Neun und fünftzigstes Exempel.

Ein mitleydiger Edelmann ersauft in einem tieffen Schöpf-Bronnen; sein Seel aber wird von den Englen in Himmel getragen.

[313] Es war auf einem Landgut ein reicher Edelmann. So reich er aber an Vermögen, so arm war er an Tugenden: ja er steckte voller Laster. Jedoch hatte er eine sehr tugendsame Frau, welche viel auf die arme Ordens-Geistliche hielte. Diese sprach dann ihrem Ehe-Herrn öfters zu, und sagte zu ihm: weil er jeder Frommkeit so wenig nachfrage, solte er wenigst die arme Ordens-Geistliche in Ehren halten, und ihnen Guts thun, wann sie etwann über Feld reisend zu ihm ins Schloß kommen, und um die Herberg anhalten wurden; dann das seye ein Allmosen, welches ihme GOtt villeicht mit der Gnad der Bekehrung belohnen wurd. Nun liesse ihm der Edelmann dieses nicht mißfallen. Als derohalben auf eine Zeit zwey solche arme Ordens-Geistliche bey ihm einkehrten, wurden sie von ihm nicht allein freundlich empfangen; sonderen auch mit einem Mittag-Essen stattlich bewirthet. Unter währenden Essen sagte der Edelmann zu ihnen: »Nun ihr Patres! lasset euch Essen und Trincken belieben: dann ich gönne es euch von Hertzen. Allein ihr müsset mir eine geistliche Lehr geben, die mir zu meiner Seelen-Heyl dienen könne; aber kurtz: dann ich habs nicht gern, wann man mir lang prediget. So seye es dann, sagte einer aus diesen armen Geistlichen: weil es der Juncker also verlangt, will ich ihm eine solche Lehr geben, daß, wann er selbiger nur folget, ihm die ewige Seeligkeit gewiß wird zu theil werden. Und da will ich meine Seel darfür verpfänden. Hierauf sagte der Edelman: Pater! laßt mich diese Lehr vernehmen: ihr solt versichert seyn, daß ich selbiger folgen werde. Höret dann (versetzte der Geistliche) jene Wort, so unser lieber Hyland gesprochen Matth. am 7. Alles, was ihr wollet, daß euch die Menschen thun sollen, das thut ihnen auch. Und wiederum jene Lehr, so der alte Tobias, da er sterben wolte, seinem Sohn gegeben: nemlich diese: siehe zu, daß du nimmer einem andern thust, was du nicht wilst, daß dir von einem andern widerfahren solle. Tobias am 4. Capitul. Wann [313] ihr nun dieser Lehr folget, so werdet ihr ohnfehlbar seelig werden. Das ist eine gute Lehr, sagte der Edelmann zu dem Geistlichen, allein ich möchte gern eine Erklärung darüber haben. Hierauf liesse sich der Geistliche folgender Weis vernehmen.«


»Juncker! ihr seyd ein vermöglicher Herr, und habt viel Bediente in euerem Schloß. Nun verlangt ihr ja, daß sie euch, als ihrem HErrn die schuldige Ehr er weisen, und treue Dienst leisten? Ist recht. Also müßt auch ihr eurem GOtt und HErrn seine gebührende Ehr geben, und ihm durch Haltung seiner Gebotten treulich dienen; wie auch zu gewissen Zeiten in der Kirchen dem GOttes-Dienst beywohnen.«

»Wiederum: wurdet ihr es nicht gern haben, wann man euch das eurige ungerechter Weis thäte wegnehmen; und so es geschehen wär, woltet ihr ja, daß man euch wiederum zuruck stellte? ist billich. Also müßt auch ihr gegen andere thun wann ihr ihnen das ihrige abgenommen.«

»Letztlich: wann ihr soltet arm; oder kranck werden; oder sonst in eine Noth kommen, wurdet ihr es ja gern haben, wann man euch thäte beyspringen? da ist kein Zweifel Allein: wie ihr woltet, daß andere gegen euch wären, also müßt ihr auch gegen ihnen seyn. Das gibt uns das Liecht der Natur ein, weil es der Vernunft gantz gemäß ist.«

»Wahrhaftig (antwortete der Edelman) dem ist also, wie ihr sagt. Die Lehr ist kurtz; aber auch nutzlich. Und darum will ich selbiger mit GOttes Gnad treulich folgen.«

Damit hatte der Discurs ein End und stunde man vom Tisch auf: nach welchem sich die Geistliche gegen dem Edelmann wegen eingenommenem Mittag-Essen, und empfangenen Ehren bedanckt; und ihren Weeg weiters genommen. Als sie aus dem Schloß weg waren, fienge der Edelmann an nachzusinnen, wem er möchte unrecht gethan haben? und siehe! da fande er, daß er disem ein Haus; jenem einen Acker; einem anderen einen Garten abgedruckt. Demnach liesse er in seinem Dorf ausruffen, daß alle zu ihm kommen solten, denen er das ihrige abgedruckt hätte; dann es solle ihnen alles zuruck gestellt werden: welches auch treulich geschehen. Allein, weil er nunmehr einen guten Theil weniger, als vorhin hatte, wurde er darüber etwas melancholisch, und schwremüthig. Diese Melancholy nun zu vertreiben, ritte er mit seinen Bedienten in den nächsten Wald hinaus; um allda mit Jagen sich zu ergötzen. Allein, weil ungefähr ein starcker Regen eingefallen, mußte er bald ohne etwas gefangen zu haben, den Weeg zuruck nehmen. Nun siehe! in dem Ruck-Weeg kame er zu einer Mühle, welche durch das anlauffende Wasser also übel zugerichtet [314] worden, daß der Müller nicht im Stand war, selbige ohne Gehülfen wiederum zu verbesseren. Da gedachte der Edelmann bey sich selbsten also: wann mir ein solches Unglück begegnet war, so hätte ich es ja gern, wann man mir zu Hülf käme? ey! so will ich dann dem Müller durch meine Bediente helffen lassen: welches auch ohnverzüglich geschehen.


Bald darauf begegnete ihm auf dem Weeg ein Krancker übel aussehender Bettler, der vor Schwachheit kaum gehen konte. Diesen redete er an, und sagte: O du armer Tropf! ich siehe es dir wohl an, daß du kranck bist, und kanst vor Schwachheit nicht fortkommen. Aber seye getröst: meine Bediente sollen dich nach meinem Schloß tragen: allda will ich dir so lang lassen abwarten, bis du wiederum gesund wirst: wann es anderst GOttes Will ist. Wie gesagt, also ist es geschehen. Dann als der Edelman bald darauf samt dem Krancken im Schloß angelangt, sagte er zu seiner Frauen: sehet! meine Liebste! da hab ich diesen krancken Bettler lassen hertragen. Traget Sorg für ihn, und lasset ihm nichts abgehen. Dann er thut mich erbarmen. Und warum nicht, setzte er hinzu: wann ich in seinem Stand wär, wurd ich es auch gern haben, wann man sich meiner erbarmen thäte. Die Frau, welche ohne das gegen denen Armen sehr mitleydig war, erfreute sich, daß dieser krancke Bettler ihrer Obsorg anbefohlen worden: dann sie betrachtete in diesem Bettler die Person Christi, darfürhaltend, was man einem Armen thue, das thue man Christo dem HErrn selbst: wie es dann auch in der Sach selbst nicht anderst ist. Sie kochte ihm also zu Nacht; und machte ihm ein gutes Beth zu nächst an der Schlaf-Kammer ihres Herrns. Was geschiehet? nachdem der Edelmann, und die Frau ihr Nacht Essen ein genommen, und sich in die Ruhe begeben, da fienge der Krancke um Mitternacht an zu seuftzen, und kläglich zu ruffen: ach, wie dürstet mich! O! könte ich nur einen Krug mit Wasser haben; für was für eine Gnad wolte ich es schätzen! der Edelmann erwachte über dieses klägliche Seuftzen; fragte also seine Frau: wo es herkomme? und was es bedeute? die Frau antwortete: sie glaube wohl, es komme vom Krancken her. So laßt uns dann hören, sagte der Edelmann, was sein Verlangen seye? kaum hatte er diese Wort ausgeredt, da rufte der Krancke abermahl: ach ich muß vor Durst sterben. Ist dann niemand so mitleydig und barmhertzig, der mir einen Krug mit Wasser bringe: ach mich armen und verlassenen Menschen. Diese Wort schnitten dem Edelmann also tief ins Hertz hinein, daß er unverzüglich aufstunde, sagend: ey! wann ich einen solchen Durst litte; wie gern hätte ich es, wann mir jemand zu trincken brächte! so [315] muß ich es dann diesem Krancken auch thun. Diß geredt, legte er geschwind seinen Schlaf-Rock an, und suchte in der Finster einen Krug. Als er solchen gefunden, gienge er damit einem tieffen Schöpf-Brunnen, so im Schloß war, zu. Weilen er aber kein Liecht zu sich genommen, ist es geschehen, daß er samt dem Krug in den Schöpf-Brunnen hinunter gefallen, und darinn ersoffen. Die Frau wartete unterdessen, bis ihr Herr wurde zuruck kom men. Weil es aber nicht geschahe, hielte sie darfür, er müsse nicht gesinnt seyn mehr in die Ruhe zu gehen, sondern wolle des anbrechenden Tags erwarten; den Krancken aber unterdessen mit einem frischen Trunck Wasser erquicken, und ihm tröstlich zusprechen. Und das glaubte sie um desto leichter, weil sie den Krancken nicht mehr ruffen gehört, welches aber nicht darum geschehen, als hätte er zu trincken bekommen, sondern weilen er vor Schwachheit nicht mehr ruffen konnte. Allein, weilen auch bey anbrechendem Tag kein Edelmann sich sehen liesse, wußte sie nicht, was sie gedencken sollte. Befahle also denen Bedienten, im gantzen Schloß zu suchen, wo dann ihr Herr wäre? allein, weil diese von der Frauen gehört, daß ihr Herr in der Nacht ohne Liecht mit einem Krug dem Schöpf-Brunnen zugangen, geriethen sie gleich auf die Gedancken, er müsse vielleicht in selbigen gefallen, und darinn ersoffen feyn. Und siehe! was ihnen ihre ängstige Gedancken eingegeben, das hatte sich auch in der That also befunden. Dann als sie in den Schöpf-Brunnen hinunter gesehen, und den todten Leichnam ihres Herrn erblickt, fiengen sie an überlaut zu schreyen, und die Händ ober dem Kopf zusammen zu schlagen. Als die Frau solches gehört, lieffe sie voller Angst und Schröcken herbey, um zu vernehmen, was sich dann zugetragen hätte? und nachdem sie verstanden, daß ihr Herr in dem Schöpf-Brunnen ersoffen, sancke sie vor Leydwesen in eine Ohnmacht, und hatte wenig gefehlet, sie wäre dahin gestorben. Allein nachdem sie sich wiederum erhohlet, und in den Willen GOttes ergeben, wurde auf dero Befehl der todte Leichnam ihres Herrn aus dem Schöpf-Brunnen herausgezogen. Aber siehe Wunder! er hatte um den Hals ein goldenes Band, auf welchem diese Wort eingegraben zu lesen waren: Ehe dann sein Leib in dem Wasser erkaltet, ward seine Seel von den Englen in Himmel getragen, weilen er sein Leben in den Wercken der Barmhertzigkeit geendiget.


Als die Frau solches verstanden, fiele sie vor Freuden auf ihre Knye nieder, hebte Händ und Augen gen Himmel, und sagte: O barmhertziger GOtt, ich dancke dir, daß du mir einen solchen Mann gegeben, von dessen ewiger Seeligkeit ich versichert bin. O! gibe mir die Gnad, daß ich ihme einstens in dem Himmel beygesellt werde. Welches ohne Zweifel auch erfolget ist, weilen diese Frau nach Austheilung ihrer Gütern [316] unter die Arme, forthin Christo allein bis an das End ihres Lebens gedienet hat. Hungarus, Minorita, in Expositione Symboli, quæ Gemma Fidei dicitur. Serm. 70.


O wie soll dieses Exempel einen jeden antreiben, gegen den Armen, und Krancken mitleydig und barmhertzig zu seyn; es sagt ja Christus Matth. am 5. Cap. Seelig seynd die Barmhertzige, dann sie werden Barmhertzigkeit erlangen; wiederum sagt der H. Geist in den Sprüch-Wörtern bey dem Salomon am 15. Cap. Wer sich über den Armen erbarmet, der leyhet dem HErrn auf Wucher: und er wird ihm sein Lohn wiederum vergelten. Ist so viel gesagt, als GOtt vergelte die Werck der Barmhertzigkeit doppelt, hier und dort. O unaussprechliche Freygebigkeit GOttes.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 313-317.
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