49. Schönheit ohne Verstand

[312] Wahr ist's, es ist ein gut Gesicht

Ein öffentlich Empfehlungs-Schreiben;1

Wenn der Besitzer nur dem selbst nicht wiederspricht,2

Und seinen Leser lässt bey seiner Meinung bleiben:

In manchem Briefe sind die Züg' und Zeilen schön,

Den Inhalt kan kein Mensch verstehn.


Fußnoten

1 Es ist ein gut Gesicht ein öffentlich Empfehlungs-Schreiben. Dieser Spruch wird zwar der Königin Isabella von Kastilien zugeschrieben; Es hat ihn aber dieselbe dem Aristoteles abgeborget. Und ob gleich dieses an sich selbsten ein schöner Einfall, so hat dennoch ein anderer den Verstand desselben durch Hinzusetzung dieser Worte, erhöhet: Dass nemlich dieses Schreiben von der Hand der Natur selber geschrieben sey, und von allen Völckern der Welt könne gelesen werden.


2 Wenn der Besitzer nur dem selbst nicht wiederspricht. Denn man kan manchem diese Worte mit Fug zu sprechen: Si tacuisses, Philosophus mansisses.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 312.
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