Sechs und viertzigstes Exempel.

Ein adelicher Jüngling wird seinen Elteren durch den H. Niclas wunderbarlicher Weis wiederum zugestellt.

[284] Als vor Zeiten die Türckische Meer-Rauber an dem Fest des Heil. Niclas an den Gräntzen des Welschlands einen feindlichen Einfall gethan; mithin alles, was sie angetroffen, weggeraubt, haben sie auch gewaltthätiger Weis mit sich weggeführt einen Jüngling, so von adelichen und reichen Elteren gebohren war. Es lebten diese Eltern lange Zeit im Ehestand, ohne daß sie mit einer Jugend begabt worden; bis sie endlich durch die Fürbitt des heiligen Niclas ein Söhnlein (nemlich gedachten Jüngling) erhalten. Deswegen pflegten sie zu schuldigster Danckbarkeit alle Jahr das Fest des Heil. Niclas mit sonderbarer Andacht zu begehen; indem sie nach verrichtem Gebett in der Kirchen denen armen Geistlichen ein Mittag-Mahl gaben; unter andere Arme aber ein reichliches Allmosen austheilten. Eben an diesem Fest (wie gesagt) wurde der adeliche Jüngling von denen Meer-Raubern nach Babylon (einer Stadt in Egypten, nicht weit vom Nil-Fluß gelegen) geführt, und dasigem Sultan zu einem Aufwarter verehrt. So bald ihn dieser gesehen, gefielen ihm so wohl die adeliche Sitten, als schöne Leibs-Gestalt; also, daß er ihn, nach eingenommener langer Prob von seiner Treu, zu seinem Mundschenck gemacht hat. Das ist: er mußte dem Sultan zur Tafel dienen, und ihm zu trincken reichen. Nachdem er nun diesen Dienst fast ein Jahr lang versehen, und das Fest des Heil. Niclas allbereit wiederum eingefallen, erinnerte er sich, was gestalten seine liebe Eltern zu Haus dieses Fest mit sonderbarer Andacht begiengen. Das triebe ihm dann das Wasser in die Augen, daß er nicht auch dabey seyn konte. Das erpreßte aus seinem Hertzen manchen tiefen Seufzer; welches zu verbergen ihme fast unmöglich fiele. Als er nun an gedachtem Fest dem Sultan bey der Tafel aufwartete, und ihm einen grossen silbernen, und vergoldten Pocal, oder Becher, von dem köstlichsten Wein, welcher an der Tafel herumgehen sollte, mußte einschencken, da konte sich der adeliche Jüngling nicht enthalten, daß er nicht einen tiefen Seufzer aus dem Hertzen gehen liesse. Der Sultan, so dieses vermerckt, fragte ihn gleich: Warum seufzest du? was hast du für ein Anligen? Der Jüngling antwortete: Großmächtiger Fürst! warum sollte ich nicht seufzen; indem heut bey uns Christen das Niclas-Fest begangen wird, an welchem ich in meinem Vatterland gefangen, und hieher gebracht worden? das solle mir ja billich zu Hertzen gehen? [285] was ist das für ein Niclas (fragte der Sultan) von dem du redest? ist es viel leicht einer aus denen Haus-Götzen, den die Christen verehren? kein Haus-Götz (antwortete der Jüngling) sondern ein grosser Heiliger im Himmel ist der Heil. Niclas. Von diesem haben mich meine Eltern erbetten, und mich ihme aufgeopfert. Diese verehren ihn nun heutiges Tags mit sonderbarer Andacht; speisen auch zu seiner Ehr die arme Geistliche; und theilen unter andere Arme ein reichliches Allmosen aus. O daß auch ich bey ihnen wäre, und solcher Andacht beywohnen könte! da fiele ihm der Sultan in die Red, und sagte: was erzählest du da für Mährlein; und was machest du aus deinem Niclas? was wird er dir helfen, wann du ihn lang verehrest? Kaum hatte er diese Wort geredt, siehe! da erschiene der Heil Niclas mitten in dem Saal, allwo der Sultan mit andern vornehmen Herren des Reichs an der Tafel speisete. Er hatte auf dem Haupt eine Inful; in der rechten Hand einen goldenen Bischofs-Stab, und war mit einem von Gold und Edelgesteinen gestickten Bischöflichen Ornat angethan. Nachdem er nun den Sultan, und andere Herren an der Tafel scharf angesehen, ergriffe er den adelichen Jüngling, da er den Pocal mit Wein noch in der Hand hielte, bey einem Haar-Schopf; truge ihn daran zu einem offenen Fenster des Saals hinaus, und führte ihn viel hundert Meil Weegs durch den Luft frisch und gesund bis in sein Vatterland; ja gar in das Haus seiner Eltern, da sie eben mit denen armen Geistlichen am Tisch sassen, und das Mittagmahl einnahmen. Mit was Verwunderung der Elteren dieses geschehen seye, als sie ihren Sohn, wider alles Verhoffen, aus so fernen Landen, und zwar mit einem silbernen und vergoldten Pocal in der Hand, vor sich gesehen; was für ein Frolocken bey ihnen entstanden: was Freuden-Zäher sie vergossen; wer wird es aussprechen? die Frau Mutter, so ihn zuerst gesehen, sagte zu ihrem Herrn: Liebster Gemahl! siehe! unser Sohn ist da. Dies geredt, stunde sie eilends von ihrem Sessel auf, und war so begierig, den Sohn zu umfangen, und zu küssen, daß sie fast den Tisch samt allen Trachten unter über sich gekehrt hätte. In welchem Stuck dann auch die andere ihr nachgefolgt seynd. Also groß war die Freud, und das Frolocken. Nachdem der Willkomm fürbey, mußte der Sohn zu obrist an den Tisch hinsitzen, und allen Anwesenden erzählen, wie er anhero kommen und wie ihm Zeit seines Ausbleibens ergangen wär. Welches dann der Sohn gethan, und mit seiner Erzählung die Zuhörer mit gröster Verwunderung erfüllet hat. Alsdann nahme er den Pocal mit Wein, aus welchem bishero nicht ein Tropfen verschüttet worden, und trancke es seinen lieben Eltern zu mit Bitt, sie wollen samt ihne dem Heil. Niclas Danck sagen, [286] der ihne so wunderbarlicher Weis frisch und gesund aus dem Gewalt des Sultans erlößt, und in sein Vatterland zuruck gebracht hätte. Das thaten dann nicht allein die Elteren, sondern auch die anwesende Gäst, und mußten bekennen, daß sie ihr lebtag keinen köstlicheren Wein, und mit grösserer Freud, als diesen getruncken hatten. Was unterdessen der Sultan in Egypten werde gedacht haben; wie er werde zufrieden geweßt seyn, daß ihm der Jüngling samt dem silbernen und vergoldeten Pocal aus seinem Gewalt entrissen worden, das mag ein jeder bey sich selbst gedencken. Was die Eltern, und den Jüngling anlangt, blieben selbige dem Heil. Niclas lebenlänglich mit aller Andacht zugethan, und vergassen nimmer mehr der Gutthat, so er ihnen erwiesen hatte. Cazæus in piis Hilar. To. 2. Ex ejusdem vitæ per P. Ribadeneiram.

Aus dieser Gelegenheit ist abermahl zu ersehen, wie nutzlich es seye wann man die Heilige GOttes verehrt; um Hilf anruft; sich in ihren Schutz befihlet, und sein Vertrauen auf ihre Vorbitt setzet. Dann, so es GOtt angenehm ist, wann wir die fromme Menschen auf Erden ersuchen, daß sie GOtt für uns bitten wollen; um wie viel angenehmer wird es ihm seyn, wann wir seine Heilige in dem Himmel um ihre Fürbitt anruffen? dann weil diese seine liebst Freund seynd, und solche seyn werden in alle Ewigkeit, so wird er ihnen ja ehender willfahren, als denen Menschen auf Erden, die der ewigen Seligkeit halber noch nicht versichert seynd? und da sollen die Ketzer nicht sagen, als wußten die Heilige im Himmel nichts um uns Menschen auf Erden. Dann GOtt offenbaret es ihnen, wann wir sie anruffen, und auf solche Weis belohnt er ihre Verdienst, die sie auf Erden gesammlet haben. Fahre also fort, Catholische Jugend! die Heilige um ihr Vorbitt anzuruffen; dann du wirst erfahren, daß du es nicht umsonst thust. Verehre den Heil. Niclas, als einen sonderbaren Patronen der Jugend; und er wird sich deiner annehmen. Seiner Wunderthaten seynd viel zu viel, als daß man sie laugnen konte: wie es dann bezeugt die Catholische Kirch, indem sie sich gebraucht folgenden Gebetts:


O GOtt! der du den Heil. Bischof Niclas mit unzahlbaren Wunderthaten gezieret hast: wir bitten dich durch seine Verdienst, daß du uns auf seine Vorbitt von denen höllischen Flammen befreyen wollest. Durch JEsum Christum, unsern HErrn. Amen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 284-287.
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