Ueber meiner Myrten tod

[253] Doppelter Sechster oder Stände.


Nu hat sich auf einmal, zu meiner höchsten not,

verkehret mein gesang, mein dichten, meine freud,

mein lachen und kurzweil, mein lust, mein liecht, mein tag

in seufzen, ach und weh, und in verdruß und leid,

in weinen, unlust, nacht, in finsternus und klag,

durch meines liebs verlust, durch meiner Myrten tod.

O kläglicher todfall! o blind und tauber tod,

der du mit schmerzlich schwer endlos und höchster not

verdammest meinen geist und mund zu steter klag!

ade mein süße lieb! ach, ade meine freud!

willkom hingegen du ganz tödliches herzleid,

dadurch geendet wird mein trostzeit und lebtag.

Ach, wa ist nu mein trost, wa meine sonn und tag!

ohn die ich anders nichts zu wünschen dan den tod,

und doch mehr nicht erlang, dan kummer, angst und leid,

und doch allzeit verbleib in jammer, qual und not:

o menschliche torheit, hoch rühmend lust und freud,

die sich doch ändern schnell in langes leid und klag!

Ach! aber wie kan ich mit taugenlicher klag,

mit gnugsam tiefem leid begehen diesen tag,

an welchem auf einmal die höchste schönheit, freud

und tugend in das grab gebracht der schnöde tod,

an welchem er auch mich mit herzgebrochner not

begraben lebendig in ein endloses leid.

Wie sehr mir unlangst lieb das liebgeborne leid,

wie gern ich unlangst sang ein liebgezeugte klag,

und wie gern ich beschrib ein liebgeliebte not:

so dunkel ist mir jetz ohn meine sonn der tag,

und ohn mein leben jetz wär mir willkom der tod,

und nichts verdrüßlicher ist mir jetz, dan die freud.

Da kein mensch, wie ich hat, hat jemal lieb und freud,

nu aber hat kein mensch, wie ich, verlust und leid,[254]

kein mensch war je wie ich verletzet durch den tod.

daher solt billich ich ein so schallreiche klag,

darab der umkreis selbs solt trauren, an den tag

fürbringen, weil die welt mit mir in gleicher not.

Dan meiner Myrten aug, vertreibend alle not,

war ja der ganzen welt ein rechte zierd und freud,

der lieb und jugend liecht, der zucht und tugend tag;

darum solt der erdkreis mit allgemeinem leid

bezeugen dankbar auch sein allgemeine klag,

beraubet seines lusts und liechts durch ihren tod.

Gleichwie das erdreich nu durch dieser tugend tod

geraten würdiglich in großer armut not,

weil ihrer es nicht wert, und wert, daß es nu klag;

so ist der himmel ihr und sie des himmels freud,

und beed, dieweil sie dort, seind frei von allem leid

und scheinen selig beed mit doppelklarem tag.

Wir aber haben hie ein doppelten traurtag,

ein leben haben wir vil ärger, dan den tod,

und noch vermehret sich in uns stets das herzleid,

und täglich sinken wir mehr und mehr in die not,

iemehr wir nach gebühr bedenken unsre freud,

für deren verlust wir kaum finden gleiche klag.

O zarter Myrtenbaum! dem meine lieb und klag

zu ehren und zu lob ich fürbracht nacht und tag,

in dessen schatten ich genossen aller freud,

mit dessen namen auch ich meinen von dem tod

erlös und sither er verdorben, ich in not,

ohn aufenthalt, voll pein, angst, kummer und herzleid.

Kont ich erklingen nun in meinem lied und leid

als Orpheus mit kunst, so solt mein süße klag

in lieblichkeit und trost verkehren meine not,

und meine finsternus in einen neuen tag

und in des lebens lust den schmerzlich bittern tod

und mein endlose qual in ein endlose freud.

Das aber kan nicht sein! darum ich meine freud,

die unvermehrlich war, numehr mit gleichem leid,

das unaufhörlich ist, hie meiner Myrten tod

aufopfer, und ich will hinfür mit neuer klag,

so lang ich atem hab den Myrtischen jahrtag

begehen, und der welt erneuern unsre not.[255]

Also soll meine not und mein verlorne freud

in mir von tag zu tag vermehren alles leid,

bis endlich meine klag sich endet durch den tod.

Quelle:
Georg Rodolf Weckherlin: Gedichte, Leipzig 1873, S. 253-256.
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