Der Taler

[427] Blitzt der Taler im Sonnenschein,

Blitzt dem Kind in die Augen hinein,

Über die Wangen rollen die Tränen.

Mutter zieht gar ein ernst Gesicht:

Vor dem Taler, Schatz, fürchte dich nicht;

Nach dem Taler sollst du dich sehnen.


Sieh, mein Herzblatt, auf Gottes Welt

Für uns Menschen gibt's nichts ohne Geld,

Hätt ich dich, Herzblatt, auch nicht bekommen.

Bist noch so unschuldig, noch so klein,

Willst doch täglich gefüttert sein,

Hast es mir selbst aus der Tasche genommen.


Darfst nicht weinen, bist all mein Glück;

Gibst mir's tausendfältig zurück.

Sieh, die goldene Sonne dort oben,

Brennt sie dir gleich deine Guckaugen wund,

Nährt und behütet den Erdenrund,

Daß alle Kreaturen sie loben.


Nach der Sonne in goldiger Pracht

Haben die Menschen ihr Geld gemacht;

Ohne das Geld muß man elend sterben.

Sonne ist Glück und Glück ist Geld;

Wem es nicht schon in die Wiege fällt,

Der muß es mühevoll sich erwerben.


Sieh, mein Herzblatt, den grünen Wald,

Drin der Vögel Gezwitscher erschallt;

Wie das so lieblich ist anzuschauen!

Hast du kein Geld für das morgige Brot,

Dir sind all die Vögelein tot,

Und der Wald ist ein schrecklich Grauen!


Geld ist Schönheit! Mit recht viel Geld

Nimmst du den Mann, der dir wohlgefällt,[427]

Keinen Häßlichen, keinen Alten.

Sieh, der Reichen Hände, wie weiß!

Wissen nichts von Frost und von Schweiß;

Haben keine Schwielen noch Falten.


Bei uns Armen ist eins mal schön,

Aber nur im Vorübergehn;

Morgen schon ist zerrupft sein Gefieder.

Oder die Schönheit wird ihm zu Geld;

Kommt es hinauf in die große Welt,

Steigt es nicht leicht mehr zu uns hernieder.


Kind, hab acht auf wahren Gewinn:

Geld ist Freiheit, ist Edelsinn,

Menschenwürde und Seelenfrieden.

Alles kehrt sich zum goldenen Licht,

Warum sollen wir Menschen es nicht?

Dir, mein Kind, sei das Glück beschieden.[428]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1969, S. 427-429.
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