Zwölftes Exempel.

Unser liebe Frau kommt samt einer grossen Schaar der heiligen Jungfrauen zu einem frommen Mägdlein im Todbeth.

[14] In einem gewissen Dorf, welches der Scribent nicht benamset, ware einstens eine fromme und tugendsame Hirten-Tochter: die halffe ihrem Vatter das Vieh hüten. Auf der Vieh-Weid aber war ein altes verlassenes Kirchlein, in welchem ein Mariä-Bild stunde, mit dem Kindlein in dem Schooß. Dieses Kirchlein nun besuchte das fromme Mägdlein zum öfteren, und bettete vor dem Märia-Bild mit grosser Andacht dem heiligen Rosenkrantz. Weil aber dieses Bild schlecht gekleidet war, hatte das Mägdlein Mitleyden darmit, und sagte einstens: O du gebenedeyte Jungfrau, und Mutter meines HErrn JEsu Christi! wie gern wolte ich dich mit einem kostbahren Kleid zieren, wann ich es nur im Vermögen hätte! allein du weist, wie arm ich bin. Darum will ich diesen Abgang mit dem Englischen Gruß ersetzen. Mit diesem will ich dich zieren, und verehren. Wie gesagt, also hat auch das Mägdlein etliche Jahr lang gethan, bis es endlich unser lieben Frauen gefallen, diese Andacht mit Abholung des Mägdleins in den Himmel zu belohnen, Weßwegen dann das Mägdlein in eine tödtliche Kranckheit gefallen, in welcher es sich nach Empfahung der heiligen Sacramenten gar gottseelig zum Tod bereitet hat. Währender solcher Kranckheit truge es sich zu, daß zwey Ordens-Geistliche durch einem Wald reiseten, so nicht gar weit von[14] gedachtem Dorf entlegen war. Da nun einer aus ihnen ziemlich müd worden, sagte er zu seinem Reiß-Gespanen, wie daß er nicht weiter könte fortgehen, er hätte sich dann vorher ein wenig nidergelegt, und ein Schläflein gethan. Dieses aber wolte der Reiß-Gespan nicht gutheissen, sagend, wie daß es nicht sicher wär, sich in diesem Wald aufzuhalten; in Bedencken, daß er wegen den Mördern verschreyt wäre. Allein der Ermüdete gabe zur Antwort, er könne sich einmahl des Schlafs nicht enthalten, gehe es wie es wolle. Er befehle sich einmahl in den Schutz GOttes; dieser werde sie hoffentlich nicht in die Händ der Mörder kommen lassen. Dieses gesagt, legte er sich unter einen Baum nieder, und schlieffe eben tief ein. Unterdessen setzte sich der andere zu ihm auf die Erden, nahme ein geistliches Buch aus dem Sack, und lase unterdessen daraus, bis gleichwohl der Ermüdete würde ausgeschlaffen haben. Aber sihe! es stunde nicht lang an, da sahe er von weitem daher kommen eine Schaar der schönsten Jungfrauen, alle mit kostbahren und zierlichen Kleydern angethan. Er stunde demnach geschwind auf, und machte ihnen eine tieffe Reverentz. Die Jungfrauen neigten sich zwar gegen ihm; giengen aber stillschweigend fürbey. Auf diese Schaar der Jungfrauen kame ein andere, viel schöner als die erstere; und die giengen auch stillschweigend fürbey. Letztlich kame ein Schaar, so an Schönheit die vorige alle weit übertraffen; und auf diese eine Jungfrau, so die allerschönste aus allen war; die truge auf ihrem Haupt einen Krantz von weissen, rothen, und gelben Rosen, die so frisch waren, als wann sie erst in einem Lust-Garten wären abgebrocket worden. Vor dieser Jungfrau nun machte der Geistliche ein tieffere Reverentz, als vor allen anderen: und weil kein andere auf sie folgete, entstunde in ihm eine grosse Begierd zu wissen, wer doch diese überaus schöne Jungfrau seyn müsse. Er faßte demnach das Hertz, und fragte sie mit aller Ehrerbiethung, sie wolte ihm doch sagen, wer sie seye? die Jungfrau antwortete: ich bin Maria die Mutter GOttes, welche keinen Sünder verschmähet, der mich demüthig anruffet. Als aber der Geistliche auch zu wissen verlangte, wer die vorgehende Jungfrauen wären, und wohin sie wolten; da bekame er von der Mutter GOttes diese Antwort: es seynd lauter auserwählte Bräuten meines Sohns, welche auf Erden die Jungfrauschaft gehalten, und Theils in der Welt, Theils in den Clöstern gelebt, ja einige aus ihnen haben so gar die Marter um des Christlichen Glaubens willen gelitten. Alle diese eilen mit mir in das nächste Dorf, in welchem ein frommes Hirten-Mägdlein auf den Tod kranck ligt. Dieses wollen wir heimsuchen, trösten, und ihme beystehen, bis es wird verschieden, und in unser Gesellschaft aufgenommen seyn. Und diese Gnad hat das Mägdlein darum verdienet, [15] weil es mich in einem gewissen Kirchlein mit dem Gebett des heiligen Rosenkrantzes etliche Jahr lang verehrt hat. Diß geredt, nahme die Mutter GOttes ihren Weeg weiter fort. Der Geistliche aber weckte alsobald seinen Reiß-Gespanen auf, und erzählete ihm, was Zeit seines Schlaffes fürbey gangen. Der Reiß-Gespan sagte, wie ihm eben dieses, was er jetzt erzählen gehört, in dem Schlaf vorkommen seye. Demnach machten sie sich beyde auf, und eileten dem Dorf zu, in welches gedachte Jungfrauen das Mägdlein heimzusuchen, waren vorangangen. Wie sie nun in das Dorf kommen, fragten sie aller Orten, ob nicht irgendwo ein Mägdlein auf den Tod kranck liege? Und da ihnen anfänglich niemand konte Bericht geben, wurden sie betrübt, und kamen auf die Gedancken, es möchte etwann nur ein leerer Traum gewesen seyn, was ihnen begegnet. Letztlich aber haben sie einen Mann angetroffen, der ihnen das Haus gewiesen, in welchem das Mägdlein auf den Tod kranck lage. Sie giengen demnach dem Haus des krancken Mägdleins zu; klopften dort an, und nachdem sie eingelassen worden, fanden sie das Mägdlein auf einer Burde Strohe ligend. So bald sie selbiges gesehen, grüßten sie es gantz freundlich, und sagten: O Kind! wie glückseelig bist du, indeme du dein Leben in der Unschuld endigest! das Mägdlein bedanckte sich erstlich wegen dem freundlichen Gruß; nachgehends aber sagte es zu ihnen: Ehrwürdige Herren! entdecket euere Häupter, knyet nieder, und bittet GOtt, daß ihr würdig seyet zu sehen, wie um mich herum stehe die Mutter GOttes, samt drey Schaaren der schönsten Jungfrauen. Das thaten nun die Geistliche. Und sihe! da erblickten sie die Mutter GOttes samt denen Jungfrauen, die durch den Wald gegangen waren. Ja sie sahen auch eine grosse Schaar der Englen, welche eine himmlische Music anstimmten: unter welcher, als das Hirten-Mägdlein den Geist aufgegeben, setzte ihm die Mutter GOttes den von oben gedachten Rosen geflochtenen Krantz auf das Haupt, und nahme die Seel mit unaussprechlichem Frolocken der Englen und Jungfrauen mit sich in den Himmel hinauf. Specul. Exempl. sub Tit. B. Maria Virgo.


O wie belohnet die Mutter GOttes diejenige, von welchen sie mit dem Gebett des heiligen Rosenkrantzes verehrt wird! das solle ja allen Kindern ein Antrieb seyn, daß sie keinen Tag fürbey gehen lassen, sie haben dann unser lieben Frauen zu Ehren den heiligen Rosenkrantz gebettet? damit auch ihnen unser liebe Frau einstens im Tod-Beth beystehe.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 14-16.
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