Sieben und zwantzigstes Exempel.

Einen Jüngling peiniget das böse Gewissen wegen begangener Mordthat dergestalten, daß er sich selbst vor der Obrigkeit angeklagt, und das Tods-Urtheil über sich gesprochen.

[97] In einer Stadt des Teutschlands diente bey einem Wirth ein frischer Jüngling, dessen Amt war, den Wein aus dem Keller zu holen, und denen Gästen aufzuwarten. Mitlerweil warffe er ein Aug auf des Wirths Tochter, des Willens, sie zu heyrathen! worzu auch diese sich nicht ungeneigt erzeigte. Allein weilen ihm das Vermögen abgienge, zu seinem Zweck zu gelangen, bedachte er sich hin und her, wo er etwann ein Stuck Gelt auftreiben möchte. Einsmahls nahme ein reicher Kaufmann, der ein schweres, und mit Gelt angefülltes Felleisen mit sich führte, die Einkehr in dem Wirthshaus, mit dessen Gelt der Jüngling seine verlangte Braut [97] zu erkauffen sich entschlosse. Nach solchem gefaßten teuflischen Anschlag schliche der Böswicht nächtlicher Weil in die Kammer, wo der Kaufmann lage, und schnitte dem guten Mann im Schlaf mit einem Messer die Gurgel ab; verscharrete hernach den Leichnam in den Keller, und gienge alles so listig an, daß niemand den geringsten Argwohn einer so greulichen That auf ihn warffe. Ja solchen Argwohn den Leuten gäntzlich zu benehmen, zeigte er dem Wirth einen erdichteten Brief, und begehrte Erlaubnus, in sein Vatterland zu verreisen, unter dem Vorwand, eine von einem seiner Befreundten ihme hinterlassene reiche Erbschaft anzutretten. Nun er ziehet hin; kommt nach etlichen Wochen mit einem schönen Stuck Gelt wieder; haltet an um die Tochter, bekommt sie; führet sie zur Kirchen, und wird das Hochzeit-Fest mit Freuden vollzogen. Es hauseten auch diese zwey junge Ehleut treflich wohl miteinander. Ihre Wirthschaft nahme zu, das Gelt wuchse in der Truchen, und ward der Zulauf der einkehrenden Gästen je länger je grösser, weilen so wohl sie ein Ehrenliebendes freundliches Weib; als er ein emsiger, kluger, und haußlicher Mann ware. Uber solches hatte nicht allein der Schweher-Vatter eine ungemeine Freud; sondern die gantze Stadt hielte so viel von dem jungen Wirth, daß er zu einem Raths-Herrn erwählet worden. Nun bishero gienge noch alles wohl, dem äusserlichen Schein nach; aber der inwendige nagende Wurm des bösen Gewissens, welches ihm ohne Unterlaß diesen Vorwurf thate: du bist ein Mörder, du hast den Tod verdient, und dergleichen versaltzte ihm alle gute Täg gar übel. Es druckte ihm manchen heimlichen Seuftzer aus dem Hertzen; es machte ihn oft gantz verwirret, mit solchem Gewalt und Angst, daß er sich ent schlossen, lieber zu sterben, als eine so unleidentliche Plag länger zu gedulden. Es stunde auch nicht lang an, daß er seinen Wunsch erlangt: und das bey folgender Gelegenheit. Man hielte auf eine Zeit einen Gerichts-Tag über einen verhaften Dieb und Mörder, um das End-Urtheil über ihn zu fällen. Der junge Wirth samt anderen Raths-Herren wohnte nach altem Herkommen der heiligen Meß bey; verfügte sich alsdann nach Haus, und begehrte an sein Weib ein Fruhestuck, um desto leichter so lange Zeit im Rath ausdauren zu können. Die Wirthin hierzu gantz willig, rüstete ihm einen Kalbs-Kopf zu, und stellte ihm selbigen auf den Tisch vor: weilen sie wohl wußte, daß dieses ein Speiß nach seinem Magen wäre. Er aber entsetzte sich heftig darab; erbleichte in dem Angesicht; fienge an zu zittern am gantzen Leib, und rufte überlaut: thue mir diesen Menschen-Kopf hinweg. Die Wirthin solches sehend und hörend, meinte anderst nicht, als ihr Mann müßte gähling im Kopf verruckt worden seyn; als die wohl wußte, daß sie keinen Menschen-Kopf, sondern einen Kalbs-Kopf gesotten, und [98] auf dem Rost gebraten hätte. Er aber voll der betrübten Gedancken stunde vom Tisch auf, nahme seinen Hut und Mantel, und gienge dem Rathhaus zu. Wie nun die Ordnung an ihn kame, seine Stimm zu geben, redete er gantz vernünftig von der Sach, und erkennete obgedachten Mörder des Tods schuldig: setzte aber noch dieses hinzu, er halte darfür, und erachte, daß man heut nicht nur einen, sondern zwey Ubelthäter hinrichten soll. Er habe eine weit grössere Straf verdient, als dieser Maleficant: es wäre dann Sach, daß die Richter aus sonderbahrer Gnad und Mildigkeit etwas gütigers mit ihme verfahren wurden. Alle anwesende Raths-Herren entsetzten sich ab dieser Red, und konnten ihnen nicht einbilden, daß ein solcher Mann, von deme man nichts, als alles ehrliches wußte, eine That sollte begangen haben, so den Tod verdiente. Allein er erzählete ihnen den gantzen Verlauf: wie mörderisch nemlich er vor so, und so viel Jahren mit einem Kaufmann umgangen. Und zu Bekräftigung seiner Worten begehrte er, man sollte hinschicken in den Keller, an diesem Ort, in jenem Winckel werde man die eingegrabene Todten-Beiner von dem ermordeten Kaufmann noch finden. Nun das geschiehet. Man schickt hin, suchet, grabet, und findet alles, wie er ausgesagt. Worauf er dann (wie er selbst begehrt) zu dem Tod verurtheilt, nebst obgedachtem Mörder (mit Verwunderung der gantzen Stadt über die gerechte Urtheil GOttes) zur Richtstadt hinaus geführt, und geköpft worden.) D Outreman in Pædagogo Christiano Tom. 2. P. 1. c. 3. Sect. 1. n. 3.


Ewiger GOtt! was für ein greuliches Ubel ist es um ein böses Gewissen! wie nagt es! wie zwickt es! wie foltert es! und wie laßt es dem Menschen weder bey Tag, noch bey Nacht so gar kein Ruhe! und gesetzt auch, daß einer, der ein böses Gewissen hat, bisweilen einen Schlaf thun könne; wie bald wachet der nagende Wurm wieder auf, und fangt an, auf ein neues zu nagen und zu beissen; den Verstand mit Verwirrungen; den Willen mit Forcht und Schrecken; das Hertz mit Bitterkeit, den gantzen Menschen mit Tods-Aengsten anzufüllen! was für ein elendes Leben ist dieses, wo man lieber sterben, als noch länger also leben wollte; herentgegen was für ein Trost, was für ein Freud, was für eine Vergnügung bringt mit sich ein gutes Gewissen! wie wohl ist einem solchen Menschen, wann er auch arm ist, wann er kranck ist, wann er verfolgt wird, daß also nichts der Wahrheit so gemäß ist, als was das Sprichwort sagt:


Ein gutes Gewissen,

Ist der beste Bissen.


Wohl redlich! und bringt es auch die Erfahrnuß mit sich.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 97-99.
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