35. Veturia an den Coriolanus[351] 1

Rom die bedrängte Stadt, dein und mein Vaterland,

Fällt dir durch mich zu Fuss', und machet seine Reue

Durch deiner Mutter Aug' in Thränen, dir bekant;

Mein Sohn! Ach mache nicht, dass ich den Nahmen scheue:

Zieh' ab, und sage dem der dessen Ursach fragt;

Dass Rom dich erst, hernach ich dich von Rom verjagt.


Fußnoten

1 Dass man einigen Briefen, wie anitzo diesen, keine Knittel-Verse zugesetzet, verursacht die Ernsthafftigkeit der Sache. Wenn Sophonisbe ihren Mann, und Nero sein Weib mit einem andern vertauschen will; wenn Julia einen Ritterdienst vom Ovidius erwartet; und Abelard seiner Heloise sein kitzliches Gebrechen zu verstehen giebt; denn halte ich es mit den Knittel-Versen, und dencke ein Hans Sachs ist mehr denn zehn Lohensteins und Hoffmanswaldaus wehrt; wenn aber Semiramis ihren Sohn Ninias zur Blutschande verführen will; wenn Augustus der Cleopatra durch sein falsches Liebkosen die Schlangen um die Armen windet; wenn Herodes seiner unschuldigen Mariamne den Hals abspricht; und wenn endlich hier Veturia ihr Vaterland zu retten, ihres eignen Sohns Leben und Ehre in die Schantz setzet: so ist es keine Zeit seinen Leser zum Lachen, sondern man hat vielmehr Ursach denselben zum Schrecken oder Mittleiden zu bewegen. Ja man kan in dergleichen Gelegenheiten, die eine ernsthaffte und der Sachen Würde ausdrückende Schreibart erfodern, sich so gar durch gar zu viel Witz eines vernünfftigen Lesers Verachtung auf den Hals ziehen. Omnes enim in re seria verborum delitiae etiam non ineptae, intempestivae sunt, et commiserationi plurimum adversantur. Dionys. Halicarn. in jud. de Isocr. So, dass wenn Ovidius von der Sündfluth im Anfang seiner Metamorphosis schreibet:


Omnia pontus erant, deerant quoque, littora ponto.


Oder wenn er in Ansehn des Deucaleons und seiner Pyrrha, welche von dem gantzen Menschlichen Geschlecht erbärmlicher Weise allein übrig geblieben waren, saget:


Et superesse videt de tot modo millibus unum,

Et superesse videt de tot modo millibus unam.


So bestraffet Seneca der Aeltere diesen unzeitigen Witz, mit folgenden Worten: Non est res satis sobria, lascivire devorato orbe terrarum.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 351-352.
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