Der wandernde Stab

[51] Ahasvers war ich einst,

Tannhäusers auch.

Ich grünte und ich schlug

Wurzeln einmal und wuchs und wurde Strauch.


Nun ist die Welt besät

Mit meiner Brut:

Ein jeder Schößling trieb

Und trieb die alte ungestillte Wut.


Trieb, die sich treibt, die Kraft.

Wen sie befiel,

Wer mich ergriff, den trifft

Ziel nur als Weg zu einem neuen Ziel.


Wer an mir ging, den kann

Kein Haus verwahrn,

Zu viele Straßen rings,

Die ungekannt ins Unbegangne fahrn,


Zu wenig Schnitter für

Die große Mahd,

Nach allen Händen drängt

Und drängt sich gierig die gereifte Saat:


Wegsüchtige, die aus mir

Geboren sind

Und noch gefangen stehn

Und seufzend wehn unter dem weiten Wind...
[52]

Mißhör die Sehnsucht nicht,

Die um dich brennt,

Mensch, faß ein Ding und geh

Ihm nach und stills und führs zu seinem End.


Quelle:
Maria Luise Weissmann: Gesammelte Dichtungen, Pasing 1932, S. 51-53.
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