CAP. XLVIII.

[221] Ich sehe wohl, sagte Gelanor, das Reisen hilfft nicht wider die Thorheit. Es mag einer in Franckreich und Italien gewesen seyn, so heist es doch mit ihm: fleucht eine Ganß hinüber, kömmt eine Ganß wieder herüber. Ich dachte unser Mahler würde ins künfftige zu[221] etwas höhers gebraucht werden. Allein es wird ihm gehen wie ienen Manne, zu dem sagte die Frau: Mann, wenn ihr so ein Narr seyd, so werdet ihr kein Rathsherr. Im übrigen gebrauchten sie sich allerhand Ergötzligkeit, welche die schöne Frühlings-Zeit mit sich brachte, und indem sie der Narren inquisition müde waren, hatten sie grössere Lust mit klugen Leuten zu conversiren.

Endlich kam Sigmund wieder und brachte folgende resolution mit, welche alsobald in der Compagnie deutlich verlesen ward.


Großgünstige, etc.


Derselben freundliches Schreiben ist uns durch Mons. Sigmund wohl übergeben worden. Ersehen darauß, welcher Gestalt einiger Zweiffel in einer Philosophischen Frage entstanden, dessen Erörterung sie uns wollen günstig anheim gestellet haben. Ob wir nun wohl nicht zweiffeln, es würden dieselben ihrer beywohnenden Geschickligkeit nach, solches vor sich selbst am besten beylegen können: Dennoch weil ihnen beliebet hat, dergleichen Müh uns auffzutragen: Als haben wir so wohl auß Erforderung unsers Ammtes, als vornehmlich auß sonderbahrer Begierde demselben auffwärtig zu erscheinen, folgende Sätze kürtzlich zusammen bringen, und dadurch dero abgelassene Frage, wo nicht gäntzlich abthun, doch zum wenigsten erklären sollen. Befehlen uns hiermit in deroselben günstiges Urtheil, und verbleiben der Hochlöblichen Compagnie

Dienstwillige

N.N.


Erörterung

Der Frage

Welcher der gröste Narr sey?


I.


Die Thorheit ist nichts anders, als ein Mangel der Klugheit. Darumb wer die Klugheit erkennet, kan auß dem Wiederspiel leicht abnehmen, was ein Narr sey.

II. Es bestehet aber die Klugheit vornehmlich in Erwehlung des Guten und vermeidung des Bösen, also daß der jenige vor den Klügsten gehalten wird, der sich[222] am besten vor der instehenden Gefahr hüten, und seinen Nutzen in allen Stücken befördern kan.

III. Und hierauß folget, daß derjenige ein Narr sey, der entweder das Böse dem Guten vorsetzt, oder doch die Sachen, welche an sich selbst gut genug sind, nicht recht unterscheiden kan.

IV. Zwar die Natur hat einen jedweden so klug gemacht, daß niemand mit Wissen und Willen etwas verlangen oder erwehlen wird, welches er vor Böß hielte. Dannenhero wenn Leute gefunden werden, die sich selbst den Tod anthun, geschicht solches, weil sie den Tod vor gut und angenehm halten, als dadurch sie ihrer Gefahr und anderer Widerwärtigkeit entsetzet würden.

V. Unterdessen ist diß zu beklagen, daß etliche Sachen zwar recht und in der Warheit gut befunden werden: Etliche aber an ihm selbst grundböse sind, und aber einen äusserlichen Schein des Guten bey sich führen. Wie ein überzuckerter Gifft, so lang er in dem Munde und in der Kehle ist, sehr süsse schmeckt, und einen sonderlichen Schein des guten hat: doch endlich im Bauche sich also verhält, daß man die böse Natur mehr als zu viel erkennen muß.

VI. Derhalben ist diß der endliche Unterscheid zwischen klugen und thörichten Leuten. Ein Kluger erwehlet das Gute, welches in der That und in der Warheit gut ist. Ein Narr lässet sich den äusserlichen Schein bethören, daß er, wie des Esopi Hund, das warhafftige Stück Fleisch auß dem Munde fallen läst, und nach dem Schatten schnappt.

VII. Solche närrische Leute aber werden in dreyerley Sorten abgetheilet. Etliche ziehen das Böse dem Guten für, auß Einfalt und Unwissenheit. Wie ein Kind sich den schönen Glantz des Feuers betriegen läst, daß es hinein greifft und sich die Finger verbrennt. Oder wie ein unerfahrner Knabe sich durch den Schein der Freundschafft in Gefahr verleiten läst. Denn solche Leute wissen es nicht besser, und weil sie durch die Erfahrung nicht geübt sind, können sie es nicht besser wissen.

VIII. Die andere Sorte begeht die Thorheit auß[223] geschwinden und übereileten Affecten. Wie ein zorniger Mensch auß unbedachtsamer Begierde zur Rache, darinn er sich einige Süssigkeit einbildet, den andern beleidiget: welches er nicht thäte, wann er dem Verstande Raum liesse, und bedächte, was er selbst vor Straffe und Unglück darauff zu gewarten hätte.

IX. Die letzte Sorte erkennet das Gute und das Böse gar wohl, doch fält es wissentlich in die Thorheit, daß ein kleines und scheinbares Gut, das gegenwärtig ist, trotz allen künfftigen und bevorstehenden Straffen und Belohnungen, dem warhafftigen und wesentlichen Gute vorgezogen wird. Und da entschuldigt keine angemaßete Unwissenheit. Sondern alle Thorheit wird wissentlich begangen, da man es hätte sollen und können besser wissen.

X. Denn gleich wie ein Koch, der Schlangen vor Aal speiset, sich mit der Unwissenheit nicht entschuldigen kan. Weil er als ein Koch krafft seiner Profession diß hat wissen sollen: Also hilfft es nicht, wenn einer sprechen wolte, ich habe es nicht gewust, daß im Kriege so böse Leben ist, sonst wäre ich nit hinein gezogen, denn er hätte es können wissen, hätte er nur den Vermahnungen statt gegeben. Ja er hätte es sollen wissen, weil ihm die Vernunfft leicht eingegeben, daß, wo Rauben, Brennen, Todschlagen ein tägliches Handwerck ist, kein gutes Leben erfolgen könne. Und daß man nicht allein von dar hin schiest, sondern auch von dort wieder her schiest.

XI. Mit der ersten Gattung hat man billig Mitleiden. Die andere wird etlicher Massen, doch nicht allerdings, entschuldiget. Die dritte steht gleichsam auf der höchsten Spitze der Thorheit, und wer den grösten Narren finden will, der muß ihn hier suchen.

XII. Nun sind in dieser letzten Classe die Narren auch unterschiedlich, nach dem die Güter sind, welche man in die Schantze zu schlagen, und andern nichtswürdigen Diengen nachzusetzen pfleget.

XIII. Das höchste Gut ist ohne Zweiffel GOTT, oder weil sich GOTT dadurch will geniessen lassen, hier der Glaube, dort die Seligkeit; Denn weil GOtt alles[224] schöne Frauen-Zimmer, alle helle Sterne, Gold und Silber, alle niedliche Speisen, alle annehmliche Music, in Summa was hier schön und erfreulich ist, geschaffen hat: So muß freylich folgen, daß der Ursprung solcher Treffligkeiten viel schöner und annehmlicher seyn muß.

XIV. Nach diesem Gute folgen die zeitlichen Gaben, welche uns GOtt, dem mühseligen Leben zu Trost überlassen hat. Und da sind zwey Sachen, welche einander gleiche Wage halten. Auf einer Seite Leib, Leben und Gesundheit; Auf der andern Ehre, Ruhm und redlicher Namen.

XV. Zuletzt kommen die anderen Ergötzligkeiten, als Geld, Freunde, Lust, und dergleichen.

XVI. Nun ist zwar dieser ein rechtschaffener Narr, der seine Lust in dem Spielen sucht, und dadurch viel Geld verlieret, oder der eine Heimligkeit verräth, und seines Freundes dadurch verlustig wird: Oder der umb Essen und Trincken willen sich umb seine Freyheit und gleichsam in Frembde Dienstbarkeit bringt. Doch weil man bey diesen allen gesund, ehrlich, und Gottesfürchtig bleiben kan, so ist hierdurch die höchste Narrheit noch nicht erfüllet.

XVII. Diese sind ohne Zweifel ärger, welche zum Exempel den Wein nicht lassen, ungeacht sie das Podagra, trieffende Augen und andere Ungelegenheit davon haben, oder welche auß Geitz Hunger leiden, und schwindsüchtig darüber werden, oder welche eiteler revenge wegen sich in Leib- und Lebens-Gefahr setzen, und was vor Leute mehr sind, die auf ihre Gesundheit hinein stürmen, als hätten sie das Gedienge, daß ihnen nichts schaden solte.

XVIII. Eben so verhalten sich die Andern, welche ihre Ehre und Redligkeit entweder an den Nagel hencken oder unter die Banck stellen. Etliche fragen nichts nach Ehr und Respect, wie die jungen Leute, welche Müssiggangs halben unwissend und ungeschickt verbleiben. Etliche rennen gar in den bürgerlichen Tod hinein, und stehlen, lügen, huren und buben so lang, biß sie dem Hencker in die Fäuste gerathen, oder mit dem Schelmen zum Thor hinauß lauffen.[225]

XIX. Ob nun wohl solche Leute, welche die heilige Schrifft selbst Narren heisset, im Grunde Gottes Verächter sind: dennoch sind noch die letzten dahinden, welche auf eine Wag-Schaale die ewige Seligkeit, auf die andere zeitliche Ehre, Reichthum und andere Eitelkeiten legen. Und ob sie gleich den Außschlag auf Seiten der Seligkeit sehen, gleichwohl sich mit den Hertzen so fest an die Eitelkeit anhencken, biß der Himmel von der Erde überwogen wird.

XX. Nun ist leicht die Rechnung zu machen, wer der gröste Narr sey: Nemlich derselbe, der umb zeitliches Kothes willen den Himmel verschertzt. Nechst diesem, der umb lüderlicher Ursachen willen entweder die Gesundheit und das Leben, oder Ehre und guten Namen in Gefahr setzet.

Quelle:
Christian Weise: Die drei ärgsten Erznarren in der ganzen Welt. Halle an der Saale 1878, S. 221-226.
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