Drey und zwantzigstes Exempel.

Ein unschuldiger Jüngling wird am Galgen wunderbarlicher Weis frisch und gesund beym Leben erhalten.

[37] Es waren zwey fromme Eheleut: die thaten eine Wallfahrt nach Compostell in Spanien; um allda das Grab des heiligen Apostels Jacobi zu verehren. Sie hatten aber einen eintzigen Sohn, der nicht allein schön, und holdselig von Angesicht; sondern auch fromm und unschuldig war: und deme die Zucht und Schamhaftigkeit aus den Augen schiene. Weil er nun der Elteren eintziger Augen-Trost war, mußte er auch mit ihnen wallfahrten. Nachdem sie auf ihrer Wahlfahrt ein gutes Stuck-Weegs hinter sich gelegt, kamen sie auf einen Abend in die Stadt, so den Namen von dem heiligen Dominicus führt. Weil sie nun müd, hungerig, und durstig waren, kehrten sie dort in einem Wirthshaus ein; um allda zu übernachten. Da liessen sie ihnen dann zu Essen, und zu Trincken bringen: damit sie sich erfrischten, und die Wallfahrt fortzusetzen neue Kräften bekämen. Es geschahe aber, daß, indem des Wirths Tochter diesen Gästen Speis und Tranck auftruge, sie ein Aug auf den Jüngling warfe: durch dessen schöne Gestalt sie also eingenommen war, daß ihr Hertz vor Liebe zu brinnen anfienge. Sie konnte also kaum erwarten, bis diese Gäst vom Tisch aufstunden, und in die Ruhe begehrten. Wie solches endlich geschehen, nahme sie den Jüngling auf eine Seiten, und sagte ihme ohne Scheu, wie daß sie in ihn verliebt wäre. Der keusche und schamhafte Jüngling, als er dieses gehört, konte sich kaum inhalten, daß er ihr nicht die Hand ins Gesicht schluge: also wehe thate es ihm, daß sie ihn für fähig ansahe, etwas unehrbares zu begehen. Doch fertigte er sie mit diesen ernsthaften Worten ab: packe dich fort, du unverschamte! für wen siehest du mich an? meinst du ich seye deines gleichens? nein, fürwahr: du betrügest dich weit. Mein Ehr ist mir lieber, als du dir einbildest. Mit diesem Ausbutzer nahme das unverschamte Mensch den Weeg zur Stuben hinaus, und liesse sich wohl nicht mehr sehen. Dieser Schimpf aber [37] thate ihr so wehe, daß sie hin und her denckte, wie sie sich doch an dem Jüngling rächen möchte. Endlich fiele ihr ein, sie solte warten, bis der Jüngling in der Ruhe wäre, und hernach in der Stuben erkundigen, ob er nicht vielleicht seinen Rock darinn gelassen. Das thate sie dann: und nachdem sie den Rock nach Wunsch gefunden, nahme sie aus einem Kasten einen silbernen Becher herfür: steckte selbigen in die Taschen des Jüngling Rocks: schliche hernach in der Stille zur Stuben hinaus, und begabe sich auch in die Ruhe. Des andern Tags, als die Gäst aufgestanden, bezahlten sie die Zech, und nahmen ihren Weeg weiters fort. Sie waren aber kaum zur Stadt hinaus kommen, da fienge des Wirths Tocher an zu lamentiren, und über die Gäst zu klagen: wie daß sie nemlich einen silbernen Becher dem Wirth entfremdet hätten. Man solle also ihnen ohne Verweilen nachsetzen, und selbige aussuchen, bis man den Becher gefunden hätte: und sie hernach als Dieben der Gebühr nach abstraffen. Nun was geschiehet: man erwischt sie noch, sucht sie aus, und findet endlich den silbernen Becher bey dem Jüngling in der Taschen des Rocks. Da hiesse es gleich: O du Dieb! jetzt bist du ertappet worden. Hast du gehoft, mit dem Becher hindurch zu kommen; warte nur: du wirst bald darfür den Strick am Hals haben. Der unschuldige Jüngling erschracke zwar über dieses unerwartete Unglück; betheurte aber hoch; wie daß er sein Lebtag niemand das geringste gestohlen: müsse ihm also der silberne Becher unwissend seiner, und heimlich bey nächtlicher Weil, da er noch in der Ruhe gelegen, von weiß nicht wem in die Tasche gesteckt worden seyn. Bitte also, man wolle ihn seinen Weeg lassen fortgehen. Allein alles Entschuldigen war umsonst: der gefundene Becher überzeugte ihn: und wie die Sach für den Richter des Orts kommen, brauchte es nicht viel, ihn als einen Dieben zum Galgen zu verurtheilen. Wie dann auch geschehen. Mit was Leidwesen, jammeren, heulen und weinen der lieben Eltern, ist leich zu gedencken. Sie bathen; sie protestirten; sie erbothen sich, den Sohn mit einem Stuck Geld auszulösen: aber da fanden sie nirgend kein Gehör. Wurde also der unschuldige Jüngling zum Galgen hinaus geführt: an welchen er auch ohne Barmhertzigkeit aufgeknüpft worden. Die Elteren, so vor Leidwesen, diesem traurigen Spectacul nicht zusehen konten, setzten unterdessen in äusserster Betrübnuß ihre Wallfahrt fort; unterliessen aber nicht, ihren unschuldigen Sohn unser lieben Frauen, und dem heiligen Apostel Jacob anzubefehlen, und zu bitten, daß sie sich seiner annehmen wolten. Als sie endlich zu Compostell bey dem Grab des heiligen Jacobs angelangt, selbiges verehrt, und einige Tag lang ihre Andach daselbst abgelegt, nahmen sie ihren Weeg wiederum traurig zuruck nach der Stadt, wo ihr unschuldiger Sohn das Unglück gehabt, aufgehenckt zu werden; um selbigen, wie [38] wohl am Galgen hangend, noch das letztemahl zu sehen, den Abschied zu nehmen, und ihme wenigst die ewige Ruhe zu wünschen. Wie sie nun an das Ort, und zu dem Galgen kommen, und mithin ihren lieben Sohn daran hangend gesehen, haben sie eben gemeint, sie müssen sich zu Tod weinen, und werde ihnen vor Leidwesen das Hertz im Leib zerspringen. Aber siehe Wunder! indem sie also bitterlich weinen, und klagen, da regte der erhenckte Jüngling die Händ und Füß, und fienge an also zu reden: Höret auf zu weinen, liebe Elteren! dann ich lebe noch frisch und gesund: ja es ist mir mein Lebtag nicht so wohl geweßt, als die sechs und dreyßig Täg, da ihr aus geweßt seyd. Dann wisset, daß mich unter dieser Zeit einer Seits unser liebe Frau; anderer Seits aber der heilige Apostel Jacob mit ihren Armen im Luft gehalten, daß mich der Strick keineswegs hat würgen können. So empfande ich auch einen solchen Trost, und Süssigkeit, daß es mich unterdessen weder gehungert, noch gedürstet hat. So haben weiters diese meine grosse Patronen, in deren Schutz ich mich befohlen, verhindert, daß mir weder die Sonnen-Hitz, noch Regen und Wind im geringsten haben schaden können: wie dann mein lebhafte Farb und Gestalt euch dessen überzeugen werden. Es haben zwar die Raaben vielmahl herzu fliegen wollen, aus Begierd mir meine frische und offene Augen auszupicken; seynd aber allzeit durch heimlichen Gewalt zuruck getrieben worden. In Summa: daß ich noch frisch und gesund lebe, das hab ich nach GOtt niemand anderen, als diesen meinen grossen Patronen zu zuschreiben. Gehet also hin, und zeiget es dem Richter des Orts an: begehrt auch von ihm, daß er mich vom Galgen abzunehmen befeh le, und hierdurch meiner Unschuld essentliche Zeugnuß geben wolle. Die Elteren dies hörend konten sich vor Freuden nicht fassen: und indem der Vatter den Sohn noch mehr ausfragte, lieffe unterdessen die Mutter, was giebst, was hast, in die Stadt vor des Richters Haus, und verlangte unverzüglich fürgelassen zu werden; sagend: sie hätte ihm ein unerhörtes Wunder anzuzeigen. Der Richter, welcher eben dazumahl zu Mittag speißte, und Gäst bey sich hatte, liesse sie alsobald in die Stuben kommen, und fragte sie: was sie ihn dann für ein unerhörtes Wunder anzuzeigen hätte? da sagte die Mutter. O HErr Richter! wisset, daß mein Sohn, den ihr vor sechs und dreyßig Täg ohne sein Verdienen habt an Galgen hencken lassen, noch frisch und gesund lebe. Dann sein Unschuld liesse nicht zu, daß er am Strick erworgen solte. Lasset ihn also vom Galgen abnehmen: auf daß wir ihn umpfangen, und mit ihm freudig in unser Vatterland zuruck kehren mögen. Der Richter dies hörend, hielte darfür, das Weib rede ab, und seye vor Leidwesen [39] im Kopf verruckt worden. Lachte also überlaut, und sagte: gleichwie dieser gebratene, und mit Speck durchgespickte Güggel und Henne, die du vor mir in dieser Schüssel siehest, und ich jetzt gleich mit dem Transchier-Messer in Stück zertheilen will, noch bey Leben seynd; also lebt auch dein Sohn noch an dem Galgen. Kaum hatte er dieses gesagt, und das Transchier-Messer in die Hand genommen, siehe Wunder! da wurden der gebrattene Güggel und Henne wiederum lebendig; bekamen ihre vorige Federen; sprangen aus der Schüssel heraus; giengen auf dem Tisch herum, und pickten die Brosamen, so sie da fanden, hungrig auf. Ja der Güggel, nachdem er einen freudigen Kreis, seiner Gewohnheit nach, um die Henne gemacht, schwunge die Flügel, und krähete aus vollem Hals, was giebts, was hast. Wie der Richter samt denen anwesenden Gästen dieses Wunder gesehen, erstaunte er heftig darüber: stunde alsobald vom Tisch auf, und gieng den geraden Weeg zur Richtstatt hinaus, um zu sehen, ob dann der erhenckte Jüngling noch frisch und gesund lebe? kaum ware dieses Wunder mit dem Güggel, und Henne in der Stadt auskommen, da lieffen alle, so wohl Geistliche als Weltliche zusammen, und begleiteten den Richter zur Richtstatt hinaus. Wie sie dort ankommen, und der am Galgen hangende Jüngling sie ersehen, redete er sie an mit folgenden Worten: Sihest du, O Richter! wie sich GOtt meiner Unschuld angenommen, und mich frisch und gesund beym Leben erhalten hat? Und also dein wider mich gefälltes Urtheil an sich selbst ungerecht geweßt ist? Ihr andere Zuseher aber! sehet ihr nicht, wie mich einer seits unser liebe Frau; anderer seits aber der Heil. Apostel Jacob mit ihren Armben in Luft halten? durch dero Fürbitt bey GOtt bin ich 36. Tag lang (O Gutthat! für welche ich ihnen mein Lebtag nicht genug werde dancken können) frisch und gesund beym Leben erhalten worden. Wie der Richter, und das umstehende Volck dieses gehört, preißten sie insgesamt GOtt in seiner Mutter, und dem Heil. Apostel Jacob: der Jüngling aber wurde auf Befehl des Richters vom Galgen abgenommen, und seinen Elteren mit Freuden zugestellt: welche dann GOtt, seiner Mutter, und dem Heil. Apostel Jacob unaufhörlich danckend in ihr Vatterland zuruck gekehrt seynd. Was den zum Leben wiederum erweckten Güggel, und Henne betrift, haben selbige nachgehends noch 7. Jahr lang gelebt; und seynd von ihnen andere junge Güggele, und Hennele von gleicher Farb, und Federen erzeugt, und ausgebrütet worden: von diesen letzteren aber wiederum andere, bis auf andere 7. Jahr hinaus. Gazæus in Piis Hilar.


Wie laßt GOtt die Unschuld so gar nicht stecken! und wie lieb ist ihm ein [40] keusches Hertz! wir haben dessen ein stattliches Exempel in göttlicher Heil. Schrift, Daniel 13. Es ware schon an dem, daß die unschuldige, und keusche, aber fälschlich angeklagte Susana solte versteiniget werden. Aber wie hat hat GOtt selbige so wunderbarlich, und wider alles Verhoffen durch den Propheten Daniel aus dieser Gefahr errettet! wie nutzlich ist es hernach, unser liebe Frau, und andere Heilige GOttes um ihr. Hülf und Schutz anruffen! grosse Blindheit der Uncatholischen, die es nicht erkennen wollen! aber was ist mit ihnen anzufangen? die Catholische gebrauchen sich wider selbige jener Wort Christi Matth. 15. Lasset sie gehen. Sie seynd blind, und Führer der Blinden.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 37-41.
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