Zwantzigstes Exempel.

Ein ungerathener Sohn, so dem Fluchen und Gottslästern ergeben, wird von dem bösen Feind in Stucken zerhacket.

[82] In Franckreich wohnte auf einem Schloß, als einem Wittib-Sitz, eine Hoch-Adeliche Frau, dero ihr verstorbene Herz Ehe-Gemahl neben vielen Gütern, und einer schönen Baarschaft an Gelt, zwey Söhn hinterlassen: beyde gleiches Geblütes und Adelicher Gestalt; aber von sehr ungleichen Sitten und Gebärden: solcher Ungleichheit halber wollen wir den einten Ursinus, den andern aber Placidus nennen. Placidus, ein höflicher Jüngling, war auf nichts mehrers bedacht, als wie er durch seinen unsträflichen Wandel, Erlernung freyer Künsten, und Ritterliche Thaten sein Hoch-Adeliches Geschlecht vermehren, und noch berühmter machen könnte. Die Ehrerbietung und Gehorsam, welchen wohl erzogene Kinder [82] ihren Eltern zu erweisen pflegen, liesse er ihm aufs höchst angelegen seyn. Ein Augenwinck seiner Frau Mutter ware ihm an statt des Befehls. Wo er nur von weitem merckte, daß ihr etwas angenehm wäre, ist er nicht gangen, sondern geloffen. Hingegen wo er immer wußte, daß ihr etwas möchte mißfallen, hat er solches auf alle Weis vermeidet. Ursinus im Gegentheil war gantz anderst geartet, als sein Bruder. Seine Gedancken stunden nur nach Freyheit des Lebens, lustige Gesellschaft, guten Muth, Sauffen, Spielen, Tantzen, und andere der Jugend gefährliche Kurtzweilen, wann man sich nicht inner denen Schrancken der Gebühr und Ehrbarkeit haltet. Um welcher Ursachen er der Frau Mutter ein Dorn im Hertzen war. Sie führte nemlich zu Gemüth die Beleydigung der göttlichen Majestät, und die Aergernuß der gantzen Nachbarschaft. Demnach konnte sie diesem Unwesen nicht länger mehr zusehen: bevorab wollte sie das bey nächtlicher Weil spate Heimkommen keinesweegs mehr gedulden. Sie redet ihm also auf eine Zeit mit ernsthaften Worten folgender Weis zu: Ursin! Ich hätte vermeint die Vernunft, und kindliche Obsicht, so du mir als einer Mutter schuldig bist, sollte dich gantz anderst regieren, als daß du mich immerdar mit neuen Schmertzen belegest. Es geht ja kein Tag vom Himmel, daß mir nicht etliche Klagen wider dich zu Ohren kommen. Und wiewol ich denen Verleumdungen abhold bin, so muß ich doch handgreiflich spühren, daß es nur gar zu wahr ist, was man über dich aussaget. Im Fall aber, daß ich auch zweiflen wolte, so muß ich doch stets dein übles Verhalten selbst mit Augen sehen, wann ich nicht blind bin. Du lebst nicht anderst, als wann du ein Heyd wärest: so gar gibst du kein Christliches Zeichen von dir: und muß ich stündlich in Sorgen stehen, daß nicht etwan der erzörnete GOtt wegen deinen greulichen Gottslästerungen mich, und das gantze Haus straffe. Hast du das von mir, oder von deinem Herrn Vatter seeliger gelernet? Hat er dir deßwegen eine so schöne Erbschaft hinterlassen, daß du selbige durch die Gurgel jagen, oder mit Faulentzen verthun sollest? seynd das Adeliche Thaten, daß du alle Winckel durchlauffest, und denen leichtfertigen Schleppsäcken nachjagest? Pfuy der Schand! ist das die Ehr, die du deinem Geschlecht anthust? ist das der Danck, den du deinem Herrn Vatter unter dem Boden gibest? ist das der Trost, den ich als deine Mutter Wittibstand von dir hab; indem du mir ein Creutz über das ander anthust, und nicht aufhörest, bis du meine graue Haar mit Kummer und Schmertzen wirst unter den Boden gebracht haben? Dieses geredt, vergosse sie einen Bach der Zäher; welche ja billich ein kindliches Hertz, und folgends auch des Ursini hätten [83] erweichen sollen, wann ihn nicht die Bosheit in einen harten Kieselstein verwandelt hätte. Es erholete sich aber die Frau Mutter bald wiederum, und beschlosse die gantze Red folgender Gestalt: Ich ermahne dich jetzt das letztemahl: lasse von dergleichen schlimmen Händlen ab, und nimme dich selbst besser in Acht; absonderlich aber komme mir zu Nachts bey rechter Zeit nach Haus: widrigen Falls sollest du etwas anders erfahren. Das ware nun eine scharffe, aber für den Ursinus recht gegossene Laug. Er liesse sich dieses Zusprechen der Frau Mutter über die massen verschmachen, und konnte sich kaum so lang innhalten, bis sie ihr Red zu End gebracht hatte. Er fuhr mit poltern heraus, und verantwortete sich kürtzlich folgender Weis: Man hätte dieses Ausfiltzen wohl können unterwegen lassen: er wisse schon, was er zu thun habe; und werde man mit Wahrheits-Grund wenig übels wider ihn darthun können: im übrigen wollte er die Frau Mutter gebetten haben, denen Ohren-Blasern nicht zu viel Gehör zu geben: man könne viel lügen, weil der Tag lang ist etc. daß er sich zu Zeiten mit seines gleichen lustig mache, und ihnen eins Bescheid thue, lasse er ihm nicht wehren: er könne nicht alleweil zu Hauß sitzen, und den Ofen hüten. So seyen auch seine übrige Verbrechen so wichtig nicht, daß man einen solchen Lermen daraus mache. Man solle ihn also mit so scharffen Worten inskünftig verschonen, wann man nicht wolle, daß er sich auf ein andere Weis verantwortete. Nachdem er dieses gantz trotzig geredt, und mit etlichen tausend Sacramenten heraus gefahren, wischte er voller Zorn mit Hut und Degen zur Stuben hinaus. Was geschicht? Ursinus, damit er der Alten (also pflegte dieses Unkraut seiner Frau Mutter den Namen zu geben, wann er höflich von ihr reden wollte) zeigte, daß er ihr Zörnen nichts achte, begab sich gleich den andern Tag hernach auf eine Jagd mit einem vertrauten Cammeraden, und seinem Bruder, dem Placido, welchen er, weiß nicht, unter was Vorwand dazu muß beredt haben. Wie sie nun zu bestimmter Zeit bey dem Nacht-Essen sich nicht einfanden, verdrosse es die Frau Mutter über die massen. Demnach gedachte sie, gleich heut den Ernst zu zeigen. Sasse also zu Tisch, und befahle der Köchin und andern Hausgenossenen unter höchster Ungnad, und Verlurst des Diensts denen Söhnen keinen Bissen aufzubehalten: und dafern sie nicht bey guter Zeit nach Haus kämen, alle Thüren zu verriglen, ausser der Haus-Thür, und einer Kammer, worinn ein eintzige Bethstatt und leerer Tisch stunde; alsdann schlaffen zu gehen, und keinem im geringsten Antwort zu geben. Dieser Befehl mußte (wie recht und billich) von denen Hausgenossenen vollzogen werden. Man geht zu Tisch, spület ab, schließt das Haus, geht schlaffen, [84] aber kein Ursinus laßt sich sehen: bis es endlich spath in die Nacht hinein worden; da er dann mit seinen zweyen Gesellen nach Haus gekehrt. Wie er aber gleich von weitem gesehen, daß die Fenster-Läden aufgezogen, gienge es ihm gleich vor, es müsse der Alten Ernst seyn, und werde es heut in ihrem Haus eine kalte Kuchel abgeben. Wie er aber nach angestecktem Haus-Schlüssel die Thür offen gefunden, getröstete er sich noch eines bessern, gienge samt seinen Gesellen die Stiegen hinauf; traffe aber alle Thüren, ausser oben bemeldter Kammer, auf das genaueste verschlossen an. Er klopfte an mit Ungestimme, und begehrte, man sollte aufmachen ins Teufels Namen; und dieses zum zweyten und drittenmahl; aber alles war Mäusel still. Er rufte der Köchin, er schrye der Magd; bekam aber keine Antwort. Er fienge an zu schelten; diesen faulen Häuten zu trohen, und tausend Teuffel auf den Hals zu wünschen, wann sie nicht also bald aufstehen, und ihn einlassen wurden. Wie er nun gesehen, daß alles Schreyen und Klopfen umsonst, und dieses halsstarrige Stillschweigen auf Befehl der Frau Mutter geschehe, und er also seinem Gast kein Ehr anthun konnte, und noch dazu ungegessen schlaffen gehen müßte: fienge er dermassen an zu fluchen, und GOtt zu lästern, daß seinen Gesellen selbst die Haar gen Berg stunden und einem beyde Ohren sausen wurden, wann nur der halbe Theil sollte erzählt werden. Endlich, weilen weder Bitten, noch Fluchen was verfangen wollte, verpfändete er sich mit Leib und Seel dem bösen Geist, wann er diese Schmach werde ungerochen lassen hingehen. Placidus, sein Bruder, wie auch sein anderer Cammerad, wehrten ihm ab, so gut sie konnten, und baten, er solte doch mit dergleichen Reden innhalten, und die mütterliche Straf, die ihn nicht allein treffe, geduldig annehmen; sie wollten darum nicht hunger sterben. Griffen darauf in den Beutel, schossen zusammen, und schickten den Diener, den sie bey sich hatten, in das nächst-gelegene Dorf, in der Eyl ein und andere Speiß bereiten zu lassen, und nicht lang auszubleiben; welches auch geschahe: dann der Diener bald zuruck gekehrt, und etliche gesottene Eyer, samt einem Trunck Wein mitgebracht: welches sie dann alles hurtig aufgezehrt, und sich darauf alle drey in ein Beth zusammen gelegt. Ursinus allein konnte diesen Brocken nicht verdäuen; lage in der Mitte, und bellete noch immerzu eines hinnach, wie ein böser Hund an einer Ketten, den man mit einem Stein getroffen hat. Sie hatten sich kaum nidergelegt, da sprange die Kammer-Thür mit grossem Krachen für sich selbst auf. Und siehe! der böse Geist in Gestalt eines Risen, und in Begleitung zweyer grossen schwartz zotteten Hunden tratte hinein, und forderte mit erschröcklicher Stimm den Ursinus heraus: wo ist derjenige, sagte er, der sich mit Leib und Seel mir verpfändet hat? wo ist er? aber Ursinus wollte [85] sich nicht blicken lassen; sondern versteckte sich unter die Beth-Decke, so gut er konnte, und hebte sich mit beyden Armen an seine Gesellen. Nachdem der böse Geist die Ursach seiner Ankunft, wie gesagt, zu verstehen gegeben, und ihm aber niemand antworten, vielweniger aus dem Beth herfür wollte, trate er zur Bethstatt hin; ergriffe den Ursinus bey dem Schopf, und risse ihn mit Gewalt aus dem Beth heraus: nahme ihn hernach bey der Mitte, und schmisse ihn auf den nächsten Tisch hin. Zoge alsdann ein grosses langes Weyd-Messer von der Seiten, und fienge an, ihme ein Glied nach dem andern herab zu hacken, bis er ihn gantz und gar zu Stucken zerhaut hatte. So oft er aber ihme ein Glied abgenommen, warffe er solches bald diesem, bald dem andern Hund vor; welche als nach einem gar fetten Brocken gantz begierig schnappten, das herab grieffende Blut aufschleckten, und also nach und nach den zerstümpleten Leib mit Fleisch und Bein, Haut und Haar verschluckten. O GOtt! was für ein erschröckliches Verfahren ist dieses? konte auch was grausamers erdacht werden? der verzweifelte Mensch hat zwar unter dieser unerhörten Marter erbärmlich geschryen, und um Hülf geruffen; aber alles umsonst und vergebens. Mußte also eine verfluchte Seel durch einen so greulichen Tod in die Hand des Teufels aufgeben; sein Leib aber ist an den Magen der höllischen Hunden begraben worden. Wie nun dieses blutige Metzgen fürbey, hebte der böse Geist das Weyd-Messer in die Höhe, gleichsam hätte er sein Amt wohl verrichtet, und wendete zugleich seine feurige Augen zu denen noch übrigen zweyen, die ihnen nichts anders einbildeten, als jetzt wurde es auch an ihnen seyn. Aber der böse Feind bekennte mit heller Stimm, daß er aus Verhängnuß GOttes, andern zu einem Exempel mit ihrem Gesellen also verfahren wäre; über sie aber keinen Gewalt hätte: nach welchen Worten er verschwunden. Wie es entzwischen dem Placidus, und dem andern Cammeraden werde um das Hertz gewesen seyn, ist leicht zu gedencken. Gewißlich lagen sie auf keinem Federbeth; wohl aber, wenigist ihrem Beduncken nach auf feurigen Kohlen. Sie zitterten am gantzen Leib mit Angst-Schweiß allenthalben überronnen, und getrauten ihnen eine geraume Zeit kein Wort mit einander zu reden. Wie sie sich aber wiederum in etwas erhohlet, und der Tag allgemach anbrache, sagten sie dem gerechten, und zugleich barmhertzigen GOtt möglichsten Danck: Erzählten alles der Frau des Schlosses, welche sich zwar jämmerlich darüber bekümmerte; doch aber so fast auch nicht verwunderte, als welche schon längst in Sorgen gestanden, es möchte das liederliche Leben ihres übel gerathenen Sohns Ursini noch mit der Zeit keinen guten Ausgang gewinnen. Placidus hat noch über das den erbärmlichen Fall seines Bruders dermassen tief zu Gemüth [86] geführt, daß er bald hernach in einen geistlichen Ordens-Stand getretten, und in selbigem ein gottseeliges Leben geführet hat. Theoph. Raynaudus in Prato Spirituali. Historia. 78.


O daß alle gottslästerliche Zungen, freche Sacramentirer und Flucher allzeit an den blutigen Tisch gedenckten, auf welchem Ursinus ist zerhacket worden! was für ein kräftiges Mittel wurde dises seyn, sie von der bösen Gewohnheit zu schelten, zu fluchen, und GOtt zu lästeren abzuziehen! lassen sie aber gedachten Tisch aus der Gedächtnuß, so sollen sie wissen, daß sie mit dem Ursinus in der Höll gleiche Peyn haben werden.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 82-87.
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