9. Marindgen das Hertzens-Diebgen

[104] 1.

Marindgen, wer hat mir mein Hertze gestohlen,

Hast du es etwan selbst gethan?

Ich weiß mir dasselbe nicht wieder zu holen,

Du Diebgen gib dich immer an,

Und mache deinen Diebstal kund,[104]

So hab ich mein Hertze, so bin ich gesund.


2.

Marindgen, ich suche mein Hertze vergebens,

Wann ich bey andern Leuten bin,

Du Zierde der Hertzen, du Krone des Lebens,

Wo steckst du mir das Leben hin?

Du hast es doch gewiß bey dir,

Ach lange den heimlichen Diebstahl herfür.


3.

Marindgen, du hast mir die Helffte genommen,

Was nutzt mir nun die todte Last?

Beliebe nur immer noch einmahl zu kommen,

Biß du mich gantz gestohlen hast,

Schleuß mich zu deinem Hertzen ein,

So werd ich vollkommen befriediget seyn.


4.

Mein Hertze, mein Hertze Marindgen, ich sterbe,

Wo du mich ferner so betrübst,

Und eh ich in meiner Bedrängniß verderbe,

Mir nicht das Hertze wieder gibst,

Drum komm, eh sich der schwache Geist

Auß meinem verstümmelten Cörper entreist.


5.

Zum wenigsten werd ich mich dürffen erkühnen,

Und werde, wie mich längst gelüst,

Mich deines vollkommenen Hertzen bedienen,

Darein mein Hertz geschlossen ist.

Mein Liebgen gib mir nur verlaub,

Ein billicher Wechsel ist endlich kein Raub.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 104-105.
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