1. Thränen der Jungferschafft

[10] 1.

Susser Gifft verliebter Hertzen,

Schwaches Werck-Zeug voller Krafft,

Werthes Ziel der keuschen Schmertzen,

Du berühmte Jungferschafft!

Freylich gehet deine Zier

Allen schönen Sachen für.


2.

Wie die Rosen in dem Meyen

Ihre bleiche Lieblichkeit

Niemals schöner von sich streuen,

Als wenn ihre Sicherheit

Vnberührt und unbefleckt

In dem grünen Stocke steckt.


3.

Also muß man dich erheben,

Weil du keiner fremden Hand

Dich zum Raube wilst ergeben,

Sondern das beliebte Pfand

Aller Ruh und Lebens-Rast

An der süssen Freyheit hast.


4.

Du ergetzst dich an der Jugend,

Bist also an dir vergnügt,

Und gebrauchst dich deiner Tugend,

Welche dir im Hertzen liegt,

Da sie auch die beste Frucht,

An der Zarten Keuschheit sucht.


5.

Doch wie lange kan es wären?

Endlich muß die Jugend sich

Durch den schnellen Lauff verzehren,

Oder es beruffet dich

Liebe, Lust und Eitelkeit

In der Tugend Wettestreit.


6.

Wil man bey den Aepffelbäumen

Zu der lust spatzieren gehn,

Darff man nicht die Zeit versäumen[10]

Wann sie in der Blüte stehn,

Eh der Gärtner nach der Saat

Auch die Frucht gebrochen hat.


7.

Und soll dann der schönen Wangen

Halbvermischtes Milch und Blut

Gantz und gar vergebens prangen,

Wie ein saurer Apffel thut,

Welcher nicht so wohl den Zahn

Als das Aug ergetzen kan?


8.

Wein und Bier wird ja zum trincken

Nicht zum Ansehn auffgesetzt,

Und was nutzt ein guter Schincken

Wann er nicht den Mund ergetzt?

Solte denn der Jugend Schein

Auch nicht etwas nütze seyn?


9.

Freylich pflantzt die Zeuge-Mutter

Dir was heimlichs in die Brust,

Daß du dich nach frembden Futter

Höchst-begierig sehnen must,

Vnd da fehlt dir manche Krafft

O du arme Jungferschafft!


10.

Wie manch schönes Nest voll Eyer

Unter Frost und Kälte steht,

Biß das angenehme Feuer

Frembder Brüt darüber geht;

Also ist es umb den Stand,

Den du führest, auch bewandt.


11.

Manches Schäfgen trägt die Schwere

Seiner Wollen mit Verdruß,

Weil es auff des Schäfers Schere

Gar zu lange warten muß:

Manche Rose krümmt den Stiel,

Weil sie niemand brechen wil.


12.

Gute Nacht du leere Schüssel,

O du Leuchter ohne Liecht!

Festes Schloß, doch sonder Schlüssel,

Gute Wag und kein Gewicht,

Ach wiewohl ist die daran

Die beyzeiten freyen kan!

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 10-11.
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