Achte Begebenheit.

[444] Es ware ein adeliche, mithin aber erarmete Wittib, die hatte einen eintzigen Sohn. Weil sie nun diesen standmässig nicht erhalten konte, brachte sie es durch hohe Patronen zuwegen, daß er bey einem fürstlichen Hof zu einem Edel-Page angenommen wurde. Ehe er aber abreisete, ermahnte sie ihn, keinen Tag vorbey gehen zu lassen, er hätte sich dann der [444] Mutter GOttes treulich anbefohlen, und sie wenigst mit einem Ave Maria gegrüßt. Weilen aber die Jugend ohne vätterlichen Zaum schwerlich in den Schrancken gehalten wird, und zu dem an fürstlichen Höfen die Gelegenheiten nicht ermanglen, in allerhand Laster gestürtzt zu werden, hat auch dieser junge Mensch sich dem freyen Leben ergeben; also zwar, daß der Fürst genöthiget worden, ihn von Hof zu schaffen. Weil er nun die Mittel nicht hatte, sich weiters standmässig zu erhalten, hat er sich zu Strassen-Raubern gesellet, unter welchen er mit der Zeit der Rädelführer worden, und grosse Verbrechen verübet hat. Diese seine Freyheit aber hatte nicht lang gedauret; indem er von ausgeschickten Gerichts-Dienern eingezogen, und zum Strang verurtheilet worden. Indem er nun in der Gefängnuß seinen unglückseligen Stand; wie auch den Schandfleck, den er seiner adelichen Freundschaft zugefügt, und zugleich den Schmertzen, welchen seine Frau Mutter hierüber empfinden wurde, mit heissen Zähern beweinte, da erscheint ihm bey nächtlicher Weil der böse Geist, und sprache ihm zu, den Muth nicht sencken zu lassen: dann er wolte ihn auf freyen Fuß stellen, wann er nur (O verfluchtes Begehren!) GOtt verlaugnen wurde. Zu dieser verzweifleten Vermessenheit den Jüngling zu bereden hat es nicht viel bedärfen: dann sein junges Leben durch einen so schändlichen Tod zu verlieren, fiele ihm über die massen schwer. Als er nun (O höchstes Unglück!) dem bösen Feind das Wort gegeben, wolte dieser noch weiters haben, daß er auch die Mutter GOttes verlaugnen solte. Als der Jüngling diese Wort gehört, erschracke er heftig: dieweil er sich erinnerte, was gestalten ihm seine Frau Mutter so starck eingebunden hätte, sich täglich der heiligsten Jungfrauen treulich zu befehlen, und sie mit einem Ave Maria zu grüssen. Dieweil er dann solches (wiewohl unter so vielen Lasterthaten) noch niemahl unterlassen, schluge er dem bösen Feind sein verfluchtes Ansuchen behertzt ab. Befahle sich also auf ein neues der heiligsten Jungfrauen, und sprache den englischen Gruß. Hierüber wurde der böse Feind rasend, und wiche von ihm ab. Der Jüngling aber empfande über seine Sünden ein solche Reu, und Leid (absonderlich, daß er mit äusserster Vermessenheit GOtt verlaugnet hätte) daß er die noch übrige Nacht mit vielem Weinen und Seuftzen zugebracht; auch nicht nachgelassen U.L. Frau anzuruffen, sie wolle ihn doch in diesem höchsten Unglück nicht gäntzlich verlassen. Bey anbrechendem Tag dann verlangte er eilends einen Beicht-Vatter; deme er mit vielen Seufzen und Weinen seine Sünden gebeichtet, und darauf dem Galgen zugangen. Als er unterweegs neben einer Capell, in welcher die Bildnuß Mariä, ihr liebstes Kind auf den Armen haltend, verehret wurde, hat er sich ihr hertzlich anbefohlen, und sie mit diesen Worten angeredt: O Maria! du Zuflucht aller Sünder, [445] die sich von Hertzen bekehren wollten, verlaß mich doch nicht in dieser äussersten Noth. Gedencke, daß ich niemahlen keinen Tag unterlassen, daß ich mich dir nicht anbefohlen, und dich wenigst mit einem Englischen Gruß verehrt hätte. Und erst kürtzlich in der Gefängnuß (wiewohl mir der böse Feind heftig zugesetzt) dich keineswegs habe verlaugnen wollen. Ach! wegen dieser Treu komme mir zu Hilf, und verlasse mich doch nicht gäntzlich. Was geschiehet? O niemahl erhörtes Wunder! O Mariä mildreiches Hertz! O Güte! O Barmhertzigkeit, der arme und betrübte Sünder hat diese Wort kaum ausgesprochen, da neigte die seligiste Jungfrau das Haupt gegen ihm, als wollte sie hierdurch anzeigen, daß sie ihm beyspringen wolle. Als der Sünder dieses gesehen, fassete er noch mehrer Hertz: bate derowegen die Gerichts-Diener, daß sie ihm doch erlauben möchten, näher zur Heil. Bildnuß zu gehen, und dero Füß andächtig zu küssen. Als ihm solches gestattet worden, und der Sünder sich zu den Füssen neigte, streckte die Bildnuß die Hand aus, ergreiffet des zum Tod verurtheilten Jünglings Hand, und hielte ihn so vest, daß ihn die Scherganten mit keinem Gewalt davon abziehen konten. Als das zulauffende Volck dieses gesehen, schryen alle insgesamt auf: Gnad Gnad, Barmhertzigkeit! die Scherganten, so ihn aufzuknipfen den Befehl hatten, gaben der Obrigkeit ungesaumt Bericht davon, und fragten, was sie bey diesen Umständen weiters zu thun hätten. Als der Richter dieses vernommen, befahle er den Jüngling alsobald los zu lassen, und auf freyen Fuß zu stellen; dieweil dieses ein augenscheinliches Zeichen seye, daß ihm die seligste Jungfrau das Leben wolle geschenckt haben, auf daß er ihr noch ferners dienen könne. Welches er auch (wie nicht zu zweiflen,) wird gethan haben; wiewohl die Begebenheit weiters nichts meldet. Auriemma supra cit.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 444-446.
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