mögen ihre Gründe dazu haben; es ist wahr, daß Sir Thomas aus der Blütenzeit bereits heraus ist, aber verblüht ist er denn doch nicht, im Gegenteil lachen ihm die reifsten Purpurfrüchte aus der[495] Nase und den Wangen; er ist bejahrt und ein Hagestolz, ist fromm und geht täglich in die Messe, beichtet jeden sündigen Gedanken, und nimmt den Hut vor jedem Kreuz, jedem Madonnenbild, jedem Kapuziner, Monsignore und Bischof ab; er glaubt felsenfest an Heilige, an Wunder und Reliquien, und fällt vor dem Papst nieder, wie vor Gottes Vikarius; aber wenn man so eine allerliebste Römerin im Hause hat, so ist das Alles zusammen nicht hinreichend, um das Aufkeimen einer gewissen verliebten Zärtlichkeit zu verhindern. Der Gegenstand, nach dem die Wünsche unsers Irländers hinschielten, ist freilich von niederm Stande, aber man weiß ja, daß die Liebe nicht nach dem konventionellen Unterschied fragt, den die üble Laune des Schicksals unter die Menschen gebracht hat, und daß die Schönheit allenthalben zu Hause ist, und nicht bloß bei vornehmen Engländerinnen, wie Miß Rebecca. Kurz, Sir Thomas, so orthodox er sonst als rö misch-katholischer Christ dachte, konnte in einem gewissen Punkte, den die Gelehrten, welche Latein verstehen, punctum sexti nennen, für ziemlich liberal und freigeisterisch gelten. Nur fehlte es ihm etwas an Geschick, das Ding gut anzugreifen, und so mag sich denn ein verliebtes Abenteuer selten in seinem Leben, und vielleicht nie ohne Ruffiano, ereignet haben.

Auf die hübsche Rosette hatte er es nun aber einmal abgesehen, und Scudi an den Mandolinspieler, Schnupftücher und Piaster für den Oktoberkamm gespendet, um dem Herzen des artigen Kindes mit aller strategischen Kunst nahe zu kommen. Er trug sich freilich nicht mit den erhabenen Gedanken, wie unser Henry, dessen Seele einen weit platonischern Schwung hatte, wiewohl die Feinde des Platonismus behaupten würden, daß es bei Beiden am Ende auf Eines hinauslaufe. Wer kann es ihm verargen, daß er mehr Leib als Seele war, und so ist es leicht erklärbar, wie jene sentimentalen Liebesphantasien, welche sich gerne blasse Gesichter, magere Figuren, altdeutsche Personen, geniesüchtige, transalpinische Gymnasisten und römische Nazarener und Fiesolaner aussuchen, wie sie in dem irländischen Schlund voll Beefsteak und Pudding ihr zartes, schmächtiges Dasein nicht erhalten konnten.

Zudem wär' es bei einer trasteverinischen Schönen auch nicht am Platze gewesen; denn dort, wie über haupt in Italien, ist die theoretische Liebe weniger im Kurs, als die praktische. Schöne, wilde, sinnliche Weiber, rasches Flammenblut, Leidenschaft und Lebensfülle, ein starker Wein, ein süßes, nervenreizendes Klima, ein[496] glücklicher, leichter Kopf, Sorglosigkeit und Frohsinn, das sind Dinge, welche die Liebe daselbst auf dem einfachen Wege der Natur halten, wenn sie gleich zuweilen im Übermaße vorhanden sind, die Natur überschreiten und sich in schrecklichen Ausbrüchen entladen, welche im Moment die Hand eines beleidigten Liebhabers oder eines wütenden Weibes mit dem Messer bewaffnen.

Kurz, als Sir Thomas am Sonnabend nach Hause kam, traf er Rosetten mit einem jungen Burschen vor der Haustüre. Das wollte ihm gar nicht gefallen, und er warf einen zweideutigen Blick auf den Minente, der vom rechten Schlage war, eine Schärpe um die Brust trug, und das Manchesterwams auf der Schulter hatte, ganz nach Trasteveriner Art. Als Sir Thomas oben war, kam das Mädchen, und er fragte blinzelnd: »Wer ist denn der Bursche unter'm Hause? Du Schelm! das ist dein Liebster, nicht wahr?«

»Mein Liebster?« rief Rosa auflachend; »o was Ihr denkt, Ihr seid wunderlich, das ist ein Vignarol aus Trastevere, und mein Vetter!«

Sir Thomas hatte nicht geringe Furcht, denn er hatte so mancherlei von der Eifersucht, der Rache, der Wut der Italiener gehört, aber die Gegenwart des artigen Kindes, das schöne Gesicht, das üppige Haar, das naive Fransenjäckchen, die volle Brust, die aus ihm hervorquoll, das reichte hin, seinen Mut wieder zu beleben.

Er fing an zu schäkern, – was wissen wir, was er vorbrachte – allein das Mädchen versprach ihm auf morgen ein appuntamento!

»Wenn Alles fort ist, versteht Ihr«, flüsterte sie ihm in's Ohr, »wenn Alle drüben bei'm St. Peter sind, und die Kuppelbeleuchtung und die Girandola auf dem Kastell beschauen, dann –«

»Aber liebe Seele«, wandte Sir Thomas ein, der doch das Feuerwerk und die Illumination St. Peters nicht versäumen wollte, worauf er mehr, als auf Alles begierig gewesen, als er nach Rom gekommen, »aber mein Schätzchen, können wir's denn nicht auf ein andermal verabreden?«

»Nein«, rief Rosa, »nein, Signor Tommaso, es ist unmöglich! Morgen um Ein Uhr nach Ave Maria, oder nie!«

Damit eilte sie davon, und ließ unsern Irländer in einem ungeheuern Seelenkampfe zurück.

Rosa aber schlich sich noch zur Haustüre herab, und flüsterte lange mit dem Liebsten zusammen. Als es endlich oben rauschte, sagte sie: »Nun gut, also um Ein Uhr nach Ave Maria!«[497]

»Sei ruhig, wir kommen!«

»Gute Nacht –!« Und der Liebste ging. Armer, armer Thomas, du wirst morgen daran glauben müssen!


Die Kanonendonner vom Mausoleum des Adrian kündigten das große Fest an, und die Sonne stieg über Rom empor. Welch ein wichtiger, verhängnisvoller Tag für alle unsere englischen Freunde! Rebecca sieht der seligsten Begrüßung ihres Geliebten auf der Säule des Trajan entgegen; Henry erwartet die Erfüllung seiner höchsten Wünsche, sein Ein und Alles, in der Longara, um es für alle Ewigkeit an sich zu fesseln; Sir Thomas ein reizendes Schätzchen; die Lady ist ausnehmend gespannt auf die Girandola; der Onkel und der Lord sollen zum Erstenmal den Papst sehen – ach! hätten wir nicht so aufrichtig die Partie der Briten genommen, und wär' es nicht unser Grundsatz, nie auf beiden Schultern Wasser zu tragen, so könnten wir von Camillen noch etwas Wichtiges erzählen.

Rebecca brachte einige Stunden am Samtbüchlein zu, und Henry wußte sich in der großen Bewegung, worin sich sein Inneres befand, mit nichts Besserem zu unterhalten, als daß er auf dem Spanischen Platz umher lief, und zwar gerade mitten in die Steine tretend, und ja nicht auf die Linie, wo sich zwei mit einander verbinden.

Bald kam aber die Zeit, da die Schwester nach der Trajanssäule fahren wollte, und unser Henry erhielt den Auftrag, sie zu begleiten. Freilich wollte der Lord und der Onkel wissen, wohin man sich denn begebe; aber die Lady sagte, daß sie diesmal ihre Neugierde nicht befriedigen werde, so daß sich dieser wirklich etwas erzürnte und der Meinung war, die Mutter begünstige doch immer die dummen Streiche ihrer Kinder. Gott sei gedankt, daß es die Miß nicht hörte, ihr Gemüt, das heut zu lauter Äolsharfen- und Maultrommeltönen gestimmt war, in dessen reizbaren Saiten die Sehnsucht die süßesten und übersinnlichsten Melodien der Liebe spielte, dieses Gemüt hätte durch eine so barbarische Äußerung leicht auf's Grausamste verstimmt werden können! Aber sein Schutzengel bewahrt' es davor, nur die Lady vernahm es, und bestrafte den Bruder mit einer verächtlichen Miene.

Unser empfindsames Geschwisterpaar begab sich also nach dem Forum des Trajan. Henry sollte unten warten, und die beherzte[498] Britin unternahm es allein, die Riesensäule des großen Imperator empor zu steigen. Freilich kam es ihr sauer an; die Treppen wollten nicht enden, hundert Mal hielt sie inne und schöpfte Atem.

Endlich ist sie oben, und wir fühlen uns mit ihr von dem erhabenen Moment zur Begeisterung hingerissen! Du edler Schmuck der alten Weltbeherrscherin, durch sechszehn Jahrhunderte der Nachwelt erhalten, Gegenstand der Bewunderung der Vorzeit und der heutigen Tage, geehrt von den Besiegern von Dacien, wie von den modernen Britannen! dich hat der römische Senat dem glorreichen Eroberer, dem menschlichen Herrscher, dem Vater des Volks zum Denkmal gesetzt, wo seine Asche ruhte in goldener Urne. Über Rom weg und seine sieben Hügel sollte sein Bild ragen, und das allverehrte Idol des Kaisers sollte als Beispiel, als Muster für kommende Monarchen, so wie als Gegenstand der allgemeinen Nationalverehrung in den Lüften schweben! Noch im achtzehnten Jahrhundert wirkt seine begeisternde Kraft; einst für die Triumphe des Eroberers bestimmt, wählt es sich heute die Liebe zu ihrem höchsten Triumph aus, und eine schöne Engländerin steht oben in den Lüften und schaut über Rom hin.

Hundert und acht und neunzig Palmen, das ist ein hoher Standpunkt, von dem aus eine verliebte Eliza das Leben betrachten kann, ein hoher Standpunkt, den die Sentimentalität sich zu ihrem feierlichsten Augenblick erwählen kann! Umher das aufgegrabene Forum des Trajan, die stolzen Säulenreihen; dort gegen Osten der finstere Turm des Nero, von dem herab der Tyrann bei'm Leierspiel die Stadt brennen sah; hier zur Rechten das Capitol, und weiterhin der alte Palatin mit seinen idyllischen Gärten und Kaiserruinen, das düstere, von Limonien überwachsene Gewölbe des Friedenstempels, das Colosseum und die Zypressen des Monte Celio, die weiten, melancholischen Einöden des alten Roms, und hier gegen West und Nord die ungeheure tausendgestaltige Stadt mit ihren Kuppeln und Obelisken, Balkonen und Logen. – Nein, Rebecca, du hast einzig gewählt, du kennst das Altertum und die Weltgeschichte, du wärest würdig, daß einer der heidnischen Götter aus seinem verschütteten Tempel zurückkehrte, o englische Vestalin, und dich umarmte.

Doch stille, kein heidnischer Gott, sondern ein gut protestantischer Engländer soll dich an dieser luftigen Stätte besuchen. Noch ist er nicht da; die Junisonne brennt fürchterlich aus dem azurblauen[499] Himmel herab, und unsere Schöne flüchtet sich in den Schatten des Sonnenschirmchens. O daß sie zu hoch steht, daß sie zu sehr dem Reich der Lüfte angehört, als daß man sie so von unten recht genau betrachten könnte, welch rührender Anblick wär' es, sie mit dem blauen Schirmchen auf der gigantischen, von anderthalb Jahrtausenden geschwärzten Säule zu schauen! Sie wendet sich St. Peter zu, wo sich heute Kinder von allen Nationen versammeln, um den Segen des Statthalters Christi zu empfangen, aber der Geliebte erscheint nicht. Die heißen Südwinde wehen ihre Seufzer über die sieben Hügel hin, sie hebt ihre blauen Augen zum Himmel empor und lispelt: »My sweet heart, my dear loved soul, o heaven and earth!« Aber aus diesen Gegenden steigen nur italienische und lateinische Gebete gen Himmel, und die englischen scheinen nicht erhört zu werden, denn der Seelenbräutigam kommt nicht.

Verlassen wir die trauernde Britin auf der Trajanssäule und ihren noch mehr bekümmerten Bruder, der unten auf dem Forum sitzt und vor Langerweile an den Nägeln kaut, und gehen wir den Corso hinauf bis zum Platz Colonna, eine gute Miglie! Wie man weiß, erhebt sich dort der Koloß der Antoninischen Säule über den Platz und die gewaltigen Nachbarpaläste empor!

Wir finden einen Herrn mit blonden, rauhen Haaren, von steifer Figur, mit der Lorgnette vor dem Auge, und einem äußerst kleinen Hütchen auf dem Kopfe. Das ist ein Engländer, wir wetten das Heil unserer Seele dran. Er schaut an der riesenhaften Säule hinauf, und sagt zu sich selbst: »Yes, yes, very well, das muß die Trajanssäule sein! Hier ist sie, hier erwartet mich meine Rebecca!« und nun hurtig empor. Er bezahlt den Türhüter gut und steigt hinauf. »Ob sie schon da ist!« spricht er, die dunkeln Wendeltreppen forttappend, »ob sie schon da ist! Ah welch' ein Wiedersehen! Welch' ein Augenblick der Begrüßung im Angesicht des ewigen Roms, unter dem Donner der Kanonen, welche den Segen des Papstes der feiernden Stadt verkündigen!«

Tausend goldene Phantasien umgaukelten unsern Engländer, das Herz klopfte ihm stärker, je mehr Treppen er erstieg, und je näher er der harrenden Braut zu sein glaubte. Endlich fiel ein wunderbares Dämmerlicht in die Nacht herein. »Rebecca!« rief er, »Rebecca, wo bist du?« und er stieg auf den Kranz der Säule hinaus, aber keine Rebecca flog ihm entgegen.[500]

»Nun, sie wird erscheinen«, denkt er, »und ich habe das Vergnügen, sie zu empfangen; noch ist es frühe, noch ist der Segen des Papstes ferne, und kein Kanonendonner erschallt noch über das andächtige Rom!«

So legt er sich an's Geländer, und blickt über die Stadt hin zum Westen, wo zwischen den sanften Wölbungen des Mario und den Rebengärten des Gianicolo sich St. Peter erhebt, und gegen Osten, wo ihn die Quirinalischen Paläste gebieterisch anschauen, und nördlich weiterhin die Pinienhaine der Villa Borghese und die Paradiese von Medizis grünen, und dann südlich gegen die Abhänge des Monte Cavallo, wo über Paläste und Kuppeln die – Säule des Trajan emporschaut, bis zum Capitol und den Wildnissen des Celio und Aventin. So steht unser Brite mit klopfendem Herzen, und wartet! Er schaut auf den Platz hinab, und jede weibliche Figur, die in der Tiefe sich bewegt, dünkt ihm Rebecca zu sein, aber sie gehen Alle an der Säule vorüber, nach allen Seiten des Platzes, und Keine sieht auch nur zu der Höhe hinauf, wo er seufzt und jammert. Die Sonne brennt ihm schrecklich auf die Stirne, und er flüchtet sich in den Schatten des Apostels, der über ihm in den Lüften steht, und gegen die ferne Basilike hinblickt. »O Säule des Trajan«, ruft er endlich, »wie viel Seufzer kostest du mich! Wenn sie nicht mehr käme! wenn sie nicht mehr in Rom wäre! Nein, das konnte Rebecca nicht tun! Mit welcher Eile flog ich von Florenz hieher, wie viel Goldstücke hab' ich weggeworfen, um gestern Abend noch anzulangen! Und jetzt!«

Stunden verrannen, und die Geliebte erschien nicht. Schon stand die Sonne am höchsten, und es war nicht mehr auszuhalten, nur ein Säulenheiliger hätt' ihre Glut ertragen. Ein peinlicher Durst fing an unsern Briten zu plagen, und die Qual des körperlichen Bedürfnisses gesellte sich zu dem Schmerz der Seele. Er blickte mit Sehnsucht zu der Fontäne hinab und zu den vielen Limonadeverkäufern, deren goldene Früchte ihm in's Auge lachten und den Durst nur höher steigerten.

Indem donnert' es vom Westen her, und die Kanonen des Kastells verkündeten den päpstlichen Segen. In diesem Augenblick rief er aus: »Jetzt erscheint sie! jetzt ist der Moment! jetzt, während das Volk auf den Knieen liegt, stürzt mir Rebecca in die Arme!«

Ein Donner nach dem andern, eine Rauchwolke nach der andern[501] auf dem Grabgewölbe des Kaisers, endlich wird's stille, und Rebecca war nicht gekommen.

Da bemächtigt sich die Verzweiflung unsers armen Briten, drei Stunden hat er gewartet, die Zunge lechzt ihm; die Hitze ist unerträglich, er eilt die Treppen hinab, verfehlt eine Stufe, und rutscht ein beträchtliches Stück hinunter.

Jetzt hätt' er beinahe geflucht, denn es schmerzt' ihn in allen Gliedern. Kaum vermag er sich wieder aufzurichten, und die Hand auf die zerstoßene Hüfte haltend, hinabzuschleichen, wie ein Blinder.

Endlich kommt er an die Türe, aber o Himmel sie ist verschlossen! Der Unglückliche schreit, er klopft und poltert; doch Niemand hört ihn, der Türhüter mußte vergessen haben, daß Jemand oben stand, und wußte schwerlich davon, daß eine Geliebte hier erwartet wurde. Kurz, der Brite war eingeschlossen, und mußte, weil es ihm hier in der entsetzlichen Dunkelheit und Enge doch gar zu unheimlich dünkte, mit saurer Mühe und manchem Tropfen Schweiß wieder hinaufsteigen. »O Rebecca«, stöhnte er, »o Trajanssäule, o du Qual der Hölle, du schrecklicher Durst!« Umsonst, keine Menschenseele hörte seine Klagen hier oben.

Und Rebecca unterdessen? Nein, es ist unmöglich, wir können die Schmerzen ihrer Seele nicht schildern. Auch sie wartete drei Stunden; Henry verging die Geduld, er kam zu ihr hinauf, der Segen ging vorüber, die Miß vermochte sich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Füßen zu erhalten, und man fuhr endlich nach Mittag nach Hause. Daß Rebecca in Tränen zerfloß, kann jede fühlende Seele sich einbilden.

Sie langten, Beide in heftiger Gemütsbewegung, zu Hause an. Niemand eilte ihnen entgegen; weder Vater, noch Mutter, noch Onkel war zu Hause, und doch sollten sie es längst sein. Henry suchte die Schwester zu trösten, wiewohl er selbst Trost bedurft hätte; denn die fehlgeschlagene Hoffnung Rebecca's mahnte ihn nur allzusehr an die Möglichkeit, daß auch seine Geliebte heut Abend nicht in der Longara erscheinen dürfte.

Wohl eine Stunde mochte so verflossen sein, als endlich die Karosse vor's Haus fuhr. Die Lady eilte voraus, und rief schon auf der Treppe: »Ach um's Himmelswillen, wo ist Rebecca? wo ist der Bräutigam? wo sind meine Kinder? – Ich bin des Todes! – O armer Bruder!« Unter solchen Ausrufungen hatte sie schon das Zimmer[502] erreicht, und sah nun das Töchterchen mit dem Schnupftuche in der Hand an dem Fenster sitzen. »Wo ist er? wo ist er?« schrie die Lady – das traurende Kind schüttelte den Kopf – »er ist nicht gekommen? er ist – o welcher unheilvolle Tag! o armer Bruder!«

Jetzt trat auch der Lord herein. »Daß doch der Henker das St. Peter- und Paulsfest hole!« stöhnte er schweratmend. »Das wird ein schwerer Strauß werden! das wird uns Geld kosten! Und geschlagen haben sie ihn gar! wie einen Esel geschlagen! einen Engländer geschlagen – dieses Pöbelvolk von Trabanten!«

»Was ist's?« fragte Henry, »wen haben sie geschlagen?«

»Den Onkel.«

»Ist es möglich? Was ist geschehen?«

»Mein Leben lang will ich an diese Woche denken. Erst die Geschichte mit dieser Italienerin, dann das Unglück mit der Bäuerin, die heillose Peterstour, das verwünschte Malheur im Vatikan, endlich gar das Bad im Tiber, und nun zu guter Letzt setzen sie mir den Onkel in's Loch! Wann werden wir aus Rom hinauskommen? Und wie? O Kinder, das ist eine Reise! Gott sei dafür, daß ich wieder eine solche mache!«

Erhitzt, und sich die Schweißtropfen abtrocknend, setzte er sich nieder, und ließ die Lady erzählen:

»In St. Peter«, hub sie an, »eh' die Messe begann, als die Prozession kam, mußten wir vor dem Papst knieen. Das will ich nie vergessen. Der Onkel weigerte sich, aber er war zu groß, ragte zu sehr hervor, und einer der Soldaten zwang ihn, mit einem derben Ruck am Arm, sich niederzulassen! Der arme Bruder ärgerte sich halb tot, aber es sollte noch anderes Ungemach über ihn kommen. Er wollt' uns weiter vor bringen, die Schweizergarde hatte einen Kreis um den großen Altar gezogen, und der Onkel forderte, daß man uns einlasse! Der Flegel von einem Deutschen widersetzte sich, der Onkel wurde hitzig, stieß ihn weg, und drängte sich mit Gewalt durch. Jetzt aber packte ihn der Trabant an der Brust, und schüttelt' ihn, daß sich Gott seiner hätte erbarmen mögen; der Onkel ward wütend, schlug und stieß, und nun gab ihm der Bär von Soldat mit der Hellebarde ungeheure Stöße, daß er schrie; ein paar Andere packten ihn, wir sind außer uns; alles Volk drängt sich um die Szene her, die im Angesicht des Altares, unter der Kuppel vorfällt; man reißt den Onkel hinaus, und o – zu Tod muß man sich schämen, er wird wie ein Missetäter durch die Menge geschleppt,[503] und in der ganzen ungeheuern Kirche gafft man nach ihm, weil er über Alle hervorragt. Wir eilen nach, Ironius ist bei uns; die Schweizer führen ihn hinaus und sogleich auf die Wache. Umsonst verlangt der Vater, umsonst Ironius eingelassen zu werden; aber alle Versuche sind vergebens, und wir müssen in diesem unsäglichen Jammer nach Hause fahren.«

Die Gemüter der Kinder waren zu bewegt, um lebhaften Anteil an dem Unfall zu gestatten, jedes dachte nur an seine Liebe, an seine eigene Gefahr.

Aber der Lord lamentierte über die Maßen, und die Lady suchte ihn vergebens mit der Hoffnung zu trösten, daß Ironius schon für die Befreiung des Kapitäns sorgen und diese durch seine Bekanntschaften auswirken werde.

Sir Thomas unterdessen hatte eine Andacht nach der andern verrichtet. Er hatte dem heiligen Petrus mehrmals den Fuß geküßt, auf den Knieen hatte er vor Allen achtundzwanzig Altären gelegen, Kreuze unzählbar geschlagen, vor dem Papst devot gekniet, und den Segen voll Freuden eingenommen; das Mittagsmahl schmeckte ihm daher nach so vielen Bewegungen des Herzens und der Kniee mehr als gewöhnlich, und den heiligen Schutzpatronen von Rom zu Liebe trank er heut eine Flasche mehr. Morgen wollt' er zur Beichte gehen, und die etwanige Sünde von heut Abend abbüßen, nur verdroß es ihn, daß er das Schönste von Allem, was er in Rom sehen könnte, das Feuerwerk auf dem Adrianischen Mausoleum, nicht genießen sollte. Ihm lag, als einem echten Philosophen, nichts daran, ob er sein Liebchen auf der Trajans- oder Antoninussäule, in der Longara oder an der Pyramide des Cestius sehen werde, denn, wie wir schon mehrmals bemerkt, er hatte sich noch nie mit romantischen Ideen geplagt. Seinen angebeteten Glaubensfreund Ironius hatte er nicht mehr gesehen, seitdem der Kapitän in Verwahrung gebracht worden, und er erwartete nun die Freuden des Abends auf's Bequemste und Sorgenloseste, indem er gegen fünf Stunden auf dem Sofa verschnarchte.

Ironius gab sich erstaunliche aber erfolglose Mühe, um unsern Kapitän zu befreien. Denn die Monsignori und Kardinäle, durch deren Beistand er seine Loslassung bewirken wollte, waren heute zu sehr beschäftigt, er traf sie nicht zu Hause, es gelang ihm kaum, zu dem Arrestanten durchzudringen, welchen er im Zustande der äußersten Desperation traf. Ironius tröstete ihn, indem er ihn versicherte,[504] daß es mit seiner Freiheit keine Not habe, und daß er mit einigen hundert Zecchinen schon aus dem Loche kommen werde; was freilich nur dazu diente, den Jammer des Delinquenten zu vergrößern. Aber hier fand sich kein anderer Ausweg; Ironius ließ ihn allein, und eilte, den Lord und seine Familie zu trösten.


So kam der verhängnisvolle Abend der Girandola heran, und wir sind in Verlegenheit, wohin wir uns wenden sollen, da es uns nicht möglich ist, so viele gleichzeitige und gleichwichtige Begebenheiten auf einmal zu schildern. Wo heben wir an? Bleiben wir bei Sir Thomas, oder folgen wir dem verzweifelten Henry, oder jammern wir mit dem gefangenen Oheim, oder suchen wir den eingeschlossenen Säulenheiligen auf, oder begleiten wir den Lord, die Lady und die Miß an den Tiber, oder laufen wir mit Ironius bei Prälaten, Canonici und Kardinälen umher, oder wenden wir uns zu Camilla?

Geduld, lieber Leser, du kannst so viele Ereignisse nicht einmal zugleich überdenken, geschweige, daß wir sie beschreiben könnten. Wir können der Laune nicht widerstehen, und machen uns zuerst zum Irländer.

Es ist Ein Uhr in der Nacht! Schon hatte sich der alte Herr den Schlaf aus den Augen gerieben, und leerte eine halbe Dose Tabak aus, um sich die Zeit zu vertreiben. Den Rock hatte er noch nicht angezogen, und war noch ganz im Schlummer-Kostume. Eine Flasche des trefflichsten spanischen Weines stand auf dem Tische, und auch für Konfekt hatte der irische Anakreon gesorgt.

Jetzt klopft' es an die Türe – nein! das hätten wir nicht vermutet, das macht uns erstaunen, die Schöne tritt herein. Also sie wollte ihn wirklich nicht zum Besten haben? Wirklich, wir hätten's erwartet! Doch die Weiber sind unerforschliche Geschöpfe, das haben wir so oft diesseits und jenseits der Alpen erfahren, und finden es abermals bestätigt.

»Ah du kommst!« rief Sir Thomas, ihr entgegentrippelnd, »das ist schön, ganz schön, außerordentlich schön!«

»Es ist Alles fort«, versetzte Rosette, »guten Abend, Signor Tommaso! Ihr wollt also die Girandola nicht sehen?«

»Kann ich denn?« schmunzelte der Alte, »kann ich denn, du Schelm? Setze dich nieder, hier ist Wein, der dir schmecken wird.[505] Aber wollen wir nicht die Türe riegeln?«

»Ja, Ihr könnt es tun«, lispelte die Trasteverinerin. »Aber mir ist heiß und Euch scheint's auch so zu sein. Ich will mein Halstuch ablegen.«

Damit nahm sie's vom Busen und warf es auf das Sofa. Man setzte sich an den Tisch und trank ein Glas Spanier. Die Schöne verstand den Becher wohl zu führen, wie denn überhaupt die Römerinnen, wenn gleich gegen den Tabak, ja gegen den Blumengeruch die empfindlichsten Wesen, dennoch für den Feuerwein ihrer schönen Heimat, für den erschrecklichen Geruch am Pantheon, für die Düfte der Pizzicaruole und den Unrat auf der Spanischen Treppe, wie für so manche andere Dinge, ausnehmend stark organisiert sind.

So saß man vertraulich zusammen, und die Trasteverinerin schwatzte, wie ein Papagei, so daß Sir Thomas nur immer »yes, yes, si, si« zu antworten hatte. Der gute Alte glaubte trotz dem Knien, Bekreuzen, Fußküssen und Beten heute früh in Mahomeds Paradiese zu sein, und schlürfte einen Becher Granadino nach dem andern hinab.

Indem vernahm man außen Gepolter. »Jesus Maria, wer kommt?« rief das Mädchen aufspringend; »ich bin verloren, wenn sie mich hier treffen!« Sir Thomas starrte sie an, und wußte nicht, was er sagen sollte. Das Geräusch nahm zu, man vernahm Stimmen, und endlich pochte man gar an die Türe.

»Hilf Gott«, schrie Rosette, »ich bin des Todes.« Sir Thomas kratzte sich hinter den Ohren. »Schafft mich fort«, schluchzte die Schöne; »sie klopfen, sie poltern – sie wollen herein!«

Der Irländer begriff nicht, wie das Alles zuging. Er rief: »Wer da?« und man befahl, zu öffnen. Thomas fiel in Todesangst, die Kniee wankten ihm, er lief auf die Türe zu, schloß auf, und – o Entsetzen! ein Paar schreckliche Carabinieri, ein Kapuziner und der junge Bursche von gestern Abend wurden sichtbar.

Sir Thomas stockte die Sprache, er sah die Schöne nicht mehr, die Sinne schwanden ihm, er meinte, er fliege mit samt der krachenden Girandola auf Raketen in die Lüfte.

»So trifft man Euch beisammen?« begann jetzt der Trasteveriner. »Das ist polizeiwidrig!« riefen die Carabinieri. »Das ist Sünde!« brummte der Kapuziner, und man bedeutete den armen Irländer, daß er sogleich folgen solle![506]

Da brach er in ein lautes Wehklagen aus, er bat, er beschwor, aber die furchtbaren Personen blieben unerbittlich. Endlich nahm ihn der Kapuziner bei'm Arm und sagte: »Wißt Ihr, Herr, was römisches Gesetz ist? Wo ein Mann mit einem Mädchen allein, bei verschlossener Türe, unter so verdächtigen Umständen, ohne Rock, sie ohne Halstuch, getroffen wird, soll er gerichtlich gezwungen werden, das Mädchen zu heiraten, oder auf die Galeere wandern.«

Sir Thomas geriet in Entsetzen, und ließ sich auf einen Sitz nieder. »Ich heiraten?« rief er, »ich auf die Galeere? Was hab' ich denn verbrochen? Nichts, liebe Herren, nichts! ein Glas Wein mit dieser Person getrunken!«

Du boshafter Schalk! Das Mädchen vermochte kaum das Lachen zu halten, und kehrte sich auf die Seite.

Sir Thomas lamentierte unaufhörlich, da versetzte der Kapuziner: »Nur Ein Ausweg ist vorhanden, wenn Ihr das Mädchen nicht heiraten wollt, so müßt Ihr sie wenigstens zufrieden stellen.«

»O das will ich, das will ich«, schrie der Irländer, sich aufraffend.

»Ihr müßt ihr so viel Aussteuer geben, als sie billiger Weise verlangen kann.«

»Und wie viel wäre das?«

»Fünfhundert Scudi!«

»Fünf – hundert Scudi – ist's möglich? – Das kann ich nicht – das ist zu viel.«

»So folgt uns auf der Stelle, die Gensd'armen sind bevollmächtigt, Euch zu arretieren; so müßt Ihr sie heiraten, oder auf die Galeere!«

»Fünfhundert Scudi, sagt Ihr? – Zu viel – heiliger Petrus, zu viel!«

»Eine Stunde Bedenkzeit, habt Ihr Euch nicht entschlossen, so folgt Ihr den Carabinieri's.«

Damit ging man fort, das Mädchen flog hinaus, und Sir Thomas befand sich allein. Was konnte er tun? Außen hörte er die Sporen und Musketen der Gensd'armen klirren; er entschloß sich – oder vielmehr die Verzweiflung rang ihm den Schrei ab: »Kommt herein!«

Im Augenblick erschien man wieder. »Ihr sollt sie haben! Fünfhundert Scudi! Guter Himmel!« rief der Irländer.

Der Trasteveriner versetzte: »Sogleich versprecht Ihr es schriftlich.« Der Irländer wankte an den Schreibtisch, ließ sich italienisch diktieren. Man nahm das Papier und wünschte gute Nacht. Sir[507] Thomas blieb wie erstarrt sitzen, es kam ihm Alles wie ein Traum vor, und wir lassen ihn in seiner Lethargie, um zu erfahren, wie es den Übrigen ergangen, welche an diesem Abend die Entscheidung ihres Schicksals erwarten.

Henry war schon nach Ave Maria unsichtbar geworden, und der Lord fuhr mit Frau und Tochter gegen die Brücke St. Angelo. Der Himmel war dem Feste nicht günstig, es hatte den Nachmittag geregnet. Dennoch aber strömte ganz Rom durch alle Straßen der Engelsbrücke und St. Peter zu. Schon flammte die Basilike samt ihren gewaltigen Säulenarmen von tausend Lichtern. Dem Lord gefiel es nicht übel, die Lady sprach immer nur von der Girandola, und die Miß dachte nur an den Säulenheiligen.

Die Zeit kam heran, da man sich ein Haus und Fenster aussuchen mußte, um das Feuerwerk zu sehen. »Der arme Bruder!« seufzte die Lady, »er sitzt nun im Kerker und kann dies Vergnügen nicht genießen.« Man mußte aussteigen; die Miß, eine schneeweiße, wespenschlanke Figur, sollte eben auf die Erde herab, als sie fehltrat und zu Boden stürzte.

»Gott im Himmel!« rief die Mutter aus, »was ist dir, Kind?« Der Lord erschrak gleichfalls; – der Miß entfuhr ein Schrei, der alles Volk herbeilockte. –

Aber noch einmal müssen wir ausrufen: wie abenteuerlich spielt doch die Vorsehung unsern Engländern mit! In diesem Augenblick, da die arme Rebecca mit über und über beschmutztem Kleide aus dem Schlamm aufgehoben wird, ruft Jemand: »Rebecca, Rebecca!«

Lord und Lady stutzen. – Himmel, es ist der Bräutigam! – Wer hätte das gedacht, wer hätte geahnet, daß man sich so treffen würde! Das zarte Kind geriet in Konvulsionen. »Nach Hause! nach Hause!« rief sie; »ich kann nicht mehr, das ist mein Ende – ich schäme mich zu Tode!«

Sie wurde in den Wagen gehoben. »Inglesi, Inglesi, Beefsteak!« erscholl es im Volk umher, und einige vom Pöbel waren unartig genug, in komischen Ausrufungen die Sprache der Briten nachzuahmen. Der gefundene Bräutigam war entsetzt über Rebecca's Zustand. – Sie lag im Wagen, sich das Gesicht verhüllend; sie antwortete seinen bekümmerten Fragen nicht; Vater und Mutter trösteten, man eilte nach Hause.

O du bitteres Verhängnis! Wie lenkst du zuweilen uns Sterbliche so wundersam! Diese beiden sensibeln Seelen, die sich auf der[508] Säule der Vorwelt frei in den Lüften, wo noch kein Rendez-vous gegeben worden, wiederfinden wollten, mußten sich nun so treffen! das heißt, so tief wie der Mensch nur fallen kann, eben so wie Henry, der in Liebeswut auf dem Monte Pincio lag, auf der platten Erde. Welch ein trauriges Bild des Schmutzes, den die Wirklichkeit unsern schönsten Phantasien anhängt, mußte Rebecca's weißes Gewand abgeben!

»Aber«, fragte der Bräutigam, »aber warum, holde Rebecca, warum erschienen Sie mir nicht auf der Trajanssäule? – Ich wartete zehn schreckliche Stunden.«

»Und Sie spotten meiner noch?« schluchzte die Miß. »Nein, das ist zu viel! Sie haben alle Achtung gegen mich verloren! Hab' ich nicht drei Stunden auf Sie gewartet und Sie kamen nicht?«

»Wo haben Sie gewartet? Es ist nicht möglich!«

»Auf der Säule des Trajan. – Nein, das hätt' ich nie von Ihnen geglaubt, Sie haben mich unverzeihlich gekränkt!«

»Aber was ist denn das?« fragte der Lord, von dem Allem nichts begreifend.

»Miß Rebecca hat mir geschrieben, daß der Ort unserer ersten Begrüßung die Säule des Trajan sein solle. Ich beeilte meine Reise, ich flog von Florenz nach Rom, komme gestern spät in der Nacht an, ich erwarte kaum den Tag, ich eile den Corso hinab, erreiche den Platz Colonna. ›Das ist die Säule, wo mir Rebecca erscheinen wird!‹ ruf' ich voll Entzücken aus, ich stürze hinauf –«

»O mein Gott!« rief die Miß, »ist es wahr, Sie hätten sich verirrt?«

»Ich wartete auf der Trajanssäule –«

»Nein«, rief die Mutter, »Sie sind irre, das ist eine andere.«

»Das ist die des Antonin«, fiel Rebecca ein, »ich war auf der Colonna des Trajan.«

So klärte sich denn das Mißverständnis auf, ehe man nach Hause kam. Man erreichte den Spanischen Platz, man stieg aus, die Miß eilte in ihr Zimmer und schlug die Hände über dem Haupte zusammen, als sie ihr kostbares Kleid so besudelt sah, und dabei an ihr Zusammentreffen mit dem Bräutigam in jenem widrigen Moment zu denken genötigt war.

»Nun, er ist doch da«, meinte der Lord; »wenn wir jetzt nur den Onkel loskriegen!« Der Bräutigam wurde in Eile von Allem benachrichtigt, und während man so mit den Angelegenheiten der[509] Familie beschäftigt war, hörte man die Girandola in die Lüfte krachen.

Man kann denken, wie untröstlich die Lady sich gebärdete. Noch war die Miß nicht wieder erschienen, als ein Bedienter kam und ein Billet brachte. Unglückliche Eltern, der Brief Henry's!

Der Lord überlief ihn mit Entsetzen, die Lady riß ihn aus seiner Hand. »Henry!« erscholl's von ihren Lippen, »Gott, das ist unerhört, das ist zu viel!«

Der Brief entsank ihrer Hand und sie mußte sich an einen Sitz halten. Der Bräutigam stutzte, begriff nicht und erstaunte, als er's erfuhr. Jetzt kam auch die Miß, umgekleidet; aber der furchtbare Brief versetzte sie fast von Neuem in Konvulsionen.

»Schnell nach Tivoli«, rief die Lady, »nach Tivoli! Lassen Sie einspannen, Mylord! Das hätt' ich nicht geglaubt! Himmel, welch' ein Abend!«

»Aber wer soll hinüber?« fragte der Lord.

»Sie, Sie – und unverzüglich! Heut Abend, geheim mit ihr vermählt – sie meine Schwiegertochter! Sie, die mir das in's Gesicht gesagt!«

»Aber was wollen wir denn?« fragte der Vater, »was beschließen wir? Lassen wir's zu?«

»Ach, es ist ja schon geschehen – es ist nicht mehr zu ändern! Bringen Sie mir meinen Sohn zurück!«

»Aber der Onkel, Mylady, wer hilft dem Onkel, wenn ich gehe?«

»Nun, so fahr' ich nach Tivoli, und Sie begleiten mich!« sagte sie zu Rebecca's Bräutigam.

Es wurde befohlen, augenblicklich einzuspannen, man machte sich reisefertig. Der Bräutigam hatte sich noch nicht von dem Schrecken des ersten Zusammentreffens mit der Miß erholt, er hatte noch kein Wort der Liebe von ihren Lippen gehört, und schon mußte er abermals von ihrer Seite. In einigen Minuten fuhr der Wagen vor; die Lady ging; der Bräutigam nahm den gerührtesten Abschied von Rebecca und klagte über die Grausamkeit des Schicksals; man schied, man stieg ein und rollte fort.

So befand sich denn der Lord allein mit der Tochter. Sein Kopf konnte die Verwirrung nicht fassen, welche so schnell über seine Familie gekommen; Rebecca weinte bitterlich, daß sie den Bräutigam so schrecklich verfehlt, auf so prosaische Weise finden und so schnell wieder entbehren mußte; ihr eigener Kummer lag ihr daher[510] viel zu sehr am Herzen, um Henry's gewaltsame Tat zu bejammern. Gegen vier Uhr in der Nacht kam noch Ironius, und verkündete, daß der Kapitän für diese Nacht schon sitzen müsse, daß er aber morgen auf freien Fuß gesetzt werden solle. »Jedoch unter zweihundert Zecchinen läßt sich's unmöglich durchsetzen«, fügte er hinzu, und der unglückliche Familienvater mußte an die Geldschatulle treten.


Doch suchen wir jetzt unsern Henry auf. Gehen wir lieber um einige Stunden zurück, wo er an der Spanischen Treppe den Limonienhändler erwartet. In der Nähe steht schon ein Wagen bereit. Desto besser für unsern Freund, dessen Kniee wanken.

»O größter Augenblick meines Lebens!« sprach er zu sich selbst. »Wie nahst du so ahnungsvoll im Schweigen der Nacht! Interessantestes aller Abenteuer! Ich fühle mich in die Welt Ariost's versetzt! Noch bin ich allein, und in einer Stunde – Wonnegraus der Liebe, was steht mir bevor? wie wird mir der Tag anbrechen? O bei allen Huldgöttinnen, im Arm der reizendsten Römerin – am Busen meiner Camilla! – Doch, halt – hier ist der Limonienbube!«

Er ist es auch wirklich. »Wie geht's? – Wird sie – ist Alles bereit, der Priester, Camilla, die Longara?«

»Folgt mir nur«, antwortete Jener; »habt Ihr einen Wagen?«

»Dort wartet er auf uns!« So steigt man ein und ruft dem Kutscher zu: »In die Longara!«

Man spricht wenig oder nichts. Henry ist zu feierlich gestimmt. In allen Straßen wogt die Menge der Engelsbrücke zu; St. Peter ist schon in Flammen. Man fährt über Ponte St. Angelo und in Kurzem ist man in der Longara angelangt.

Dem Engländer klopfte das Herz mit den Schlägen der großen Petersglocke. »O, ich bin der Seligste der Sterblichen!« ruft er aus, und der Limonienhändler läßt halten.

»Wo führt Ihr mich hin?« fragt Henry.

»Folgt mir, Herr, es wird sich aufklären!« Sie sehen ein großes Gebäude vor sich, und treten in sein Tor.

»Wo bin ich?«

»Am rechten Ort, Herr! hier ist der Tempel, wo Ihr Eure Hochzeit feiern werdet.«[511]

»Wohnt hier der Priester?«

»Euer Priester, allerdings! Aber jetzt steig' ich sogleich wieder ein und hole Camillen ab.«

»Ihr Camillen? Seid Ihr toll?«

»Nicht doch, wartet hier, ich komme gleich zurück. Verlaßt Euch auf mich! es wird sich Alles aufklären! Geht in das Haus und fragt nach dem Pater Eudemio.«

Damit steigt der Zitronenhändler ein und der Wagen rollt die Longara hinab. Henry ist allein und sagt vor sich hin: »Wie das enden wird! Alles abenteuerlich, Alles wundersam, Alles romantisch! Pater Eudemio! Das ist der Priester, der uns verbindet! O die Stunde ist nah! Mein Schicksal ist erfüllt.«

Henry tritt an die Treppe; er steigt hinauf; es begegnet ihm Jemand, er fragt nach dem Pater Eudemio; er wird durch einen langen klosterartigen Gang von vielen Türen geführt; man pocht an eine, es wird geöffnet, er sieht einen Geistlichen vor sich.

»Pater Eudemio?«

»Si, Signor! Der Herr Engländer?«

»Ja, Herr Pater!«

»Nehmen Sie Platz.«

Henry schwimmt in einem Meere von Entzücken. Er schweigt lange; über eine Viertelstunde sitzt er da und schwelgt in seinen Phantasien. Endlich ruft er aus: »Und Sie, Herr Pater, Sie wollen uns vermählen?«

»Ich vermählen? Wen? Was meinen Sie, Herr?«

»Sie wissen noch nicht – er hat's Ihnen nicht gesagt, der Limonienhändler?«

»Limonienhändler? Herr, Sie passen in unser Haus – Limonienhändler –«

»Es wär' eine Irrung? Wo bin ich, Gott, wo bin ich?«

»In der Longara – im Narrenhause!«

»Allmächtiger, das ist unerhört!« schreit Henry auf, zur Säule erstarrend. »Aber der Limonienhändler?«

Der Pater lächelt und versetzt mitleidig: »Lieber Herr, Sie sind in der Tat krank.« In diesem Moment hört man außen Fußtritte, die Türe öffnet sich, und – Henry schwindet Sinn und Verstand hinweg.

Wer tritt ein? – Es ist unglaublich – derselbe Italiener, der den Lord aus dem Tiber gezogen. »Ah, willkommen, Signor Enrico!«[512] ruft er ihm entgegen, »ich habe mit Ihnen zu reden. Erlauben Sie, Eudemio, einen Augenblick!« Der Pater entfernt sich.

Henry ist wie von Sinnen, er stiert den Italiener an, und erkennt in ihm dieselben Züge des Limonienhändlers. Voll Schrecken stammelt der Engländer: »Sie hier – Florindo – Sie? Wo ist der Limo –«

»Sie werden ihn von nun an nie mehr sehen«, versetzt der Italiener. »Nehmen Sie Platz, ich habe Sie zu enttäuschen. Dem Himmel sei gedankt, daß er Ihre treffliche Familie hieher führte; sie hat das Glück meines Lebens gegründet. Sie erstaunen, Sie werden's noch mehr; hören Sie.«

»Aber der Limonienhändler –«

»Nun, wenn Sie es denn haben wollen«, antwortet der unerklärbare Mensch, steht auf, geht an die Türe, ruft hinaus, ein Mann erscheint und wirft dem Engländer einen Bündel Kleider vor die Füße.

»Sehen Sie hier den Limonienhändler«, hebt der Italiener an, »er ist zu einer Carnevalsmaske geworden, er hat die Puppenhülle verlassen, und damit Sie Alles auf einmal wissen, hier steht der Schmetterling vor Ihnen!«

Henry, der Verzweiflung nahe, betäubt, wie im Rausche, stottert: »Sie der Zitronenbube – Sie –?«

»Allerdings, lieber Freund, der bin ich!«

»Und Sie wagten es, mich so zu hintergehen, dieses Schurkenstück –«

»Gemach, Signor Enrico, es geschah Alles nach dem Willen Camilla's.«

»Camilla's? Was hör' ich! Sie – o mir vergehn die Sinne, ich verstehe nicht – es ist Nacht um mich.«

»Bald wird es Tag werden! Es tut mir leid, wenn Ihnen meine Mitteilung Schmerz verursachen wird, denn ich verdanke Ihrer Familie, der Güte Ihres dankbaren Vaters Alles, ich verdank' ihm selbst die Hand meiner Camilla!«

Jetzt schüttelt Henry den Kopf, es übermannt ihn. »Ist's wahr«, schreit er, »daß ich im Narrenhause bin?«

»Sie sind in der Longara, allerdings. Aber machen wir's kurz! Wissen Sie denn, daß ich Camillen schon lange liebte, ehe Sie nur ihr Angesicht sahen, und daß meine Gefühle mit gleicher Leidenschaftlichkeit erwidert wurden. Aber meine Verhältnisse waren von der Art, daß wir alle Hoffnung auf eine Verbindung aufgeben[513] mußten. Ich bin ein Maler, und konnte der Geliebten kein Los anbieten, das dem Geldgeize des Vaters genügt hätte. Da kamen Sie und entbrannten in Liebe, hätten aber leicht merken können, daß Sie nicht wieder geliebt wurden. Allein Ihr Reichtum bestach den Vater Camillens, Ihre Familie erschien in Rom, die Väter wurden Eins, und Mognaschi zwang seine Tochter, in eine Heirat einzuwilligen, der ihr ganzes Herz widerstrebte. Die Drohung mit dem Kloster, die grausame Behandlung des Vaters, die Hoffnungslosigkeit, jemals mir die Hand geben zu können, entpreßten Camillen endlich ein Ja. Ich wußte kein anderes Mittel mehr, die Geliebte zu sehen, als mich in einen Limonienhändler zu verkleiden, und Sie haben mich zum erstenmal in dieser Maske gesehen. Daß Ihre Mutter Camillen haßte, wußte diese schon längst, und ertrug es; als aber der Haß in Kränkung und Beleidigung ausbrach, erwachte der Stolz in der Römerin und Sie wissen, was erfolgte. Damals, als Sie mich zum zweitenmal bei ihr trafen, hatte sie mir eben noch in der Wut, noch im Gefühl ihrer Mißhandlung, geschworen, auf ewig mir anzugehören. Daß Camilla eine solche Beleidigung zu vergeben fähig sei, werden Sie nicht glauben, wenn Sie das weibliche Herz kennen. Die Laune des Schicksals fügte es, daß Sie sich mir anvertrauten, daß Sie mich zum Überbringer eines Briefes machten, und daß Sie übel daran getan, werden Sie selbst eingestehen. Sie verlangten in Ihrem Briefe Etwas so ganz Unmögliches, daß Camilla in der Tat an Ihrem Verstande zweifeln mußte; denn wie konnten Sie doch, trotz allen Narren dieses Hauses, sich einbilden, daß die gekränkte, mißhandelte, verachtete Römerin alle ihre Verhältnisse, die Pflicht gegen den Vater, Ehre und Ruf einem Manne opfern werde, von dessen Familie sie das Bitterste erfahren, den sie nicht im Geringsten liebte; wie konnten Sie das glauben, auch ohne zu ahnen, daß ihr Herz schon längst einem Andern angehörte? Genug, sie beschloß, sich an Ihrer Mutter zu rächen und Sie sollten's büßen.

Jetzt fiel das Unglück am Tiber vor, und die Vorsehung vergönnte mir, Ihrem Vater das Leben zu retten, ohne daß ich wußte, wer er war. Erst, als er sich außer Gefahr befand, erfuhr ich es. Seine Dankbarkeit war so groß, daß sie mich in Stand setzt, mein ganzes Leben hindurch ohne Sorgen und Not mich meiner Kunst zu widmen, ja, daß ich meiner Geliebten die Hand bieten kann. Mognaschi wurde sogleich benachrichtigt; wir gestanden ihm unsere[514] Liebe, und er willigte halb aus Wohlwollen, halb aus Rachsucht gegen Ihre Familie ein. Meinen angelegentlichsten Bitten gelang es jedoch nicht, diese Carnevalszene abzuleiten. Camilla verlangte, daß ich das Werkzeug ihrer Rache werde, und ich glaube, Sie kennen den Sinn unserer Römerin hinlänglich, um sich zu überzeugen, daß ich gehorchen mußte, wenn ich nicht in dem Augenblick ihre Gunst verlieren wollte, wo sie mich auf immer zu beglücken verhieß. Sie versprach Ihnen das Rendez-vous in der Longara, und schickte Sie in's Narrenhaus, indem sie glaubte, daß Ihr lächerliches Ansinnen keine bessere Erwiderung verdiene, und Sie haben nun erfahren, was es in Rom heißt, in die Longara gehen! Daß dieser Streich dem Sohn meines Wohltäters gespielt worden, tut mir weh, aber Sie erinnern sich, daß wir auch unsere Gegner in Ihrer Familie haben. So wissen Sie denn Alles! – In Kurzem ist Camilla mein Weib, und ich weiß Ihnen keinen bessern Rat zu geben, als unsere wunderbare Bekanntschaft zu vergessen, keine Römerin mehr heiraten zu wollen, sich die Lebensgefährtin unter Ihren schönen und geistreichen Landsmänninnen zu suchen und zu Ihrem und meinem Frommen, dem Vater Alles zu verschweigen. Vergeben Sie mir, daß ich Sie täuschen mußte; gehen Sie mit Ihrer Familie nach Neapel und versuchen Sie nie mehr, das Unmögliche möglich zu machen, wenn Sie nicht Andern mit Recht zum Gespötte werden wollen.«

Henry hörte das Alles in Stumpfsinn versunken an und antwortete keine Silbe.

»Eines muß ich Ihnen noch sagen«, hub Florindo wieder an. »Morgen werd' ich Ihren Vater von meiner Heirat benachrichtigen. Verschweigen Sie der Mutter auf's Unverbrüchlichste, daß es seine Dankbarkeit ist, welche mich in Stand setzt, Camillen die Hand zu bieten. Die lebenslängliche Pension ist mir zwar schriftlich von dem Lord zugesagt, aber Sie ersparen der Mutter Verdruß, wenn Sie schweigen. Ich meinerseits gelobe Ihnen, daß der Scherz von diesem Abend unter uns bleiben soll!«

Henry sprang auf, wie ein Toller, und rannte, ohne ein Wort zu sagen, hinaus.

Er geriet an die Sixtinische Brücke hinab; er lief wie im Schwindel umher. Da hörte er die Girandola krachen.

Eine Stunde lang irrte er durch die Straßen, ohne des Weges zu achten. Da hörte er seinen Namen rufen, er wandte sich um; es[515] war Ironius. Eine Seele mußte er doch haben, vor der er sein Herz ausschütten konnte. Er ergriff ihn bei'm Arm, und hub an, die Geschichte seines Unglücks zu erzählen.

»O lieber Henry«, fiel dieser ihm endlich in die Rede, »trösten Sie sich! Danken Sie dem Himmel, der Sie vor einer unvermeidlichen Gefahr bewahrte. Sie sind in's Narrenhaus geschickt worden, es ist richtig; aber was liegt am Ende daran? Diese Römerin hätte Ihr Haupt, erlauben Sie mir, daß ich's ausspreche, mit Hörnern verziert, welche ein ganz anderes Übel gewesen wären, als die Spazierfahrt in die Longara, und Ihr Haus wäre recht eigentlich das Haus eines Narren geworden! Lieber bleiben Sie ledig, ehe Sie eine Römerin heiraten; lieber einen Glatzkopf, als Hörner! Schätzen Sie sich glücklich, daß es so gegangen, Sie haben an diesem Abend nichts verloren, als die Girandola.«

Auf solche Weise suchte Ironius unsern Verzweifelten zu trösten; er begleitete ihn den Corso hinauf, und als er von ihm schied, ermahnte er ihn, zu schweigen, damit nicht das Übel ärger werde.

Henry, noch immer in Betäubung, eilte nach Hause; es mochte schon gegen fünf Uhr in der Nacht sein; aber noch hatte sich der Lord nicht zu Bett begeben.

»Was zum Teufel«, rief er, »Henry, woher kommst du? – Was ist's? – Ich bin erstaunt, dich hier zu sehen!«

Henry ging heftig auf und ab, ohne ein Wort zu sprechen. »Nun«, rief der Vater, »du sollst sie ja haben, in Gottesnamen, unsern Segen, auch die Mutter willigt ein. – Alle Himmel, wie machen wir's? Sie ist nach Tivoli gefahren.«

»Die Mutter nach Tivoli – ist's Ihnen Ernst?« schrie Henry. »Nun das ist ein wahrer Narrenabend, und ich glaube in der Tat den Verstand verloren zu haben!«

»Aber wo ist sie denn«, fragte der Lord, »wo ist denn die Italienerin? Sprich doch, du sollst sie ja behalten, sollst mit ihr bleiben, oder mit uns gehen, oder wie du willst!«

»O daß –« rief Henry, sich vor den Kopf schlagend und mit den Füßen stampfend, »ich wollte, daß ganz Rom mit der Girandola in die Luft geflogen wäre!«

»Es ist also mißglückt, Söhnchen? Sprich doch – und die Mutter und der Bräutigam in Tivoli –«

»Der Bräutigam – er ist gekommen?«

»Freilich ist er gekommen, und gleich wieder in den Wagen dir[516] nach. – O welche Verwickelung! Und der Onkel verhaftet! Rebecca im Kot. – So erzähle doch –«

»Vater«, begann Henry, auf ihn zutretend, »es war – ein Hirngespinst – fragt nie mehr darnach – ich bin ein Narr gewesen – ich gehe mit Euch nach Neapel – und – der Teufel hole die Römerinnen!«

Weiter brachte man Nichts aus ihm heraus. Er warf sich erschöpft auf's Kanapee. Der Lord rief einen Bedienten, und befahl ihm, der Lady nachzureiten. Das ganze Haus war die Nacht hindurch voll Tumult. Henry schlief keine Stunde, die Miß jammerte am Schreibtisch bei ihrem Tagebuch.

Einige Stunden nach Anbruch des Tages kehrte die Lady und der Bräutigam zurück. Allen Fragen, allen Bestürmungen setzte Henry das einsilbige: »Laßt mich!« entgegen, und erklärte endlich: daß er auf der Stelle davongehe, wenn man noch ferner mit einem Worte der Geschichte erwähne.

Später erschien Ironius und Sir Thomas. »Haben Sie die Girandola gesehen?« fragte die Lady, »wie gefällt sie Ihnen?«

»O schön«, antwortete er, »sehr schön, außerordentlich schön! Aber ich gehe mit Ihnen nach Neapel!«

»Ja, es ist wahr«, versetzte Ironius, »das St. Peter-und Paulsfest ist etwas Weltberühmtes, und alle Fremden werden entzückt davon. Sir Thomas ist gestern sehr fromm gewesen!«

»Ah! fromm, sehr fromm, besonders fromm!« antwortete der Irländer und schob eine Hand voll Tabak in die Nase.

Die Miß flüsterte mit dem Seelenbräutigam zusammen, und drückte ihm versteckt das Tagebuch in die Hand.

Der Morgen verstrich höchst unruhig. Gegen Mittag erschien – Florindo. Henry benutzte die allgemeine Verwirrung, und schlich davon. Der Lord empfing ihn ausnehmend freundlich, und als Florindo äußerte, daß er ihn allein sprechen wolle, ging er mit ihm in ein anderes Zimmer. Sie sprachen lange zusammen, und der Lord sagte, als sie wieder heraustraten: »Es bleibt bei'm Alten! Nun desto besser! Sie soll es wissen – kommen Sie nur.«

Damit ergriff er Florindo bei der Hand, und indem er sich gegen die Lady wandte, sprach er: »Mylady, ich stelle Ihnen hier den Bräutigam unserer Camilla Mognaschi vor!«

Die Mienen der Engländerin drückten die höchste Überraschung und Verlegenheit aus. Sie machte eine fratzenhafte Verbeugung,[517] der Lord lächelte, man wechselte noch einige Worte, und Florindo schied.

Die Dame erfuhr nun von ihrem Gemahl, daß Camilla niemals Neigung für Henry getragen, und daß ihr nur das Jawort vom Vater abgezwungen worden sei. Daß ihr Geld eigentlich diese Heirat gestiftet habe, verschwieg er ihr weislich.

Nach Mittag erschien endlich der Onkel Kapitän, auf's Schrecklichste zugerichtet, voll blauer und roter Male, als Andenken an die größten aller irdischen Grobiane, die entsetzlichen Schweizer, nachdem er über vier und zwanzig Stunden im Kerker gesessen und seine Freiheit – o bitteres Los! – mit mehr als zweihundert Zecchinen erkauft hatte.

Man beschloß nun einstimmig so eilig als möglich das unselige Rom zu verlassen, und die Abreise wurde auf morgen festgesetzt. Man packte ein, und Keiner verließ das Haus mehr, aus Furcht, es möchte ihm auf dem verhängnisvollen Pflaster Roms ein neues Unheil widerfahren.

Der Morgen kam, und Hausbesitzer, Kammerjungfern, Mägde, Köche, Kellner, Lastträger, Lohnbediente, Kutscher, Stiefelputzer, Ausläufer, Einpacker und der Himmel weiß, welch anderes Volk noch stürmte herbei, um Bezahlung zu fordern.

Ironius begleitete Alle in den Wagen, wünschte glückliche Reise, und eben dieser ist es, der uns die ganze Geschichte erzählt hat.

Fußnoten

1 Florentinische Aussprache für cani.


Quelle:
Wilhelm Waiblinger: Werke und Briefe. Band 2, Stuttgart 1981.
Erstdruck in: »Taschenbuch aus Italien und Griechenland auf das Jahr 1829 und 1830«, Berlin (G. Reimer) 1829–30.
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