4. Auff eine Trauer-Hochzeit

[161] 1.

Liebste Braut! was soll ich sagen,

Soll ich das verlohrne Gut

Ihrer Jungferschafft beklagen,[161]

Oder soll ich meinen Muth

Mitten in den Freuden-Spielen

An dem jungen Weibgen kühlen.


2.

Nein, ich mag sie nicht vexieren,

Denn es ist mir nicht zuviel,

Auch, wofern ich Klage führen

Und die Lust verderben will,

Werd ich doch bey ihrem Lachen

Schwerlich meinen Anfang machen.


3.

Hier bey diesem Ehren-Feste

Gibt es sonst Gelegenheit,

Denn die angenehmen Gäste

Werden alsobald zerstreut,

Weil die Zincken und die Geigen

Auff dem stillen Platze schweigen.


4.

Zwar, man darff auffs Musiciren

Nicht so sehr gebunden seyn,

Und den Muth darumb verlieren:

Dann man schertzte gleich so fein,

Als vor vielen tausend Jahren

Keine Geigen-macher waren.


5.

Doch, sie wollens hier nicht gläuben,

Und dieweil ein jedermann

Will auff seinem Sinne bleiben,

Geht das zehnde Spiel nicht an:

Drum muß eines nach dem andern

Vor der Zeit nach Hause wandern.


6.

Sauer sehn und hönisch lachen

Können alle Leute wohl,

Aber wer sich lustig machen

Und den Spaß erhalten soll,

Muß sich unverdienter massen

Richten und verdammen lassen.


7.

Manche kan sich eckel stellen

Und veracht't die Compagnie,

Denn mit solchen Junggesellen

Da verlohnt sichs nicht die Müh;

Manche weiß an allen Enden

Schon was anders einzuwenden.[162]


8.

Doch, wir sind an unserm Orte

Nicht ein wenig schuld daran,

Da sind lauter leere Worte,

Niemand giebt ein Spielgen an,

Und wer Lust hat anzufangen,

Kan nicht Audientz erlangen.


9.

Nun diß ist, was ich beklage,

Daß so eine schöne Braut

Jetzt an ihrem Ehren-Tage

Keine bessre Freude schaut,

Und daß wir mit unsern Sachen

Eine Trauer-Hochzeit machen.


10.

Doch, sie kan auff andre Fälle,

Nach Belieben lustig seyn,

Denn der neue Schlaf-geselle

Kömmt herfür und stellt sich ein,

Dieser wird sie schon ergetzen

Und den Mangel wohl ersetzen.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 161-163.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon