Vierter Auftritt

[35] Die Vorigen, ohne Baptist.


HORTENSIA.

O Mutter, Mutter, willst Du nicht erwachen?[35]

Lass' uns nicht hier allein, nimm uns mit Dir.

HORTENSIA.

Jetzt athmet sie, sie lebt

MARIE.

Ach – unsre Mutter lebt!

MUTTER erholt sich, und richtet sich auf.

Sagt! ist er fort, der fürchterliche Mensch?

O treibt ihn fort, laßt mich ihn nicht mehr sehen.

HORTENSIA.

Wir sind allein, o Mutter, fasse Dich!

MUTTER.

Wir sind allein? – so fließt ihr Thränen, fließt –

jetzt darf ich weinen, und jetzt wird mir leicht.

So – helft mir auf – ich hab' Euch wohl erschreckt?

Es kam so plötzlich – ach, – derselbe Dolch,

der ihm das Herz durchbohrt, er traf auch mich.

HORTENSIA.

O lebe Mutter, lebe

MARIE.

Für uns, für uns.

MUTTER.

Für Euch: ja, leben muß ich, ich bin Mutter,

nicht Gattin mehr, bin Mutter, Mutter nur.


Pause, sieht gegen Himmel.


Er ist bey Dir – Du hast ihn uns genommen,

Du weißt warum – ich weine – murre nicht,

Erbarme Dich nur dieser armen Waisen,

Dir, Gott im Himmel, sind sie jetzt vertraut.

O leite sie in diesen Jammer – Tagen,

daß sie ob Deiner Allmacht nicht verzagen.[36]

Du bist erschöpft – willst Du ein wenig ruhen?

MUTTER setzt sich, lehnt ihr Haupt an ihre Brust.

An Deinen Herzen, Kind, da such' ich Ruhe.


Pause, dann stürzt Klara hervor, und fällt vor Mad. St. Janvier auf die Knie nieder.


HORTENSIA.

Was willst Du, Klara?

KLARA.

Ach – zertretet mich.

MARIE.

Steh auf, steh auf –

KLARA.

Ihr könnt mich nicht mehr lieben.

MARIE.

Du hast uns nichts gethan –

HORTENSIA.

Du nicht, Dein Vater –

KLARA.

Und darum werdet Ihr auch mich verfluchen,

mein Anblick wird mit Schrecken euch erfüllen,

weil er Euch an des Vaters Mörder mahnt.

Verstoßt mich nicht, laßt mich im Hause bleiben,

ich will Euch emsig aus dem Wege gehen,

Wenn ich nur leise Eure Stimme höre;

nur an den treuen Diensten sollt Ihr sehen,

daß ich noch zu den Eurigen gehöre.

Verstoßt mich nicht –

HORTENSIA.

O Mutter, tröste sie![37]

MARIE.

Sie ist so gut, sie hat uns stets geliebt.

HORTENSIA.

In schwerer Krankheit hat sie mich gepflegt.

MARIE.

Im Glück und Unglück ist sie treu geblieben

BEYDE MÄDCHEN.

O Mutter, dulde sie – verstoß sie nicht.

MUTTER ohne aufzublicken, giebt ihr die Hand.

Du bleibst, Du bleibst – doch schone meinen Schmerz.

KLARA.

Du bleibst

So sagte sie, – o hab ich recht gehört?

BEYDE MÄDCHEN.

Ja, gute Klara, ja, Du bleibst bey uns.

KLARA springt auf.

Habt Dank! habt Dank, Ihr sollt es nie bereuen,

bis in den Tod will ich nun treu Euch dienen,

des Vaters Schuld durch heisse Liebe sühnen!


Schnell ab.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neueste Schauspiele. Band 9, Berlin 1821, S. 35-38.
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