Dritter Auftritt

[92] Die Vorigen. August Öffnet leise die Thüre.


ALBERTINE nach einer Pause. »Und aus der Schlucht, wo sich schlängelnd der Pfad neben dem Bergstrom krümmte, kam ein Jüngling – hold und schön – mit geringelten Locken – mit weithin flammendem Auge. – Und der Landmann hielt an das Gespann, und sah ihm entgegen –[92] und die Jungfrau erröthete hold und sah ihm nach –«

MADAME WÖLBING nachdem sie geschrieben, lächelnd aufblickend. Vorüber ging er?

ALBERTINE sehr heiter. Er kehrt wieder, doch heilige Pflicht zieht ihn aufwärts. Das Siechbett des Vaters – Immer lebhafter. ihn drückte Blutschuld – er kann nicht sterben, Vergebung bringt ihm – doch stille, geschwätziger Mund – nur weiter – die Höhe erklimmt er.

MADAME WÖLBING wiederholt. »Und die Jungfrau erröthete hold und sah ihm nach.«

ALBERTINE dictirend. »Wohl schlingt sich ein Pfad um's Gestein – er überspringt ihn, nur aufwärts, den kürzesten Weg! – Jetzt, jetzt erreicht ist die Pforte; er stürzt durch geräumige Hallen – er suchet das Siechbett des Vaters; die Mutter erblickt ihn zuerst und rufet: O sey uns willkommen!«

AUGUST tritt, hingerissen, einen Schritt näher.

MADAME WÖLBING blickt auf das Geräusch um sich, und ruft Mein Gott! Steht schnell auf.

AUGUST winkt ihr bittend, ihn nicht zu verrathen.

ALBERTINE erschrocken. Was ist Ihnen, Mutter?[93]

MADAME WÖLBING verlegen. Nichts.

ALBERTINE. Ihre Stimme zittert.

MADAME WÖLBING. Es war –

ALBERTINE lächelnd. Hat Sie mein Jüngling erschreckt?

MADAME WÖLBING. O nein –

ALBERTINE. Das soll er auch nicht, er kömmt als ein Bothe der Freude. Nun – schreiben Sie, Mutter?

MADAME WÖLBING sehr bewegt zu ihr tretend. Ich kann nicht.

ALBERTINE besorgt. Sie sind doch nicht krank?

MADAME WÖLBING. Nicht doch – sey ruhig.

ALBERTINE. So fahren wir fort!

MADAME WÖLBING. Nein – nein, unmöglich!

ALBERTINE. Warum nicht?

MADAME WÖLBING. Das Papier ist zu Ende.

ALBERTINE. Schade. –[94]

MADAME WÖLBING. Auch habe ich einige dringende Geschäfte.

ALBERTINE. Und ich kann nicht, wie ehedem, helfen, das Schwere allein verrichten. O Mutter! daß ich so regungslos an ihrer Seite stehe, das schmerzt.

MADAME WÖLBING. Möchtest du nicht auf einige Augenblicke in das kleine Gärtchen gehen?

ALBERTINE. Sie entfernen mich?

MADAME WÖLBING. Die Luft ist drückend hier, ich will Thüre und Fenster öffnen. Der Arzt rieth dir, alle Zugluft zu meiden – folge mir, ich übergebe dich dem kleinen Annchen.

ALBERTINE. Aber wenn ich wiederkomme, leihen Sie mir dann wieder Ihre Feder, wie Sie mir schon lange Ihre Augen leihen?

MADAME WÖLBING. Ich werde Papier besorgen. Will sie fortführen.

ALBERTINE bleibt stehen, und sagt vertraut. Mutter, ich habe den Jüngling liebgewonnen.

MADAME WÖLBING unruhig. Komm, mein Kind!

ALBERTINE. So müßte der seyn, den ich lieben könnte.

MADAME WÖLBING. Komm![95]

ALBERTINE. Ach! ich darf nur das Glück der Liebe schildern, fühlen darf ich es nicht.

MADAME WÖLBING dringend bittend. Albertine, folge mir.

ALBERTINE bittend. Rufen Sie mich bald zurück. Wie dort auch Rosen und Veilchen duften, nur an diesem Mutterherzen ist mir wohl. Geht mit Madame Wölbing, die August deutet, daß er sie hier erwarten soll, durch die Mitte ab.

AUGUST sieht ihnen nach, und tritt dann rasch vor. Wie ist mir? So gerührt war ich nie. So schön, so anmuthsvoll, und so unglücklich! und dennoch – dieser kindliche, heitere Sinn. Beym Himmel! dieser erloschene Blick könnte mir gefährlicher werden, als der Flammenblick unserer Schönen. Von dir muß ich mehr wissen, gutes Kind! und – wenn Hilfe möglich ist – schon zurück? Geht Madame Wölbing entgegen.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 13, Wien 1834, S. 92-96.
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