Das zwölfte Capitel.

Die Beicht bis zum Tod aufgeschoben ist sehr gefährlich. Ein unglückseeliger Zufall eines Beichtvatters und Beichtkinds.

[965] Ein besorgliches Thun ist es mit einer lang gesparten Beicht und Buß, wann man zum endlichen Zeichen des ablauffenden Lebens den Last der Sünden, welche durch üble Gewohnheit ist angewachsen, will ausziehen, und von sich ablegen. Der zur Beicht gehörige Vorsatz das boßhafte Leben abzustraffen, und zu verbesseren, hat alsdann fast keine Kraft, und rechtschaffene Würckung, indem der Leib von der Kranckheit gequället wird. Darauf deuten die Wort des gecrönten Psalmistens: contere brachium peccatoris, quæretur peccatum illius, etc. Zerknirsche den Arm des Sünders, seine Sünd wird gesucht werden. So ein armer Sünder an die Reck-Rahm aufgehenckt und gestreckt wird, bald auf einem, bald auf einem andern Fuß wird er durch schwehre Gewicht gepeynigt, damit er in den Schmertzen seine Missethaten bekenne; doch verordnen die Gesätz der Gerechtigkeit, daß die Bekanntnus, welche im Schmertzen geschiht, ungültig sey, wann der arme Sünder nicht wiederum, nachdem er von der Reck-Rahm herab gelassen worden, was er in Schmertzen gezwungen heraus sagt, ausser dem Schmertzen bestättiget. Also redet der König David, contere brachium peccatoris, zerknirsche den Arm des Sünders. GOtt getreue Christliche Seelen betrachtet einen sündhaften Menschen kranck in seiner Ligerstatt, als in einer peynlichen Reck-Rahm, [965] man schickt und beruft den Wund-Artzt, der soll ihm ein und die andere Ader eröfnen, und bald wiederum aufsprengen, es geschieht, viel heraus fliessendes Geblüt machet ihn sehr schwach, da ligt er gantz kraftloß. Genebrardus liset diesen Spruch des Davids also: contere vites ejus, zerknirsche oder benimme ihm die Kräften; Jansenius aber, frange opes & potentian: zerbreche die Reichthum und den Gewalt. Also gepeyniget und geängstiget wendet er sich zu GOtt, und bittet: Gemach mein GOtt, übereyle mich nicht, friste meine Zeit, daß ich meine Sünd beichte, und mein Leben bessere, dann ich nimm mir kräftig vor nicht mehr zu sündigen. Bald geschiht es, daß die Gefahr des Tods vergangen, die Kräften erhohlen sich, die Kranckheit ist überwunden, es erscheinet wiederum ein fröhliche Gesundheit; aber was vermeint ihr? geschiht etwann das, was mit theurem Vorsatz GOtt zugesaget worden? mit nichten, die heylsame Gedancken und Reden tat in seiner Zeit die schmertzliche Kranckheiten heraus gezwungen, nun aber haben sie kein Kraft, und keine Wirckung. Dieser als er sich wohl und frisch auf befindet, fangt auf ein neues an frisch darauf zu sündigen. Also gehet es wie die tägliche Erfahrnus leyder genugsam beweiset. Allezeit ist besorglich der Vorsatz, den die bittere Angst des Tods heraus presset.


Aber ihr werdet mir den frommen Schächer vorstellen, und sprechen, ist er nicht jederzeit ein boßhafter Mensch geweßt, und zu End seines Lebens ist er gleichwohl mit einer zweystündigen Buß heilig und ewiglich seelig worden. GOttes Hand ist nicht verkürtzet, solches kan auch mit mir hoffentlich geschehen. Wahr ist es, seine eylfertige Bekehrung ist ihme gar wohl von statten gangen, aber ihme allein; entgegen, ach! wie viel seynd verdammet, weilen sie ihr Buß und Besserung des Lebens in ihr Sterbstündlein aufgeschoben? unzahlbar viel deren konnte man vorbringen, gegen dem alleinigen Schächer. Damit man es glaube, daß zur Zeit seines Absterbens dieser Schächer wahrhaftig bereuet habe sein übel zugebrachtes Leben, war nothwendig eines Schwurs, unser HErr Christus mußte solches dermassen bestättigen, und ihme versprechen das Paradeyß, Amen, amen dico tibi, hodie mecum eris in paradiso: wahrlich, wahrlich sag ich dir, heut wirst du bey mir seyn im Paradeyß. Das ist eine solche Sach, welche gar wohl solte betrachtet und erwogen werden. Ueberaus ist es hart zu glauben, daß in der Sterbstund aus einer stinckenden Erden ein reines Geld, oder aus einem Kißlingstein ein Carfunckel, oder aus einem Höllen-Brand urplötzlich ein ewig-glantzender Stern des Himmels solte gemacht werden. Wie ist es glaublich, daß einer, welcher sein Lebenlang in grossen Sünden vertieffet gewesen, indem jetzunder die Reiß-Uhr ausfliesset, recht büsse, und kräftig ihme vornehme, nimmer zu sündigen, [966] und sich also heraus ziehe, aus dem schleimigen Letten seines Unflats. Solches zu glauben war es wohl vonnöthen, daß es Christus die ewige Wahrheit, mit einem hohen Schwur betheurete. Die natürliche Wirckungen nehmen dazumahlen ab, daß man auch das nicht verrichten kan, was doch in steter Ubung gewsen; das Essen, Trincken und Schlaffen will nicht von statten gehen, da die Kranckheit uns beschwehret; und wie kan es seyn, daß man sich gleich zu jener Zeit tauglich mache übernatürliche Wirckung zu verrichten; zuvor möchten diese nicht geschehen ohne sonderbahre Hülf und Gnad GOttes, und dieser, der einen so beschafnen Eyffer nie erwecket und angezündt, will alsdann Reu und Leyd über die Sünd erwecken, die Liebe GOttes in sich anzünden, alle seine Boßheiten zu Aschen verbrennen und vernichten, einmahl für allemahl diesen Vorsatz machen, nimmermehr zu sündigen? wie ist es eine harte Sach dieses zu glauben, auch forderist, weilen ein solcher Mensch sich befindet unwürdig der göttlichen kräftigen Gnad, indem er so übel sein Leben zugebracht, da er so vielmahlen GOtt den Vatter der Erbarmungen nicht wolte anhören, wann er gnadenreich angeklopffet an das sündhafte Hertz, und dieses zu einer würdigen Buß beruffen. Ach! wie undanckbar widerstrebte dieser allen heiligen Einsprechungen.


Es ist eine wohl bedenckliche Sach, daß unter dem Christlichen Volck so viele Manns- und Weibs-Personen gefunden werden, welche durch mehrere Jahr in ihren schwehren Sünden verharren, und dannoch mit jährlicher Oesterlichen Beicht und Beicht-Zettlen bey der geistlichen Obrigkeit wohl bestehen. Meine Meynung ist, ihre Beicht habe keinen rechten Vorsatz sich zu besseren, und das geduncket mich, ist die fürnehmste Ursach des gottlosen Lebens, welches dergleichen Christen verführen. Ich vermeyne doch auch, daß dieses Uebels keine geringe Ursach seye der Beichtvatter, dann so der Sünder sich aufrichtig von allen Sünden anklagt, und verschweiget nicht die gefährliche Gelegenheiten zu sündigen, in welcher er lebet, so ist der Beichtvatter verbunden einem solchen die Absolution zu versagen, wann er von dieser nahenden Gefahr, indem er konnte, dannoch nicht abweichen, und der sündlichen Gelegenheit entgehen wolte. Ehe als ein Rachgieriger sich mit seinem Feind vergleichen, die Aergernus, welche er wissentlich gibet, aufgehebt; ehe als einer zugestellet habe die Ehr, oder das Gut, welches er dem Nächsten unbillich genommen oder abgetragen, und schuldig ist zuzustellen; ehe soll ein solcher beichtender Sünder nicht absolviert, und von seinen Sünden entbunden werden. Ach! wie ein erschröckliche Forcht greiffet mich an, wann ich gedencke, daß deswegen nicht wenig Beichtvätter tödlich sündigen, und verdammet werden.

Laßt uns anhören einen unglückseligen Fall, welcher manchen [967] Beichtvatter eine kümmerliche Forcht wird einjagen. Dessen wahre Zeugnuß giebt uns der löbliche P. Magister Johannes Avila, ein eifriger und apostolischer Prediger in Hispanien in der Landschaft Andalusia, und wird erzählet von Pater Ignatio Blanc. Ein hochedler aber gar freyer Ritter, beichtet zum öftern einem also beschaffenen Beichtvatter, welcher, entweder wegen der guten Freundschaft, die er mit ihme gepfleget, oder wegen der Geschanckungen, die er von ihme empfangen, mit ihme sanfter, und liebreicher umgangen, als sein boßhafte Weis zu leben erforderte. Er beichtet zwar zum öfteren, doch allzeit übel, dann sein Beicht hatte kein nachdrucklichen Vorsatz, alle Sünden zu meiden, und kein hertzliche Reu, daß diese geschehen seynd. Dieser Cavalier sturbe, und wurde zur Höllen verdammet. Dem Beichtvatter war es unbewußt, daß er seye mit Tod abgangen. Dannoch einsmahls wurde er eilends bey nächtlicher Weil zu diesem Cavalier beruffen, und er wird durch gewisse verdeckte, und seltsame Weeg begleitet, bis zu einem Misthaufen: als er mit deme, der geführt, daher gelanget, höret er ein also ruffende Stimm: Erkennest du mich? ich bin der Verstorbene, und aus deiner Schuld verdammte Cavalier: GOtt hat es zwar zugelassen, dein Dissimulieren, und linde Weis mit mir in der Beicht zu handlen, hat mich verführt, indeme du mich meiner Sünden nicht, wie es nothwendig war, scharf gestraffet, noch mir die Absolution versaget, dahero wiewohlen ich meine Sünd gebeicht, waren meine Beichten ungültig, und ein sündlicher Mißbrauch des heiligen Sacraments, kein Reu meiner Sünden, und kein kräftiges Vornehmen hab ich gehabt; aus Ursach dessen befiehlt GOtt mit dir, du sollst mir in meiner ewigen Verdammnuß ewige Gesellschaft leisten: Als dieses ausgeredet worden, umfanget der verstorbene Beicht Sohn seinen Beichtvatter, gleich eröfnet sich die Erden, und verschlinget beyde in den Abgrund. Wehe denen die also beichten, und Beicht hören.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 965-968.
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