Fünf und zwantzigstes Exempel.

Ein Ordens-Bruder stirbt fröhlich, und getröst, ohngeachtet er hinläßig gelebt hatte.

[208] Es ware ein gewisser Ordens-Bruder: der hatte viel Jahr zimlich lau und hinläßig gelebt. Er bettete zwar zu seiner Zeit; aber mit schlechter Andacht. Er fastete; aber es war ihm leid, daß er nicht essen dörfte. Er hielte die Regul, und Satzungen des Ordens; aber viel mehr aus Zwang, als aus Liebe zur clösterlichen Vollkommenheit. Und dannoch, da er ins Tod-Beth kam, förchtete er sich so wenig, als nichts; ja er wartete lächlend, und mit Freuden auf den letzten Abdruck. Wie das die umstehende Brüder gesehen, erschracken sie nicht wenig, förchtende, dieser Bruder möchte eines üblen Tods sterben. Darum gabe ihm einer aus ihnen folgenden Verweis: »Bruder! wie darfest du lachen, und fröhlich seyn, indem doch der Tod vor der Thür stehet, und du über ein kleines für den strengen Richter-Stuhl Christi wirst gestellt werden; um allda von deinem gantzen Lebens-Wandel genaue Rechenschaft zu geben? [208] gedenckst du nicht, wie lau und hinläßig du gelebt; wie schlecht du deinem GOtt und HErrn gedient habest? und du lachest noch? weinen soltest du: klagen soltest du; zittern soltest du: aus Forcht, es möchte das Urtheil der ewigen Verdammnuß wider dich ausgesprochen werden. Gedencke was der Heil. Apostel Petrus sagt; Petri 4. wann der Gerechte kaum selig wird, wo wird dann der Sünder bleiben? daß du gesündiget habest, das weißt du. Aber, hast du auch Buß gethan? gehe also in dich selbst; thue Buß, weil du noch Zeit hast: und giebe Acht, daß dich nicht etwann der böse Feind mit einer falschen Hofnung betrüge.« Als der Sterbende diesen Verweis mit Gedult angehört, sagte er: »Es ist wahr, und ich kan es nicht laugnen, daß ich zimlich lau und hinläßig gelebt, und meinem GOtt und HErrn nicht gedient hab, wie ich hätte sollen. Es ist mir aber leid darfür; und bitte deswegen GOtt demüthigst um Verzeihung. Unterdessen kan ich nicht bergen, was mir erst diese Stund begegnet ist. Es kamen nemlich zu mir für das Beth, in Gestalt der schönsten, holdseligsten Jüngling, zwey Engel. Diese hatten in den Händen lange Zettel, auf welchen alle meine Sünden verzeichnet stunden. Sie fragten mich, ob ich nicht diese Sünden begangen hätte? ich antwortete: wie daß ich es nicht laugnen konte; seye mir aber leid darfür; und wünsche, daß daß ich meinen GOtt, das höchste Gut, niemahlen beleidiget hätte. Unterdessen hoffe ich dannoch, an GOtt einen gnädigen Richter zu haben; weil ich mich verlasse auf die Wort Christi des HErrn, der die ewige Wahrheit ist. Dieser aber sagt bey dem Heil. Lucas am 6. Cap. Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet werden. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt werden. Vergebet, so wird euch vergeben werden. Nun kan ich mich fürs erst nicht erinneren, daß so lang ich im Closter gelebt, ich jemahl einen Menschen geurtheilt, und durch solches Urtheil verdammt hätte. Dann ich sahe auf meine, und nicht auf anderer Leuten Fehler; schätzte auch deswegen Niemand weniger, als mich selbsten. Fürs ander: wann mir schon ein Unbild ist angethan worden, hab ich doch selbe gern verziehen; ja, so viel möglich, gleich aus dem Sinn geschlagen. Also hoffe ich, Christus der HErr werde mich auch nicht richten; sondern mir gnädiglich verzeihen. Wie die Engel diese Antwort von mir vernommen, zerrissen sie ihre Zettel; zum Zeichen, daß die Schuld meiner Sünden von GOtt ausgelöscht, und mir nachgelassen wäre: auf welches hin sie aus den Augen verschwunden.«

Ey! warum solt ich dann nicht freudig und getröst auf den letzten Abdruck warten? dieses geredt, griffe er in die letzte Züg, und gabe [209] den Geist in die Händ seines Schöpfers auf; nicht ohne Auferbauung der umstehenden Brüder, welche sich über die Gütigkeit GOttes höchstens verwunderten. Anastasius Sinaita, Episc. Antiochen. apud Baronium Tom. 8. Anno 599. n. 10.


Wohl ein trostreiche Begebenheit; welche allen ein Antrieb seyn soll, daß sie den Nächsten nicht urtheilen: und wann sie von ihm ein Unbild empfangen, daß sie solche gern verzeyhen. O was für 2. schöne Tugenden seynd diese, kehre ein jeder vor seiner Thür, er wird Fehler genug finden, die er verbessere, was gehen ihn andere an, über die er nicht bestellt ist; darnach, wann uns GOtt so leicht verzeyhet, ob er schon von uns beleydiget worden, was soll dann ein Mensch gegen dem andern thun? Laßt uns dieses wohl bedencken.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 208-210.
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