3. An Dorindigen, als er derselben bey später Herbstzeit ein schön Streüßgen von Vergißmein nit übergab

[28] 1.

Mein Dorindgen nimm die Blume

Mit beliebten Händen an,

Welche dir zu schönen Ruhme

Selbst den Frühling trotzen kan,

Gönn ihr doch dein Angesicht,

Weil sie so beweglich spricht,

Vergiß mein nicht.


2.

Höre mein Dorindgen, höre

Wie der stumme Redner schreyt,

Und ertheile mir die Ehre

Deiner Vnvergessenheit,

Du verstehst es wohl, mein Liecht,

Denn ein jedes Blätgen spricht,

Vergiß mein nicht.[28]


3.

Schaue die verliebten Farben,

Schaue die Vermischung an,

Welche durch die zarten Narben

Blau und gelbe spielen kan,

Und dieweil der Unterricht

Deinem Hertzen auch geschicht,

Vergiß mein nicht.


4.

In dem kühlen Rosenthale

War es gestern auffgeblüht,

Da man auff dem Blumen-Saale

Selbst erzeugten Zierrath sieht,

Drum, so lange Lust und Liecht

Durch die Rosen-Auen bricht,

Vergiß mein nicht.


5.

Andere schöne Blumen legen

Ihre frembde Zierligkeit

Dieser Demuth zwar entgegen;

Doch sie irren trefflich weit:

Meine Blum ist abgericht,

Daß sie ohne Falschheit spricht,

Vergiß mein nicht.


6.

Drum so nimm auch diß Geschencke

Mit geneigten Händen hin,

Mein Dorindgen und gedencke

Mein im besten, wo ich bin;

Denn das schönste Blümgen spricht,

Wenn die Hoffnung selbsten bricht,

Vergiß mein nicht.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 28-29.
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