Zehendes Exempel.

Ein adelicher Knab erscheint nach dem Tod seinem Zuchtmeister.

[12] Es war ein adelicher Knab: den liessen seine Elteren in einem Benedictiner-Closter in die Kost gehen; damit er alldort in der Frommkeit und guten Sitten auferzogen wurde. Weil er aber holdseelig, und ein lauteres Leben bey ihm war, so liessen ihm die Geistliche des Closters mehr zu, als in die Länge wurde gut gethan haben. Wie der Prior des Closters das gemerckt, und deswegen in Sorgen gestanden, der Knab möchte durch allzuviles Ubersehen verderbt werden, nahme er ihn selbst unter die Zucht: und nachdem es vonnöthen war, strafte er ihn mit Worten; oder züchtigte ihn auch mit Streichen. Es war aber der Knab von so guter Art, daß er die Zucht gern annahme; mithin in kurtzer [12] Zeit einen solchen Fortgang in der Frommkeit und guten Sitten machte, daß man sich darüber verwunderen mußte: bis ihn endlich der Tod frühzeitig aus diser Welt hinweg nahme. Nach dem Tod erschine er dem Prior in grossem Glantz, und redte ihn an mit folgenden Worten: O was Danck bin ich dir schuldig, daß du mich unter deine Zucht genommen, und mir nichts ůbersehen, wordurch ich hätte können verderbt werden! dann diese gute Zucht hat mir in Himmel geholffen. Dises geredt, verschwande der Geist, und fuhre in grossem Glantz dem Himmel zu. Joannes Herolt in Prompt.


Da sollen die Kinder lernen, was sie ihren Lehr-Meistern für Danck schuldig seyen, wann sie von ihnen in guter Zucht gehalten werden. O wie wahr ist das Sprich-Wort: Ruth macht Kinder gut! es werden es auch die Kinder, wann sie mit der Zeit zum Verstand kommen, selbsten bekennen müssen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 12-13.
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