Das fünfte Capitel.

Ein Wunder-seltsame Geschicht, von einem Studenten, welcher aus Mangel dieses Vorsatz verdammet worden.

[948] Frater Bernardinus de Pussi erzählet, daß zu Paris in Franckreich ein Student in der Blühe seiner Jugend, mit einem unzeitigen Tod von diesem Leben seye abgeforderet worden. Dessen Lehrmeister Herr Doctor Silo, weilen er sein gelernigen Verstand hochgeachtet, beweinet ihn gar sehr, stunde ihm auch zur Zeit seiner Kranckheit bestermassen bey, bis daß er die Schuld der Natur mit gar zu frühen Tod bezahlet. Bevor verrichtet er sein Beicht, und empfahet das Hochwürdige Sacrament des Altars mit Vergiessung vieler Zäher, verliesse also ein scheinende Hofnung seines ewigen Heyls dem Lehrmeister, welcher für den Verstorbenen emsig GOtt gebettet, auf daß er bald aus dem Fegfeuer erlediget wurde: begehret auch mit inniglichen Verlangen zu wissen, in was für einem Stand er nun wäre, und was für einen Staffel der Glory er [948] überkommen habe? doch viel anderst als ihm es der Doctor eingebildet, ist es mit diesem Studenten hergangen. Silo befande sich einsmahls allein in seiner Cammer, da gehet sichtbarlich herein der Verstorbene, umgeben mit einem langen Mantel, oder feurigen Kappen, und seuftzet kläglich: der Doctor Silo entsetzet sich darüber, verbleibet ein Zeit lang in grossem Schröcken, bis daß er ihm selbst endlich sein Hertz aufgemunteret, und gefraget, wer da seye? der Verstorbene antwortete, ich bin dein unglückseeliger Schul-Jünger: was für ein Unglück hat dich getroffen, fraget der Doctor Silo: der Verstorbene antwortete mit greulichen Fluch-Worten: was fragest du mich um mein Unglück? so sey ich dann verflucht, und verflucht der Tag, an dem ich gebohren, und der, an dem ich getauft worden, und der, an dem ich dich hab gekennet, verflucht sey GOtt, der diese Peyn mir auferlegt, und mich auf ewige Zeiten zur Höllen hat verdammet, verflucht seynd die Engel GOttes, die ihn bedienen, verflucht die Heiligen, die ihm aufwarten, und alle die ihn loben im Himmel, und auf Erden. Der Doctor Silo redet darein, sprechend, hast du dann nicht gebeicht? und deine Sünd bitterlich beweinet? ja ich hab sie gebeicht, sprach der Verstorbene, aber ohne Reu, und ohne Vorsatz meine Sünd zu verlassen: dann die Empfindlichkeit, welche ich gehabt, und die Zäher, die ich vergossen, zu End meines sterblichen Lebens, giengen nicht wider meine Sünden, sondern wider den unverhoften Tod, da ich bedauret, ansehend, daß mein Leben entweichet, und daß ich die zeitliche Güter, und die Hofnung dieser zu geniessen, muß verlassen. Du soltest wissen, daß fast alle diejenige gar übel beichten, welche erst zum End ihres Lebens sich richten zu der Buß, und es zuvor nicht gethan haben. Ach! wie grosse Peyn, und Qual leyde ich unter dieser meiner feurigen Kappen, es beschweret mich mehr, als wann der höchste Thurn zu Paris auf mir ligete: Doctor Silo sey versichert, wann es die Menschen so wohl verstunden, als übel es hergehet, sie wurden nicht sündigen. Dahero thue ich dir zu wissen: wann gleich alle Peyn und Schmertzen, Noth, Elend und Marter der gantzen Welt von der Erschaffung an, bis auf diese Stund zusammen getragen wurden, so wär es kein Vergleichnuß, ja es wäre ein erleydentliche Sach gegen den bitteren Schmertzen und Peyn, welche ich alle Stund leyde: und damit du etwas weniges von dem, was ich leyde, versuchest, reich mir die ausgebreite Hand, und empfinde ein Tröpflein meines Schweiß: der Doctor Silo strecket die Hand aus, der verstorbene Lehr-Jünger aber liesse ein Tröpflein des Schweiß von dem Angesicht auf die Hand fallen, da gieng es die Hand durch und durch, als ein feurige Kugel, mit so gewaltigen Schmertzen, daß er vor Ohnmacht halb tod zu Boden gefallen. [949] Der verstorbene Lehr-Jünger verschwindet darauf in einem grossen Getümmel, welches etwann die Teufel gemacht haben, die ihne wiederum zur Höllen geführt.


Uber ein Weil, wird Herr Doctor Silo ausgestreckt zu Boden ligend, von seinen Bedienten und Haus-Leuten gefunden, ohne Empfindlichkeit, mit seiner durchlöcherten Hand in die Ligerstatt wird er getragen, taugliche Labung wird ihme angewendet, bis daß er sich erholet, und wiederum gantz zu sich kommen. Da er nun wohlauf worden, daß er wiederum sein Schul konte betretten, gehet er darein, erzählet seinen Schul-Jüngern warhaftig alles, was sich mit ihme zugetragen, und zu Bekräftigung dessen, hat er ihnen die Wunden seiner Hand gewiesen, allen eyferig zugesprochen, sie wollen die betrügliche Welt, und das verführende Weltwesen verlassen, ihrer Seelen ewige Glückseeligkeit versorgen, und sich in den geistlichen Stand begeben: sie sollen aus dem unerschätzlichen Schadē ihres Nächsten witzig werden. Demnach der Doctor Silo ihnen also zugesprochen, gehet er selbsten darvon, sprechend: linquo coax ranis, cras corvis, vanamque vanis: ad Logicam pergo, quæ mortis non timet ergo. Ich verlasse das ungestimme Meer der Welt, und begib mich auf das sichere Land des geistlichen Stands: ihr alle meine Lehr-Jünger, gleichwie ihr mir gefolget habt in dem ausgebreiten Weeg der Eytelkeit, also folget mir nach in dem schmalen Weeg der Seeligkeit. Er Doctor Silo begab sich in ein Closter, wurde ein frommer Mönch, und viel aus seinen Lehr-Jüngeren folgten ihme nach: etliche doch verblieben in dem weltlichen Stand, deren haben gar wenig, und gleichsam keiner ein gutes seeliges End genommen.

Bedencke, wie jener elende Mensch gebeichtet hat: seine Zäher waren Zäher eines Crocodils. Es ist wohl mercklich das, was vom Crocodil die Natur-Kündiger erzählen: begegnet diesem ein Mensch, zerreisset er ihne, und frisset ihne auf: dann dieses wilde Thier ist überaus begierig das Menschen-Fleisch zu fressen, aber demnach er dieses aufgezehret, nimmt er den menschlichen abgefressenen Kopf in die Krällen, weinet darüber mit Vergiessung vieler Zäher: man sagt doch, daß er allein weinet, weilen kein Fleisch mehr übrig, welches er möchte verzehren. Wohl ein seltsame Ursach des Weinens. Der den Crocodill also sehen solte weinen über den menschlichen Toden-Kopf und Gebein, möchte vermeinen, er hab ein hertzliches Mitleyden, und anmüthiges Klagen dessen, daß ein Mensch tod seye, er möchte, sich verwunderen, und gedencken, daß die Ansehung und Gedächtnuß des Tods, auch dergleichen Bestien bewege: doch weinet diese Bestia allein, weilen sie kein Fleisch mehr am menschlichen Toden-Gebein findet, solches Blut-gierig zu fressen, nicht aber aus einiger hertzlichen Anmuthung.

[950] Dergleichen seynd die Zäher vieler Personen in der Stund ihres Tods, demnach sie sich mit vielen Todsünden ersättiget, nehmen sie in ihre Händ das Crucifix, weinen und seuftzen. Ach! sprechen die, welche solches sehen, wie ein gutes End hat dieser oder jener genommen, wie hat er geweinet? Ach! wie förchte ich, daß diese nicht etwan Zäher eines Crocodills gewesen seynd. Mancher wird seine Wollüsten und Belieben, sein Reichthum und Sachen, sein Ehr und hohes Ansehen beweinen, seine begangene Sünden bringen ihm kein solches Leyd; das sihet man genugsam an denen, welche wiederum von einer schwehren Kranckheit aufkommen, diese kehren bald wiederum zu ihren boßhaften Gewohnheiten, das ist eine Anzeigung, oder eine nicht leichtlich fehlende Muthmassung, daß ihre Buß und Vorsatz sich zu besseren anfänglich nicht wahrhaft und kräftig gewesen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 948-951.
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