Zweiter Auftritt

[253] Die Räthin, die Vorigen.


RÄTHIN noch unter der Thüre. Was soll anders werden?

ROSALIE. Der Egoismus, der seine Leckerbissen lieber im Winkelchen allein verzehrt, als daß er Weib und Kind an einer sparsameren, aber durch Liebe gewürzten Tafel mit essen ließe. Das Allein da stehn in der vollen Welt, das Nachäffen fremder Sitten, und Gebräuche, das Verspotten der eignen, das muß aufhören. – Die Urkraft muß in dem Menschen erwachen, er muß dem Boden angehören, der ihn ernährt. Jedes Land muß seine Bürger selbst bilden, nicht durch seine Nachbarn verbilden lassen – dann leben wir in der besten Welt, und dann bitte ich Gott, daß er mich recht lange auf ihr wandeln und handeln läßt.

RÄTHIN. Ich erstaune, – Dich hat der Zeitgeist gewaltig ergriffen.

ROSALIE. So gewaltig, daß ich von ganzer Seele ein deutsches Mädchen bin, und wills Gott, bald eine gute deutsche Frau werden, und bleiben will. – Daß Sie es nur wissen, liebe Mutter, so viel Geld Sie auch für meine Erziehung ausgegeben – ich kann kein Wort französisch.[253]

RÄTHIN. Du hast also ein Gelübde gethan, keine Gesellschaften zu besuchen?

ROSALIE. O nein, das nicht.

RÄTHIN. So wirst Du nicht die beste Figur spielen – denn in den zahlreichsten Gesellschaften spricht man in Deutschland – nicht deutsch.

ROSALIE. Ist das nicht lächerlich?

RÄTHIN. Recht sehr mein Kind; aber lache und rede und schreibe dagegen so viel Du willst, es wird doch nicht anders. Die Zungen haben in dieser fremden Sprache eine solche Fertigkeit erhalten, sie plappern fort ohne daß Herz und Kopf etwas davon weiß.

JULIE. Aber woher kommt das?

RÄTHIN. Zum Theil ist es ein sehr altes Uebel. Die Römer ließen ihre Kinder von den geschmeidigen Griechen, die Deutschen von den galanten Franzosen erziehen; ihre Muttersprache hören sie nur von dem Gesinde, sie lernen daher nie ihre Erhabenheit, nur ihre Gemeinheit kennen und glauben sich berechtigt sie zu verachten.

ROSALIE. Und sie ist doch so kräftig – und so schön.

RÄTHIN. Für die, mein Kind, die ihre Dichter lesen, und verstehen, ist sie die Quelle alles Wissens; aber diese[254] Gesetzgeber des guten Geschmacks liegen in verschlossenen Schränken, während sich die französischen Romane auf allen Tischen häufen.

ROSALIE. Ich habe selbst noch einige – sie sollen ins Feuer.

RÄTHIN. Nicht doch; – der Vernünftige gleicht einer Biene, die ihren Schatz aus allen Blumen saugt. Sie fliegt auch manchmal in die Ferne, und ruht auf einer fremden Blüthe aus; doch heimisch, ruht sie auf der mütterlichen Wiese, und sie verachtet um der fernen Blüthen, die nahen, eignen nicht.

ROSALIE. O ich will –

RÄTHIN. Nichts mein Kind – denn ein Mädchen darf nie auffallend handeln, sonst tritt sie aus dem Kreis, der ihr Wirken beschränkt – und macht sich lächerlich. Nur die Gattin, die Mutter kann, darf, muß gegen dies Verderbniß unsrer Sitten eifern, sie hat die Macht dazu. Alles Gute, was die Welt beglückt, keimt in dem kleinen Garten, den sie als Mutter – als Gattin – pflegt. Unsre Kinder zu dem zu bilden, was die Menschen sein sollen; das können, das dürfen wir, dadurch veredlen, verbessern wir die Welt, dazu habe ich Euch gebildet, entsprecht nun den Hoffnungen der Mutter, dann ist meine, dann ist Eure Pflicht erfüllt.[255]


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neueste Schauspiele. Band 9, Berlin 1821, S. 253-256.
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