Neun und zwantzigste Fabel.

Der Pfau macht sich durch böses Exempel verächtlich bey dem Feder-Volck.

[773] Als dieses das erstemahl seiner ansichtig worden, hat es Ihne für seine Obrigkeit gebührend respectirt und geehrt. Dann warum sollte man nicht ehren einen so schönen Vogel, von so ansehnlicher Statur, vielfärbigen glantzenden Federn? den die Natur selbst gecrönet, die Gravität mit langsamen Schritten begleitet, und mit mehr Augen im Schweif versehen, als 6. einfältige Hennen im Kopf haben; Jung und Altes, Hahn und Hennen folgten ihme gar gern nach, spatzierte er im Hof herum, gaben sie ihme das Geleit. Floge er auf die Maur, schwingten sie gleichfals ihre Flügeln, scharrete er im Sand, so scharreten sie auch, butzte er den Schnabel, butzten sie ihn auch. Mit einem Wort, was der Pfau thate, [773] das thaten sie ihm nach. Wie sie aber wahrgenommen, daß er ohne Scheu auch zum Kleyen-Trog hinzu gienge, und sich auch im übrigen so gemein machte, als wann er auch ein schlechter Mistkratzer wäre, verachteten sie ihn, und nascheten hinführo desto freyer, weilen sie sahen, daß es ihr Regent, der Pfau auch thate. So viel vermag das böse Exempel. Æsopus in fabulis.


Also machen es die Unterthanen, als welche in ihrem Thun und Lassen keine andere Richtschnur haben, als das Wohl- oder üble Verhalten ihrer Vorgesetzten, und was das schlimmste allezeit thun sie es ihnen ehender nach im Bösen, als im Guten. Dannenhero ist der Vatter, ein Herrschaft, ein Obrigkeit übel gesittet, und begehet einen Mißtritt, wird der Sohn, der Knecht, der Burger, und so von andern zu reden, bald auch auf die Seiten ausfahren, und seine Unthat mit dem Beyspiel des Vatters, der Herrschaft, der Obrigkeit beschönen; thuts doch mein Vatter auch, ist doch mein Herr auch nicht besser, thuts doch die Obrigkeit selbst, etc. Erzeigt sich die Obrigkeit saumseelig bey dem Gottesdienst, Amt und Predig, so lassen es die Burger auch bey einem gleichen bleiben. Ist der Herr der Unlauterkeit ergeben, so seynd gewißlich die Diener keine Engel. Spielt der Vatter gern, so wird der Sohn unfehlbar die Würffeln, oder ein Karten im Sack haben. Gehet der Meister oft zum Wein, so reibt der Lehrjung auch schon nicht mehr gern das Maul am Wasser-Krug.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 773-774.
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