11. Er nimmt Abschied

[106] 1.

Du liebes Kind, in dem ich von dir reise,

Und deiner Gunst zu guter letzt erweise,

Was ich bißher mit grosser Lust gethan;

So nimm diß Lied mit lieben Händen an.


2.

Mein Kind, es ist vielleicht mein besser Glücke,

Wofern ich bald zu dieser Reise schicke,

Absonderlich, weil hier in deiner Stadt

Mein armer Sinn kein ewig bleiben hat.


3.

In dessen werd ich offt zu rücke dencken,

Und mich damit in meinem Hertzen kräncken,

Daß ich nunmehr den süssen Uberfluß

Der schönsten Lust mit dir entrathen muß.


4.

Du bist allein mein Augen-Trost

Nachdem ich dich bedachtsam außerlesen,

Und hätt ich nicht so offt auff dich gesehn,

So wär auch wohl mein Abschied eh geschehn.


5.

Ich habe zwar die liebe Stadt gepriesen,

Doch hab ich dir das Lob allein erwiesen:

Du warst die Lust, die Kurtzweil und das Spiel,

Das mir so wohl bey dieser Stadt gefiel.


6.

Drumb weil ich jetzt am Leibe von dir wancke,

So kan ich nichts, als daß ich mich bedancke

Vor deine Gunst und alle Freundlichkeit,

Damit dein Hauß mich itzo noch erfreut.


7.

Nun gute Nacht, mein Kind, zu tausendmahlen,

Ich kan nicht viel mit grossen Worten pralen,

Gefall ich dir, nun so gedencke mein,

Wo nicht, so laß mich bald vergessen seyn.


8.

Der Abschied ist vor dieses mahl genommen,

Beliebt es dir, so will ich wiederkommen,

So bald die Zeit mir einen kleinen Rest

An meine Lust zu wenden übrig läst.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 106-107.
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