Das fünfte Capitel.

Die Tod-Sünd nach dem Unterschied und Anzahl zu beichten.

[859] Ein Ritter, St. Agnesen von Montepolitiano Vetter.


Richardus König in Sicilia, Hertzog von Andegau, ein frommer Christ und zu seiner Zeit nicht nur der edelste, sondern auch vortreflichste Mahler, hat seine anmüthige Gedancken auf zarten Pergament mit lebendigen Farben abgebildet, welche noch heutiges Tags in dem übergebliebenen Schatz der Hertzogen von Lothringen zu sehen. Unter diesen Mahlereyen ist eine, welche die Gefährlichkeit alle Todsünden aufrichtig zu beichten vorstellet. Ein zarte Weibs-Person mit Buß-Kleidung angethan, trägt ein schwären niederbiegenden Last, wandert von einem in das andere Land, über ein gefährliche Brucken, die mit ungleichen Briglen über ein reissenden Bach gelegt, unweit einer Mühl: der Müller siehet ihr zu, wartet ihrer den Last von ihr zu nehmen, solchen zu zermahlen. Ach! wie behutsam beobachtet sie einen jeden Tritt, mit zitterenden Hertzen besorget sie, daß kein Fehl-Tritt geschehe. Hier siehest du Hoch-Ehrwürdiger Vatter, wie mein Hertz und Seel beschaffen ist, wann ich beichte: schuldig bin ich alle Todsünden nach Unterschied und Anzahl zu beichten, indem beängstige ich mich keinen Fehltritt zu thun. Mit solchem Gemähl und Beyschrift erkläret sich dieser [859] König seinem Beicht-Vatter dem Ertz-Bischoffen zu Toulon im Jahr 1455. und wahrlich gar billich, dieweil ein also gefährliche Brucken zu überschreiten, in welcher viel tief gefallen, viel gantz und gar zu Grund gegangen: entgegen aber welche ohne Fall behutsam überschritten, seynd ein ausgebreittes, schön, grün, fruchtbar, und fröliches Land, der sichern Hoffnung eingangen. Cogitavi vias meas, & converti pedes meos. Psal. 118. Demnach ich mich meines üblen Wandels erinneret, hab ich mich bekehret, und sehr gesorget, wie ich über die gefährliche Brucken durch ein aufrichtige Beicht kommen möchte. Was dieser König, eben das soll ein jeder beicht- und büssender Sünder sorgen: doch zugleich ein Zuversicht fassen, daß eben der, welcher alle Tritt abzäblet, seinen Engelen befohlen in allen Weegen uns zu bewahren. Niemand habe deswegen einiges Abscheuen zu beichten, ermahnet St. Agnes von Montepolitiano, in einem Schreiben zu ihrem Herrn Vettern, sondern beobachte nur wohl, daß er einsmahls ohne Fall darüber komme.

Der Verlauf dieser Geschicht ist in dem Leben dieser Heil. Jungfrauen zu ersehen, nach Beschreibung Raymundi de Capua c. 4. den 20. April.

In Welschland im Schloß Portzen befand sich dieser Cavalier, deme sein Gut und Herrlichkeit in die Freyheit, sein Lieb und Treu gegen seiner Frau Muhme in die Freygebigkeit geführt; wegen seiner Frau Muhme war er ein grosser Wohlthäter des Closters, da sie GOtt gewidmet gewesen. Die Closter-Frauen batten vor ihn, absonderlich aber diese seine Muhme Agnes, dero GOtt einsmahls angezeigt, in was üblen Stand er sich befinde. Der Abgrund der Höllen eröffnet sich, in welchem für diesen ihren Herrn Vettern, ein besonders Ort von höllischen Gespenstern zubereitet worden. Sie aber erkühnet sich zu fragen: Allergnädigster Erlöser, soll dann mein Vetter in dies ewige Unglück kommen? ist doch dein Gütigkeit gegen seiner Boßheit unvergleichlich grösser: Die Antwort erfolgt, dreyßig Jahr hab ich erwartend gewartet sein Buß und Beicht, aber wiewohl er gebeichtet, sein Buß war ohne Reu, seine Beicht ohne Besserung. Darüber seuftzet Agnes, O barmhertzigster Heyland, laß nicht für diesen dein göttliches Blut entrinnen. Kaum geschahe diese Offenbarung, sendet Agnes einen eignen Botten zu ihrem Herrn Vettern mit Bericht, er wolle ohne Verzug alsobalden zu ihr kommen, sie hätte ein höchstwichtiges Geschäft mit ihme allein abzureden. Ohne allen Verschub, macht er sich flugs reißfertig, kommet zu der, die ihn beruffen, fraget, was doch das höchst-nothwendige Geschäft, Ursach dessen er so eylends abgeforderet worden? Agnes erkläret ihm solches: lieber HErr Vetter, über ein gefährliche Brucken muß er gehen, von der Sünd zur Buß: dreißig Jahr seynd vergangen, und in dreißig Jahren hat er nicht einmahl recht gebeicht: der Rachen der Höll hat sich[860] über ihn eröfnet, und die höllische Feind lauren auf seinen Fall und Untergang, nichts als eine Beicht kan ihn erretten. Mein Ermahnung schlag er nicht in Wind, er verlach sie nicht als einen Weiber-Traum, GOtt hat mir alles dieses geoffenbaret. Dieses geistreiche Zusprechen gieng ihm zu Hertzen: er verwilliget, nach genugsamer Vorbereitung alles zu beichten. Dem bestelten Beicht-Vatter legt er sich zu Füssen, klaget sich an in allen verübten Tod-Sünden, allen Unterschied und Anzahl derselben erkläret er nach Möglichkeit sattsam: er klaget an, wie vielmahlen er sich des Sacraments der Buß mißbraucht, dannoch communicirt habe. Ohne allen Fehl-Tritt, ist er diese Beicht hindurch gangen, daß er vom Priester die Loßsprechung erhalten. Darauf grünet sein gute Hofnung über alle grüne Felder, die der HErr geseegnet: sturb auch nach wenigen Zeiten, und seiner Muhme wurd seiner Seelen Seeligkeit geoffenbaret, was massen er durch diese Beicht der höllischen Verdammnuß entgangen. Derowegen bitte der büssende Sünder. O HErr bestätige meine Gänge auf deinen Wiegen: damit meine Fußstapfen nicht beweget werden. Psalm. 16. v. 5.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 859-861.
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