Zwiegesang

[392] zwischen Felix, dem Schäfer, und Galathea,

der Schäferin


Felix


In dem wundervollen Morgensonnenschein,

Galathea, ach wie bist du hold!

Deine Schwanenbrust erstrahlt wie Elfenbein,

Deine Locken schimmern wie das Gold!

Freudig darf ich deinen Leib umschlungen halten,

Auf den Knien einen strammen Jungen halten!

Und in deinen Marmorarmen selig sein,

Ohne daß uns drob der Himmel grollt.


Galathea


In der wundervollen frischen Morgenluft

Hab ich meinen Felix innig lieb.

Aus den Wiesen strömt ein holder Blumenduft.

Und bisweilen macht ein Vogel »piep«.

Wolln wir uns nicht unter eine Hecke strecken

Und zur Unterhaltung eine Schnecke necken?

Bis zu neuen Taten uns der Kuckuck ruft,

Wenn zu tun uns noch was übrigblieb.


Felix


Und der wundervolle Morgensonnenglanz,

Galathea, macht dich doppelt süß.

Dir zu Häupten fliegt ein bunter Schwalbenschwanz,

Und ein Brummer fliegt dir um die Füß.

Und ich darf dir deine goldnen Locken küssen,

Ohne daß wir in der Stube hocken müssen.

Deine Gegenwart genieß ich voll und ganz,

Die Vergangenheit erscheint mir mies.


Galathea


In dem wundervollen frischen Morgenhauch

Kommst du, Felix, wie ein junger Gott.

Deine Lippen atmen keinen Tabaksrauch,

Deine Beine hebst du flink und flott.

Willst du nicht noch mal nach deiner Flöte greifen

Und ein hübsches Liebeslied von Goethe pfeifen?

Das bleibt doch in Ewigkeit der schönste Brauch,

Leugnen kann es nur ein Hottentott.


[392] Felix und Galathea


Und so sagen wir denn bis zum nächsten Jahr

Euch, ihr lieben Freunde, gute Nacht,

Hoffend, daß es kein zu großer Blödsinn war;

Uns auf jeden Fall hat's Spaß gemacht.

Deshalb wolln wir auch nur recht viel Leute haben,

Die an Kunstgenüssen sich wie heute laben.

Dann gedeihen alle Künste wunderbar,

Bis der Weltenbau zusammenkracht.


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1969, S. 392-393.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die vier Jahreszeiten
Die vier Jahreszeiten: Gedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon