Zwantzigstes Exempel.

Ein junger Graf höret in dem Tod-Beth eine Englische Music.

[30] Dieser junge Graf Ulrich mit Namen, aus dem Gräflichen Geschlecht von Helffenstein, ward gebohren um das Jahr Christi, 1583. in der Churfürstlichen Residentz-Stadt München, allwo dazumahl sein Herr Vatter an dem Churfürstlichen Hof Oberster Hofmeister war. Als er die Jahr zum Studieren erreicht, ward er zu denen Jesuiten daselbst in die Schul geschickt. Was für Exempel der Frommkeit, Gottesforcht, und Eingezogenheit er der studierenden Jugend von sich gegeben, ist mit Worten nicht leicht auszusprechen. Man kan es einiger massen aus diesem abnehmen. Wann es sich bisweilen zugetragen, daß er etwas späters in die Schul kommen, schämte er sich nicht, mitten in die Schul (O Demuth!) auf den Boden zu knyen, und vor allen Mit-Schülern mit aufgehebten Händen (O Frommkeit) das Schul-Gebett zu verrichten. Wer ihn gesehen hätte, würde geglaubt haben, ein Engel knye da: also andächtig bettete er. So ließ er auch, als noch ein Kind, Zeichen von sich spühren, als hätte er ein Begierd, mit der Zeit in den Orden der Jesuiten einzutretten, und GOtt darinnen zu dienen. Dann als ihm einstens St. Nicolaus allerhand schöne Sachen eingelegt, so daß er sich darüber hätte erfreuen sollen, zeigte er sich doch etwas traurig. Seine Frau Mutter dieses vermerckend, fragte ihn, warum er sich traurig zeige? St. Nicolaus habe ihm ja schöne Sachen eingelegt? da sagte er: Es ist schon wahr, allein ich wollte, es hätte mir auch ein Baret eingelegt, wie die Jesuiter tragen. Also wohl gefiele ihm ihr Habit. Allein GOtt wollte ihn in der Gesellschaft JESU nicht auf Erden, sondern im Himmel haben. Es geschahe also im eilften Jahr seines Alters, daß, als er einstens aus der Schul nach Haus gienge, ihn auf der Gassen eine Schwach heit überfiele, in welcher er zur Erden gesuncken, und als Krancker hat müssen nach Hauß getragen werden. Es zeigte sich auch gleich, was es für eine Kranckheit seye. Dann es brachen an dem gantzen Leib die Kinds-Blattern herfür: und weil sie sich bald wieder hinein gezogen, haben sie ihm endlich den Tod verursachet. Wie es nun auf die letzte gienge, und die Gräfliche Eltern [30] traurig um das Beth herum stunden, und ihme zusprachen, er sollte den Tod nicht förchten; dann er werde dieses gegenwärtige Leben mit einem besseren vertauschen, sagte er gähling: still still: höret ihr nicht eine Englische Music? O wie lieblich klingt sie! es waren nemlich die heilige Engel, die ihn eingeladen, mit ihnen in dem Himmel das Lob GOttes anzustimmen. Denen er auch freudig gefolget; in dem er bald darauf seine unschuldige Seel in die Händ ihres Schöpfers aufgegeben. Raderus in Bavaria Pia.


Wann wahr ist, was das Sprichwort sagt: gleich und gleich gesellt sich gern; so muß dieser junge Graf ein rechter Engel gewesen seyn; als welchen die Engel unter freudiger Music in ihr Gesellschaft aufgenommen. Schad ist derowegen, daß das Gräfliche Geschlecht von Helffenstein Anno 1627. ausgestorben: vielleicht wurde es dem Himmel noch mehr Engel auferzogen haben. Dergleichen geweßt eine junge Gräfin von Helffenstein, so erst ein Kind von 5. Jahren war. Als der Herr Vatter dieses Gräflichen Kinds auf den Tod kranck darnieder lage, fragte es den Geistlichen, so dem Herrn Vatter in der Kranckheit beystunde, und ihm zusprache, ob es unsern HErr GOtt nicht bitten dörfte, daß es an statt des Herrn Vatters sterbe; der Herr Vatter aber wiederum gesund aufstunde? Warum nicht? sagte der Geistliche: bette sie nur. Sie muß aber alles in den Willen GOttes stellen. Was geschiehet? Das Gräfliche Kind bettet, und GOtt erhöret es. Dann es darauf kranck worden, und dahin gestorben. Idem Raderus ibidem.


Mein GOtt! wann ein Kind von 5. Jahren gegen seinem Herrn Vatter eine solche Lieb erzeiget hat, daß es für ihn zu sterben verlangte; weilen es nemlich die Gutthaten, so es von ihm empfangen, bey noch so jungen Jahren mehr, als wohl erkennet hat: was sollen dann Kinder von 10. 20. Jahren thun?

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 30-31.
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