Erster Auftritt

[3] August, bald darauf Gehrmann.


AUGUST sitzt an einem Tisch und hat ein Manuscript, welches er ungeduldig aus der Hand legt, und aufsteht. Worte, Worte, Worte! würde hier Hamlet ausrufen. Nie wurden die Hände mehr zum Schreiben, nie die Augen mehr zum Lesen mißbraucht. Nur die Augen? auch die Zeit! die nie wiederkehrende, köstliche Zeit! Bleibt vor dem Manuscript stehen. Manche Aehre mag ihre Körner haben, aber der sie unter den leeren Halmen suchen muß –

GEHRMANN stürzt mit einem offenen Briefe in der Hand herein. Sie kommt! Sie kommt!

AUGUST. Wer? Die Vernunft, die ich vergebens in diesen Blättern suche?

GEHRMANN. Deine Braut kommt.[3]

AUGUST erstaunt. Onkel!

GEHRMANN. Ueberrascht? – aber angenehm, nicht wahr?

AUGUST. Da ich noch gar nicht das Vergnügen habe, sie zu kennen –

GEHRMANN. Kennst ja ihren Werth! 300,000 Gulden –

AUGUST schnell. Durch den Wucher ihres Vaters erworben.

GEHRMANN. Was kümmert dich, wie das Geld erworben ist? wie man es vernünftig umkehren kann, das sey deine Sorge.

AUGUST. Ihr Vater war –

GEHRMANN. Mein Freund! mein Handlungsgefährte, und ein Mann, der seinen Vortheil verstand.

AUGUST. Ohne den Vortheil der Autoren zu berücksichtigen.

GEHRMANN bleibt belehrend vor ihm stehen. Höre, August, ich bemerke immer mehr, daß du von unserm Geschäft eine verkehrte Ansicht hast. Mancher Autor würde nicht die Feder eintunken, wenn nicht manchmal die Suppenschüssel zu rauchen aufhörte.

AUGUST. Dessen Beruf ist der rechte nicht.[4]

GEHRMANN. Nicht der rechte? – Ist der Magen nicht der Götze, um den sich alles herumdreht? Der Gläubiger muß befriedigt werden, alle andern können warten.

AUGUST. Aber müßte nicht das reine Geistes-Product ohne Rücksicht auf Vortheil entstehen?

GEHRMANN. Ohne Rücksicht auf Vortheil? wie wenig geschähe dann auf der Welt! Der reine Geist braucht den genährten Körper; ich brauche dich, du brauchst mich, das erhält die Leute in Athem; darum muß ein kluger Buchhändler keinem Schriftsteller mehr geben, als er von einem Werke zu dem andern nothdürftig braucht.

AUGUST lacht. Darum also –

GEHRMANN. Entsteht jetzt dieses Heraussprudeln aller menschlichen Denkkraft. Mache die Herren reich, und der Verstandesstrom, der sich jetzt in tausend Bächlein von Almanachen, Journalen, Finanzwissenschaften, Oeconomie und Statistik ergießt, wird sich über Nacht wie der Rhein im Sande verlieren. Nur Gewinn treibt die Welt.

AUGUST. Mich wird der Gewinn nie treiben, einem Mädchen meine Hand zu geben, das ich nicht liebe.

GEHRMANN. Mit der Liebe mache es wie du willst, aber deine [5] Hand mußt du ihr geben, denn ich habe ja schon alles richtig gemacht.

AUGUST erstaunt. Richtig? ohne mich zu fragen?

GEHRMANN. Die heutige Jugend versteht sich nicht auf's Antworten, sie sagt oft ohne alle Ueberzeugung, nur weil die Alten es so wollen, nein – diesem nein bin ich zuvorgekommen. Sie ist meine Mündel, du mein Neffe; meine Pflicht erheischt, für euer Beider Wohl zu sorgen. Sie hat Geld, du bekommst mein Geld, ich vermähle euch und die Summen, und habe so als Onkel und Vormund meine Pflicht gethan.

AUGUST. Mit dankbarem Gemüthe erkenne ich Ihre väterliche Sorge – aber – Sie kennen meine Denkart; die jetzige Erziehung des weiblichen Geschlechts –

GEHRMANN. Entfremdet es der Küche und Kinderstube –

AUGUST rasch. Stellt es auf eine Bühne, wo es oft eine verspottete Bedeutenheit erwirbt.

GEHRMANN. Kurz – die Weiber sollen nichts wissen

AUGUST. Nichts schreiben. Und diese! die Tochter eines Buchhändlers, wer steht mir dafür, daß sie –

GEHRMANN. Eine Gelehrte geworden ist? Deßhalb sey ruhig. Die Mutter starb früh, die Tochter wurde in ein kleines Städtchen zu einer alten Muhme geschickt, in deren[6] Haus, außer dem nöthigen Kalender und Erbauungsbüchern, kein ander Werk anzutreffen ist; und daß sie nicht als Schriftstellerinn auftreten wird, Lacht. dafür bürgt uns dieser Brief. Hält ihm den Brief offen hin.

AUGUST blickt hinein. Was ist das?

GEHRMANN lacht. Ein Hühnergekratze? nicht wahr?

AUGUST. Eine solche Handschrift ist mir noch nie vorgekommen.

GEHRMANN. Und uns Buchhändlern kommen doch allerley vor.

AUGUST nimmt den Brief und buchstabirt. »M – A – I – N.«

GEHRMANN. Soll heißen mein.

AUGUST wie vorhin. »L – Y – V – E – R –«

GEHRMANN. Mein lieber Herr Vormund – das gibt ja der Verstand.

AUGUST liest. »Irre Gütte –« Er sieht seinen Onkel an.

GEHRMANN. Etwas uncorrect –

AUGUST. Nur etwas? Liest. »Irre Gütte wihl mir einen –«[7]

GEHRMANN. Jetzt geht es gut – man gewöhnt sich gleich –

AUGUST liest. »Wihl mir einen Mahn gepen.«

GEHRMANN. Soll heißen Mann.

AUGUST. »Ihr Beffel ist mir Gesatz.«

GEHRMANN. Etwas altdeutsch, das kommt jetzt wieder auf.

AUGUST liest. »Die Batze ist –«

GEHRMANN. Das soll heißen Base.

AUGUST liest. »Die Batze ist unpätzlich –« Er sieht Gehrmann an und sagt. Onkel –

GEHRMANN nimmt ihm den Brief aus der Hand und liest. »Die Base ist unpäßlich, und kann nicht mitkommen.« Zu August, Das kann doch Jedermann lesen und verstehen – Liest. »nicht mitkommen: aber sie – aber sie –« ey seht! das kann ich selbst nicht herausbringen. Liest. »aber sie schäkert –« ist denn die alte Frau noch so lustig? Liest. »aber sie schä – schicket –« das muß offenbar schicket heißen. – Liest. »aber sie schicket mich mit der Ku – Kundel –« das ist ein verketzerter Name; wird Kunigunde heißen. Liest. »aber sie schicket mich mit der Kundel. Heute ist Wisch – Wäschtag – bis alles gepickelt – gebiegelt ist, kann ich nicht abkommen. Aber auf den[8] Sonntag, will's Gott, bin ich da.« – Schlägt den Brief zusammen. Diese Hierogliphe ist entziffert. Heute ist Samstag, heute oder morgen kommt sie an, und ich hoffe, du wirst sie schon darum freundlich empfangen, weil dir dieses Actenstück die Versicherung gibt, daß sie nie als Gelehrte auftreten kann.

AUGUST. Alle Extreme sind zu fürchten! Hat nicht Apollo an ihrer Wiege gesungen, so hat sie die Dummheit geschaukelt. Nein – nur ein Mädchen, das an dem Busen der Natur –

GEHRMANN. Was Natur! die macht es jetzt wie alle uns're Frauen, und läßt ihre Kinder nicht mehr trinken. He! Anton! Friedrich! muß doch Anstalt treffen, sie könnte ja heute noch kommen. Geht an die Thüre.

AUGUST spöttisch. Wenn alles gepickelt ist.

GEHRMANN bleibt stehen. Stille! keine Noten zu dem Text gemacht, bis du den ganzen Inhalt des Werkes kennst. Und wenn auch einige Mängel zu Tage kommen, zähle ihr Geld, und du summirst lauter Annehmlichkeiten.

AUGUST. Geld macht nicht glücklich.

GEHRMANN. Eine alte Behauptung, Jedermann führt sie im Munde, und hält doch beyde Hände auf, wo etwas zu empfangen ist. Du bist in dem Alter, wo man das Geld wegwirft, ich bin in dem, wo man es aufhebt. Vertraut. Das Kapital kommt in die Handlung,[9] sie dominirt, Ihr zieht drey Prozent, erst wenn Kinder kommen – Sieht ihn an. Was? drey Prozent scheint dir zu wenig? willst du es den jetzigen Kaufleuten nachmachen? mehr Geld in dem Putzzimmer deiner Frau als in der Handlung haben? nichts da! Der Edelmann wandelt, der Kaufmann handelt; und damit er das bis an sein Ende mit Ehren kann, darum muß er hübsch Bürger und Kaufmann bleiben. Drey Prozent, keinen Groschen mehr; erst wenn Kinder kommen. Herzlich. Ich hebe sie – jedem Jungen ein Legatchen, jedem Mädchen eine Aussteuer – für wen spar' ich denn? Voll Freude. Ja – wenn Kinder kommen – horch! – ein Wagen! er hält! sie wird doch nicht wirklich schon heute! nichts ist gerichtet. Er ist an das Fenster gegangen und schreit. Sie ist's! August, sie ist's!

AUGUST für sich. O weh! die Wäsche ist zu früh trocken geworden.

GEHRMANN am Fenster. Da haben wir's! Der Wagen ist in der schmalen Gasse stecken geblieben, er ist zu breit bepackt! Schmalztonnen, Käse, Lacht. was? auch lebendige Hühner? Die bringt ja Lebensmittel für den ganzen Winter mit. – Jetzt steigt sie aus – Erschrickt. Nein – Gott behüthe, das wird die Kundel seyn. Die Braut steckt noch im Wagen, kann aus dem Gepäcke nicht heraus. Ruft. Anton! Friedrich! wo stecken denn die Leute! helft doch, helft! macht das große Thor auf, spannt euch selbst vor den Wagen; hinab! hinab! das Glück zieht in mein Haus. Er stürzt durch die Mitte ab.[10]

AUGUST allein. Das Glück? ich fürchte, die gewöhnlichen Begleiter des Reichthums, Zank und Zwietracht, ziehen ein. Nein, guter Onkel, ein Mädchen, das so schreibt, kann eben so wenig meine Gattin werden, als es ein Mädchen werden könnte, die für die Druckerpresse schreibt. Goldne Mittelstraße der weiblichen Bildung, warum verlassen dich Deutschlands Töchter! warum stehen sie nicht wie ehedem lernend, warum stehen sie lehrend neben dem Mann?


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 13, Wien 1834, S. 3-11.
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