Vierter Auftritt

[141] Madame Wölbing. August. Albertine.


AUGUST im Eintreten leise zu Madame Wölbing. Sprechen Sie, Madame.

MADAME WÖLBING vortretend. Albertine! Herr August Gehrmann, der deine schriftstellerischen Versuche mit so viel Nachsicht beurtheilt hat, wünscht dich näher kennen zu lernen.

ALBERTINE zitternd. Mein Herr!

AUGUST. Die Bilder Ihrer Einbildungskraft sind es, die mich mit dieser Zudringlichkeit in Ihre Nähe führen, und ich ersuche Sie, darin keine sträfliche Neugier, sondern nur die Huldigung zu erkennen, die man Ihren Verdiensten schuldig ist.

ALBERTINE. Verzeihen Sie, wenn ich diese freundlichen Worte nur mit Beklommenheit erwidere. Der Zustand, in dem Sie mich sehen, mein Unglück, das mir nicht erlaubt –

AUGUST mit Feuer. In Jedem, der sich Ihnen nähert, den Eindruck zu bemerken, den diese rührende Gestalt –

ALBERTINE wendet sich, und ruft Mutter!

MADAME WÖLBING tritt zu ihr, so daß Albertine in die Mitte kommt. Was willst du, mein Kind?[141]

ALBERTINE. Sagen Sie diesem Herrn doch, daß mein Ohr der Schmeicheley, wie mein Auge dem Licht des Tages verschlossen ist.

AUGUST. Es ist nicht Schmeicheley, es ist –

ALBERTINE. Ich brauche einen Freund, einen Rathgeber, einen unpartheiischen Beurtheiler. Als solcher sind Sie mir willkommen. Schnell. Ich leiste wenig, und es bedarf Entschuldigung, daß ich dieses Wenige der Welt mittheile. Nur meine Lage, mein Unglück; nur meine Liebe zu meiner Mutter kann mich entschuldigen, sonst nichts, mein Herr, sonst nichts.

AUGUST. Der mit solchen Kenntnissen, mit solcher warmen Phantasie die Feder ergreift, bedarf keiner Entschuldigung – er theilt den Reichthum mit, den Zufall, Glück und Fähigkeit in seine Seele gelegt haben – sollt' er ihn verprassen? Schnell. Ihre Bemerkungen sind richtig, Ihre Behauptungen sind wahr, Ihre Sprache verräth die feinste Erziehung, Ihre Einbildung mahlt mit den lieblichsten Farben, und Ihr Gemüth – es muß gut, es muß fromm seyn, weil sich Ihre Seele in Ihren Worten ausspricht.

ALBERTINE. Ach, mein Herr! der, dem die Gegenstände nach und nach verschwinden, den Finsterniß umgibt, der sucht sich einen Tag in seinem Innern zu bilden. – Auch ihm glänzt eine Sonne! Auch ihm flimmern Sterne; aber alles nimmt nur seine Farbe an, er[142] braucht den mit dem wahren Tag vertrauten Richter, der, was jener aus Nacht und Finsterniß herauf fördert, von den Schlacken reinigt. Bittend. Wollen Sie das seyn?

AUGUST hingerissen. Mädchen! Engel!

ALBERTINE tritt zurück. Nein – Sie können es nicht seyn. Das Mitleid macht Sie zu einen bestochenen Richter, oder – es wird mir schwer zu sagen – oder Ihr Spott bedient sich einer Waffe, die –

AUGUST mit Gefühl. Nein, ich bin wahr! und wäre ich es nie gewesen, vor dir, du reine Seele, müßte ich fleckenlos stehen. Mit Hast. Ich kenne Ihre Lage, Ihre Verhältnisse, Ihre Tugenden, die ganze Verkettung Ihrer Unglücksfälle; Albertine, ich biete Ihnen Ersatz.

ALBERTINE erstaunt. Sie? mir?

AUGUST. Noch nie stand ich mit diesem Gefühle der Hingebung vor einem sehenden Mädchen, wie ich hier vor der Erblindeten stehe. Voll Feuer. Mein Los ist geworfen! Mein Ideal hat Leben. Albertine! werden Sie mein?

ALBERTINE sehr erschüttert. Gott!

MADAME WÖLBING erstaunt. Mein Herr!

AUGUST mit steigendem Gefühl. Nur ein stilles, häusliches Glück kann ich Ihrer[143] Tochter bieten, nur eine Mahlzeit, die mein Fleiß erwirbt, und ihre Liebe würzt; aber Frohsinn, Eintracht, Genügsamkeit und Zufriedenheit werden ihre Kränze uns bieten, und ich werde in der Sorge, in der Liebe für eine solche Gattin, und in der Achtung für eine solche Mutter glücklich, selig seyn.

ALBERTINE sich in ihre Arme werfend. O meine Mutter!


Gehrmann tritt ein, und bleibt im Hintergrunde stehen. Das Folgende wird sehr lebhaft gesprochen.


MADAME WÖLBING. Bedenken Sie, mein Herr –

AUGUST. Ich habe alles bedacht.

MADAME WÖLBING. Der Zustand meiner Tochter, ihr Unglück –

AUGUST. Es erhöht meine Liebe.

MADAME WÖLBING mit Wehmuth. Sie wandelt in ewiger Nacht.

AUGUST. Nein, diese Nacht wird schwinden. Ihr Arzt gibt Hoffnung, Gewißheit – er verbürgt sich, daß – wenn ihre Thränen nicht mehr fließen –

ALBERTINE tritt lebhaft vor, und hebt beyde Hände zum Himmel. Gott! ist es dein Wille, daß ich die Welt und was ich liebe, wieder erblicke, so preise ich dich und deine Wunder. Jeder Gedanke ist ein Gebeth. Jeder Blick in deine Sternenwelt ist die Erkenntniß deiner[144] Größe, deiner unendlichen Liebe. Doch – willst du diese Augen deinem Lichtmeere nicht mehr öffnen, so werde ich trauern – dulden – aber murren werde ich nicht.

MADAME WÖLBING hingerissen. O mein Kind! mein gutes Kind!

ALBERTINE zu August. Ich läugne es nicht, auch ich habe Hoffnung; und heute, gerade heute senkte sich dieser Engel des Himmels liebend zu mir herab. Aber so lange diese Hoffnung nicht Gewißheit wird, kann ich das Schicksal eines armen blinden Mädchens nicht an das eines glücklichen Mannes knüpfen.

AUGUST bittend. Albertine!

ALBERTINE. Es erhebt mich, daß ich in diesem Zustande das Herz eines würdigen Mannes rühren konnte – aber ich verhehle mir nicht, daß Ihre Neigung nur eine Wirkung des Mitleids ist. Bittend. Werden Sie mein Freund, mein Führer auf einer Bahn, wo auch oft der Sehende strauchelt; und sehe ich einst die Sonne wieder, und dieses Wohlwollen für mich lebt noch in Ihrem Herzen, dann – werden Sie mir mehr. Sich rasch zu ihrer Mutter wendend. Doch früher nicht, früher nicht!

AUGUST. Nein, Albertine! ich liebe nicht nur Sie, ich liebe Ihr Unglück. Ich setze meinen Ruhm, meinen Stolz darein, es zu theilen, zu mildern – werden Sie mein![145]

ALBERTINE. Nein – ich berge es Ihnen nicht, daß Ihre Stimme zu meinem Herzen spricht, und daß ich dem Glück, Ihre Gattin zu werden, nur mit Kummer entsage; aber Leiden und Prüfungen mancher Art haben mich stark gemacht; ich werde meinen Grundsätzen auch dieses Opfer bringen.


Gehrmann hat sich im Hintergrunde, nahe an der Thüre, auf einen Stuhl gesetzt, springt jetzt auf.


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neue Schauspiele. Band 13, Wien 1834, S. 141-146.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon