Zwey und dreyßigste Fabel.

Ein verruchter Bößwicht wird von einer Ampel vor Gericht angeklagt und überwiesen.

[775] Dieser wurde für Gericht gefordert, und bey dem höllischen Richter Rhadamantus (wie ihm solchen Namen die Heyden angedichtet) verschiedener Buben-Stücklein halber verklagt. Weilen aber fast alles in Geheim geschehen, laugnete der Thäter alles, was man ihm immer vorwarffe, über Spitz und Knopf hinaus; wie dann der losen Schelmen Brauch ist. Und weilen der Kläger mit genugsamen Zeugen nicht aufkommen konnte, wurde der Beklagte schier allerdings loßgesprochen, und auf freyen Fuß gestellt. Letztlich fiele dem Richter ein, man sollte des Beklagten Ampel, dero er sich bey nächtlicher Weil bedient hatte, herkommen lassen; vielleicht wurde diese eine Erläuterung der Sachen geben können. Nun es geschiehet; die Ampel wird hergebracht, der Beschuldigte Ihro unter die Augen gestellt und gefragt, ob sie diesen Menschen nicht kennte: hierauf fienge sie folgender Gestalt an zu reden:


Gerechtester Richter, wolte GOtt, daß ich diesen Menschen nicht kennte, so wurde ich grosses Leydwesens überhebt seyn. Was sag ich aber, diesen Menschen, ein grausame Bestia und Abentheur hätte ich sagen sollen, dergleichen die Erden nie getragen hat. O wie oft hab ich gewunschen, daß doch ein Wind zu dem Fenster hinein tringen, und mich auslöfchen wurde, nur damit ich so greulichen Schandthaten nicht zusehen müßte. Ich begehrte von dem Himmel, daß mein Liecht in Blitz, und mein Feur in Donnerkeil verändert wurde, diesen Bößwicht an der Stell zu erschlagen. Ich spitzte meine Flamm, und schwunge sie wie ein zweyschneidendes Schwerd auf alle Seiten, willens ihn anzufallen; aber ich ward an dem Dacht angebunden, und das Oel wegen seiner angebohrnen Gütigkeit gestattete mir solches nicht. Weilen ich dann weder eines, noch das andere in das Werck zu setzen vermöchte, sondern wider meinen Willen so viel unbilliche Sachen ansehen mußte, kan ich mir anders nichts einbilden, als der Himmel habe mir darum das Leben gefristet, damit ich wider dieses Unthier noch einstens Zeugnus geben könnte. So bezeuge ich dann hiemit 1. Daß ich diesen Gesellen gesehen hab oft um viel Geld spielen, und darunter betriegen. Zugleich auch gehört ihn lügen, schelten, fluchen, und wider GOtt erschröckliche Lästerungen ausstossen. 2. Allerhand Bul-Brief schreiben. 3. Oft lang in die Nacht hinein verbottene Bücher lesen. 4. Hurerey, Blutschand, und andere [776] Unlauterkeiten begehen, das und noch mehr, so mir jetzt nicht alles beyfallt, hab ich gesehen. Und weilen ich anderst nicht konnte, zwitzete ich doch zum öfteren, und spritzte meine Funcken aus, der Meynung, es sollte etwann einer das Beth ergreiffen, und dieses Schand-Luder samt den Federn verbrennen. Aber die göttliche Rach hat ihn billich bis hieher aufbehalten, und mit blutigen Haaren für euer Gericht gezogen, seinen verdienten Lohn zu empfangen. Also redete die Ampel, und der Stab ward über den Uebelthäter gebrochen. Lucianus in Dialogis.


Dieses ist zwar nur eine Fabel, aber erklärt uns gleichwohl so viel, man könne ein Sach so heimlich nicht angehen, daß uns nicht einer in das Spiel sehe. Die Mauren und Wänd können uns nicht genugsam verhüllen, das Liecht, bey dem wir sündigen, macht uns aufmährig. Können wir unsere Mißhandlungen vor den Menschen eine Zeitlang vertuschen, so wird doch das göttliche Liecht, Christus, wann der Tod die Wand unsers Leibs, wird weggeraumt, und unser zeitliches Leben ein End haben, selbige gleich erblicken und abstraffen in dem besonderen Gericht, noch mehr aber uns zu schanden machen an dem jüngsten Tag, da aller Menschen Gewissen werden offen stehen. Man muß also den schönen Spruch des H. Augustini wohl zu Gemüth fassen, da er also sagt: GOtt muß man förchten im verschlossenen Zimmer so wohl, als auf offenem Marckt. Brinnet die Ampel, so siher er dich, brinnet sie nicht, so sihet er dich dannoch. Gehest du in deine Kammer, so geht er dir nach, und sihet, was du thust; schliessest du dich gleichsam in dein Hertz ein, und willst es keinen Menschen wissen lassen, so sihet er es, und weiß es besser, als du selbst. Derohalben förchte GOtt, der dich überall ertapen, und den Augenblick auf frischer That in die Höllen stürtzen kan. Serm. 46. de verbis Domini.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 775-777.
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