Fünftes Exempel.

Das JEsus Kindlein nimmt von einem unschuldigen Knaben Brod an.

[6] Es war ein unschuldiger Knab, der begehrte einstens von seiner Mutter das Abend-Brod. Und als er selbiges empfangen, gienge er damit aus dem Haus, und über die Gassen: asse aber im Fortgehen von dem Brod: wie es eben die Kinder machen. Indem er also fortgeht, kommt er zu einer Capell, in welcher ein geschnitzeltes Mariä-Bild war, so auf dem Arm das JEsus-Kindlein truge. Wie er nun in die Capell hinein sihet, und das JEsus Kindlein betrachtet, unterdessen aber immerzu von dem Brod isset, da sagt er aus kindischer Einfalt zu dem JEsus Kindlein: Liebstes JEsus Kindlein! ich will dir auch von meinem Brod geben, wann du es annehmen wilst: sage nur ja. Solches sagend, streckt ihm der Knab das Brod dar. Weilen aber das JEsus Kindlein sich auf dieses darstrecken nicht bewegte, und noch viel weniger antwortete, [6] da behertzigte dises den Knaben dermassen, daß er bitterlich zu weinen anfienge, und endlich noch einmahl inständig mit Darstreckung des Brods anhielte, sagend: ey ja, liebstes JEsus Kindlein! lasse dich doch erbitten, und nimm auch von meinem Brod. Sehet Wunder! das JEsus-Kindlein streckt das rechte Händlein aus, langt nach dem Brod, und nachdem es solches zu sich genommen, sagt es zu dem Knaben: höre auf zu weinen, dann sihe! weil du mich so schön bittest nimme ich das Brod eben an: aber nach drey Tägen will ich dir in dem Himmel ein anders Brod darfür geben. Mit dieser Antwort eilet der Knab voller Freuden nach Hauß, und erzählet seiner Mutter, was das JEsus Kindlein zu ihm gesagt habe. Bald darauf erkranckte er dergestalten, daß er sich mußte zu Beth legen. Er lage aber kaum 3. Täg, da starbe er; und seine unschuldige Seel floge dem Himmel zu, allwo sie nunmehr geniesset das Brod des ewigen Lebens. Joannes Herolt in Prompt.


Christe JEsu! wie lieb seynd dir doch die unschuldige Knaben! darum hast du Marci 10. gesprochen: lasset die Kinder zu mir kommen; dann solchen ist das Reich GOttes. Ja du wilst, daß wir alle den Kinderen in der Unschuld gleich werden, indem du Matth. 18. sagst: es seye dann, daß ihr werdet wie die Kinder, so werdet ihr zum Himmelreich nicht eingehen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 6-7.
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