Geliebter Leser.

[8] Alldieweil über Vermuthen hier etliche Blätter ledig verbleiben / so habe ich nur dieses erinnern wollen /daß man sich nicht ärgern dürfte / wenn der Historie dergleichen Umstände angedichtet werden / welche sich weder aus der Bibel / noch aus andern Büchern können beweisen lassen. Zum Exempel ich gebe es vor keine Warheit aus / ob Rahel einen andern Liebsten gehabt / ob sich Labans Kinder der Heyrath wiedersetzet / ob ein Engel mit einer solchen Bothschafft erschienen ist / u.d.g. Doch die Freyheit eines Gedichtes bringet es so mit / daß man das jenige nach Gefallen suppliret, welches bey dem Geschichtschreiber /als unnöthig ausgelassen worden. Denn die Action muß vollkommen seyn / und muß jhre Affecten, jhre Intrigven, und endlich jhren unverhofften Ausgang haben: Also / was möglich ist / und was ohne scheinbare Absurdität hätte darbey geschehen können / das mag man ungehindert einmischen / oder man müste solche Historien gar liegen lassen. Genung daß die rechte Begebenheit an sich selber keinen Abgang leidet / und daß verhoffentlich auch das geringste wird seyn behalten worden. Ein anders ist bey der nachfolgenden Tragœdie vom Masaniello geschehn: Den da haben sich so viel Historici darüber gemacht / daß auch die geringsten Minutiæ nicht vergessen worden /darbey man numehr sorgen müste / was man setzen oder auslassen solte. Allein dergleichen Exempel finden sich nicht allenthalben / und es bleibt darbey /wer sich in diesem Stück wil sehen lassen / der muß nach Anleitung des Griechischen Wörtgens ποιεῖν, das ist dichten / und aus nichts etwas machen können. Solte ins künfftige der verfolgte David aufgeführet werden / bey dem würden viel fremde Gedichte nicht von nöthen seyn / wie etwan bißhero der Jephtha / der Abraham / und anitzo der Jacob erfodert haben: Alldieweil auch diese Historie durch viel Capitel[9] nach allen Umständen erzehlet wird. Immittelst verbleibe zu GOttes Gnaden Obhut / so dann auch zu einen geneigten Judicio über solche Zeit-vertreibenden Sachen gebührender massen befohlen.

Quelle:
Christian Weise: Masaniello. Stuttgart 1972, S. 8-10.
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