Vierzehentes Exempel.

Ein Student will lieber von seinen Eltern verlassen seyn, als daß er sich solte lassen abhalten, GOtt dem HErrn in einer geistlichen Gesellschaft zu dienen.

[18] Es ware ein adelicher Jüngling: den hatten seine Elteren nach Deventer in Holland, zur Zeit, da noch alles Catholisch war, zum Studieren geschickt. Wie er nun eine Zeit lang daselbst dem Studieren obgelegen, bekame er Lust, GOtt dem HErrn in einer Gesellschaft gewisser Geistlichen, so die Jugend im Studieren unterwiesen, zu dienen. Er hielte demnach bey ihnen an, und ward auch von ihnen in Ansehung seines ungemeinen Eyfers und Beständigkeit in ihre Gesellschaft aufgenommen: auf welches hin er in kurtzer Zeit nicht allein in dem Studieren, sondern auch in der Frommkeit einen ungemeinen Fortgang gemacht. Wie nun seine Eltern (die ihne lieber in der Welt, als in einem geistlichen Orden gesehen hätten) solches innen worden, zürneten sie heftig wider den Sohn. Schrieben ihm demnach einen scharffen Brief zu, und liessen ihn [18] wissen, daß wo ferner den geistlichen Orden nicht verlassen wurde, so wolten sie ihn nicht mehr für ihren Sohn erkennen; mithin die Hand völlig von ihm abziehen, und ihme zu Fortsetzung des Studirens keinen Pfenning mehr zuschicken, solte er auch darüber in die äusserste Armuth gerathen, und allen Mangel leiden müssen. Das war freylich eine harte Bedrohung. Allein der Student, welcher darfür hielte, man müsse in denen Sachen, so das Heyl der Seel betreffen, vielmehr GOtt, als denen Menschen gehorsamen, liesse sich durch diese Drohungen nicht schröcken, noch von dem geistlichen Orden abwendig machen. Unterdessen, weil er von denen Elteren verlassen, und von ihnen keine Hilf mehr hatte, geriethe er in kurtzer Zeit in grosse Armuth; die ihn aber von dem Eifer, in den geistlichen Orden zu tretten, und GOtt dem HErrn darinn zu dienen, nicht könnte abhalten; ja im Gegentheil vielmehr stärckte. Allein GOtt wolte ihn nicht länger so grossen Mangel leiden lassen; sondern bahnete ihm die Straß zu dem Himmel durch Zuschickung eines tödtlichen Fiebers. Wie nun der gottselige Student die Stund des Tods vor sich sahe, und es nunmehr mit ihm auf die Neige gehen wolte, da versammlete er die noch übrige Kräften, so gut ers vermöcht: richtete sich in dem Beth auf; erhebte seine Augen und Händ gen Himmel, und sagte zu den Umstehenden: Wiewohl mich Vatter und Mutter verlassen haben, so hat doch GOtt sich meiner angenommen: dieser wird mich jetzt auch zu sich in den Himmel aufnehmen. Dieses geredt, gabe er sänftiglich den Geist in die Händ sei nes Schöpfers auf. Collector Speculi.


Ach wie verlaßt GOtt diejenige so gar nicht, die ihme zu dienen verlangen! dannenhero wann ein Kind Tag und Nacht einen innerlichen Trieb spühret, GOtt dem HErrn in einem geistlichen Orden zu dienen, und der Beicht-Vatter auch darfür haltet, dieser Trieb komme von GOtt her; so solle ein solches Kind von den Elteren sich nicht lassen abwendig machen: weilen man in solchem Fall vielmehr GOtt, als den Eltern gehorsamen solle. O wie nachdencklich ist jener Spruch Christi Matth. 10. Wer Vatter und Mutter mehr liebet als mich, der ist meiner nicht werth!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 18-19.
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