5. Der betrogene Liebhaber

[46] 1.

Kommt ihr Leute kommt und schauet

Mein betrübt Exempel an,

Seht wie einer fallen kan

Welcher auff die Liebe bauet,

Vnd sein Leben auff das Spiel

Eitler Wollust gründen wil.


2.

Wär ich vor so klug gewesen

Als ich itzo worden bin,

Hätte mein betrogner Sinn

Wol was bessers außerlesen,

Aber ach ich armes Kind

War an beyden Augen blind!


3.

Die beliebten Purpur-Wangen

Nahmen mir das Leben ein,

Und erregten durch den Schein

Alles Hoffen und Verlangen,

Biß ich alles was ich fand

Ihr und ihrer Gunst verband.


4.

Was ich dichte, was ich machte,

War auff sie allein gericht,

Sie, mein Engel, war mein Liecht,

Und wann ich an sie gedachte,[46]

Lieff das Blut in einem nu

Dem verliebten Hertzen zu.


5.

Wann ich gleich in einem Tag

Kaum ein halbes Blickgen sah,

Gieng mir doch der Strahl so nah,

Daß ich ausser aller Klage,

Gleichsam als zu grossem Danck

Manch erfreutes Lust-Lied sang.


6.

Aber nun bin ich verdorben,

Seit mir die Gelegenheit

Zu der gleichen Freundlichkeit

Unverhofft ist abgestorben,

Und mein Hertze keine Statt

Mehr in ihrem Hertzen hat.


7.

Alle Lust ist mir zuwider,

Was ich sehn und hören muß,

Bringt mir lauter Uberdruß,

Und die allerschönsten Lieder

Von der Liebe kommen mir

Abgeschmackt und alber für.


8.

Wann ich ja bißweilen schertze,

Und mein altes Freuden-Spiel

Wiederum verneuen will,

Ach so rufft mein schwaches Hertze

Mitten in der süssen Ruh

Meinem Schmertzen wieder zu.


9.

Zwar ich sehe schon von weiten

Daß die Zeit mich trösten kan,

Doch wiewohl ist der daran,

Welcher solchen Eitelkeiten

Seine Seele nicht ergiebt,

Oder doch gelücklich liebt.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 46-47.
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