CAP. XL.

[188] Hier ward der discurs durch einen unverhofften Lermen verstört, der sich vor der Stube zwischen der Frau und den Mägden erhub. Der Wirth lieff zu, und wolte zum Rechten sehn. Doch ward es viel ärger, und thät er nichts bey der Sache, als daß er das Geschrey grösser machte. Endlich kam der Hausknecht, den fragten sie, was für ein Unglücke entstanden wäre, dieser berichte, die Mägde wolten alle viere in die Kirche gehen, die Frau wolte hingegen haben, es solte eine bey den Kindern zu Hause bleiben. Eurylas verwunderte sich über die grosse Andacht, die er bey dem heutigen Mägde-Volcke nicht gesucht hätte. Der Knecht halff ihm auß der Verwunderung. Denn er sagte, sie rissen sich nicht umb die Predigt oder sonst umb den Gottesdienst: sondern sie würden in der Kirche das Kind wiegen, den Vogelgesang und den Stern mit den Cimbeln gehen lassen, deßwegen wolte keine die schönen Sachen versäumen. Sonst wüste er wohl, daß man vier Wochen zu schelten hätte, ehe man sie einmahl könte in die Kirche bringen. Eurylas sahe die andern an, und als sie nichts darzu reden wolten, fragte er, was sie von dieser Kirchen-Gauckeley hielten. Ob es nicht ein Anhang wäre von dem vermummten heiligen Christo? Sigmund gab zur Antwort, in diesem Stücke möchte er leicht zum Puritaner werden, und die Papistischen Ceremonien mit dem kindischen Kinderwiegen abschaffen. Die Leute würden zwar delectirt, absonderlich hätte es bey den Kindern gar ein schönes Ansehen, doch wäre es besser, man delectirte sie mit geistlichen Weynacht-Liedern, als daß man sie mit solchen Vanitæten von der Andacht abführte. Der Hof-Rath sagte, das wäre ein geringes, gegen den Chosen, die sonsten auff der Orgel getrieben würden. Er wäre unlängst an einem Orte in der Kirche gewesen, da hätte die Gemeine gesungen, Erbarm dich mein, O HErre Gott, der Organist hätte indessen drein gespielet mit lauter sechsviertheil und zwölff achtheil Tact, daß man also lieber getantzet als die Sünden beweinet hätte. Ingleichen wüste[189] er anders wo einen Organisten, der hätte an stat des Subjecti, das altväterische Lied durch geführt; So wollen wir auff den Eckartsberg gehn. Ja er hätte wol eher in der Kirche Sonaten gehört, die nicht viel geistreicher herauß kommen, als Hertze-liebe Liese. Doch hiermit fiengen sie an in die Kirche zu läuten, und stunden alle vom Tische auff. Etliche giengen in die Predigt, etliche blieben zu Hause. Nach der Kirche kam ein junger Stutzer, der wolte ungeacht des heiligen Tages auff dem Schlitten fahren, und hatte sich den Zeug darzu gar prächtig auffgeputzt: doch er mochte wol an keinem Fürstlichen Hofe seyn Stallmeister gewesen, oder zum wenigsten mochte das Pferd kein Hochdeutsch verstehn. Denn es kam alles so verkehrt und seltzam herauß, daß wohl hundert Jungen hinter drein lieffen, und mit hellem Halse schrien, Haber, Haber, Haber, Haber. Der Handel verdroß ihn, und gewiß, 15. Thaler wären ihm lieber gewesen, als der Schimpf, doch meinte er, es wäre noch zu verbessern, und wolte auff dem grossen Platze gleich vor dem Wirthshause etliche Rädgen herum drehen, und kam den alten Weibern, die Aepffel, Nüsse, Kraut, Käse und andere Höckereyen feil hatten, mit den Kuffen in ihre Körbe, daß eines hin das andere her flog. Die Jungen lieffen zu und lasen auff, die alten Weiber warffen mit ihren Feuerpfängen darzwischen, und wolten ihre Wahren nicht preiß geben. Das Pferd ward von dem Getöse scheu gemacht, daß es durchgieng, biß der Schlitten an einem Eckstein in tausend Stücke zersprang, und der Stutzer in seinem Luchsbeltze auff dem Eise herum baddelte, wie ein Floh im Ohre. Wo das Pferd hinlieff, konten sie auß dem Gasthofe nicht sehn. Doch in kurtzer Zeit kamen etliche Jungen, die hatten es angepackt, und ritten so lange in der Stadt herum, biß der Kerl, dem das Pferd zustund die Reuterey zerstörete. Florindo hatte seine sonderliche Lust daran, und sagte, ein andermal bleib an dem heiligen Tage zu Hause, und den folgenden Tag sieh zu, ob dir das Schlittenfahren von statten geht, wo nicht so bleib wieder zu Hause. Eurylas sagte: Ich möchte gerne wissen, warum einer so gern in der Stadt auff dem Schlitten fährt. Ich[190] lobe es im freyen Felde, da mag ich thurnieren nach meinem Gefallen, und stosse an keinem Eckstein an: Ich mag auch so offt umwerffen als ich wil, und ist doch niemand, der mich außlacht, oder mir das Unglück gönnt. Ja wohl, sagte Sigmund, ist die Lehre nicht zu tadeln, wenn man auß Lust auff dem Schlitten fährt. Wo man aber dem Frauenzimmer zu gefallen sich wil sehen lassen, da giebt es auf dem freyen Felde schlechte Possen. Drumb gleich wie iener blinde Bettelman nirgend lieber gieng, als wo er von dem Volcke gedränget und gedruckt ward: also fahren auch solche verliebte Hertzen am liebsten, wo die Ecksteine und die Qvergassen am gemeinsten sind. Indem sie noch davon redeten, kam der gewöhnliche Postwagen, welcher Tag vor Tag fort zu gehen pfleget, im Wirthshause an, und hatte unterschiedene Personen auffgeladen, denen der Wirth mit einem Trunck warmen Seckt begegnete, daher sie nach der Kälte gar wohl erquicket wurden. Doch hatten sich etliche so sehr erkältet, daß sie den Abend drauff nicht wieder fort wolten: sondern biß auf bessere Gelegenheit in der warmen Stube sitzen blieben. Auff den Abend bey der Mahlzeit kamen sie mit zu Tische, da saß einer gantz ernsthafftig, als ein erstochener Bock, daß auch die andern nicht wusten, woher ihm einiges disgusto möchte entstanden seyn. Eurylas, der solche Sauertöpfische Gesichter in der Gesellschafft nicht gerne leiden konte, fragte ihn, warum er sich so betrübt befände? Dieser gab die unbescheidene Antwort von sich, er habe in acht Tagen kein süsses gessen. Eurylas merckte den Bauer wohl, daß er von derselben Gattung wäre, die keinen Schertz vertragen können; drum hatte er seine Lust, daß er ihm noch mehr Verdruß erwecken solte, und sagte, mein Herr, hat er nichts süsses gessen, so hat er doch vor dem Essen süssen Wein getruncken. Dieser fuhr ungestümm herauß, es hätte ihm niemand seinen Wein vorzuwerffen, hätte er was getruncken, so wäre es auch von seinem Gelde bezahlet worden, es gienge einen andern nichts daran ab, was er endlich verzehren wolte. Eurylas der höhnische Gast hatte den Trotzer auf dem rechten Wege, dannenhero winckte er auch den andern, absonderlich dem Florindo,[191] sie möchten nichts darzwischen reden, dadurch die Lust verderbet würde, und sagte hingegen, der Herr habe keinen Ungefallen an meinem Schertze, die Freundschafft, die ich bey ihm verlange gibt mir Anlaß darzu. Der gute Mopsus warff das Maul auff und sagte, er hätte ihm noch keinen Boten geschickt, der ihn um die Freundschafft ansprechen solte. Und vielleicht schickt sichs, daß wir das gantze Gespräche ordentlich fortsetzen.


Euryl. Hat er mir keinen Boten geschickt, so wil ichs thun, und wil selbst mein grosser Bote seyn.

Mops. Solchen Boten pfleget man schlecht zulohnen.

Euryl. Eine schlechte Belohnung ist besser, als gar keine.

Mops. Ey was sol das heissen? wollet ihr einen Narren haben, so schaffet euch einen, ich zehre hier vor mein Geld, und bin so gut als ein ander, ich laß mich keinen vexiren, und solte der Hagel drein schlagen.

Euryl. Ich sehe, bei dem Herrn ist ein kleiner Mißverstand.

Mops. Was? was? wer hat einen Mistverstand? ich habe keinem Bauer Mist geladen, und ich halte den jenigen selbst vor einen Ertz-Mist-Hammel, der mir solches wil Schuld geben.

Euryl. Wenn der Herr an D. Luthers Stelle wäre gewesen, solte er nicht eine schöne Außlegung über den Catechismum gemacht haben.

Mops. Und ihr sollet die Außlegung über den Eulenspiegel machen.

Euryl. Was ist denn der Eulenspiegel vor ein Ding?

Mops. Er ist ein Kerle gewesen, vor dem niemand hat können zu frieden bleiben.

Euryl. Hat er auch können Schertz verstehen?

Mops. Ja wenn es ihm gelegen war.

Euryl. Nun so gilt es ein halbes auff Mons. Eulenspiegels gute Gesundheit.

Mops. Ihr möcht wol selbst ein Eulenspiegel seyn.

Euryl. Ich wolte viel schuldig seyn, daß ichs wäre, so hätte ich ohne Zweiffel bey dem Herrn bessere addresse, als itzund.[192]


Bey diesen Worten stund Mopsus vom Tische auff, warff Teller, Messer und Gabel von sich, und fluchte alle Elemente nach der Ordnung daher, biß er oben in sein Zimmer kam, da er die Boßheit nach seinem Gefallen außlassen mochte. Einer, der mit ihm auf dem Postwagen gesessen, konte nicht gnug erzehlen, was sie vor Müh auff der Reise mit ihm gehabt; es hätte niemand den geringsten Schertz dürffen vorbringen, so hätte er alles auff sich gezogen, und zwar mit so einer lächerlichen außlegung, daß man fast ein Buch davon schreiben möchte. Und über diß hätte er keinen Schimpff wollen auff sich ersitzen lassen, sondern hätte sich allezeit mit lächerlichen retorsionibus gewehret. Ich muß, sagte dieser, nur etliche Exempel anführen. Einmal ward auff dem Wagen gefragt, was man guts im Wirthshause zu hoffen habe, und sagte einer diß, der andere was anders. Ich sagte, haben wir sonsten nichts, so haben wir einen guten Stockfisch. Da befand er sich also bald offendirt, und sagte, er wäre darumb kein Stockfisch, wenn er schon bey einem Fischhändler wäre zu Tische gangen; wer ihn davor hielte, möchte wohl ein gedoppelter Stockfisch seyn. Nun konte ich wol mit Grund der Warheit sagen, daß ich nicht gewust, woher er gewesen, viel weniger wo er zu Tische gegangen, also daß ich wol ausser verdacht war, daß ich ihn nicht gemeinet hatte. Ferner fragte einer ob Nürnberg in Schwaben läge? Da fuhr dieser auff als eine Wasserblase im Bade, und sagte, es könte ihm kein ehrlicher Kerle nachsagen, daß er ein Schwabe wäre, er hätte sein Vaterland viertzig Meilen von Schwaben abgelegen, doch sehe er wohl, sie hätten es ihm zum Verdruß und zum Angehör vorgebracht. Ein ander schwatzte von Kleidern, und meynte, wer itzt einen Beltz wolte machen lassen, der solte nur nach guten Futter fragen, der Uberzug möchte leicht von Berenheuterzeug gut genug seyn. Da wolte er schliessen, man hätte ihn einen Berenheuter geheissen. Doch es fehlete nicht viel, daß er nicht ein paar dichte Maulschellen davon getragen. Eurylas sagte, der Kerle müste ein wunderlicher Narr seyn, der sich in keine Gesellschafft schicken könte. Doch nam sich [193] Gelanor seiner an, und redete sein Wort. Laßt ihn einen Narren seyn, sagte er, was kan er davor? seine Natur bringet es nicht anders mit sich. Er hat ein Melancholisch verdrießliches Temperament, dadurch er von aller Lust und Kurtzweil abgehalten wird. Muß man doch leiden, daß in einer Compagnie, da alle Käse essen, einer die Nase zuhält und nicht mit macht. Mancher isset keine Buttermilch, ein ander trinckt kein Bier, ja man findet Leuthe, die kein Brot riechen können. Gleich wie nun solche Menschen deßwegen vor keine Narren zu halten seyn, ob sie gleich dasselbe nicht nachthun, was andern angenehm ist: Also muß man auch von diesen urtheilen, die an Schertz und andern Lustigkeiten gleichsam von Natur einen Abscheu haben. Doch solte ein solcher Mensch sich entweder der Gesellschafft gantz äussern, und sein Vergnügen in der Einsamkeit suchen: Oder wenn er ja nicht Umbgang nehmen könte, bey Leuthen zu seyn, so solte er seine Natur zwingen, und nicht alles mit so grosser und lächerlicher Ungedult aufnehmen. Denn was hat ein ander darvon, daß er seine Worte so übel außlegen lassen, und daß er seiner Freymüthigkeit wegen sich allerhand Ungelegenheit über den Hals ziehen soll.

Quelle:
Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der ganzen Welt. Halle an der Saale 1878, S. 188-194.
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